Zusammenfassung
In den im vorangegangenen Kapitel diskutierten Arbeiten wurden Staaten als relevante Kontexte für die Genese fremdenfeindlicher Einstellungen angesehen. Die Bedeutung staatlicher Grenzen für die Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik sowie das Staatsangehörigkeitsrecht wurden dabei nicht thematisiert. Während der Einfluß der Identifikation mit der „Nation“häufig als Determinante fremdenfeindlicher Einstellungen in quantitativen Untersuchungen berücksichtigt wird, sind Unterschiede in der Politik in den genannten Bereichen meines Wissens mit Ausnahme der Studien von Hjerm (199Sa,b) bisher nicht Gegenstand quantitativer Analysen gewesen. Ausgehend von dessen Analyse (Abschnitt 4.1) wird untersucht, wie unterschiedliche Definitionen von Zugehörigkeit (Abschnitt 4.2) über die Prägung von Identitäten die Entstehung fremdenfeindlicher Einstellungen begünstigen (Abschnitt 4.3). Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Diskussion der Bedeutung des Inhalts (Konservatismus) und der Struktur politischer Überzeugungen (Autoritarismus und Extremismus) für die nationale Identität und Vorurteile gegenüber Zuwanderern (Abschnitt 4.4).
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Literatur
Da Hjerm (1998a,b) lediglich drei bzw. vier Staaten untersucht, scheidet ein Mehrebenenansatz von vorneherein aus, weil er zu wenige Kontexte hat.
Hjerms Ausführungen beziehen sich auf das Staatsangehörigkeitsrecht vor der Reform von 1999.
Nach Smith (1991, 14) ist für jede Nation ein Territorium von Bedeutung. Aber nur das westliche, bürgerliche Modell ist eine primär territoriale Konzeption der Nation: „It (das westliche Modell der Nation, CW) is, in the first place a predominantly spatial or territorial conception“(Smith, 1991, 9).
Francis bemerkt, daß es „im Deutschen schwerfallt, von einem ‘amerikanischen Volk’ zu sprechen“(Francis, 1965, 91), weil der deutsche Begriff Volk auf ethnische Gemeinsamkeit hindeutet, was im englischen Sprachgebrauch (people) nicht der Fall sei.
Der seit den 1990er Jahren zu beobachtende Anstieg dieser Quoten ist auf die Einbürgerung „ethnisch Deutscher“, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zuwandern konnten, zurückzuführen.
Kinder algerischer Einwanderer, die vor der Unabhängigkeit Algeriens und damit auch auf französischem Territorium geboren wurden, erhielten bis 1993 (nach den Regeln für die dritte Generation) automatisch die französische Staatsbürgerschaft. Eine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft war in diesen Fällen auch bei Wunsch der Betroffenen nicht möglich.
Nationalisierung ist damit das Gegenteil von Ethnifizierung, wobei beide unterschiedliche Ursprünge haben (vgl. Oommen, 1997a, 18).
Greenfeld (1992) subsumiert unter dem Begriff kollektivistisch-autoritär — wie im weiteren gezeigt wird — die beiden letztgenannten Konzepte der Nation, weshalb das Konzept mit abstammungs-kollektivistisch übersetzt wurde.
„The word,nation’, meaning,sovereign people’, was now applied to other populations and countries which, like the first nation, naturally had some political, territorial and/or ethnic qualities to distinguish them, and became associated with such geo-political and ethnic baggage. As a result of this association,nation’ changed its meaning once again, coming to signify,a unique sovereign people’“(Greenfeld, 1992, 8).
Die Unterscheidung ähnelt der von Smith (1991, 9–11) zwischen einem bürgerlichen und einem „ethnischen“Konzept der Nation, das von Hjerm (1998a,b) verwendet wurde. Der Smithsche Begriff der Nation unterscheidet sich von dem hier verwendeten, da eine gemeinsame Ökonomie, „a common economy with territorial mobility for members“, und vor allem gemeinsame gesetzliche Rechte und Pflichten, „common legal rights and duties for all members“(Smith, 1991, 14), als wesentliche Bestandteile einer Nation angesehen werden. Insbesondere Nationen (nach Oommenscher Definition), die auf mehrere Staaten verteilt sind (wie die Kurden) sind nach Smithscher Begriffsbildung daher Ethnien (vgl. Smith, 1991, 21). Auch er sieht jedoch einen Unterschied zwischen Ethnien und Nationen darin, daß Ethnien nicht in ihrer Heimat leben müssen (vgl. Smith, 1991, 41).
