1 Einleitung

Die Coachingforschung zeigt, dass das Verhalten sowie die Emotionen eines Business CoachesFootnote 1 einen zentralen Einfluss auf die Einstellungen und das Verhalten seiner Klienten sowie auf den Coachingerfolg haben (Kienast 2013; Neukom et al. 2011; Schermuly und Bohnhardt 2014; Schermuly und Graßmann 2016; Schermuly et al. 2014; Triebel et al. 2016). So muss sich ein Coach hohen emotionalen Anforderungen stellen, die empathisches Verhalten erfordern (Will und Kauffeld 2018; Will et al. 2016), wie bspw. intensive, emotionshaltige Coachingsituationen, bei denen er Emotionen des Klienten differenziert wahrnimmt, adäquat einordnet und im Sinne des Coachingprozesses reguliert. Daher besitzt ein emotional kompetenter Coach die Fähigkeit, sich seiner eigenen Emotionen bewusst zu sein, diese zu erkennen und zu verstehen sowie angemessen ausdrücken und reflektieren zu können, und darüber hinaus die Emotionen seiner Klienten wahrzunehmen, zu verstehen und prozessorientiert zu beeinflussen (Niedermeier und Schaper 2017). Emotionale Kompetenzen haben sich im beruflichen Kontext als entscheidende personale Ressourcen herauskristallisiert, die ausschlaggebend für die Frage sind, wie man mit sich selbst und mit anderen umgeht (Herpertz und Schütz 2016).

Die Relevanz der emotionalen Kompetenz im Coachingprozess konnte durch die Forschungsergebnisse von qualitativen Studien verdeutlicht werden. Bachkirova und Cox (2007) zeigen u. a., dass der Umgang mit schwierigen emotionalen Anforderungen mit den Haltungen und Einstellungen eines Coaches, dem Wissen über Emotionen sowie seinen Überzeugungen darüber, welche Rolle diese im Coachingprozess spielen, zusammenhängt. Die genannten Autoren identifizierten in ihren Interviews drei verschiedene „personal theories“ gegenüber Emotionen im Coachingprozess:

  1. 1.

    „Helping and shaping emotion“: Emotionen zeigen Probleme des Klienten an. Sie benötigen besondere Interventionen des Coaches und sollten besser unter Kontrolle gebracht werden. Dabei versucht der Coach das Problem des Klienten, das mit den Emotionen verbunden ist, zu verstehen, zu normalisieren und zu lösen, wobei er den Klienten nicht zu stark mit problematischen Gefühlszuständen konfrontiert.

  2. 2.

    „Analytical approach“: Emotionen sind unvermeidbar, völlig normal und benötigen besondere Aufmerksamkeit. Sie müssen nicht kontrolliert werden, jedoch muss die Reaktion auf Emotionen sorgfältig analysiert werden und differenziert ausfallen. Hierbei versucht der Coach die Ursachen für die Gefühle zu explorieren, um Sinnzusammenhänge in Relation zu den Coachingzielen/-themen zu erschließen.

  3. 3.

    „Facilitating expression“: Für den Erfolg des Coachingprozesses ist der fehlende Ausdruck von Emotionen problematischer als ihr Auftreten (Kienast 2013), denn Emotionen sind ein guter Indikator für wichtige Entwicklungen und können erfolgreich zur Motivationsentwicklung des Klienten im Coachingprozess beitragen. Hierbei versucht der Coach den deutlichen Ausdruck von Emotionen zu erlauben und sie zur Energetisierung und Motivation des Coachingprozesses zu nutzen. Darüber hinaus fördert er, dass sein Klient sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzt.

In einer weiteren qualitativen Studie von Cremona (2010) konnte außerdem verdeutlicht werden, dass Coaches eine Vielzahl von individuellen Ansätzen nutzen, um eigene Emotionen sowie die des Klienten in den Coachingprozess einzubringen. Häufig spiegeln Coaches dabei die Emotionen der Klienten empathisch wider und artikulieren ihre eigenen Emotionen. Dabei spielt die individuelle Bereitwilligkeit im Umgang mit Emotionen, die Lebenserfahrung, das Coachingziel sowie das eigene Verständnis von Coaching des Coaches in Abgrenzung zu Psychotherapie eine große Rolle. Inwiefern sich der Coach allerdings auf die wahrgenommenen emotionalen Prozesse im Coachingprozess einlässt, hängt von seiner Lebenserfahrung, Berufsausbildung und professionellen Arbeit, seinen Therapieerfahrungen, ethischen Grundsätzen, Coachingqualifikationen und von seiner Bereitwilligkeit, sich damit zu befassen, ab, so die Autorin. Ähnlich der Arbeit eines Psychotherapeuten, muss sich ein Coach vielfältigen und komplexen Anforderungen, insbesondere psychosozialen Herausforderungen, stellen (Giernalczyk et al. 2013; Schermuly und Bonhardt 2014; Graßmann und Schermuly 2017). Dazu gehört insbesondere, den auftretenden Emotionen im Coachingprozess mit Aufmerksamkeit zu begegnen und ihre Bedeutung für den Veränderungsprozess differenziert einzuschätzen sowie angemessen mit dem emotionalen Erleben des Klienten umzugehen. Außerdem sollte der Coach darauf achten, dass sich der Klient von ihm empathisch verstanden fühlt (Will et al. 2016). Gefordert ist somit besonders die emotionale Kompetenz des Coaches.

1.1 Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess

Kompetenzmodelle, um professionelle Anforderungen, wie z. B. die (emotionalen) Fähigkeiten eines Coaches, zu beschreiben, gewinnen zunehmend auch im Coachingkontext an Bedeutung (Drexler 2013; Hasenbein und Riess-Beger 2014; Kuchen und Pedrun 2006; Merz und Frey 2011; Michel et al. 2014; Schwertl 2016). Niedermeier und Schaper (2017) haben in diesem Zusammenhang unter Nutzung einer deduktiven, theoriegeleiteten Vorgehensweise (Schaper 2009) relevante Dimensionen und Facetten der emotionalen Kompetenzen identifiziert und ein erstes Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess entwickelt. Das Modell wurde auf der Grundlage vorhandener Kompetenzmodelle der Coachingforschung (Hasenbein und Riess-Beger 2014; Michel et al. 2014), einschlägiger Erkenntnisse der Forschung zum Umgang mit emotionalen Anforderungen im Coachingprozess (z. B. Bachkirova und Cox 2007; Cremona 2010), zentraler Ansätze der emotionalen Intelligenz (z. B. Gardner 1999; Goleman 1995; Mayer und Salovey 1997), Beschreibungen von Schlüsselfertigkeiten der emotionalen Kompetenz (z. B. Rindermann 2009; Saarni 2002) und ausgewählten Konzepten der Emotionsregulation (z. B. Gross 2007; Martinez-Pons 2000; Salovey et al. 1995) sowie ausgewählten Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung (z. B. Grawe 1994; Greif 2015) konzipiert.

Das Kompetenzmodell (siehe hierzu Tab. 1 im Überblick) unterscheidet zunächst zwischen intra- und interpersonalen Kompetenzen, die sich jeweils in vier beziehungsweise fünf Faktoren untergliedern, denen wiederum jeweils eine bis vier Facetten (insgesamt 27) zugeordnet wurden.

Tab. 1 Übersicht des deduktiv hergeleiteten Kompetenzmodells zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess nach Niedermeier und Schaper (2017)

1.2 Ziel der vorliegenden Studie

Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, das theoriebasierte, deduktiv hergeleitete Kompetenzmodell unter Heranziehung empirischer Methoden hinsichtlich seiner Gültigkeit zu überprüfen sowie das Modell weiter auszudifferenzieren und zu kontextualisieren, sodass es beispielsweise für die Diagnose und Entwicklung von emotionalen Kompetenzen von Coaches verwendet werden kann. Eine empirisch und praxisorientierte Überprüfung des vorliegenden Modells begründet sich auch daher, da forschungsorientierte Kompetenzmodelle oftmals „zwar klare theoretische Bezüge aufweisen, sie jedoch meist zu wenig die praxisrelevanten Anforderungen berücksichtigen und aufgrund ihres spezifischen Theoriebezugs sehr eng gefasst sind“ (Dörr et al. 2012, S. 417). Vor diesem Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen der vorliegenden Untersuchung formuliert:

  1. 1.

