Stichprobe
Die absoluten und relativen Anteile der befragten Stichprobe und die Zusammensetzung der Grundgesamtheit zeigt Tab. 1.
Tab. 1 Zusammensetzung der Grundgesamtheit der Polizei BW (Stand 2020) und der an der Befragung beteiligten Stichprobe. Die Spalten 1 und 2 beziehen sich auf die Zusammensetzung getrennt, nach Schutz- und Kriminalpolizei; die Spalten 3 und 4 beziehen sich auf die Zusammensetzung ohne diese Unterscheidung Um die Anonymität der Befragten besser zu wahren, wurde mit vorgegebenen Alterskategorien gearbeitet. Die Altersstruktur der Grundgesamtheit und der befragten Stichprobe verteilte sich, wie in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2 Altersstruktur der Polizei Baden-Württemberg sowie der befragten Polizeibedienstete Die Teilnehmenden der Befragung waren im Durchschnitt jünger als die Gesamtpolizei Baden-Württembergs. Die Angaben für die gesamte Polizei Baden-Württemberg umfassen jedoch auch die Dienststellen mit einer höheren Altersstruktur, die von der Befragung ausgeschlossen wurden, wie z. B. das Landeskriminalamt und die Hochschule für Polizei.
Im Mittel lag die Berufserfahrung der befragten Polizeibediensteten bei 18,2 Jahren (Standardabweichung, SD = 11,8; Min = 0,5; Max = 48 Jahre). Die befragten Bediensteten der Kriminalpolizei waren mit durchschnittlich 23,2 Jahren (SD = ±11,1) etwas länger im Dienst als die befragten Bediensteten der Schutzpolizei, bei denen die durchschnittliche Dienstzeit bei 17,1 Jahren lag (SD = ±11,7). Beide polizeiliche Fachgruppen wiesen ein heterogenes Erfahrungsspektrum auf, zwischen einem Jahr und 44 Jahren bei der Kriminalpolizei und 0,5 bis 48 Jahren bei der Schutzpolizei.
Statistische Auswertung
Die Auswertung der Daten erfolgte mit der Statistiksoftware SPSS. Die Normalverteilung der Daten wurde mithilfe des Shapiro-Wilk-Tests überprüft. Aufgrund der signifikanten Ergebnisse (p < 0,000) kann davon ausgegangen werden, dass die Daten nicht normalverteilt sind, weshalb ein Mann-Whitney-U-Test zum Überprüfen von Mittelwertsunterschieden berechnet wurde. Der Kolmogorov-Smirnov-Test half, Verteilungsunterschiede zwischen den Gruppen festzustellen. Die Untersuchung auf signifikante Gruppenunterschiede wurde mittels χ2-Tests vorgenommen. Wenn dabei die erwarteten Zellhäufigkeiten kleiner als 5 waren, wurde zusätzlich zum Chi-Quadrat-Test nach Pearson mit dem exakten Test nach Fisher gearbeitet.
Häufigkeit von Kontakten zu Personen mit psychischen Erkrankungen im Polizeialltag
Nach Angaben der Polizeibediensteten ist ca. jede fünfte ihrer Kontaktpersonen im beruflichen Alltag (M1 = 18,2 %; SD = ±14,5) psychisch erkrankt. Die Befragten sollten hierbei nur solche Personen einbeziehen, bei denen entweder durch diese selbst oder durch Dritte Nachweise erfolgt sind, welche eine psychische Erkrankung bestätigten (Fragevariante 1). In einer weiteren Fragestellung (Fragevariante 2) wurden die Polizeibediensteten gebeten, eine erneute Schätzung der Verteilung vorzunehmen. Durch die Hinzuziehung einer weiteren Kategorie, „psychisch auffällig“, worunter die Befragten Personen einbeziehen sollten, bei denen keine tatsächlichen Nachweise über psychische Erkrankungen vorlagen, das gezeigte Verhalten auf die Polizeibedienstete jedoch psychisch auffällig (z. B. merkwürdig, bizarr, verwirrt etc.) wirkte, wurde die Frage erweitert. Der Anteil der Personen, die von den Polizeibediensteten als psychisch auffällig wahrgenommen wurden, lag bei dieser Fragevariante bei 19,8 % (SD = ±12,8). Die Ergebnisse der Bediensteten der Kriminalpolizei lagen in beiden Fragevarianten über denen der Schutzpolizei. In Tab. 3 sind die Mittelwerte und Standardabweichungen, bezogen auf die beiden vorgestellten Fragevarianten und getrennt nach der gesamten Stichprobe sowie den beiden Untergruppen der Schutz- und Kriminalpolizei, einzusehen. Ein Mann-Whitney-U-Test wurde berechnet, um zu überprüfen, ob sich die geschätzten Anteile je nach Fachgruppe signifikant unterscheiden. Es gab in beiden Fragevarianten keinen signifikanten Unterschied zwischen den Angaben der Schutz- und der Kriminalpolizei (psychisch kranke Personen in Fragevariante 1: U = 347.680,50, Z = −0,135, p > 0,05, psychisch kranke Personen in Fragevariante 2: U = 335.262,50, Z = −0,407, p > 0,05 und psychisch auffällige Personen in Fragevariante 2: U = 331.198,50, Z = −0,824, p > 0,05).
