1 Einleitung

„Wenn man den Körper grad zufällig dabeihat, dann könnte man ihn ja auch grad nutzen.“ So oder ähnlich leitete Gunther Schmidt im Laufe seiner Coaching-Ausbildung manchmal körperorientierte Interventionen ein. Die Art der Einleitung verweist, neben dem offensichtlichen Inhalt der Aussage, dass man den Körper eben auch im Coaching nutzen kann, auf mindestens einen Subtext: auf eine gewisse Beiläufigkeit von körperorientierten Interventionen im Coaching. Körperorientierte Interventionen stehen im Coaching nicht im Zentrum des Interesses, sondern kommen zum Zuge, wenn es „grad so passt“. Auf der einen Seite ist dies erstaunlich, erlebt doch der „Körper“ in der Arbeitswelt eine wahre Renaissance. Immer mehr Unternehmen bieten, z. B. im Rahmen des Gesundheitsmanagements, Achtsamkeitstrainings, Yoga, Entspannungsübungen und weitere körperorientierte Maßnahmen an. Die Aufrechterhaltung der körperlichen Gesundheit ist nicht mehr nur Privatsache, sondern strategische Aufgabe der Organisation geworden.

Von daher ist es unwahrscheinlich, dass Coaching von dieser Entwicklung nicht betroffen sein sollte. Und tatsächlich, gibt man den Begriff „körperorientiertes Coaching“ in Google ein, resultieren über 122.000 Einträge. In der Praxis scheint die Körperorientierung im Coaching angekommen zu sein. Anders sieht es in der einschlägigen Literatur zum Coaching aus. Dort führt der Körper ein Mauerblümchendasein. Zwar gibt es kaum ein Coaching-Lehrbuch, in dem nicht der Körper als Informations- und Erkenntnisquelle und/oder Resonanzraum dargestellt wird. Artikel oder Werke, deren Gegenstand allein der Körper im Coaching ist, findet man aber eher selten. Als Ausnahmen sind hier sicher die Artikel von Pesendorfer und Pechtl (2018), Ryba (2019), Pullen (2016) oder das Buch zum Embodiment von Storch et al. (2017) zu nennen. Woran es liegt, dass die theoretische Beschäftigung mit der Praxis nicht Schritt halten kann, ist unklar. Ein Grund mag sein, dass die im deutschen Sprachraum am stärksten verbreiteten Ansätze des lösungs- oder des systemisch-lösungsorientierten Coachings (Seiger und Künzli 2012; Hofmann und Künzli 2021) den Körper zwar keineswegs negieren, aber stark auf die Sprache, z. B. in Form von unterschiedlichen Fragetypen, fokussieren.

Doch was ist körperorientiertes Coaching? Eine einheitliche Definition scheint es nicht zu geben, obwohl viele Coaches „körperorientiertes Coaching“ anbieten. Auch in der Körperpsychotherapie steht eine umfassende Definition noch aus. Betrachtet man verschiedene Definitionen, sind hingegen Konvergenzen festzustellen.

So unterschiedlich die verschiedenen Definitionen und Beschreibungen körperorientierter Arbeit in der Psychotherapie und im Coaching auch sind, beinhalten sie doch meistens die folgenden vier Komponenten: (1) Körper und Psyche bilden eine untrennbare Einheit (Ryba 2019; Storch et al. 2017; Pullen 2016); (2) Ziel der körperorientierenten Arbeit ist das Selbsterleben und der Zugang zum Unbewussten (Ryba und Roth 2019; Geuter 2019); (3) es sind sehr verschiedene Zugänge zur Körperwahrnehmung und zum Körpererleben möglich (z. B. Geuter 2019; Schatz 2002); und (4) die körperorientierte Arbeit in Therapie und Coaching wird von der rein manuellen Körperarbeit abgegrenzt (z. B. Geuter 2019; Schley 2015).