    Inwiefern bestätigen die mithilfe der CIT (Critical Incident Technique) Interviews ermittelten Expertenaussagen die Relevanz der einzelnen Facetten emotionaler Kompetenz eines Coaches?

  2. 2.

    Welche Hinweise zur Verbesserung und Erweiterung des Kompetenzmodells im Sinne einer Ausdifferenzierung ergeben sich durch die Einbeziehung empirisch ermittelter Expertenaussagen in die Kompetenzmodellierung?

Mit der ersten Forschungsfrage soll untersucht werden, ob und inwiefern die intrapersonalen sowie interpersonalen Facetten des Kompetenzmodells durch die Interviewaussagen der Experten bestätigt werden können. Anhand der zweiten Forschungsfrage soll analysiert werden, ob die Expertenaussagen zu konkreten Erfahrungen im Umgang mit Emotionen im Coachingprozess Hinweise auf Erweiterungen (z. B. in Form neuer zusätzlicher Kompetenzaspekte), Konkretisierungen (z. B. in Form von Ergänzungen bei den Beschreibungen der bereits vorhandenen Kompetenzfacetten), oder Verbesserungen (z. B. in Form von Umformulierungen der vorhandenen Kompetenzbeschreibungen) der Kompetenzbeschreibungen des bereits erarbeiteten Modells ergeben. Um die Forschungsfragen einer Klärung zuzuführen, wurde eine qualitative Interviewstudie mit 18 Experten durchgeführt, bei denen qualifizierte und erfahrene Coachingexperten gebeten wurden, in halbstrukturierten Interviews jeweils zwei eigene Coachinggespräche hinsichtlich ihrer emotionalen Anforderungen näher zu beschreiben. Dabei sollte einerseits ein Coachinggespräch gewählt werden, bei dem der Coach den Eindruck hatte, dass ihm das Coaching gut gelungen ist, insbesondere in Bezug auf die emotionale Begleitung des Klienten. Andererseits sollte ein zweites Gespräch, bei dem der Befragte den Eindruck hatte, dass ihm dieses Gespräch weniger gut im Hinblick auf diesen Aspekt gelungen ist, geschildert werden. Die Einbeziehung nicht optimal verlaufener Coachingsituationen sollte Hinweise auf besondere Herausforderungen bezüglich emotionalen Anforderungen im Coachingprozess ergeben.

Für die Interviews wurde ein Leitfaden, basierend auf der Critical Incident Technique (Flanagan 1954) entwickelt, um das theoretisch generierte Kompetenzmodell empirisch und praxisrelevant auszudifferenzieren und anforderungsrelevante Aspekte der emotionalen Kompetenz zu konkretisieren, sodass ein aussagekräftiges Kompetenzmodell entsteht. Die teilstandardisierte CIT Interviewtechnik wird heute vorrangig eingesetzt, um arbeitsbezogene psychische Anforderungen und besondere Herausforderungen sowie spezifische Verhaltensweisen innerhalb eines bestimmten Tätigkeitsfeldes in erfolgsrelevanten oder erfolgskritischen Situationen, zum Beispiel für Zwecke der Personalauswahl, verhaltensnah abzuleiten (Kauffeld und Grohmann 2014; Hamborg und Schaper 2018).

In der ursprünglichen Form des CIT Interviews wurden die Befragten dazu aufgefordert, kritische (Anforderungs‑)Situationen zu nennen und zu beschreiben, die innerhalb der jeweiligen Domäne relevant sind. Die auf diese Weise ermittelten Beschreibungen des Verhaltens der Interviewten in berufsbezogenen Situationen sind realitäts- und verhaltensnah und führen so zu aufschlussreichen Ergebnissen in Bezug auf erfolgsrelevante Anforderungen und Verhaltensweisen der untersuchten Tätigkeit (Spencer und Spencer 1993). Die in diesem Zusammenhang verwendete CIT Methode unterscheidet sich von dem ursprünglichen Vorgehen vor allem im Hinblick auf den spezifischen Fokus der Befragung (vgl. nächsten Abschnitt).

2 Methodisches Vorgehen

2.1 Leitfaden/Fragebogen

Zur Umsetzung des beschriebenen qualitativen Forschungsvorhabens wurden leitfadengestützte Experteninterviews geführt. Dabei lag der Fokus des CIT Interviews darauf, anhand der Beschreibung von konkreten Situationen, in denen emotionale Aspekte des Coachingprozesses besonders deutlich wurden, das Verhalten von Coaches im Umgang mit emotionalen Anforderungen möglichst detailliert zu erfassen.

Der Interviewleitfaden setzte sich aus vier Teilen zusammen. Der erste Teil bestand aus demografischen Angaben (z. B. Art der Coachingausbildung oder Schwerpunkt der Coachingtätigkeit) sowie offenen und strukturierten Fragen (z. B. in Bezug auf eine kurze Charakterisierung der eigenen Coachingphilosophie oder eine Einschätzung der eigenen emotionalen Kompetenz) zur Person und dem professionellen Hintergrund des Coaches. Der zweite Teil des Fragebogens bezog sich auf die Abfrage eines Szenarios, in dem ein Coachinggespräch nach Meinung des Befragten gelungen ist in Bezug auf den Umgang mit den emotionalen Anforderungen des Gespräches, sodass auch der Klient zufrieden wirkte. Darauf folgte im dritten Teil des Interviews die Befragung zu einem weiteren Coachingszenario, in welchem der Coach zu einem Fall beziehungsweise einer Situation befragt wurde, in dem ein Coachinggespräch im Umgang mit den emotionalen Aspekten der Situation eher schlecht gelungen ist (die Fragen waren bis auf eine Ausnahme dieselben wie im zweiten Teil des Interviews). Die Interviews wurden sowohl in mündlicher als auch schriftlicher Form durchgeführt (siehe auch Punkt 2.3). In Tab. 2 sind die Instruktionen und Fragen zum ersten Szenario in einer gekürzten Fassung wiedergegeben.

Tab. 2 Ausschnitthafte Wiedergabe der Leitfragen des CIT Interviews mit den Coachingexperten auf der Basis selbsterlebter Coachingszenarien

Durch die prozess- und verhaltensbezogene Form der Fragen zu einem gelungenen und einem weniger gelungenen Coachinggespräch mit teilstrukturierten, offenen Gesprächs‑/Schreibanteilen war es möglich, differenzierte Aussagen im Umgang mit den emotionalen Anforderungen der Coachingsituation aus der subjektiven Sicht der Coaches zu erhalten.

2.2 Stichprobe

An den CIT Interviews nahmen 18 Business Coaches teil, die mindestens drei Jahre Berufserfahrung hatten und Coaching primär zu beruflichen Anliegen und Anlässen anboten. Die befragten Coaches waren zum Erhebungszeitpunkt zwischen 29 und 80 Jahre alt (M = 52,6; SD = 13,8), hatten im Durchschnitt ungefähr 15 Jahre (SD = 9,1) Erfahrung als Coach und betreuten monatlich etwa 18 Klienten. Somit kann von einer hohen Expertise der Coaches ausgegangen werden. Sechs Coaches (33,3 %) waren weiblich. 15 Befragte hatten einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss und drei Teilnehmer hatten eine Berufsausbildung ohne Studium. 17 Coaches (94,44 % der Stichprobe) haben eine spezielle Coachingausbildung absolviert und ein Befragter befand sich zum Zeitpunkt der Befragung noch in einer Ausbildung zum NLP-CoachFootnote 2, hatte jedoch schon 16 Jahre praktische Coachingerfahrung. Elf der Befragten hatten eine Systemische Ausbildung und fünf eine NLP-Ausbildung abgeschlossen, ein Coach war Angestellter des Freistaates Bayern ohne Coachingausbildung und einer war zertifizierter Coach für das Process Communication Modell.