Tab. 3 Anteil der psychisch kranken und psychisch gesunden Kontaktpersonen (Fragevariante 1) und Anteil der psychisch kranken, psychisch auffälligen, psychisch gesunden Kontaktpersonen (Fragevariante 2) Polizeirelevante psychiatrische Krankheitsbilder
In Form eines Rankings wurden die 3 häufigsten Krankheitsbilder in berufsalltäglichen Begegnungen von Polizeibediensteten erfasst. Während bei diesem Item die Suchterkrankung die am häufigsten angegebene Erkrankungsform war (43,0 %), wurden die Depression von den meisten Befragten als zweithäufigste (20,8 %) und die Schizophrenie als dritthäufigste Krankheit (16,3 %) im Begegnungskontakt angegeben.
Nach Angaben von 1983 Polizeibediensteten (89,0 %) gab es deliktspezifische Zusammenhänge zwischen bestimmten Erkrankungsformen und polizeilichen Delikten. Die Ergebnisse wurden deshalb in prozentualen Angaben – getrennt nach den Ergebnissen der Gesamtstichprobe (MG) und der Teilstichprobe (MT), d. h. derer, die das Item bearbeitet haben – angegeben. Der deutlichste Zusammenhang bestand demnach zwischen der Suchterkrankung und den Eigentumsdelikten (MG = 42,1 %; MT = 47,3 %). Körperverletzungs- bzw. Gewaltdelikte scheinen sowohl im Zusammenhang mit der Schizophrenie (MG = 34,3 %; MT = 38,5 %) als auch mit der Suchterkrankung (MG = 31,7 %; MT = 35,7 %) zu stehen. Die Depression wurde von den befragten Polizeibediensteten v. a. in Verbindung mit dem Suizid bzw. Suizidversuchen gebracht (MG = 22,4 %; MT = 25,2 %).
Herausforderungen für Polizeibedienstete im Kontakt zu psychisch erkrankten Menschen
Die Polizeibediensteten hatten zunächst die Möglichkeit, aus einer Liste von 10 Herausforderungen die 3 für sie zentralsten Antworten im Kontakt mit psychisch kranken Menschen zu markieren. An dieser Stelle benannten 115 Befragte (5,2 %) mehr als 3 Herausforderungen und wurden deshalb an dieser Stelle aus den weiteren Berechnungen ausgeschlossen (n = 2113). Mithilfe dieser Fragemethode schätzten die meisten Befragten die Gefährlichkeit (76,6 %) und die Vorhersagbarkeit des Verhaltens psychisch kranker Personen (65,9 %) als größte polizeiliche Herausforderung im Zusammenhang mit psychisch kranken Personen ein. Während für die Kriminalpolizei das Erkennen der Erkrankung die drittgrößte Herausforderung darstellte (45,6 %), war für die Schutzpolizei der direkte Umgang mit psychisch kranken Menschen drittplatziert (42,4 %). Mithilfe von Chi-Quadrat-Tests wurde getestet, inwieweit sich die Häufigkeitsnennungen der Herausforderungen bei Schutz- und Kriminalpolizei unterscheiden. Keine erwarteten Zellhäufigkeiten waren kleiner als 5. Es gab statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Fachgruppen und den Herausforderungen im Erkennen der Erkrankung, χ2(1) = 13,04, p < 0,001, φ = 0,077. bei der Gefährlichkeit der Personen, χ2(1) = 20,00, p < 0,001, φ = −0,095, der Vorhersagbarkeit des Verhaltens, χ2(1) = 7,52, p < 0,01, φ = −0,058, der Glaubhaftigkeit der Aussagen, χ2(1) = 64,06, p < 0,001, φ = 0,171, und der Zusammenarbeit mit Psychiatrien/Beratungsstellen, χ2(1) = 28,35, p < 0,001, φ = −0,113. Während die Bediensteten der Kriminalpolizei deutlich mehr berufliche Herausforderungen im Erkennen der Erkrankung (45,6 % gegenüber 37,4 %) und in der Glaubhaftigkeit der Aussagen (37,6 % gegenüber 18,8 %) sahen, waren