Einleitung

Zeit- und Leistungsdruck, mangelnde Regenerationsphasen und unklare Schichtplanbarkeiten sowie Gratifikationskrisen gehören zu den stressverursachenden Faktoren in der ambulanten Pflege [35]. Zusätzlich belastend ist der verzeichnete Fachkräftemangel in der Pflege, wodurch das Risiko von interessierter Selbstgefährdung durch Mehrarbeit und Teamloyalität erhöht ist, welches schließlich in Präsentismus münden kann [40].

Ermüdung und Stress können als Resultat negativer Beanspruchungsfolgen zu gesundheitlichen Einschränkungen und zu psychischen Erkrankungen führen [46, 69]. Burnout als langfristige Beanspruchungsfolge von Stress kommt darüber hinaus vermehrt unter Pflegekräften vor [20, 54]. Hinsichtlich der zunehmenden Relevanz von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von psychischen Störungen kommt der Stressprävention in diesem Kontext eine große Bedeutung zu [22, 31]. In diesem Zuge erlangt die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) einen hohen Stellenwert.

Die vorliegende Übersicht legt den Fokus auf die BGF im Pflegesetting, da in Deutschland der Anteil der Pflegebedürftigen steigt, wodurch vermehrt Pflegebedürftige versorgt werden [61]. Maßnahmen der BGF sollen hierbei aufgezeigt und innovative Interventionspotenziale aufgedeckt werden.

Betriebliche Gesundheitsförderung

Verhaltens- und Verhältnisprävention

Werden durch den Betrieb Maßnahmen, welche sowohl die Arbeitsorganisation als auch das Verhalten der Mitarbeiter*innen anvisieren, gesundheitsförderlich gestaltet, kann das Risiko von gesundheitsgefährdenden Beanspruchungsfolgen verringert und der Gesundheitszustand von Beschäftigten verbessert werden [56]. Zur BGF gehören „Verhaltensprävention“ und „Verhältnisprävention“ [11]. Zur Verhaltensprävention zählen alle Maßnahmen, welche die individuellen Bewältigungskompetenzen im Umgang mit Belastungen steigern können, wie Beratungs- und Trainingsangebote [51]. Die Stärkung der Ressourcenvielfalt der Individuen auf geistiger und körperlicher Ebene steht hierbei im Vordergrund. Interventionsbereiche können sich in „(1) Entspannungsverfahren, (2) Psychoedukation und (3) kognitiv-behaviorale(n) zum Umgang mit dysfunktionalen Einstellungen (z. B. Perfektionismus)“ wiederfinden [55]. Verhältnisorientierte Maßnahmen orientieren sich dagegen an der Struktur und Arbeitsorganisation [63]. Organisatorische, technische und ergonomische Maßnahmen, wie die Neu- bzw. Umgestaltung des Arbeitsplatzes, können überdies negative physische Belastungsfaktoren reduzieren [24, 58].

Betriebliche Gesundheitsförderung im Pflegesetting

Belastungsfaktoren, wie Zeitdruck durch zu hohe Arbeitsmengen und dadurch resultierende Pausenausfälle, rücken durch mögliche negative Beanspruchungsfolgen die Relevanz der BGF auch in der Pflegebranche in den Vordergrund. Maßnahmen in der BGF können hier beispielsweise auf persönliche, soziale und betriebliche Ressourcenstärkung abzielen: abgestimmte Tätigkeiten auf persönliche Fähigkeiten, sozialer Austausch sowie Schaffung möglicher Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Schulungen auf Verhaltensebene, wie z. B. Erlernen von Verhaltensweisen zur Rückenschonung beim Umlagern und Transport von Patient*innen, wie auch die verhältnisorientierte Schaffung und Ermöglichung von Regenerations- sowie Rückzugsmöglichkeiten können zu gesundheitsförderlichem Verhalten beitragen. Gesundheitsberatungen (z. B. in Bezug auf Ernährung) können effektiv im Sinne der Verbesserung von Gesundheitsverhalten sein. Als biopsychosoziale Wesen sind Menschen jedoch auch empfänglich für (negative) Arbeitsbedingungen [3], weshalb die Kombination von verhaltens- und verhältnisorientierten Präventionsmaßnahmen sowie die zielgruppenspezifische Ausrichtung Voraussetzung sein muss: So müssen Arbeitsbedingungen in der Pflege und der Gesundheitszustand aller Beschäftigten bei Interventionsentwicklung und -umsetzung zur Gesunderhaltung und -förderung einzeln beachtet werden [16]. „Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Pflege“ (QualiPEP) durch den AOK-Bundesverband verfolgt beispielsweise die Etablierung von qualitätsgeprüften Präventions- und Gesundheitsmaßnahmen für alle Beteiligten und die Erhöhung der Gesundheitskompetenz für alle Settingbeteiligten sowie die Erweiterung der BGF für diese Einrichtungen [1].