Die Experten wurden gebeten eine Einschätzung zu ihrer persönlichen emotionalen Kompetenz auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 10 (sehr ausgeprägt) abzugeben. Ein Coach wählte die volle Punktzahl, fast ein Drittel der Coaches (27,8 %) wählten neun Punkte, zehn Coaches (55,6 %) gaben sich eine Acht und lediglich zwei Befragte gaben sich sechs Punkte. Aus der Einstufung ist zu entnehmen, dass die befragten Coaches ihre emotionale Kompetenz aus einer subjektiven Perspektive relativ hoch bis sehr hoch einschätzten.

2.3 Vorgehen/Datenerhebung

Die Interviews wurden im Zeitraum von Mai 2016 bis Juni 2017 durchgeführt. Dazu wurden im Vorfeld 67 Coaches via E‑Mail angeschrieben und/oder telefonisch kontaktiert und gebeten, an einem mündlichen oder schriftlichen Experteninterview über ihre persönlichen Erfahrungen zu emotionalen Anforderungen im Coachingprozess und damit verbundenen emotionalen Kompetenzen teilzunehmen. Neun Interviews wurden mündlich telefonisch oder Face-to-Face an den Arbeitsstandorten der jeweiligen Interviewpartner durchgeführt, audiotechnisch aufgezeichnet und danach vollständig transkribiert, um eine umfassende und zuverlässige Auswertung zu gewährleisten, wobei alle Gesprächspartner sowohl der Aufzeichnung als auch der späteren, anonymisierten Auswertung der Interviews zustimmten. Weitere neun Interviews wurden schriftlich durchgeführt. Die schriftliche Beantwortung des Fragebogens dauerte im Mittel 70 min und die Durchführung der mündlichen Interviews dauerte durchschnittlich 33 min.

2.4 Auswertungsmethodik

Die nachfolgende Darstellung zeigt die zentralen Arbeitsschritte der Datenanalyse, die systematisch in Anlehnung an die strukturierende inhaltsanalytische Auswertungstechnik nach Mayring (2010) durchgeführt wurde, um das Datenmaterial zu kategorisieren und zu reduzieren. Dabei wurden beim Vorgehen sowohl deduktive Techniken zur Strukturierung des Materials als auch induktive Techniken zur Zusammenfassung der Aussagen innerhalb der Kategorien verwendet.

In einem ersten Schritt wurden die Aussagen der Coaches gemäß den Kategorien des Kompetenzmodells von Niedermeier und Schaper (2017) markiert und zugeordnet. Für diese strukturierende Analyse wurde ein hierarchisch strukturierter Kodierleitfaden, der auf den deduktiv hergeleiteten intrapersonalen und interpersonalen (Sub)Facetten des Kompetenzmodells zur emotionalen Kompetenz von Coaches von basiert, genutzt. Tab. 3 veranschaulicht einen Ausschnitt des Kodierleitfadens.

Tab. 3 Ausschnitthafte Darstellung des Kodierleitfadens am Beispiel der Unterkategorie 6.3 Achtsames Zuhören

Zur Gütesicherung beziehungsweise Prüfung der Interrater-Reliabilität wurden 20 % der Interviewaussagen durch einen zweiten Beurteiler kodiert. Der zweite Rater wurde hierfür anhand der Definitionen für die einzelnen Kategorien sowie den dazugehörigen Ankerbeispielen des Kodierleitfadens geschult. Die Auswertung der Interrater-Übereinstimmung erfolgte anhand des Kappa Koeffizienten (Cohen 1968) und ergab einen Wert von Kappa = 0,795 (p < 0,001), was als gute Übereinstimmung zu bewerten ist (Landis und Koch 1977). In einem zweiten Schritt wurden die kategorial zugeordneten Kodiereinheiten nach Mayring (2010) paraphrasiert (Z1-Regeln) und generalisiert (Z2-Regeln), wobei das Textmaterial auf seine Kerninhalte reduziert und abstrahiert wurde (z. B. ausschmückende beziehungsweise nicht inhaltstragende Textstellen wurden gestrichen), sodass auswertungsrelevante Aussagen übrigblieben.

Ein Beispiel:

An der Art, wie sie gesprochen hat. An der Mimik: Es sind Tränen gelaufen, zwischendurch mal zum Taschentuch gegriffen. Hat geweint, hat dann auch, als wir über ihre, über das Gefühl „ich bin sehr verletzt, ich konnte nichts anderes machen, als das, was ich getan habe“. Sie hat ja auch versucht diese Mobbingsituation irgendwie zu lösen. (Coach 18)

Reduktion und Abstraktion der Aussage

Der Coach nimmt die Emotionen der Klientin besonders anhand der Mimik (Fließen der Tränen, Weinen der Klientin) und Gestik (Greifen nach einem Taschentuch) sowie ihren verbalen Äußerungen wahr.

Bedeutungsgleiche Paraphrasen wurden reduziert (Z3-Regeln), zusammengelegt und gebündelt (Z4-Regeln). Das Demonstrationsbeispiel (siehe Tab. 4) zeigt die Bündelung von zwei ähnlichen Aussagen. Schließlich konnten die verbliebenen Paraphrasen im Rahmen der Analyse induktiv präzisiert, ausdifferenziert und ausformuliert werden.

Tab. 4 Demonstrationsbeispiel Paraphrasierung, Generalisierung und Reduktion

3 Darstellung der Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse zu den beiden Forschungsfragen vorgestellt.

3.1 Inwiefern bestätigen die mithilfe der CIT Interviews ermittelten Expertenaussagen die Relevanz der einzelnen Facetten emotionaler Kompetenz eines Coaches?

Die Auswertung der Experteninterviews zeigt, dass das Kompetenzmodell mit seinen intrapersonalen und interpersonalen Dimensionen und Facetten von den befragten Coaches zum größten Teil bestätigt werden kann. Als bestätigt gilt eine Facette dann, wenn mindestens vier Aussagen zu einer Facette ermittelt wurden; dieses Limit wurde gewählt, um sicherzustellen, dass eine Facette nicht nur durch eine oder zwei Aussagen, d. h. eher zufällig durch die Schilderungen der Coaches bestätigt wurde. Insgesamt wurden alle Hauptkategorien und nahezu alle Subfacetten des Kompetenzmodells von den befragten Coaches bestätigt, allein die Subfacette 4.1 Intrapersonale Emotionsregulation: Individuelle Life-Work-Balance konnte anhand der Interviewaussagen nicht bestätigt werden, da dazu keine Aussagen getätigt wurden. Zuerst wird in der folgenden Darstellung gezeigt, inwiefern die Interviewaussagen Hinweise zur Ausdifferenzierung der Dimensionen und Facetten des Modells ergeben haben. Darüber hinaus werden auch Erläuterungen der befragten Coaches, die Aufschluss über die Bedeutung der beschriebenen Kompetenzfacetten beziehungsweise für den Coachingprozess geben, in die Darstellung exemplarisch mit einbezogen. Soweit sinnvoll wurden Häufigkeitsangaben und Beispielaussagen in die Darstellung mit aufgenommen.

