Zusammenfassung
Zwei Ansätze dominieren in der Forschung zum Erwerb sozial-kognitiver Fähigkeiten. Der erste Ansatz knüpft an die Piaget-Kohlberg-Tradition an: Man präsentiert Kindern bestimmte Aufgaben und schließt aus der Art, wie diese Aufgaben gelöst werden, auf die Konzepte, die Kinder über das Wissen und Denken anderer Leute haben. Der zweite Ansatz, der sich in der Tradition Meads versteht, ist darauf ausgerichtet, Kinder in natürlichen oder quasi-natürlichen Settings zu beobachten und aus den Interaktionsweisen des Kindes Rückschlüsse auf seine sozial-kognitiven Fähigkeiten zu ziehen. Ein wichtiges Ergebnis dieser Untersuchungen besteht darin, daß Kinder im Verlauf von Alltagsinteraktionen sehr viel führer sozial-kognitive Fähigkeiten beweisen, als man bisher aufgrund von Befragungsmethoden vermutet hatte. Die Analyse von Alltagssituationen, in denen Kinder sozial-kognitive Fähigkeiten demonstrieren, bringt allerdings noch keine Aufschlüsse darüber, in welchen Interaktionskonstellationen das Kind solche Fähigkeiten möglicherweise erworben hat. In Analogie zum Spracherwerb, wo ein passives Sprachvermögen der aktiven Sprachverwendung vorausgeht, vermute ich, daß das Kind in sozialen Interaktionen zunächst ein Wissen über die Befindlichkeit anderer Personen erwirbt, bevor es dieses Wissen aktiv einsetzen kann. Als eine solche Interaktionskonstellation, die für das Kind gleichsam einen - wenn auch mit Sicherheit nicht den einzigen - Lernkontext bereitstellt, ein Wissen über die Gefühle und Befindlichkeiten anderer Personen zu erwerben, interpretiere ich die Situation, die sich ergibt, wenn nach Ankunft eines neuen Geschwisters die Eltern das erste Kind mit dem Neugeborenen bekannt machen.
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Schütze, Y. (1985). Elterliche Kommunikationsstrategien und der Erwerb von Perspektivenübernahme. In: Franz, HW. (eds) 22. Deutscher Soziologentag 1984. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83518-5_39
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Print ISBN: 978-3-531-11750-8
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