Die Einteilung der Konzepte des Staates ähnelt zudem stark den von Castles und Miller skizzierten Politik-Modellen (vgl. Tabelle 4.1, S. 58). Das auf Abstammung beruhende Konzept der Staatsbürgerschaft ist im exklusiven Politik-Modell präsent, das bürgerlich-kollektivistische Staatsverständnis liegt dem assimilatorischen Politik-Modell zugrunde und das individualistisch-libertäre Konzept der Staatsbürgerschaft ist notwendige Grundlage einer pluralistischen bzw. multikulturellen Politik.
Kleger und D’Amato (1995) weisen in ihrem Vergleich der Staatsbürgerrechte Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz auf den exklusiven und stark assimilatorischen Charakter der Schweizer Einbürgerungsrichtlinien hin. An der Einbürgerung sind nicht nur Bundes-, sondern auch kantonale und lokale Behörden beteiligt. Kanton und Kommune können zusätzliche Anforderungen (zu den Bundesbestimmungen) an eine Einbürgerung knüpfen. Eine vereinfachte Einbürgerung für in der Schweiz aufgewachsene junge Ausländer existiert nur in einigen Kantonen (vgl. auch D’Amato, 2001). Allerdings hat im September 2002 auf Initiative des Bundesrates ein Verfassungsartikel den Nationalrat passiert, der eine wesentliche Revision des Schweizer Staatsbürgerschaftsrechts darstellen wird, sofern dieser nicht am Ständerat bzw. einem Volksreferendum scheitern wird. Die Änderung sieht im wesentlichen eine Verringerung der Mindestaufenthaltsdauer von 12 auf 8 Jahre für eine reguläre Naturalisation, eine erleichterte Einbürgerung für die zweite Generation und eine automatische Einbürgerung (!) der dritten Generation vor (vgl. „Die Ausländerzahl als Politikum“, Neue Zürcher Zeitung vom 17.09.2002, 25).
Hinsichtlich der Integrationspolitik der Schweiz teilt auch Oommen diese Einschätzung (vgl. Oommen, 1997a, 175).
Flamen und Wallonen stellen die beiden größten Sprachgemeinschaften, während Deutschsprachige (zu denen auch die Lëtzebuerger gezählt werden) nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachen (vgl. Pan und Pfeil, 2000, 45).
Es geht hier um eine multi-nationale Konzeption des Staates. Faktisch sind die meisten Staaten multi-national, auch Deutschland, dessen altes Staatsangehörigkeitsrecht von nahezu allen Autoren dem Abstammungsmodell zugerechnet wird. In einem Handbuch der europäischen Volksgruppen werden Sorben, Dänen, Friesen und Sinti-Roma als „nationale Minderheiten“(in der hier gewählten Begrifflichkeit Nationen) aufgeführt (vgl. Pan und Pfeil, 2000, 61 f.).
Dies betrifft beispielsweise die Kosten des Verfahrens, die Frage, ob es eine Klagemöglichkeit bei Ablehnung der Einbürgerung oder einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung gibt, ebenso wie Anforderungen an die Sprachkenntnisse oder andere Kriterien wie Straffreiheit (vgl. dazu Waldrauch, 2001).
Staatsangehörigkeitsrechte iure sanguinis sehen häufig vor, daß bei nicht-ehelichen Kindern die Staatsangehörigkeit der Mutter herangezogen wird. Bei binationalen Ehen gewinnt zudem die Frage Relevanz, ob beide Elternteile die Staatsangehörigkeit vererben, oder ob beispielsweise nur die des Vaters herangezogen wird (Vermeidung von Mehrstaatigkeit).