3.1.1 Intrapersonale Kompetenzen

Wahrnehmen und Verstehen der eigenen Emotionen (1.0)

Die Interviewaussagen zu dieser Kategorie verdeutlichen einerseits die Fähigkeit des Coaches, wie er seine Emotionen anhand von vielfältigen Ausdruckserscheinungen und Verhalten verbaler und nonverbaler Art wahrnimmt, versteht und auch ausdrückt. So wird die eigene Emotionswahrnehmung vor allem mit affektiven Emotionsausdrücken, wie z. B. störend beschrieben, welche sich auf die gefühlten und empfundenen Befindlichkeiten des Coaches beziehen. Dies ist, nach Aussagen der befragten Coaches, begleitet von verschiedenen, positiven und negativen Emotionskomponenten, wie zum Beispiel Frustrationsgefühle oder Glücksempfinden, welche im Verlauf des Coachingprozesses subjektiv interpretiert werden. Andererseits wird in den erläuternden Aussagen zu dieser Kategorie die Bedeutsamkeit der Emotionswahrnehmung für den Prozess deutlich: Die Wahrnehmung der eigenen Emotionen ist deshalb so bedeutsam, da sie z. B. hilfreiche Signale für den Coachingprozess liefert und für die Steuerung des Prozesses genutzt werden kann. Diese Kategorie erhielt die häufigsten Kodierungen (150 von insgesamt 653). Zur Veranschaulichung dieser Kategorie werden im Folgenden beispielhaft zwei Aussagen zur Wahrnehmung eigener Emotionen wiedergegeben:

Viel auf jeden Fall im Bauch, aber auch im Kopf, ich kriege dann auch heiße, oder warme Ohren. Meine Ohren sind sowieso sehr gut durchblutet. Ich merke […] unheimliche Freude und da waren natürlich sehr starke Emotionen […]. Ja, also diese Emotionen […] habe ich auch gezeigt, weil für mich war es einfach das schönste Erlebnis der Welt in meinem Leben. (Coach 17)

Ich habe sie [die Emotionen] wahrgenommen und ihnen Raum gegeben. (Coach 1)

Analysieren und Reflektieren eigener Emotionen und Haltungen (2.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen einerseits, in welcher Form eigene Emotionen und Haltungen reflektiert und bewertet werden (z. B. intuitiv oder bewusst) und andererseits, welche Rolle diese Form der Selbstregulation im Coachingprozess spielt: So berichten die Coaches, dass sie sich anhand entsprechender kognitiver Analyse- beziehungsweise Reflexionsprozesse z. B. kontrollieren oder selbst emotional schützen. Auf dieser Grundlage können so neue Handlungsoptionen und Einsichten gewonnen, eigene Belastungs- oder Überforderungsaspekte erkannt und Rollenkonflikte (z. B., wenn das professionelle Rollenverständnis des Coaches durch starke Emotionen gestört ist und er sich nicht abgrenzen kann) frühzeitig identifiziert, reflektiert beziehungsweise vermieden sowie ein bewusster Zugang zu den eigenen Erfahrungen und Gefühlen gewonnen werden. Viele der Interviewpartner betonen die kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit den eigenen subjektiven Deutungen, um Emotionen und Haltungen im Coachingprozess nutzen zu können. Die folgende Expertenaussage zeigt die Bedeutung der Fähigkeit zur Reflexion eigener Emotionen und welche Konsequenzen sich daraus für das Handeln des Coaches ergeben:

Das Gespräch wurde von mir an einer Stelle mit dem Hinweis auf gewisse Anzeichen für ein Burnout oder eine Depression und mit dem Vorschlag, einen Experten zu Rate zu ziehen, bewusst unterbrochen. Diese Unterbrechung führte auch zu der Beendigung des Coachinggespräches und letztlich auch der Coachingbeziehung. In diesem Moment wurden Vorwürfe laut „du lässt mich allein“, „du verlässt mich“ oder „wenn du weg bist, dann ist alles aus“. Diese Situation war für mich schwer zu ertragen, aber ich habe hier selbst eine harte Haltung eingenommen und kühl und abweisend reagiert, um den Schritt zu dem Experten hin zu ermöglichen. (Coach 11)

Authentizität/Echtheit (3.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen, dass die Experten versuchen, sich in ihrer Rolle als Coach z. B. aufrichtig, ehrlich und transparent zu verhalten und sich nicht zu verstellen. Sie verdeutlichen auch die Schwierigkeit, authentisches Coachingverhalten bewusst zu steuern:

Authentizität ist für mich, wenn ich nicht drüber nachdenken muss, ob ich authentisch bin. Also zum einen, jetzt rein von der Definition her, dass es ein Übereinstimmen ist von dem, wie ich mich fühle und wie ich mich nach außen zeige. das ist für mich Authentizität. Und in dem Moment, wo ich drüber nachdenken muss, ob ich authentisch bin, bin ich es vermutlich nicht. (Coach 18)

Ich war in meiner Professionalität, Unprofessionalität und in meiner Zerrissenheit sehr authentisch. (Coach 11)

Außerdem wird anhand der Expertenaussagen die Bedeutsamkeit dieser Kompetenzfacette für den Coachingprozess deutlich. So versuchen einige der Befragten ihre Reaktionen, Gedanken und Befindlichkeiten, wenn für den Prozess förderlich, offen zum Ausdruck zu bringen, mit sich selbst in guter Verbindung zu stehen, als Rollenvorbild authentisch, aufrichtig, kongruent und transparent aufzutreten, um z. B. den Klienten dazu zu bewegen, sich ähnlich zu verhalten, sowie Rollenkonflikte (z. B. wenn eine Führungskraft als Coach seinen Mitarbeiter coacht) vorzubeugen. Dazu sei stellvertretend ein Beispiel wiedergegeben:

Habe mich authentisch und echt verhalten, indem ich ich geblieben bin und mich eben nicht verstellt habe. Das ist doch klar als Coach, sonst kann der Prozess gar nicht erst funktionieren … Transparentes authentisches Auftreten ist das A und O! (Coach 2)

Dass authentisches Coachingverhalten nicht immer gelingt, verdeutlicht folgende Aussage:

Habe meine Verunsicherung zu Beginn probiert zu überspielen und war eben nicht gleich authentisch. (Coach 2)

Intrapersonale Emotionsregulation (4.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen zum einen, inwiefern die Experten ihren emotionalen Zustand bewusst oder intuitiv regulieren, steuern und beeinflussen. So beschreiben einige Experten bewusste Regulationsaspekte, wie z. B. bewusstes Kontrollieren oder Selbstsicherheit sowie Zuversicht vermitteln. Zum anderen wird die Bedeutsamkeit für den Coachingprozess deutlich: Die befragten Coaches versuchen vor allem in emotionshaltigen Situationen Professionalität (wie z. B. Sachlichkeit) als Coach zu wahren, die Erzählungen des Klienten nicht in Frage zu stellen, sondern mit Akzeptanz zu begegnen, (körperliche) eigene Reaktionen zu regulieren, sich abzugrenzen oder zurückzunehmen, Selbstvertrauen auszustrahlen und mit Belastungs- sowie Überforderungsaspekten angemessen umzugehen. Entsprechendes Regulationsverhalten wird durch folgende Beispielaussage veranschaulicht:

[…] ich kann das gut aushalten, wenn jemand dasitzt und weint. Ich kann auch mal jemanden in den Arm nehmen, wenn ich denke, dass das für den Klienten in Ordnung ist. Es war nicht der Fall, dass ich mitweinen musste, oder so. Das ist für mich dann auch, ich glaube in dem Moment, wo es mich so mitreißen würde, dass ich selber dasitzen würde und weine, dann bin ich in dem Moment nicht mehr in der Coachingsituation. Dann wäre es eher eine Freundin, mit der ich mitweine, weil ihr irgendetwas Schlimmes passiert ist. (Coach 18)

In manchen Expertenaussagen wurde darüber hinaus auch deutlich, wie im Coachingprozess mit belastenden Emotionen umgegangen werden kann, beziehungsweise was passieren könnte, wenn man diese nicht reguliert:

Ich bin genauso ruhig geblieben, wie bei dem anderen Coachinggespräch, weil ich eben versuche, mich nicht als Person einzubringen, sondern als Institution. Also auch keine negativen Emotionen zuzulassen, auch wenn es anfängt einem zu stinken, wenn der andere das nicht kapiert, dann muss man damit leben. Also tolerant, wiederholen, […]. Das klappt leider nicht immer. (Coach 13)

3.1.2 Interpersonale Kompetenzen

Emotionale Fremdwahrnehmung: Wahrnehmen und Verstehen von Emotionen des Klienten (5.0)

Die Aussagen der Experten betonen zum einen, inwiefern Coaches die vielfältigen, affektiven Ausdruckserscheinungen sowie das Verhalten verbaler und nonverbaler Art der Klienten anhand von Merkmalen wie Ausstrahlung, Gestik, Körperhaltung, Mimik, Sprache und Stimme erkennen, verstehen, spiegeln sowie bewerten können. Dies verdeutlicht folgende Beispielaussage zu dieser Kompetenzkategorie:

