Zusammenfassung
Husserl ist immer wieder der Vorwurf gemacht worden, die Thematik der Intersubjektivität und des Anderen nicht hinreichend bedacht zu haben. Dieser Vorwurf soll hier (wenngleich jeweils nur ansatzweise) untersucht werden im Hinblick auf drei Dimensionen der Andersheit, die an der Philosophie Hegels abgelesen werden – des Philosophen, der gewissermaßen die Betrachtung kultureller Gemeinschaften in die Philosophie eingeführt hat. Außerdem hat Hegel erstmals die Dynamik des Verhältnisses zwischen mir und dem Anderen genauer beschrieben, nämlich als Herr-Knecht-Dynamik. Die Herr-Knecht-Dialektik ist trotz aller generellen Kritik am Systemphilosophen Hegel in der französischen Phänomenologie durchgängig sehr wirksam gewesen. Vor allem aber hat Hegel verschiedene Arten von Gemeinschaften untersucht, die sich als horizontartig geschachtelte Verhältnisse auffassen lassen: von der Dyade oder Zweiergemeinschaft (sei es eine Liebesgemeinschaft wie in der Frühphilosophie oder eine aus dem Kampf auf Leben und Tod hervorgegangene Gemeinschaft) zur Kleingruppe oder Familie, und weiter zur ökonomischen Interessengemeinschaft („bürgerliche Gesellschaft“) und schließlich dem politischen Staat mit seinem „Volksgeist“.
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Notes
- 1.
„It is still a very profound lesson that Husserl taught us [….]: I have no originary access to the alter-ego as such“ (Derrida, 1991, S. 71).
- 2.
Die prominenteste Vertreterin ist in dieser Hinsicht Julia Kristeva mit ihrem Text Fremde sind wir uns selbst.
- 3.
Die einschlägige Untersuchung der Seinsweise des transzendentalen Ego insbesondere in Husserls Zeitmanuskripten ist Klaus Helds Lebendige Gegenwart.
- 4.
Vgl. Carr, 1999, S. 106.
- 5.
Vgl. Held, 1966, S. 19.
- 6.
Ms. E III 2, S. 27 (1920/21), zitiert nach Held, 1966, S. 121.
- 7.
Die Erlebnisse der Anderen sind mir prinzipiell nur im Modus der Unzugänglichkeit zugänglich, während meine vergangenen Erlebnisse zum gleichen Bewusstseinsstrom gehören wie meine gegenwärtigen: vgl. Steinbock, 1995, S. 51 ff.
- 8.
Ms. E III 9, S. 84 (1931), zitiert nach Held, 1966, S. 166.
- 9.
Ein solcher prominenter Autor ist Jean-Paul Sartre (Sartre, 1991, S. 424 ff.). Weitere Autoren insbesondere aus der englischsprachigen Husserl-Literatur bespreche ich in Staehler, 2008.
- 10.
Sartre, 1991, S. 457.
- 11.
Die Unterscheidungen zwischen diesen Sphären sind zu komplex und technisch, um im Rahmen dieses Aufsatzes besprochen werden zu können. Vgl. hierzu Staehler, 2008, S. 109 ff.
- 12.
So Manfred Riedel, der bezüglich der Struktur des Selbstbewusstseins sagt: „‚Geist‘ ist die dialektische Entfaltung dieser Struktur zu jenem Gesamtbewusstsein, das Hegel zur Erklärung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt und ihrer Veränderung benutzt“ (Riedel, 1973, S. 400).
- 13.
Vgl. Zahavi, 1996, der zeigt, dass die einheitliche Gegebenheit eines raumzeitlichen Gegenstandes überhaupt nur als intersubjektive möglich ist.
- 14.
Vgl. Carr, 1987, S. 27 f.
- 15.
Generative Phänomene sind also die konkreteren im Vergleich zu statischen und genetischen Phänomenen. In ähnlicher Weise hat Husserl zuvor die genetische Phänomenologie von der statischen durch einen Fortschritt in der Konkretion unterschieden, da erstere sich mit der konkreten Monade beschäftigt und mit dem konkreten Ich, das aus abstrakten Elementen aufgebaut ist (vgl. Hua XIV, S. 34, 43, 47). Vgl. Steinbock, 1998, S. 183.
- 16.
Vgl. Steinbock, 1998, S. 183 f.
- 17.
Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Held, 1991, und Steinbock, 1995, S. 183 ff.
- 18.
Mit dem Zusammenhang von ‚einer‘ Welt, An-Sich-Sein der Welt und invarianten Strukturen beschäftigt sich auf aufschlussreiche Weise der Abschnitt X („Viele Umwelten und die eine wahre Welt“) in Hua XXXIX, S. 673–733.
- 19.
Vgl. Husserl, 1940.
- 20.
Vgl. ausführlich den Beitrag von Carr in diesem Band. Allerdings ist meines Erachtens der Husserl’sche Begriff der Krise keineswegs auf die Zeit der 1930iger beschränkt, sondern Husserls Betrachtungen haben auch für die gegenwärtige Krise Implikationen.
- 21.
Vgl. Hua VI, S. 331, zum Staunen und Hua XXIX, S. 387, zur Bedeutung der Begegnung mit dem Fremden.
- 22.
Damit greife ich eine Formulierung auf, die Derrida – allerdings mit einer anderen Bedeutung und Begründung – in Die Schrift und die Differenz in einem Aufsatz mit eben diesem Titel bezüglich Batailles Philosophie vorschlägt. Der Begriff der Bedingungslosigkeit scheint mir gut geeignet, um das phänomenologische Prinzip des Infragestellens aller Voraussetzungen zu reflektieren.
- 23.
Derrida zufolge ist dies eine der wichtigsten Einsichten von Husserls Text Der Ursprung der Geometrie (Derrida, 1987).
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Staehler, T. (2014). Die Gegebenheit des Anderen. In: Fabbianelli, F., Luft, S. (eds) Husserl und die klassische deutsche Philosophie. Phaenomenologica, vol 212. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-01710-5_12
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