Dies setzt eine Aufenthaltsberechtigung oder eine mindestens seit drei Jahren bestehende unbefristete Aufenthaltserlaubnis voraus (vgl. Waldrauch, 2001, 494f.).
Die Vererbung der Staatsbürgerschaft bei dauerndem Auslandsaufenthalt wurde ebenfalls begrenzt. Kinder von Eltern, die bereits selbst im Ausland geboren wurden und ihren dauerhaften Aufenthalt dort haben (zweite Auslandsgeneration), erhalten nun nicht mehr die deutsche Staatsangehörigkeit.
Nicht enthalten sind in dieser Spalte also Regelungen, die einen vereinfachten Erwerb ermöglichen, wie es z. B. Spanien für die dritte Generation vorsieht.
„Die etwas ungewöhnliche Regelung sieht vor, daß das Kind eines Elternteils, der zum Zeitpunkt der Geburt in den Niederlanden (oder einem der Überseegebiete) seinen Wohnsitz hat und der selbst Kind einer Mutter ist, die in den Niederlanden lebt, die niederländische Staatsangehörigkeit erwirbt“(Waldrauch, 2001, 497).
Gelingt es nicht, eine positive soziale Identität über die Bewertung der eigenen Gruppe vorzunehmen, z.B. weil deren Status als gering wahrgenommen wird, dann sieht die Theorie unterschiedliche Strategien als Reaktion vor, wie das Verlassen der Gruppe, eine Änderung der Vergleichsdimensionen etc. (vgl. Tajfel und Turner, 1986, 19f.).
Die Ergebnisse der Experimente von Mummendey und Simon (1997) zeigen, daß die positive Bewertung des eigenen Staates tatsächlich nur dann zu fremdenfeindlichen Einstellungen führt, wenn diese Bewertung auf sozialen Vergleichsprozessen beruht, d. h. dem Vergleich mit anderen Gruppen. Positive Bewertungen infolge zeitlicher Vergleiche führten beispielsweise nicht zu einer Abwertung von Fremdgruppen. Ohne Vorgabe einer Vergleichsdimension dominieren allerdings soziale Vergleiche (vgl. Mummendey und Simon, 1997, 190), was die Bedeutung der anderen Vergleichsdimensionen einschränkt.
Während der deutschen Teilung war die Frage nach dem Stolz, Deutscher zu sein, nicht eindeutig, weil es zwei deutsche Staaten gab. Aufgrund fehlender Daten ist unklar, ob der (in der BRD) abgefragte Stolz sich eher auf die Bundesrepublik (den Staat) oder die Deutschen in der DDR und der BRD (die Nation) bezog (vgl. Westle, 1999, 183). Nationalstolz und die Unterstützung der Bundesrepublik standen während der deutschen Teilung daher immer in einem Spannungsverhältnis, was nicht zuletzt die Prominenz des Konzeptes des Verfassüngspatriotismus im Hinblick auf die Unterstützung des bundesrepublikanischen politischen Systems erklärt (vgl. zu letzterem Westle, 1999, 64–70).
Der Terminus „Nationalstolz“ist bei einer Differenzierung zwischen Staat und Nation demnach nicht ganz angemessen, da der Stimulus in der Regel auf die Zugehörigkeit zum Staat bezogen werden muß.
Abgefragt wurde, ob Nationalstolz eine Pflicht, eine Selbstverständlichkeit, Unsinn, weil die Zugehörigkeit Zufall ist, Unsinn, weil jeder Mensch anders ist, überheblich oder gefährlich sei (vgl. Westle, 1999, 215).
Selbstverständlich sind auch in Staaten, die durch ein bürgerliches Konzept gekennzeichnet sind, Identifikationen möglich, die auf der Abstammung beruhen, wie sie beispielsweise in Frankreich durch Le Pen artikuliert werden.
Aufgrund der Verknüpfung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit läßt sich in Deutschland aus der Abwesenheit von Nationalstolz nicht auf eine fehlende Identifikation mit dem Staat schließen. Ob die Abwesenheit von Nationalstolz eine fehlende Identifikation wiedergibt, ist dabei grundsätzlich umstritten (vgl. Westle, 1999, 182).