[Die Klientin war] sehr aufgewühlt, traurig, [und zeigte] Trauer, Wut auch über das System und das es keine vernünftige Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt. Und ja, Frustration, auch Traurigkeit darüber, dass sie keine Lösungen gefunden hat, mit ihrem Partner zusammen dieses Problem zu klären. Die Trauer, ich habe ihr zwischendurch auch Taschentücher gegeben. Traurigkeit habe ich einfach auch durch ihren Gesichtsausdruck gesehen. Sie hat zum Teil auch gezittert, geschwitzt, diese Symptome gezeigt. (Coach 12)

Zum anderen liefern die Expertenaussagen wichtige Erkenntnisse über die Bedeutsamkeit dieser Kompetenzkategorie für den Coachingprozess: Coaches sollten die Fähigkeit besitzen, die Emotionen und Reaktionen des Klienten in Abhängigkeit von der Situation richtig deuten zu können, da Emotionen z. B. Hinweise für wichtige psychische Entwicklungen des Klienten geben und so als Ausgangspunkt für die Erarbeitung angemessener Handlungsoptionen genutzt werden können. Hierzu sei folgendes Beispiel genannt:

Er war emotional sehr aufgebracht. Ich konnte Aggressionen feststellen, dass er eben unzufrieden war mit der Gesamtsituation, mit der Entwicklung, die in den Mitarbeitergesprächen [aufkamen], dass dazu geführt hat, dass er keine Lösungen gefunden hat. Und ich konnte diese negativen Emotionen eben sehr deutlich wahrnehmen. (Coach 12)

Die Emotionen des Klienten zeigen z. B. auch in bestimmter Art und Weise seine (tieferliegenden) Probleme:

Zu Beginn hatte sie [die Klientin] versucht, ihre Emotionen zurückzuhalten, aber ist dann etwas eingeknickt und gab zu, dass sie hier ist, weil sie mit der Situation nicht klarkommt. (Coach 14)

So kann der Coach den Klienten unterstützen, sich seiner inneren Welt bewusster zu werden und zu tieferen Einsichten zu gelangen. Auch unliebsame Emotionen können vor diesem Hintergrund bemerkt und konstruktiv für den Coachingprozess genutzt werden, indem diese offen thematisiert, erlebt und bei Bedarf der Umgang mit diesen Erlebensweisen verändert werden kann.

Emotionale Fremdwahrnehmung: Empathie und Achtsames Zuhören (6.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen eine empathische Grundhaltung gegenüber dem Klienten und wie Coaches sich verbal (z. B. durch kongruentes Verhalten zum Klienten) und paraverbal (z. B. durch seinen Tonfall) dem Klienten zuwenden. Deutlich wird dieser Kompetenzaspekt vor allem anhand von mitfühlenden Adjektiven, wie z. B. emotional nah oder verständnisvoll. Darüber hinaus kommt es in diesem Zusammenhang auch auf ein sensibles, offenes und möglichst wertungsfreies Zuhören an, um die Schilderungen aus der Perspektive des Klienten nachzuvollziehen. Mit folgender Aussage wird deutlich, dass man als Coach somit auch in der Lage sein muss, achtsam zuzuhören, die Situation aus Sicht des Klienten nachzuvollziehen und sich in seine Gedankenwelt hineinzuversetzen:

Als erstes habe ich sie erstmal erzählen lassen. Ich habe einfach sehr empathisch zugehört. Ich habe auch Mitgefühl gezeigt, ja also, ich habe nach Carl Rogers wirklich zugehört und erzählen lassen, bis nichts mehr kam und war da emotional sehr stark bei ihr. (Coach 18)

Zudem wird anhand der Expertenaussagen auch die Bedeutsamkeit dieser Kompetenzfacette für den Coachingprozess deutlich: Durch Empathie und achtsames Zuhören kann der Coach dem Klienten Verständnis und Mitgefühl entgegenbringen, Interesse zeigen, Vertrauen aufbauen und den Klienten dazu bringen, seine Selbstreflexion sowie Selbsterkenntnis zu steigern. Zwar betonen die Coaches in den Interviews die Relevanz des (nonverbalen) Einfühlungsvermögens, doch wurden für diese Facette gleichzeitig auch die wenigsten Kodierungen (36 von 653) vorgenommen.

Emotionale Fremdwahrnehmung: Bewusstsein für Übertragung (7.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen zum einen, dass Coaches starke, negative Gefühle bei Übertragungen in emotionsgeladenen Situationen wahrnehmen beziehungsweise fühlen (z. B. ablehnend, betroffen) und z. B. mit dem Klienten mitleiden und sich diesen Gefühlen oftmals nur schwer entziehen können. Dazu ein Beispiel:

[Ich] fand es beinahe unerträglich, seine starken Emotionen zu spüren und auch meine Emotionen im Zaum zu halten. (Coach 2)

Zum anderen wird in den Aussagen der Coaches die Bedeutsamkeit dieser Kompetenzfacette für den Coachingprozess deutlich. Ein Großteil der befragten Coaches ist (bei bewusster Wahrnehmung der starken Emotionen) sehr aufmerksam für die Gefühle, die der Klient auslöst und versucht frühzeitig über die Übertragungen zu reflektieren beziehungsweise sich von den ausgelösten Emotionen zu distanzieren und auf Ursachenforschung zu gehen (um z. B. zu erkennen, woher die gezeigten Emotionen des Klienten stammen), um den Coachingprozess konstruktiv zu bewältigen:

Es kam zu hilfreichen und störenden Übertragungen, die mein weiteres Handeln steuerten. Also erst merkte ich, da stimmt was nicht, mir fehlt da eine Information. Warum redet der so emotionslos und druckst so herum? Diese Übertragung, dass da was nicht stimmt, dass er eben nicht mit sich im Reinen ist, war sehr wichtig für den Verlauf. (Coach 15).

Interpersonale Emotionsregulation: Einflussnahme auf die emotionale Reaktion oder Bewertung des Klienten (8.0)

Die Aussagen zu dieser Kategorie zeigen, wie Einfluss auf die emotionale Reaktion oder Bewertung des Klienten, vor allem in emotionsgeladenen Situationen, genommen wird. So verhält sich der Coach emotional gezielt (z. B. aktivierend oder steuernd, um eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu schaffen) und versucht das emotionale Erleben des Klienten z. B. durch gezielte methodische Interventionen (wie bspw. Aufstellungen oder Techniken des Perspektivwechsels) zu beeinflussen, sodass der Klient beispielsweise das zu bearbeitende Problem anders bewertet im Hinblick auf angemessenere Reaktionen. Dazu eine Beispielaussage:

Im ersten Schritt habe ich die Klientin unterstützt, ihr Familiensystem aufzustellen. Über die Glaubenssätze habe ich nicht gesprochen. Innerhalb der Familienaufstellung fielen immer wieder die Sätze „ich muss …“, „das wird von mir erwartet …“, „ich bin unsicher …“, „das macht mir Angst“ … Hier habe ich aktiv zugehört und unterstützend gesteuert. An einigen Stellen, an denen spürbar wurde, welche Emotionen die Aufstellung bei der Klientin auslöst, habe ich die zugelassen, aber nicht weiter vertieft. Aufgrund dieser Hintergrundkonstrukte habe ich dann die Klientin aufgefordert einmal wichtige Glaubenssätze zu formulieren. Die Glaubenssätze setzten einmal mehr tiefe Emotionen frei, die aber kontrollierbar waren. (Coach 11)

In Bezug auf die Bedeutsamkeit für den Coachingprozess zeigt sich bei den Aussagen zu dieser Kompetenzfacette, dass Coaches versuchen, das eigene Erleben und Verhalten des Klienten durch gezielte Interventionen zu beeinflussen, beispielsweise um auf unangenehme oder störende Gefühle Einfluss zu nehmen und eine innere Grundhaltung für eine wirksame Verhaltensänderung zu schaffen, die Selbstregulationsfähigkeiten des Klienten zu verbessern, zu stabilisieren und kognitive und verhaltensbezogene Fixierungen aufzulösen. Dazu ein Beispiel:

Und ja, sie hat einfach weitererzählt und Fragen gestellt, die sie gerade beschäftigen. Ich bin dann auch mal kurz aus der Rolle des Coaches rausgegangen. […] „Hör zu, ich erzähle dir mal eine Situation, wo es mir so ähnlich ging“, eher so als Metapher. Da habe ich ihr erzählt, wie ich selber vor vielen Jahren in der Probezeit eine Kündigung bekommen habe, obwohl vorher nichts darauf hingedeutet hat und ich bis heute nicht weiß, was der Auslöser war, weil sie so offen und ehrlich mit mir gesprochen hat. Also es war keine fachliche Geschichte, und das hatte ich ihr als Metapher erzählt, um ihr auch zu signalisieren „ich glaube, ich ahne, wie du dich gerade fühlst“. Und das hat ihr auch nochmal signalisiert, dass ich sie verstehen kann und dann ist sie auch nochmal mehr in die Tiefe gegangen und hat ihre Verletztheit und ihre Wut, die sie auf die Chefin hatte, [gezeigt]. (Coach 18)

Interpersonale Emotionsregulation: Emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient (9.0)

Die Aussagen der Experten konstatieren, wie die emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient hergestellt und aufrechterhalten werden kann. So versuchen die Befragten durch Aufrichtigkeit, feinfühliges beziehungsweise kongruentes Angleichen an den Klienten, Wertschätzung, Offenheit und Ehrlichkeit das Vertrauen zum Klienten aufzubauen sowie eine emotionale Bindung herzustellen und aufrechtzuerhalten.

Dazu wiederum ein Beispiel:

Habe mich auf den Coachee eingestellt und mich auf den gemeinsamen Prozess mit ihm eingelassen. Dann durch Smalltalk, Wertschätzung und aktivem Zuhören und Zeigen meines Verstehens Vertrauen aufgebaut. Bei größeren Unklarheiten habe ich nachgefragt. Habe Coachee gebeten, dass auch er mir Unstimmigkeiten mitteilt. Mir ist es wichtig, offen und ehrlich zueinander zu sein und mich mit ihm (sprachlich) auf einer Wellenlänge zu bewegen. (Coach 2)

Außerdem wird anhand der Aussagen der befragten Coaches die Bedeutsamkeit dieser Kompetenzfacette für den Coachingprozess deutlich. Zum einen zeigt sich, dass Emotionen die Coachingbeziehung intensivieren (z. B. Empathie oder Zuversicht des Coaches) oder schwächen können (z. B. Unsicherheit oder Aufrichtigkeit des Coaches an der falschen Stelle im Prozess) und zum anderen, dass Vertrauen ausschlaggebend für eine gute Beziehungsqualität sowie den Coachingerfolg ist. Eine (zu) freundschaftliche Ebene kann beispielsweise die Neutralität des Coaches gefährden, sodass er seine eigenen Grenzen nicht mehr erkennt:

Die freundschaftliche Beziehung verquickte sich mit der Coachingebene. Mitleiden statt empathisches Mitgehen waren die Folge. (Coach 11)

3.2 Welche Hinweise zur Verbesserung und Erweiterung des Kompetenzmodells im Sinne einer Ausdifferenzierung ergeben sich durch die Einbeziehung empirisch ermittelter Expertenaussagen in die Kompetenzmodellierung?

In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die Interviewergebnisse genutzt, um die Beschreibungen der Facetten des Kompetenzmodells weiter auszuformulieren und zu verbessern. Die Ergebnisse dieses Schritts gibt Abb. 1 wieder. Entsprechend der oben genannten Forschungsfrage sind diese Erweiterungen und Konkretisierungen als rote und unterstrichene Textelemente gekennzeichnet. Hierzu wurden einzelne, besonders prägnante Expertenaussagen, die neue zusätzliche Kompetenzaspekte zum Ausdruck bringen, einbezogen. Im Folgenden werden die Änderungen zunächst erläutert, wobei kleinere Ergänzungen nicht kommentiert werden.

  • Wahrnehmen und Verstehen der eigenen Emotionen: Bei der Erläuterung dieser Oberkategorie wurde hinzugefügt, dass die Wahrnehmung der eigenen Emotionen nicht nur während, sondern bereits vorbereitend auf das Coachinggespräch stattfinden soll, um sich als Coach auf das anstehende Gespräch vorzubereiten, damit man z. B. nicht „geladen“ ins Gespräch geht. Zudem zeigt sich, dass es essenziell und hilfreich ist, sowohl auf die verbalen Schilderungen zu achten als auch auf die nonverbalen Hinweisreize der Emotionen. Diese Ergänzungen wurden vorgenommen, weil mehrere Coaches gesondert darauf hingewiesen haben.

  • Analysieren und Reflektieren eigener Emotionen und Haltungen: Auch bei dieser Oberkategorie zeigt sich, dass eine entsprechende Reflexion des Coaches über seine Gefühlslage oder seine Haltungen z. B. in Bezug auf die anstehende Coachingsitzung oder den Klienten teilweise auch schon vorbereitend auf das Coachinggespräch stattfinden sollte.

    • 2.1 Selbstreflexionsfähigkeit: Bei dieser Unterkategorie wurde hinzugefügt, dass der Coach seine Emotionen und sein Verhalten kritisch und konstruktiv hinterfragen sollte. Dies konnte verschiedenen Schilderungen der Coaches entnommen werden. Zudem wurde berichtet, dass eine einseitige Haltung zu den Anliegen des Klienten (z. B. in Form einer „Parteinahme“ für seine Sicht der Dinge) problematisch sein kann und dass es zielführend(er) ist, sich als Coach neutral zu verhalten und die Darstellung des Klienten aus verschiedenen Perspektiven zu reflektieren, wie z. B. ein distanzierter Beobachter.

    • 2.3 Selbsterfahrung: Die Beschreibungen der Experten verdeutlichten, dass sowohl kognitive als auch emotionale Komponenten der Berufs- und Lebenserfahrung eine Rolle bei der Analyse und Reflektion eigener Emotionen spielen können sowie zusätzlich die eigene, erlebte Erfahrung bezüglich der verwendeten Interventionsmethoden.

    • 2.4 Intuitives Wissen beziehungsweise Bauchgefühl: Einige Expertenaussagen zeigten, dass das Analysieren und Reflektieren eigener Emotionen oftmals auf Intuitionen, d. h. nicht vollständig bewussten Vorgängen beruht.

  • Authentizität/Echtheit:

    • 3.2 Transparentes und ehrliches Coachingverhalten: Einige Coaches betonten in Bezug auf die Authentizität des Coaches vor allem auch die Offenheit der eigenen Gefühle dem Klienten gegenüber. Der Satz wurde hinzugefügt, da die Subfacette nicht konkret genug in Bezug auf diesen Aspekt formuliert wurde.

  • Intrapersonale Emotionsregulation: Die befragten Coaches wiesen in Zusammenhang mit dieser Dimension auf verschiedene individuelle (bewusst oder intuitiv gesteuerte) Regulationsstrategien entsprechend der jeweiligen Situation im Coachingprozess hin.

    • 4.2 Belastbarkeit: Hier wurde hinzugefügt, dass der Coach nicht nur Ressourcen, sondern auch Strategien und Techniken einsetzt, um Stressoren während des Coachings entgegenwirken zu können.

    • 4.3 Intrapersonale Emotionsregulation: Für diese Subfacette wurde ein Beispiel eines Experten in Bezug auf die Neutralität des Coaches aufgeführt, um die Bedeutung der Facette zu konkretisieren.

    • 4.4 Selbstvertrauen: Diese Facette wurde spezifiziert, um sie von den anderen (Sub)Facetten eindeutiger unterscheiden zu können.

  • Emotionale Fremdwahrnehmung: Empathie und Achtsames Zuhören:

    • Die Bezeichnung der beiden Kompetenzfacetten wurde mit Bezug auf Will und Kauffeld (2018) angepasst, wobei die Facette 6.2 Affektive Perspektivübernahme in 6.2 Emotionale Empathie umbenannt wurde, um deutlicher zu machen, dass Empathie aus einer kognitiven und einer emotionalen Facette besteht.

    • 6.3 Achtsames Zuhören: Die Aussagen der Coaches zu dieser Facette zeigen, dass achtsames Zuhören ein zielführender Handlungsprozess im Rahmen des Coachings ist.