Was alle diese Autoren einstimmig betonen, ist die Einheit von Körper und Psyche (Leib/Seele). Beide können als Zugang zum inneren Erleben genutzt werden. So betonen z. B. Storch et al. (2017) für das Konzept des Embodiment („Verkörperung“) „dass der Geist (also: Verstand, Denken, das kognitive System, die Psyche) mitsamt seinem Organ, dem Gehirn, immer in Bezug zum gesamten Körper steht. Geist/Gehirn und Körper wiederum sind in die restliche Umwelt eingebettet.“

Wie Geuter (2019) sieht auch Ryba (2019) die Zielsetzung körperorientierter Interventionen im Coaching im Zugang zum Unbewussten und in einem veränderten Selbsterleben. Als besonders bedeutsam für ein nachhaltiges Coaching nennt sie die Aspekte des willkürlichen und des unwillkürlichen Bewegungsausdrucks, der Körperwahrnehmung und -kommunikation, der Körperarbeit und der Veränderung von Schemata. Eine differenziertere Betrachtung der Zielsetzung stammt aus der Psychotherapie. Affektorientierte Schulen der Psychotherapie (z. B. Bioenergetik oder Biodynamik) haben laut Geuter (2019) u. a. als Ziel, muskuläre Verspannungen zu lösen, welche den Zugang zum Innerpsychischen blockieren. So können verdrängte Gefühle mobilisiert und zur Verarbeitung zugänglich gemacht werden. Wahrnehmungsorientierte Schulen (u. a. Konzentrative Bewegungstherapie oder Funktionelle Entspannung) verfolgen das Ziel, dass ihre Klientinnen und Klienten sich körperlich selbst erfahren, also eine Art körperorientierte Achtsamkeit entwickeln und damit experimentieren. Implizites Erleben, wenn auch teilweise schwer verbalisierbar, kann so deutlich gemacht werden. Beziehungsorientierte Schulen wie z. B. Analytische Körperpsychotherapie lassen innere Objektrepräsentanzen körperlich (z. B. Rollenspiele, Körperausdruck) externalisieren, um korrigierende Erfahrungen zu erleben. Zuletzt gibt es noch Bewegungsorientierte Schulen wie z. B. die Tanztherapie. Diese versuchen, mittels des Ausdrucks inneren Erlebens in Bewegung den Kontakt zu anderen und zu sich selbst zu verbessern (Ryba 2019).

Die Zugänge, Methoden und konkreten Techniken, mit denen gearbeitet wird, können sehr unterschiedlich und vielfältig sein. Unter körperorientierter Arbeit, die das Selbsterleben und den Zugang zum Unbewussten unterstützen, zählt Ryba (2019) u. a. PMR, autogenes Training, Meditation, fokussierte Aufmerksamkeit oder auch hypnotherapeutische Trance auf.

Wichtig erscheint uns, auf das Abgrenzungskriterium zwischen körperorientierten Psychotherapien und körperorientiertem Coaching im Vergleich zur Ausführung einer rein körperlichen Ausführung einer Anleitung, wie dies z. B. in der Physiotherapie praktiziert wird, hinzuweisen. Geuter (2019) betont, dass oft in der Körperpsychotherapie die „Körperarbeit“ oder „body work“ als Abgrenzungsmerkmal zu anderen, rein sprachbasierten Therapieformen gesehen werde. Diese Verwendung des Begriffs wird von Geuter (2019) kritisiert, da der Körper lediglich den Zugang zum Selbsterleben darstelle, welches aber ohne Kognition nicht erlebbar oder beschreibbar wäre. Schley (2015) merkt außerdem an, dass der Begriff „Körperarbeit“ dem Geschehen in der Therapie nicht gerecht werde, da auch mittels Körperarbeit ein Dialog entstehe und nicht nur eine körperliche Ausführung anhand einer Instruktion eines/einer Therapeut/in. Ähnlich argumentiert Geuter (2019). Er versteht die Arbeit mit dem Körper als Wechsel vom Sprechen alleine zu „einer Arbeitsweise, die Bewegung, Atmung oder körperlichen Ausdruck einbezieht“. Beiden Autoren ist wichtig, dass es sich bei der Körperarbeit um eine Erweiterung und Vertiefung des therapeutischen Dialogs handle und nicht um einen per se neuen Zugang. Um dem Rechnung zu tragen, sprechen wir in der vorliegenden Arbeit von körperorientiertem Coaching oder körperorientierter Arbeit im Coaching. Damit wollen wir betonen, dass körperorientierte Arbeit als Unterstützung eines herkömmlichen Coachings eingesetzt wird.

