Zusammenfassung
„Kompetenz“ ist der zentrale Begriff der Ökonomisierung der Bildung. Die Ausbildung formaler Fähigkeiten ist seit der ersten PISA Studie normatives Kriterium guten Unterrichts und wird durch aktuelle Technologien wie Learning Analytics in der sogenannten digitalen Bildung optimiert. Doch was genau soll eigentlich optimiert werden und steht dies noch in einem sinnvollen Zusammenhang zur philosophischen Bildung? Dieser Aufsatz geht zurück zu den begrifflichen Grundlagen und versucht die Konzepte zu klären, die notwendige sind, um rational über die Probleme der Kompetenzorientierung hinsichtlich des Philosophieunterrichts zu sprechen.
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Notes
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Dieser Aufsatz basiert auf meinen Vortrag bei der Tagung „Philosophische Bildung und Didaktik“ 2016 an der Johannes Gutenberg Universität Mainz und auf zentralen Argumenten meiner Dissertation, vgl. Roeger (2016).
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Die Charakterisierung von „Bildung“ über die Referenz auf ein „Selbst-Welt-Mitmensch-Verhältnis“ basiert auf einer Untersuchung von Marotzki (1990, S. 41 f.).
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Eine ausführlichere Begriffsexplikation zur „philosophischen Bildung“ habe ich hier entfaltet: Roeger (2019a).
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Weinert hat für die OECD PISA-Studie im Projekt Definition and Selection of Competencies: Theoretical and Conceptual Foundations (Rychen et al. 2001) die für die aktuelle Bildungsreform einflussreichste Kompetenzdefinition entwickelt. Nach der ersten PISA-Studie erstellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Pädagogische Forschung unter Leitung von Eckhard Klieme das Gutachten Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards (Klieme 2009), um die Bedeutung von Bildungsstandards und Kompetenzen zu klären. Diese sogenannte Klieme-Expertise greift explizit die weinertsche Definition aus Leistungsmessungen in Schulen nach Weinert (2001) auf, da sie sich nach Klieme (2009, S. 21) „hervorragend auf den schulischen Bereich übertragen“ lasse. Entsprechend wird nach Klieme (2009, S. 63 ff.) die weinertsche Kompetenzdefinition von der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland der Lehrplanarbeit zugrunde gelegt.
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Unstrittig ist diese Charakterisierung natürlich nicht, sobald man nach Quine (2011) die Geltung analytischer Wahrheiten kritisiert oder einen erkenntnistheoretischen Naturalismus nach Kornblith (2002) vertritt. Auch wird sie durch aktuelle Entwicklungen der experimentellen Philosophie nach Grundmann et al. (2014) problematisch.
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Philosophieren als „Praxis“ kann hier aristotelisch verstanden werden (EN VI 5, 1140b13–20) im Sinne einer selbstzweckhaften Handlung als Abgrenzung zu einer Herstellung. Ebert (1976) und Jacobi (1979) diskutieren den aristotelischen Ausdruck „selbstzweckhafte Handlung“ ausführlich. Für unsere Untersuchung ist aber nicht entscheidend, was genau Aristoteles unter der Poiesis-Praxis-Differenz verstanden hat, sondern ob Philosophieren im oben angegebenen Sinn als Selbstzweck charakterisiert werden kann.
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Interessant ist dies gerade im Bereich des Philosophierens mit Grundschulkindern, die gerade nicht über entsprechend ausgebildete philosophische Kompetenzen verfügen können. Dies zeigen auch die empirischen Untersuchungen von Goebels (2017).
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Für einen ausführlichen Vergleich dieser Didaktiken siehe Meyer (1993, S. 97 ff.).
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Roeger, C. (2020). Kompetenz – Philosophie – Bildung: Von notwendigen begrifflichen Klärungen mit praktischen Konsequenzen. In: Thein, C. (eds) Philosophische Bildung und Didaktik. Ethik und Bildung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05171-4_9
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