  • Emotionale Fremdwahrnehmung: Bewusstsein für Übertragung:

    • Die Subfacette 7.4 Containment (emotionale Spannungen, ungelöste Konflikte und unbewusste Inszenierungen des Klienten verstehen und zurückspiegeln können) wurde entfernt, da diese nur schwierig von den beiden Facetten 7.1 Bewusstsein für Übertragung und 7.2 Übertragungsgefühle analysieren können unterscheidbar ist. Diese beinhalten, dass der Coach aufmerksam für die Gefühle des Klienten ist (7.1) und seine Aufmerksamkeit auf die Ursachen der Emotionsübertragung richtet (7.2), sodass Containment nur eine Zusammenfassung der ersten beiden Dimensionen darstellt.

  • Interpersonale Emotionsregulation: Einflussnahme auf die emotionale Reaktion oder Bewertung des Klienten:

    • Während der Analyse der Interrater-Reliabilität stellte sich heraus, dass die beiden Subfacetten 8.1 Interpersonale Emotionsregulation und 8.2 Training von Regulationsstrategien nur schwierig voneinander unterscheidbar sind. Daher wurden diese auf der Grundlage der Aussagen der befragten Coaches konkreter in ihrer Zielorientierung ausformuliert (siehe Abb. 1).

  • Interpersonale Emotionsregulation: Emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient:

    • Bei der Unterkategorie 9.1 Herstellen einer vertrauensvollen Beziehung betonten vor allem die NLP-orientierten Coaches die Relevanz eines kongruenten Anpassens der Körpersprache an den Klienten.

    • Die Subfacette 9.2 Aufrechterhaltung der Beziehung wurde als Unterkategorie hinzugefügt, da einige Coaches berichteten, dass die Beziehung zum Klienten fortlaufend und aktiv im Coachingprozess weiter ausgebaut werden sollte.

Abb. 1
figure 1

Empirisch fundierte Ausdifferenzierungen der Facetten des Kompetenzmodells

3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

Das deduktiv hergeleitete Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess nach Niedermeier und Schaper (2017) wurde anhand von systematisch ermittelten Aussagen von erfahrenen Coaches durch ein induktives Vorgehen empirisch fundiert. Ein zentrales Ergebnis der dazu durchgeführten Inhaltsanalyse der CIT Experteninterviews ist, dass das Kompetenzmodell in seinen wesentlichen Komponenten bestätigt werden konnte. Insgesamt wurde nur eine Facette des Modells auf Basis der empirischen Analysen entfernt (7.4 Containment) und eine Facette neu hinzugefügt (9.2 Interpersonale Emotionsregulation: Emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient). Die weiteren Facetten des Modells konnten anhand der Aussagen der befragten Coaches im Umgang mit Emotionsanforderungen im Coachingprozess bestätigt und mit Hilfe der Beschreibungen weiter detailliert, präzisiert und ergänzt werden. Des Weiteren liefern die Expertenaussagen Hinweise, welche Bedeutung die Kompetenzfacetten für den Coachingprozess haben. Sie beschreiben somit nicht nur, mit welchen emotionalen Anforderungen im Prozess umzugehen ist, sondern auch, welche Relevanz sowohl die intrapersonale als auch die interpersonale Emotionswahrnehmung und das authentische Emotionsmanagement für die Steuerung des Coachinggespräches haben. Das empirisch fundierte Kompetenzmodell ist mit seinen Haupt- und Subfacetten in Tab. 5 dargestellt.

Tab. 5 Empirisch fundiertes Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess

4 Diskussion

Im Beitrag wurde beschrieben, wie auf der Basis eines deduktiv hergeleiteten Modells eine empirische Fundierung der Kompetenzfacetten zum Umgang mit emotionalen Aspekten sowie Anforderungen an einen Coach im Coachingprozess anhand von systematisch ermittelten Aussagen von erfahrenen Coaches zu entsprechenden Anforderungen vorgenommen wurde. Die Ergebnisse der qualitativen Studie bestätigen und präzisieren somit die zunächst deduktiv hergeleiteten Dimensionen des Kompetenzmodells. Damit bestätigen die Aussagen dieser Studie auch bereits vorliegende Forschungsergebnisse aus der Coachingliteratur (Bachkirova und Cox 2007; Cremona 2010; Schermuly et al. 2014; sowie Schermuly und Graßmann 2016): Coaching stellt besondere und spezifische Anforderungen an die Berücksichtigung und Steuerung emotionaler Aspekte im Kommunikationsprozess. Insgesamt zeigt sich, dass die emotionsregulatorischen Fähigkeiten (sowohl die intrapersonalen als auch die interpersonalen Facetten der emotionalen Kompetenz) des Coaches den Verlauf von Coachinggesprächen wesentlich beeinflussen und somit besonders relevant für den Coachingprozess sind. Dies gilt insbesondere für die Fähigkeiten des Coaches, eigene Emotionen sowie die des Klienten aufmerksam und präzise wahrzunehmen und zu deuten. Der Coach sollte außerdem in der Lage sein, Emotionen als hilfreiche Signale für den Prozess zu verstehen sowie für die Steuerung des Prozesses zu nutzen. Ausschlaggebend ist dabei die Fähigkeit, Emotionsübertragungen sowie deren Ursachen frühzeitig zu erkennen und sich von den Übertragungen lösen zu können. Darüber hinaus sollte ein Coach fähig sein, eine professionelle und authentische Haltung einzunehmen, bei der er sich kritisch und konstruktiv mit den eigenen Emotionen, Haltungen und Gedanken auseinandersetzt und seine Emotionen im Coachingprozess angemessen regulieren kann. Weiterhin sollte ein Coach eine empathische und achtsame Grundhaltung dem Klienten gegenüber einnehmen und die Emotionen mithilfe von Interventionstechniken wirksam regulieren und beeinflussen können. Nicht zuletzt sollte ein Coach in der Lage sein, dem Klienten Verständnis und Interesse entgegenzubringen, um Vertrauen aufzubauen und im Coachingprozess auch aufrechtzuerhalten.

4.1 Limitationen der Studie

Die vorliegende Untersuchung unterliegt verschiedenen methodischen Einschränkungen. Der qualitative Ansatz ermöglicht es zwar einerseits, die Experten nach bedeutsamen Ereignissen mit emotionalen Anforderungen in Bezug auf ihre emotionale Kompetenz im Coachingprozess zu befragen, um erfolgsrelevante und erfolgskritische Facetten der emotionalen Kompetenz zu identifizieren. Andererseits ist die Repräsentativität der Aussagen nicht gewährleistet, da qualitative Studien generell durch kleine Stichproben geprägt sind. So nahmen an dieser Studie hauptsächlich „systemisch orientierte“ Coaches teil, sodass eine Generalisierung der Ergebnisse für Coaches mit unterschiedlichen Ausbildungshintergründen nur eingeschränkt möglich ist.

Um subjektive Verzerrungen zu reduzieren, wurde auf eine standardisierte Durchführung der Interviews durch Nutzung eines halbstrukturierten Interviewleitfadens geachtet. Dennoch muss der Interviewer die vorgestellten Szenarien und somit die Welt der Coachingexperten verstehen, um den Erzählfluss so zu lenken, dass die forschungsrelevanten Aspekte angemessen exploriert werden (Wastian und Poetschki 2016). Hierdurch kam es in manchen Fällen zu individuell zugeschnittenen beziehungsweise idiosynkratischen Nachfragen des Interviewers im Hinblick auf bestimmte Situationsaspekte, die möglicherweise auch die Situationsdarstellung des Coaches mitgeprägt hat.