die beruflichen Herausforderungen der Schutzpolizei in der Eigeneinschätzung gegenüber der Kriminalpolizei v. a. die durch sie eingeschätzte Gefährlichkeit der Personen (78,5 % gegenüber 68,1 %), die Vorhersagbarkeit des Verhaltens (67,4 % gegenüber 59,3 %) und die Zusammenarbeit mit Psychiatrien/Beratungsstellen (24,4 % gegenüber 12,7 %). Außerdem konnten signifikante Zusammenhänge zwischen dem Alter der Befragten und den wahrgenommenen Herausforderungen gefunden werden. Ältere Polizeibedienstete gaben als berufliche Herausforderung häufiger als jüngere Polizeibedienstete das Erkennen der Krankheit, χ2(4) = 65,55, p < 0,001, φ = 0,177, wie auch das Begrenzen eigener Belastungen an, χ2(4) = 25,22, p < 0,001, φ = 0,110. Jüngere Polizeibedienstete sahen im Vergleich zu ihren älteren Kolleginnen und Kollegen dagegen häufiger Herausforderungen in der Nachvollziehbarkeit der Gedanken von psychisch kranken Menschen, χ2(4) = 13,42, p < 0,05, φ = 0,080, in der Vorhersagbarkeit des Verhaltens von psychisch kranken Menschen, χ2(4) = 45,34, p < 0,001, φ = 0,147, sowie in der Glaubhaftigkeit der Aussagen, χ2(4) = 11,39, p < 0,05, φ = 0,074.
Außerdem wurden die Befragten anhand einer offen formulierten Fragestellung gebeten, eigenständig berufliche Herausforderungen zu formulieren, die sie im Zusammenhang mit ihrer polizeilichen Tätigkeit und dem beruflichen Kontakt zu psychisch kranken Menschen sehen. Die verwertbaren Antworten von n = 1982 der befragten Polizeibediensteten (86,5 %) wurden inhaltlich geordnet und von 6 unabhängigen Ratern verschiedenen Antwortkategorien zugeordnet. Die größten Schwierigkeiten sehen die Befragten demnach in der Kategorie 1, die unter dem direkten polizeilichen Kontakt zu psychisch erkrankten Menschen zusammengefasst wurde. In dieser Kategorie wurden insbesondere Schwierigkeiten in Bezug auf deeskalative Reaktionsformen wie beruhigen, empathisch sein, Kommunikation, ruhig bleiben und Vertrauen aufbauen, zusammengefasst. Die gesamten Ergebnisse bezogen auf dieses Item sind in Tab. 4 einzusehen.
Tab. 4 Herausforderungen nach freien Nennungen, zusammengefasst in 10 Kategorien, darin beispielhaft einbezogene Antworten und Häufigkeit der Nennung in Prozent (%), Mehrfachnennungen möglich Veränderungswünsche
Die Befragten sollten zum Schluss der Befragung einen Verbesserungsvorschlag auswählen, um die polizeiliche Handhabung des untersuchten Einsatzbereichs zu verbessern. Die Verteilung der Antwortkategorien zeigt Abb. 1. Der meistgenannte Verbesserungsvorschlag war (2) Ausbau der Fortbildungsangebote mit 50,4 %, gefolgt von (4) Vernetzung zu professionellen Helferinnen und Helfern (39,1 %) und (3) Supervision für Polizistinnen und Polizisten (13,9 %). Sonstige Verbesserungsvorschläge (5) machten 10,0 % der Antworten aus. Die Überarbeitung der Grundausbildung (1) nannten 9,8 % der Befragten. Kein Verbesserungsbedarf (6) wurde von 7,5 % der Befragten angegeben. Außerdem konnten signifikante Zusammenhänge zwischen dem Alter der Befragten und den angegebenen Veränderungswünschen gefunden werden. Ältere Polizeibedienstete gaben als Veränderungswunsch häufiger als jüngere Polizeibedienstete die Überarbeitung der Grundausbildung, χ2(4) = 23,74, p < 0,001, φ = 0,105, wie auch den Wunsch nach Supervision an, χ2(4) = 39,49, p < 0,001, φ = 0,135.