Aus diesen Erwägungen haben wir versucht, eine möglichst generische Arbeitsdefinition körperorientierter Interventionen im Coaching für die vorliegende Studie abzuleiten, die von den vielen Schulen, Zugängen, Methoden und Techniken abstrahiert, das Feld aber trotzdem angemessen abdeckt. Die Arbeitsdefinition enthält drei der vier o. g. Komponenten. Die Annahme der Einheit von Körper und Geist bzw. Leib und Seele wurde weggelassen, da die Dualitätshypothese (der Körper wirkt auf den Geist und umgekehrt) nach wie vor oft verwendet wird und die Abgrenzung für unsere Zwecke keine Rolle spielt:

Unter körperorientiertem Coaching werden in dieser Studie Methoden verstanden, welche den Körper verbal, visuell oder sensorisch in den Fokus der Aufmerksamkeit der Coachees rücken, um innere Prozesse bewusst zu machen oder auszulösen. Rein manuelle Techniken, wie z. B. kraniosacrale Therapie, klassische Massagen oder körperliche Betätigungen wie Dehnungsübungen zählen wir hier nicht dazu, da dort nicht auf das Erleben und die Reflexion innerpsychischer Prozesse, ausgelöst durch die Körperübung, fokussiert wird.

In der einschlägigen Coaching-Literatur ist der Körper untervertreten oder hat zumindest nicht den Stellenwert, der ihm zukommen könnte. Unklar bleibt, ob und in welchem Ausmaß sich dieser Sachverhalt auch in der Coachingpraxis spiegelt. Um uns dieser Frage anzunähern, haben wir im Herbst 2020 eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt. Die Resultate sollen einen ersten Einblick geben, ob und wie Coaches den Körper in ihre Arbeit integrieren. Konkret lautete die Fragestellung: Welche Arten von körperorientierten Methoden wenden Coaches an, wie häufig und in welcher Intensität kommen diese Methoden zum Einsatz und welche Bedeutung messen sie solchen Interventionen in ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Coaching-Praxis bei?

2 Methode

Stichprobe

Die Umfrage wurde von 242 deutschsprachigen Coaches ausgefüllt, welche durch den Berufsverband Supervision Organisationsberatung und Coaching BSO und das IAP via E‑Mail oder Newsletter verbreitet wurde. Im Schnitt (N = 223) waren die Teilnehmenden 53 (M = 53,41, SD = 7,89) Jahre alt, wobei die jüngste 30 und die älteste Person 73 Jahre alt war. Teilgenommen haben 158 Frauen (71 %) und 64 Männern (29 %), 19 Personen machten keine Angaben, und eine Person gab „Anderes“ als Geschlecht an. Über eine Habilitation verfügen 1,2 %, 4,1 % über eine Promotion, 56,2 % über einen Masterabschluss auf Universitäts- oder Fachhochschulstufe, 15,7 % über einen Bachelor auf Universitäts-, oder Fachhochschulstufe, 15,7 % über einen Abschluss auf Bachelorstufe und 1,2 % über eine gymnasiale Matura, eine Fachmittelschul‑/Handelsmittelschulabschluss. 3,7 % nannten einen anderen Ausbildungsabschluss.

Coachingausbildung

151 (62 %) Teilnehmende absolvierten einen Master of Advanced Studies MAS oder wiesen eine vom bso anerkannte (bso 2019) Ausbildung im Bereich Coaching, Supervision oder Organisationsentwicklung aus. Das am häufigsten genannte Ausbildungsinstitut war das IAP, andere oft genannte sind die FHNW, die BFH, IBP Institut, Trigon, ZAK Basel oder das Institut für systemische Impulse.

Arbeitspensum Coaching

Das Arbeitspensum als Coach beträgt zwischen 40 und 50 % in Bezug auf 100 % Vollzeitpensum. Das Pensum der Mehrheit der Befragten (53 %) liegt zwischen 0 und 40 %, ein Drittel aller Befragten arbeitet zwischen 10 und 30 % als Coach. Eine Minderheit (9,1 %) arbeitet zwischen 90 und 100 % in ihrer Tätigkeit als Coaches.

Anzahl Jahre Erfahrung als Coach

Der Durchschnitt der Coaching-Erfahrungen beträgt knapp 13 Jahre (M = 12,76, SD = 8,20), mit einem Minimum von einem Jahr und einem Maximum von 40 Jahren Coaching. Bei gut der Hälfte (51,6 %) der Befragten beträgt die Erfahrung zwischen einem und 10 Jahren.

Körperorientierte Weiterbildung

64 (26 %) der Coaches gaben an, eine körperorientierte Weiterbildung abgeschlossen zu haben. 160 (66 %) verneinten dies und 18 machten keine Angaben. Die Art der genannten Ausbildungen ist sehr vielfältig (Tab. 1).