Nationalismus wird von den Autoren als unkritische Idealisierung der eigenen Nation definiert und von Patriotismus als einer „kritischen Distanz“zur eigenen Nation/zum eigenen Staat abgegrenzt (vgl. Blank und Schmidt, 1997, 132 f.).
Seine Ergebnisse sind allerdings vorsichtig zu interpretieren, da die Faktoren nicht so eindeutig interpretierbar sind wie die von Blank und Schmidt (1993) und die Faktorstruktur in Deutschland von der der anderen Staaten abweicht.
Blank verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß autoritäre Menschen schlechter Krisensituationen bewältigten und Gruppenzugehörigkeiten in diesem Zusammenhang die Funktion hätten, Orientierung und Sicherheit über die Steigerung des Selbstwertgefühls zu geben (vgl. Blank, 2002, 58).
Nationalismus wird durch den allgemeinen Nationalstolz, Stolz auf die deutsche Geschichte, auf sportliche Erfolge und die deutsche Führungsrolle in Europa abgebildet; Patriotismus durch den Stolz auf demokratische Institutionen, sozialstaatliche Leistungen und politische Beteiligungsmöglichkeiten. Nationale Identität wird über die Bedeutung Bundesbürger (in) zu sein, die innere Bindung zu Deutschland und durch die „Liebe zum Vaterland“gemessen. Auch Blanks Daten bestätigen damit den bereits oben diskutierten Befund, daß allgemeiner Nationalstolz in Deutschland Nationalismus mißt.
Zwei der vier von Blank (vgl. 2002, 146f.) herangezogenen Items ähneln Items, die auch in der ursprüngliche Skala von Adorno (1999, 71f.) Verwendung fanden.
Die Autoren der Studie zur autoritären Persönlichkeit (vgl. Adorno, 1999, 205) treffen auf der rechten Seite des politischen Spektrums ebenfalls eine Unterscheidung zwischen einem als demokratisch gekennzeichneten, „genuinen“Konservatismus und einem gleichsam antidemokratischen „Pseudo“-Konservatismus. Ausgangspunkt dieser Unterscheidung war die Beobachtung, daß eine autoritäre Charakterstruktur, gemessen durch die F(aschismus)-Skala, zwar sehr hoch mit Ethnozentrismus und (in etwas geringerem Ausmaß) mit Antisemitismus korrelierte, aber nur schwächer mit Konservatismus (vgl. Adorno et al., 1950, 95). Als Pseudo-Konservative wurden Befragte bezeichnet, die auf der Konservatismus-Skala und auf der Ethnozentrismus-Skala hohe Werte einnahmen, als genuin Konservative Befragte, die auf der Konservatismus-Skala hohe, auf der Ethnozentrismus-Skala dagegen niedrige Werte hatten (vgl. Adorno, 1999, 205). Die Unterscheidung verläuft also danach, ob Konservative ethnozentristisch eingestellt sind oder nicht. Verantwortlich dafür halten die Autoren die Tatsache, daß Pseudo-Konservatismus, nicht aber Konservatismus, Ausdruck eines autoritären Charakters sei. Während bei genuin Konservativen die Identifikation mit Autoritäten gelungen sei, sei die Identifikation der Pseudo-Konservativen mit Autoritäten mißlungen, was zu emotionalen Konflikten führe (vgl. Adorno, 1999, 216). Fremdenfeindliche Einstellungen (Ethnozentrismus) durch Pseudo-Konservatismus zu erklären, wäre hier tautologisch, da Pseudo-Konservatismus über fremdenfeindliche Einstellungen definiert wurde. Ursächlich für Fremdenfeindlichkeit (Ethnozentrismus) und damit auch Pseudo-Konservatismus ist nach Adorno die autoritäre Persönlichkeitsstruktur.
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Weins, C. (2004). Staatsbürgerschaft, nationale Identität und fremdenfeindliche Vorurteile. In: Fremdenfeindliche Vorurteile in den Staaten der EU. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80667-3_4
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