In der Praxis zeigen Ergebnisse einer aktuellen Online-Befragung („PFLEGEprevent“) von deutschen Pflegekräften (n = 1381, davon 81 % weiblich), dass Maßnahmen zur Reduzierung von Stresserleben (>80 %) und Erholung sowie der Umgang mit Konflikten und eine verbesserte Kommunikation (>70 %) seitens der Pflegekräfte gewünscht werden. Weiterhin wird die Unterstützung durch Arbeitgeber*innen gefordert (Kostenübernahme, BGF-Maßnahmen während der Arbeitszeit). Über die Hälfte der Befragten (51 %) lehnt die Nutzung des eigenen Urlaubsanspruchs für BGF-Maßnahmen ab, wobei die Bereitschaft zur Teilnahme unter den gewünschten Rahmenbedingungen bei 75 % lag [26].

Durch das von Mobilität und Wechselhaftigkeit geprägte Setting sowie der erhöhte Leistungs- und Termindruck in der ambulanten Pflege, können die Umsetzungsmöglichkeiten von personenbezogenen und strukturell-organisatorischen Maßnahmen erschwert sein [36]. Der Wunsch der Pflegekräfte, potenzielle BGF-Maßnahmen bevorzugt während der Arbeitszeit wahrnehmen zu können [26], kann sich als inkompatibel mit dem ökonomischen Interesse der Arbeitgeber*innen erweisen. Darüber hinaus wurden bis dato keine konkreten BGF-Maßnahmen speziell für die ambulante Pflege in Deutschland entwickelt.

Maßnahmen der BGF sind jedoch nur dann nachhaltig wirkungsvoll, wenn sie als fester Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) genutzt werden [27]. Ein idealer BGM-Prozess mit spezifisch ausgerichteten BGF-Maßnahmen ist in der Lage, aktuelle Thematiken aufzugreifen, wie beispielsweise die zunehmende Digitalisierung, die den BGF-Maßnahmenablauf maßgeblich unterstützen kann [25]. Abb. 1 zeigt den BGM-Prozess nach dem PDCA(„plan-do-check-act“)-Zyklus [14, 24].

Abb. 1
figure 1

PDCA(„plan-do-check-act“)-Zyklus. (Quelle: nach [14])

Nach der Erfassung des aktuellen Gesundheitsstatus der Beschäftigten („plan“) werden Maßnahmen/Interventionen auf Grundlage von Handlungsbedarfen gebildet („do“). Nach der Ergebnisevaluation bzw. Wirksamkeitskontrolle dieser („check“), werden entweder neue Maßnahmen abgeleitet oder die bestehenden als erfolgreich eingestuft und fortlaufend eingesetzt („act“; [64]). Nach der Entwicklung und Implementierung von BGF-Maßnahmen müssen diese auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, wobei sich Interventionsstudien im Prä‑/Post-Design besonders gut eignen. Gemäß einer Befragung von Altenpflegeeinrichtungen (n = 108) werden zwar teilweise BGF/BGM betrieben, jedoch sind Personalmangel sowie fehlende professionelle Kenntnisse in diesem Feld mögliche Hindernisse für eine erfolgreiche Umsetzung [57].

Digitale Betriebliche Gesundheitsförderung für die Pflege?

Arbeitsbedingte Belastungsfaktoren in der ambulanten Pflege (z. B. Mobilitätsanforderungen) sowie die überdurchschnittlichen Pausenausfälle in der Pflegebranche [12] könnten darauf hindeuten, dass möglicherweise fehlende räumliche Strukturen innovative digitale Angebote der BGF in der ambulanten Pflege als sinnvoll erscheinen lassen [15, 16, 60]. Unregelmäßige Arbeitszeiten, die Unplanbarkeit des Einspringens für Kolleg*innen bei Krankheitsausfällen und Zeitdruck sind besondere Belastungsfaktoren in der ambulanten Pflege [10, 62]. Digitale Maßnahmen der BGF können auch hier eine unterstützende Ergänzung in einem zeitlich sowie örtlich begrenzten Arbeitssetting darstellen.

