Zusammenfassung
Die gegenwärtige Normativitätsdebatte in der Erziehungswissenschaft hat eines erneut deutlich machen können: Das Konglomerat aktueller Theoriebildung und Forschung weist quer durch die verschiedenen Ansätze, Denkformen und methodologischen Programme unmissverständlich ein normatives Gepräge auf. Die neue Aufmerksamkeit auf die normativen Gehalte der Disziplin unterscheidet bisweilen aber in ihren Konklusionen und Vorschlägen zu wenig hinsichtlich der Pluralität von Wissensformen. Vor diesem Hintergrund werden im Beitrag – inspiriert von einigen Arbeiten früherer Normativitätsdebatten – Wissensformen entlang ihrer spezifischen normativen Ausprägungen differenziert und so zugleich normative ‚Grundstrukturen‘ der Erziehungswissenschaft freigelegt, denen vorerst – auch und gerade innerhalb der Allgemeinen Erziehungswissenschaft – nicht zu entkommen sein dürfte.
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Notes
- 1.
Etwas anders lautet die Formulierung in der genannten Monografie von Bokelmann (1965, S. 94): „Was zur Erforschung dieses Fragenbestands nötig ist, gehört auch zur pädagogischen Wissenschaft.“
- 2.
Die Frage, ob diese Wissensform nicht eher ein Relikt des 19. Jahrhunderts ist, als die Pädagogik den Charakter eines Berufswissens der pädagogischen Lehrprofession annahm, ist dabei unerheblich für die Hervorhebung des Umstands, dass diese Wissensform nach wie vor präsent und im ‚Umlauf‘ ist. Hierzu auch Tenorth (1989).
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Fuchs, T. (2019). No Way Out. In: Meseth, W., Casale, R., Tervooren, A., Zirfas, J. (eds) Normativität in der Erziehungswissenschaft. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21244-5_3
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