Tab. 1 Körperorientierte Weiterbildungen

Konstruktion des Erhebungsinstruments

Das Instrument enthält vier Frageblöcke zu unterschiedlichen Aspekten körperorientierter Arbeit (vgl. Tab. 1): die Art und die Häufigkeit der eingesetzten Interventionen, die Art, wie diese Interventionen eingesetzt werden, die Bedeutung, die Coaches körperorientierten Intervention zuweisen, und die Absicht, solche Interventionen auch in Zukunft anzuwenden.

Im Zentrum des Interesses stand die Frage nach der Art und Häufigkeit der eingesetzten Interventionen. Eine Systematisierung körperorientierter Verfahren und Techniken im Coaching existiert unseres Wissens nicht. Um der Vielfalt von praktizierten Verfahren und Techniken einigermaßen gerecht zu werden, orientierten wir uns zur Konstruktion der Fragen zur Anwendung von körperorientierten Methoden an den 10 übergreifenden körpertherapeutischen Prinzipien von Geuter (2019; vgl. Tab. 2). Diese beinhalten nach seinen eigenen Worten „eine Systematisierung eines prozessorientierten therapeutischen Handelns, das die Körperpsychotherapie verfahrensspezifisch anzubieten hat“. Ob sie ein getreues Abbild aller körperorientierten Verfahren darstellen, bezweifelt der Autor selbst. Dies dürfte bei der Vielfalt von Verfahren auch kaum zu realisieren sein. Für unsere Zwecke erscheinen sie aber als hinreichende Integration von sehr unterschiedlichen Verfahren. Für das 7. Prinzip „Berühren und Halten“ wurden keine Fragen formuliert, da es nicht als notwendiges Prinzip körperorientierter Arbeit gilt (Rolef Ben Shahar 2014). Aus den restlichen 9 Prinzipien wurden eine bis max. vier Fragen abgeleitet, die das dahinterliegende Prinzip abbilden. Bei den einzelnen Items handelt es sich um fünfstufige Skalen mit zunehmenden Häufigkeiten (Beispiel-Item: Ich achte auf die Mimik meiner Coachees; „1 = nie“, „2 = manchmal“, „3 = öfter“, „4 = sehr oft“ und „5 = immer“).

Tab. 2 Zuordnung der Fragen zu den vier Aspekten körperorientierter Arbeit

Die Fragen nach der Art, wie Coaches körperorientierte Interventionen einsetzen, sollen einerseits Hinweise zur konkreten Umsetzung und andererseits zum „Wozu“ resp. zum Verwendungszweck der verwendeten Intervention geben. Unter dem Bedeutungsaspekt wird erhoben, welche Wichtigkeit Coaches körperorientierten Interventionen beimessen. Unter dem Zukunftsaspekt wird die Absicht der Coaches erfragt, ob sie planen, körperorientierte Interventionen in Zukunft häufiger, weniger häufig oder in gleichem Ausmaß wie bisher einzusetzen.

Durchführung der Umfrage

Die Umfrage dauerte vom 31. August 2020 bis zum 27. Oktober 2020. Unterstützt wurde die Studie durch den Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (bso) sowie durch das Institut für Angewandte Psychologie (IAP) und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie gaben uns Rückmeldungen zur Umfrage und haben durch Mailings ihre Mitglieder bzw. ehemalige Absolventen auf die Studie aufmerksam gemacht.

Um ein gemeinsames Verständnis von körperorientierten Interventionen herzustellen, wurde den Coaches die in der Einleitung entwickelte Definition körperorientierter Interventionen gezeigt. Wichtig war uns erstens die Abgrenzung zu rein manuellen Techniken und zweitens der Hinweis, dass es nicht nur um den sensorischen, sondern auch um den verbalen und visuellen Einbezug des Körpers geht.

Auswertungsmethoden

Die Daten wurden deskriptiv mit SPSS 26 ausgewertet und in Form von Häufigkeitstabellen dargestellt. Die von 1 bis 5 laufenden Ausprägungen der einzelnen Fragen des ersten Aspektes suggerieren eine kontinuierliche Skala. Die verbalen Anker verweisen aber auf nicht gleichabständige Häufigkeiten, daher wurde auf die Berechnung von Mittelwerten und Standardabweichungen verzichtet. Um die Prägnanz der Resultate zu erhöhen, haben wir die Werte der Ausprägungen „öfter“, „sehr oft“ und „immer“ in einer ersten, und „manchmal“, „öfter“, „sehr oft“ und „immer“ in einer weiteren Spalte addiert. Die Werte der ersten kumulierten Spalte interpretieren wir so, dass die genannte Art der Intervention mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeführt wird und mithin zum Standardrepertoire der antwortenden Coaches gehört. Die zweite kumulierte Spalte erlaubt den Vergleich mit den Coaches, die eine bestimmte Intervention gar nie ausführen.