Eine weitere methodische Limitation besteht in der Verwendung der Critical Incident Technique, die auf die konkreten Anforderungen eines gut und weniger gut bewältigten, persönlichen Coachinggespräches abzielte, sodass es den befragten Coaches überlassen blieb, eine durch subjektive Annahmen geprägte Auswahl entsprechender Situationen vorzunehmen. Hierdurch wurden möglicherweise seltener auftretende emotionale Anforderungen (z. B. im Umgang mit Klienten, deren Verhalten durch besondere psychische Probleme geprägt ist) nicht ausreichend in der Befragung thematisiert. Durch die auf die Szenarien fokussierte Interviewtechnik (CIT) waren die Experten außerdem gehalten, die Schilderung emotionaler Anforderungen möglichst konkret und verhaltensnah anhand der beiden selbst gewählten Situationen vorzunehmen, wodurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass dadurch das Spektrum emotionaler Anforderungen in Coachingprozessen nur begrenzt abgedeckt wird. Zum anderen ist es möglich, dass die Schilderungen des Erlebens und Verhaltens des Coaches in diesen Situationen subjektiven Verzerrungen und Interpretationen, z. B. durch die individuelle Verarbeitung der gewählten Szenarien, oder, um das Erleben der eigenen beruflichen Selbstwirksamkeit zu schützen (Schermuly et al. 2014), durch den Coach unterliegen. In Folgestudien sollte daher auch die Perspektive sowie Einschätzung des Klienten genutzt werden, um die Validität der Expertenaussagen auch aus dieser Sicht zu überprüfen (Schermuly et al. 2014).

Eine weitere Limitation besteht darin, dass Beschreibungen und Einschätzungen der Verhaltensweisen und Reaktionen im Coachingprozess anhand der Selbstbeobachtungen des Coaches erfragt wurden. Zukünftig könnten Verhaltensbeobachtungen von (para)verbalen sowie nonverbalen Verhaltensweisen während des Coachingprozesses auch durch Videoaufnahmen stattfinden, sodass geschulte Beobachter objektivere Daten liefern können (Will und Kauffeld 2018), um z. B. empathisches oder beziehungsförderndes Interaktionsverhalten zwischen Coach und Klient zu beobachten und anschließend zu analysieren, „wie ein Coach sich an gewissen Stellen bestmöglich empathisch verhalten hätte oder wo ein gewisses empathisches Verhalten hätte vertieft werden sollen.“ (S. 7).

Des Weiteren wurden nur die Coaches selbst in Bezug auf die Bewältigung emotionaler Anforderungen interviewt. Zukünftige Untersuchungen sollten gleichzeitig auch die Perspektive des Klienten berücksichtigen und ggf. auch die emotionalen Kompetenzen ihres Coaches einschätzen lassen. So könnte untersucht werden, wie z. B. die Strategien des Coaches, den Prozess emotional zu regulieren, aus Sicht des Klienten wahrgenommen werden.

Eine weitere methodische Schwäche der Studie liegt möglicherweise auch darin, dass der Ausbildungshintergrund, der hier Befragten nicht systematisch kontrolliert wurde. Andere Autoren haben darauf hingewiesen, dass die Ausrichtung einer Coachingausbildung unter Umständen die Art und Weise des Umgangs beziehungsweise der Haltung des Coaches beeinflussen kann (Schermuly und Graßmann 2016): So versuchen z. B. Coaches, die eine Coachingausbildung absolviert haben, welche sich an Grundsätzen und Interventionstechniken des Neurolinguistischen Programmierens orientiert, sich durch bewusstes „Pacing“ dem Klienten anzupassen. Beim Pacing gleicht sich der Coach den Verhaltensweisen des Klienten (z. B. der Körpersprache oder nonverbalen Ausdrucksweise) bewusst an, um sein Vertrauen zu gewinnen.

4.2 Praktische Implikationen

Auf Grundlage des ausdifferenzierten, empirisch fundierten Modells können außerdem relevante Aspekte sowie Umsetzungsvorschläge für die Entwicklung der emotionalen Kompetenz für Coachingaus- und Weiterbildungsmaßnahmen abgeleitet werden. Um für die Bedeutung der emotionalen Kompetenz eines Coaches zu sensibilisieren, gilt es entsprechende Anforderungen in den Weiterbildungsinhalten verstärkt zu thematisieren. Es erscheint daher sinnvoll, in Coachingausbildungen die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen emotionalen Kompetenz durch kollegiale Austauschsituationen, Rückmeldungen, Einzel- und Gruppen-Superversion noch gezielter zu fördern und zu reflektieren.

Beispiel Coachingweiterbildung zur emotionalen Kompetenz

Für die Entwicklung der emotionalen Kompetenz von Coaches kann zielgerichtet ein Verfahren beziehungsweise ein Interventionsprogramm mit verschiedenen Modulen auf Grundlage des Kompetenzmodells (z. B. zum Training der Fähigkeiten zur Emotionswahrnehmung, Reflexionsfähigkeit, Authentizität, Emotionsregulation, zum Bewusstsein für Übertragung) zur Diagnose und Entwicklung gestaltet und eingesetzt werden (Vgl. in Anlehnung an Dörr et al. 2012; Herpertz und Schütz 2016). Dazu kann in Weiterbildungsprogrammen die Möglichkeit für Sensibilisierungs- und Reflexionsprozesse speziell für individuell formulierte Kompetenzbedarfe gegeben werden. Nach eigener Einschätzung der emotionalen Kompetenz (Selbstbild) können Teilnehmer schwierige beziehungsweise problematische Coachingsituationen besprechen und nachspielen, die in einer Runde von erfahrenen Coaches begleitet werden. Mittels Feedbacks (Spiegelung des Fremdbildes) werden hierzu individuelle Stärken und Schwächen rückgemeldet. Schließlich soll ein individueller Entwicklungsplan mit konkreten Empfehlungen zur Verbesserung der emotionalen Kompetenz erarbeitet werden. In Rollenspielen, bei denen jeder Teilnehmer in verschiedenen Rollen agiert, wird dazu die emotionale Kompetenz gezielt trainiert. So können die Teilnehmer sich darin üben, emotionshaltige Situationen „konstruktiv durch emotionsregulatorisches Verhalten zu beeinflussen“ (Herpertz und Schütz 2016, S. 147). Darüber hinaus kann die Wahrnehmung für die inneren Prozesse durch das Innehalten und gezielte Awareness- und Achtsamkeitsübungen gesteigert werden (Sell et al. 2017). Durch Nachbesprechungen im Plenum oder in Kleingruppen können weiterhin Theorie und Praxis miteinander verknüpft werden, damit nachhaltiges, professionelles und individuelles Wachstum stattfinden kann.

4.3 Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf

Durch das Modell wurde insgesamt ein differenziertes Verständnis für den Anforderungsbereich emotionaler Kompetenzen herausgearbeitet, wobei der Fokus zunächst auf einer systematischen und umfassenden Beschreibung der Anforderungsfacetten liegt. Im deutschsprachigen Raum gibt es bisher kein Instrument zur Erfassung der emotionalen Kompetenz eines Coaches. Wünschenswert wäre daher, ein entsprechendes Erhebungsverfahren zu entwickeln, welches die Kategorien der emotionalen Kompetenz aus dem Modell systematisch in Testitems überführt, um es schließlich mittels empirischer Erhebungen an einer umfangreichen Stichprobe von Coaches zu erproben. Auf dieser Grundlage kann auch das vorgestellte Kompetenzmodell hinsichtlich seiner Dimensionen und Facetten empirisch weiter überprüft werden (im Hinblick auf Aspekte einer konvergenten, kriteriumsbezogenen und inkrementellen Validierung). In weiteren Untersuchungsschritten gilt es außerdem die regulatorische Umsetzung und die spezifischen Wirkmechanismen, die bei verschiedenen Facetten der emotionalen Kompetenz zum Einsatz kommen, vertieft zu analysieren. So kann beispielsweise untersucht werden, wie der Coach dem Klienten Wertschätzung und emotionale Unterstützung authentisch und wirkungsvoll entgegenbringt: Wie schafft der Coach eine angenehme Atmosphäre, was beachtet er dabei? Wie zeigt er sein Interesse dem Klienten gegenüber? Wie drückt er seine Wertschätzung aus? Und wie kommt das Verhalten des Coaches beim Klienten an? Außerdem sollte das Zusammenwirken bestimmter Komponenten beim Umgang mit emotionalen Anforderungen weiter bestimmt werden, um Schlussfolgerungen zu Abgrenzungen der Merkmale der Kompetenzfacetten ziehen zu können.