Fragestellung: Beeinflusst Stillen das Risiko für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)?

Hintergrund: Eine Reihe von Studien hat den Zusammenhang von Stillen und CED untersucht — mit unterschiedlichen Ergebnissen. Eine aktuelle Metaanalyse fasst die Evidenz zusammen.

Patienten und Methodik: Die Autoren schlossen 35 Studien (überwiegend Fall-Kontroll-, auch zwei prospektive Studien) mit 7.536 Patienten mit Morbus Crohn (MC), 7.353 Patienten mit Colitis ulcerosa (CU) und mehr als 330.000 Kontrollpersonen ein.

Ergebnisse: Personen, die als Kinder gestillt wurden, wiesen ein signifikant erniedrigtes Risiko für MC (Odds Ratio [OR] 0,71, 95 % [Konfidenzintervall] KI 0,59 – 0,85, p < 0,001) und CU (OR 0,78, 95 %-KI 0,67 – 0,91, p < 0,001) auf. Sowohl Erkrankungen mit Erstmanifestation im Kindes- als auch im Jugend- oder Erwachsenenalter traten bei gestillten Kindern seltener auf. Die Dauer der Stillzeit hatte einen signifikanten Einfluss auf die Risikominderung im Sinne einer Dosis-Wirkungsbeziehung (▶Abb. 1). Mit zunehmender Stilldauer nimmt das Risiko ab. Bei einer Stillzeit von mindestens zwölf Monaten war das CED-Risiko um rund 80 % reduziert.

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Stilldauer und Risiko für Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa

© Aliment Pharmacol Ther.2017;46(9):780 – 9

Der Effekt war bei Studien im asiatischen Raum stärker ausgeprägt. MC: Asien OR 0,31 (95%-KI 0,20 – 0,48), Europa/USA OR 0,78 (95 %-KI 0,66 – 0,93); CU: Asien OR 0,66 (95 %-KI 0,47 – 0,92), Europa/USA OR 0,83 (95 %-KI 0,70 – 0,98).

Kommentar von Manfred Gross, München

Je länger die Stilldauer, umso geringer das Risiko für eine CED

Die Ergebnisse dieser Metaanalyse sprechen sehr überzeugend für einen protektiven Effekt von Stillen bezüglich des Risikos, eine CED zu entwickeln. Es besteht eine Dosis-Wirkungsbeziehung: Je länger die Stilldauer, umso geringer ist das Risiko für eine CED. Nicht geklärt ist jedoch, über welchen Mechanismus dieser protektive Effekt vermittelt wird. Gesichert ist, dass Stillen einen Effekt auf die Komposition des gastrointestinalen Mikrobioms hat. Muttermilch weist zudem einen günstigen Effekt auf die sich ausbildende mukosale Immunität auf. Außerdem enthält die Muttermilch direkt antimikrobiell wirksame Substanzen wie Lysozym und Lactoferrin sowie Immunglobuline, die einen Schutz gegen gastrointestinale Infekte bieten können. Derartige Infekte und eine Antibiotikatherapie in der frühen Kindheit sind nachgewiesene Risikofaktoren für eine CED.

Der Effekt von Stillen auf frühkindliche gastrointestinale Infektionen könnte auch erklären, weshalb der protektive Effekt des Stillens in asiatischen Studien besonders ausgeprägt ist: In Asien ist das Risiko für solche Infekte höher als in Europa oder in den USA. Der protektive Effekt des Stillens gegen gastrointestinale Infekte und die damit verbundene Risikoreduktion für CED können sich in Asien besonders deutlich zeigen.

Die deutsche Nationale Stillkommission empfiehlt ausschließliches Stillen in den ersten sechs Monaten für die Mehrzahl der Säuglinge. Für den Zeitpunkt des Abstillens gibt die Kommission aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten keine Empfehlung. In Deutschland werden derzeit etwa 70 % der Säuglinge nach zwei Monaten noch gestillt. Nach sechs Monaten liegt die Stillrate nur noch bei 40 – 50 %. Möglicherweise ist der Rückgang des Anteils gestillter Kinder eine Teilursache für den Anstieg der Inzidenz der CED, wobei andere Faktoren sicher bedeutsamer sind.

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Prof. Dr. med. Manfred Gross