Auf die Analyse möglicher Zusammenhänge von Stichprobenmerkmalen wie Alter, Geschlecht, Anzahl Jahre Erfahrung als Coach und Beschäftigungsgrad als Coach mit den Resultaten wurde aus zwei Gründen verzichtet. Einerseits würde die Darstellung dieser Resultate den Rahmen dieses Artikels sprengen. Der wichtigere Grund ist aber darin zu sehen, dass unsere Stichprobe kaum Repräsentativität beanspruchen kann, die Einflüsse dieser Variablen meist recht klein sind und schon leichte Verzerrungen der Stichprobe zu falschen Ergebnissen führen können.

Zur Ergänzung der quantitativen Fragen wurden den Coachees zwei offene Fragen zu weiteren verwendeten Interventionsmethoden und zu den Zielen, die sie mit körperorientierten Intervention verfolgen, gestellt. Die Antworten wurden nach Mayring (2010) ausgewertet. Die Kategorienbildung geschah induktiv.

3 Resultate

Die Darstellung der Resultate folgt den vier Frageblöcken „Anwendung körperorientierte Interventionen“, „Art und Weise der Anwendung“, „Bedeutung, die Coaches körperorientierten Interventionen beimessen“ und „Anwendung in der Zukunft“. Zu beachten ist, dass sich die Prozentwerte immer auf die Gesamtanzahl der Teilnehmenden von N = 242 beziehen und sich daher aufgrund fehlender Werte nicht zwingend auf 100 % aufsummieren.

In Tab. 3 werden die Art und Häufigkeit der Anwendungen von körperorientierten Interventionen dargestellt. Auffällig ist, dass die Häufigkeiten über alle Fragen recht stark streuen, praktisch keine Boden- oder Deckeneffekte festzustellen sind und dass über alle Interventionen die große Mehrheit, das heißt zwischen knapp 71 % und fast 100 % der Coaches angibt, die genannten Interventionen zumindest manchmal anzuwenden.

Betrachtet man die kumulierten Werte der Ausprägungen „öfter“ bis „immer“, dann bewegen sich die Werte in einem Bereich von 31,0 % bis 97,1 %. %. Bei praktisch allen Coaches gehört das Achten auf die Mimik (97,1 %) und die Körperhaltung (96,7 %) zum Standardrepertoire.

Die Prozentwerte in der Ausprägung „nie“ bewegen sich zwischen 0,0 und 28,0 %. Die höchsten Prozentwerte in der Kategorie „nie“ erreichen die Fragen zur Anleitung von Atemübungen (28 %), Übung des Gefühlsausdrucks über den Körper (26,9 %) und der szenischen Reproduktion der Gefühle über den Körper (26,9 %).

Die geringsten Werte findet man erwartungsgemäß unter der Ausprägung „immer“. Sie bewegen sich von 1,2 % für die Intervention Szenische Reproduktion über die Emotion bis zu 64,0 % für das Achten auf die Mimik. Immer noch 55,4 % geben an, immer auf die Körperhaltung zu achten.

In einer offenen Frage hatten die Coaches die Gelegenheit, anzugeben, welche Interventionen sie neben den im Fragebogen genannten sonst noch anwenden (Tab. 4). Die offenen Antworten decken sich weitgehend mit den Interventionsarten der geschlossenen Frage. Trotzdem sind noch neue Aspekte festzustellen, wie z. B. der Einsatz von Tieren, Klang und die interdisziplinäre Arbeit mit anderen Fachpersonen.

In Tab. 5 wird die Art und Weise, wie Coaches körperorientierte Interventionen einsetzen und welche Ziele sie damit verfolgen, dargestellt. Integrieren Sie die Übungen in die Coachingsitzungen? Empfehlen Sie sie Ihren Coachees zur Ausübung neben dem Coaching? Wenden Sie körperorientierte Übungen auch auf sich selbst an? Genau die Hälfte (50,0 %) geben an, Körperarbeit im Coaching einzusetzen. Hier zeigt sich ein Widerspruch zu den Resultaten in Tab. 3. Dieser Widerspruch wird in der Diskussion thematisiert. Mehr als die Hälfte (52,1 %) praktizieren Körperarbeit während des Coachings auch bei sich selbst.

Tab. 3 Art und Häufigkeit der Anwendung körperorientierter Methoden Interventionen wenden Coaches an?
Tab. 4 Offene Antworten zur Art der verwendeten Intervention
Tab. 5 Art und Weise der Anwendung körperorientierter Interventionen
Tab. 6 Andere Ziele beim Einsatz des Körpers im Coaching
Tab. 7 Wichtigkeit Einbezug Körper im Coaching

In einer offenen Frage konnten die Coaches angeben, welche weiteren Ziele sie mit körperorientierten Interventionen verfolgen (Tab. 6). Unter „Anderes“ wurden u. a. als Ziele des Einsatzes von körperorientierten Interventionen die „Selbstzentrierung der Coaches nach einer Sitzung“, das „Entwickeln neuer Möglichkeiten im inneren System und in der Interaktion“ sowie eine „breitere Wahrnehmung“ genannt. Auch wurde es von einer Person als „Alternative zum kognitiven Weg“ aufgeführt.

In Tab. 7 sind die Antworten zur Wichtigkeit und Bedeutung von körperorientierten Interventionen dargestellt. Eine Mehrheit von fast 73 % der Coaches finden es wichtig oder sehr wichtig, den Körper im Coaching miteinzubeziehen. 18 % finden es „teils-teils“ wichtig und knapp 4 % „nicht sehr wichtig“. Ebenfalls eine Mehrheit von 68 % empfinden körperorientierte Interventionen als gewinnbringend und/oder zielführend oder sehr gewinnbringend und/oder zielführend. 21 % geben an, es „teils-teils“ als gewinnbringend zu empfinden, und 3 % „nicht sehr“.

In Abb. 1 werden die Resultate auf die Frage, inwiefern die befragten Coaches körperorientierte Intervention auch in Zukunft einsetzen wollen, gezeigt. Keiner der Befragten Coaches möchte körperorientierte Arbeit in Zukunft weniger nutzen, fast 50 % möchten sie gleich oft anwenden und 45 % beabsichtigen, solche Methoden vermehrt einzusetzen.

Abb. 1
figure 1

Einsatz körperorientierter Interventionen in der Zukunft. Anmerkung: Basierend auf den Antworten von n= 227 Coaches

4 Diskussion

Ziel der Untersuchung war es, einen Einblick zu erhalten, ob, welche Arten und in welcher Intensität Coaches körperorientierte Interventionen im Coaching einsetzen, wie ihre Haltung dazu ist und inwiefern sie beabsichtigen, solche Interventionen in Zukunft einzusetzen.

Die Resultate sind recht deutlich. Jeweils mehr als die Hälfte der befragten Coaches empfiehlt körperorientierte Interventionen, nutzt und leitet sie innerhalb des Coachings an und betrachtet sie als gewinnbringend und zielführend. Eine sehr große Mehrheit beabsichtigt, solche Interventionen in Zukunft mindestens gleich oft oder sogar noch öfter einzusetzen. Und, dies ist aus unserer Sicht bemerkenswert, ebenfalls mehr als die Hälfte der Coaches wendet körperorientierte Interventionen während des Coachings auch auf sich selbst an. Wiederum eine eindeutige Mehrheit von Coaches setzt ein breites Spektrum von köperorientierten Interventionen ein. Nur eine Minderheit der Coaches tut dies praktisch nicht. In Abhängigkeit zur Intervention nutzen mehr als 70 % bis hin zu fast 100 % der Coaches in irgendeiner Form die Arbeit mit dem Körper, um ihre Coachings zu unterstützen. Beträchtliche Unterschiede sind hingegen in der Häufigkeit der Anwendung unterschiedlicher Arten von Interventionen festzustellen. Einige wenden solche Interventionen nur gelegentlich, andere wiederum sehr oft an.

Auf der Basis der vorliegenden Resultate kommen wir zu dem Schluss, dass die Aussage von Ryba (2019) und Pullen (2016), Körperressourcen würden nicht oft berücksichtigt resp. spielten nur eine kleine Rolle, zwar auf die einschlägige Literatur zutreffen mag, für die Praxis aber nicht bestätigt werden kann und daher differenziert werden muss. Coaches setzen häufig körperorientierte Methoden ein, sie unterscheiden sich aber in der Art der Interventionen und der Häufigkeit der Anwendung. Fast alle Coaches achten auf Körperhaltung und Mimik, immer noch sehr große Mehrheiten (> 90 %) achten auf die Atmung, spiegeln die Körpersprache und nutzen die Körperwahrnehmung ihrer Coachees zur Interventionsreflexion. Interventionen hingegen, die einen aktiveren und intensiveren Einbezug des Körpers voraussetzen, werden nicht mehr so breit, aber immer noch recht häufig eingesetzt. Anstatt von einer Nichtberücksichtigung des Körpers zu sprechen, möchten wir hier vorschlagen, von unterschiedlichen Ebenen der Integration des Körpers in den Coaching-Dialog zu sprechen. Der Körper, z. B. die Mimik oder die Körperhaltung, wird vom Coach als Erkenntnisquelle genutzt, und die Erkenntnisse werden wieder in den Dialog eingebracht.

Interventionen, die einen spezifischeren Einsatz des Körpers und vermutlich auch mehr Wissen, z. B. bei Übungen zur Stress- oder Emotionsregulation, voraussetzen, werden etwas weniger eingesetzt. Warum dies so ist, darüber können wir nur spekulieren. Ob es sich die Coaches nicht zutrauen, weil die Kompetenz nicht vorhanden ist, ob sie es für nicht angemessen und/oder für den anwesenden Coachee nicht für zielführend halten, ist unklar. Vielleicht entscheiden sie aber aufgrund der Intuition oder aufgrund einer gemeinsamen Entscheidung mit ihren Coachees, körperorientierte Interventionen einzusetzen oder darauf zu verzichten. Für diese Annahme spricht, dass „nur“ 38 % der Coaches angaben, dass körperorientierte Arbeit immer in ein Coaching gehört. Wobei hier anzumerken ist, dass diese Zahl auch noch anders interpretiert werden kann. Es ist sehr gut möglich, dass Coaches eine andere Definition von körperorientierten Interventionen haben als die Autor/innen und z. B. die Nutzung des Körpers rein als Erkenntnis- und Reflexionsquelle noch nicht als körperorientierte Intervention gedeutet wird, wie es die Autor/innen tun.

In die gleiche Richtung geht die Feststellung eines Widerspruchs zwischen den Antwortverteilungen zu den Fragen, ob körperorientierte Interventionen generell genutzt, empfohlen und angeleitet werden, und denjenigen nach den konkreten Anwendungen solcher Interventionen. Diese hätten nach Ansicht der Autor/innen mehr oder minder deckungsgleich sein sollen, sie sind es aber bei weitem nicht. Die Zustimmungsraten zur Frage, ob die Coaches körperorientierte Interventionen anleiten, beträgt 57 %. Die Angaben der Coaches, ob sie eine bestimmte Intervention manchmal oder häufiger ausführen, liegen zwischen 71 und fast 100 %. Auch hier erklären wir uns den Unterschied mit den unterschiedlichen, evtl. sehr individuellen Definitionen der antwortenden Coaches und der von uns hinterlegten Definition körperorientierter Interventionen, aufgrund derer wir die konkreten Fragen gestalteten. Diese wurde zwar offengelegt; ob man sich bei der Beantwortung der Fragen aber noch darin erinnern konnte, ist zu bezweifeln. In diesem Antwortverhalten spiegelt sich vermutlich nicht nur eine unterschiedliche Sichtweise der Antwortenden und der Autor/innen dieses Beitrags, sondern auch ein generell sehr unterschiedliches Verständnis des Begriffs „körperorientierte Intervention“.

Methodenkritik

Obwohl die Stichprobe hinsichtlich der Anzahl der Teilnehmenden, den Erfahrungsjahren als Coach, dem Beschäftigungsgrad und der Ausbildung anderen Coachingumfragen entspricht (Gross 2012; Rauen 2020), Kennwerte zur Grundgesamtheit aber fehlen, ist es unklar, ob die Resultate für die DACH-Region – o der auch nur für die deutschsprachige Schweiz – repräsentativ sind. Dagegen sprechen das durchschnittliche Alter der Coaches (dieses ist mit 53 Jahren ein wenig höher als in vergleichbaren Umfragen) und die Tatsache, dass weibliche Coaches mit 71 % im Vergleich zu anderen Coachingerhebungen (Jonassen et al. 2009; Seiger und Künzli 2011, 2012; Hofmann und Künzli 2021; Rauen 2020) übervertreten sind. Übervertreten sind auch Absolvent/innen des Instituts für Angewandte Psychologie IAP. Immerhin ein gutes Viertel der Stichprobe hat irgendeine Form einer körperorientierten Ausbildung absolviert. Ob dies die tatsächlichen Verhältnisse in der Grundgesamtheit spiegelt oder ob es sich um eine den körperorientierten Interventionen zu- oder allenfalls abgeneigte Stichprobe handelt, kann hier nicht beantwortet werden, da uns hierzu keine Vergleichsdaten bekannt sind.

Zukünftige Forschung

Die Umfrage gewährt einen ersten Blick in den Stand der Dinge körperorientierter Interventionen im Coaching. Von einem systematischen Wissen darüber, ob, wann und wie diese Interventionen eingesetzt werden sollen, sind wir aber noch weit entfernt. Insbesondere wissen wir wenig bis nichts:

  • über den angemessenen Einsatz von körperorientierten Interventionen im Coaching. Ist deren Einsatz einfach „Geschmackssache“, individuelle Vorliebe, oder gibt es klare Indikationen,

  • über die Wirkung von körperorientierten Methoden im Coaching. Gibt es Interventionen der Wahl? Sind Coachings, in denen körperorientierte Interventionen eingesetzt werden, im Vergleich zu stark sprachbasierten Vorgehensweisen überlegen, unterlegen oder gleichwertig? Oder gilt auch hier eine Form des Dodo-Verdikts, dass das Vorgehen keine Rolle spielt, solange ein in sich kohärentes Set von Regeln, wie z. B. allgemeine Wirkfaktoren, angemessen angewendet wird,

  • über die tatsächliche Verbreitung von körperorientierten Interventionen in der Coaching-Praxis. Sind die aus Sicht der Autor/innen überraschend hohe Werte der Verbreitung körperorientierter Interventionen im Coaching tatsächlich repräsentativ,

  • darüber, inwiefern Coach-Merkmale, wie z. B. Alter, Geschlecht oder Erfahrungsjahre, die Präferenzen in Hinsicht auf körperorientierte Interventionen beeinflussen,

  • darüber, welche Inhalte, welche Kompetenzen in Hinsicht auf den Körper mindestens zu fordern sind für eine Coaching-Ausbildung resp. für eine Vertiefung in körperorientiertem Coaching,

  • darüber, welche Ausbildungsinstitute in welchem Ausmaß schon heute körperorientierte Methoden vermitteln.

Ausblick

Vertraut man den Daten, dann ist Körperarbeit im Coaching schon recht gut verankert und wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Klare Mehrheiten beschreiben die Körperarbeit als wichtig, erleben sie als zielführend, und 45 % der Befragten wollen in Zukunft sogar vermehrt Körperarbeit einsetzen. Dies ist, um hier eine subjektive Wertung zu wagen, aus Sicht der Autor/innen durchaus erfreulich, da wir beide körperorientierten Methoden positiv gegenüberstehen. Den Artikel mit dieser leicht rosa gefärbten Aussage zu schließen, wäre aber ein wenig naiv.

Die Coaching-Landschaft entwickelt sich sehr dynamisch. Wenn man sich vor Augen hält, wie schnell sich allein der Begriff entwickelte, in welchen Zeitabständen neue Angebote aus dem Boden schießen, dann darf man vermuten, dass sich körperorientierte Angebote, sofern der Markt vorhanden ist, im Coaching sehr schnell (weiter-) entwickeln werden. Diese Entwicklung beinhaltet aber auch Gefahren. Es gibt keine Interventionen ohne Risiken und Nebenwirkungen; was wirkt, kann auch schaden, und der „normale“ Coach hat keine medizinische Ausbildung und ist kein Experte für den Körper. Einfach zu fordern, vermehrt körperorientierte Methoden einzusetzen, weil dies aus einer naiven Position „ganzheitlicher“ wäre, ist sicher nicht vertretbar. Hier sind die Verbände und die Ausbildungsinstitute gefordert, Richtlinien zu erlassen und Weiterbildungsinhalte zu entwickeln, die der Tatsache Rechnung tragen, dass potenzielle und praktizierende Coaches in der Regel über wenig oder gar kein professionelles Vorwissen in Hinsicht auf den Körper verfügen. Wie weiter oben schon angesprochen, geht es nicht um die Frage, ob körperorientierte Intervention eingesetzt werden (sollen), sondern viel mehr um das „Wann“, das „Wie“ und die Ebene, auf der der Körper in die Arbeit integriert werden soll. Von der Wahrnehmung und Rückspiegelung der Körperhaltung über sanfte Entspannungsübungen bis hin zu Methoden, die starke Kontrollaufgabe auf Seiten der Coachees voraussetzen, ist es ein weiter Weg. Wie in der Medizin sollte auch im Coaching der Grundsatz „Primum non nocere“, man solle vor allem nicht schaden, gelten, was voraussetzt, dass Coaches zu jeder Zeit im Prozess wissen sollten was sie tun.