Die web- und mobilbasierte Intervention („SoSu-life“ zur Verbesserung des Ernährungsverhaltens [durch Aufklärung und Ernährungstipps]) bei Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitswesen zeigte nach 9 Monaten eine signifikante Reduzierung des Körpergewichts der Teilnehmenden [4]. In Verbindung mit der zunehmenden Digitalisierung erscheinen neue Formen von Informations- und Kommunikationstechnologien im Rahmen der Gesundheitsförderung bedeutungsvoller [70]. Die Niedrigschwelligkeit des Zugangs könnte eine Inanspruchnahme der gesundheitsfördernden Maßnahmen ebenso begünstigen [53, 67]. Vor dem Hintergrund der stetigen Digitalisierung im Gesundheitswesen und der zunehmenden Nutzung des Internets in deutschen Haushalten sowie der wachsenden Flexibilität, nehmen die Angebote von web-basierten psychosozialen Behandlungsvarianten auf eHealth-/mHealth-Ebene stetig zu [5, 13, 49]. Die soziale Vernetzung über den digitalen Weg könnte überdies das mangelnde Teamgefühl in der ambulanten Pflege verbessern [13, 28]. Speziell entwickelte mobile Interventionen, beispielsweise in Form von Apps, können das Stresslevel von Beschäftigten effektiv reduzieren und das Wohlbefinden fördern [19].

Interventionen der BGF für die Pflege

Psychische Belastungsfaktoren in der Pflege finden sich in Arbeitsinhalt, -organisation und -umgebung, soziale Beziehungen und neue Arbeitsformen wieder [15, 35]. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich Publikationen über Interventionen hinsichtlich des Gesundheitsverhaltens von Pflegekräften, wie beispielsweise die Förderung von gesunder Ernährung und Bewegung sowie Alkohol- und Tabakkonsumreduzierung [65].

Verhaltensebene: gesundes Verhalten in der Pflege fördern

Im Pflegesetting sind folgende Maßnahmen auf Verhaltensebene umgesetzt worden: Muramatsu et al. [47] implementierten in ihrem Pilotprogramm eine Einheit körperlicher Aktivität bei Patient*innen von häuslichen Pflegekräften mit dem Ziel, die Gesundheitskompetenzen sowie positive Gesundheitsverhaltensweisen der Beschäftigten zu erhöhen. 4 Monate lang erinnerten die Pflegekräfte die Patient*innen an die erlernten Trainingseinheiten (Übungen für Rücken, Arme sowie Dehneinheiten). Die Maßnahme konnte zur Eigenmotivation beitragen und die persönliche körperliche Bewegung der Pflegekräfte nach der Intervention erhöhen, indem das Gelernte selbst angewandt und das Wissen über körperliche Aktivität erhöht wurde [47]. Die positive Veränderung persönlicher körperlicher Aktivität kann auf BGF-Potenzial hindeuten.

In der stationären Pflege wurde mittels einer Randomisierten kontrollierten Studie (RCT-Studie) unter Einbezug von deutschen Krankenpfleger*innen mit einem Alter von >45 Jahre eine 7‑wöchige Intervention (eine Session pro Woche) – von Maatouk et al. [43] – während der Arbeitszeit getestet. Die Intervention besteht aus Aufklärungseinheiten, wie z. B. Altern und Arbeit im Gesundheitssektor sowie Stressreduzierung durch Achtsamkeit. Bei der Interventionsgruppe konnte eine signifikante Verbesserung der psychischen Gesundheit festgestellt werden [44]. Mahon et al. [45] evaluierten in ihrer Pilotstudie eine Achtsamkeitsintervention (6- bis 8‑wöchiges Training). Es zeigte sich eine signifikante Stressreduzierung bei Krankenpfleger*innen. Überdies wurde eine Stärkung des Mitgefühls indiziert [45]. Eine weitere Intervention (Craigie et al. [21]) führte einen Workshop-Tag zum Thema Mitgefühl und weiteren wöchentlichen Trainings mit den Schwerpunkten Achtsamkeit- und Resilienzförderung ein. Es zeigte sich unter ambulant und stationär tätigen Pflegekräften eine signifikante Minderung der Stresswahrnehmung und des Burnout-Risikos [21]. Das weitverbreitete „Mindfulness-Based Stress Reduction“(MBSR)-Programm von Kabat-Zinn [38], welches durch Erhöhung der Achtsamkeit die individuelle Stressbewältigung anstrebt, führte bei Krankenpfleger*innen in teilweise telefonischen Sitzungen eine Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands herbei. Dies wurde anhand des verkürzten Short-Form (SF) Health Survey „SF-12v2 Health Survey“ [66] gemessen. Der flexible Zugang zur Intervention wurde überdies betont [6]. Die Implementierung des MBSR-Programms in der Psychiatrie zeigte unter Pflegekräften eine signifikante Senkung der Arbeitsstresswahrnehmung und Verringerung des Risikos der Entwicklung von Depressionen und Angststörungen [71]. Das Burnout-Risiko konnte durch Achtsamkeits‑, Meditations- und Yoga-Interventionen bei Ärzt*innen und Pfleger*innen verringert werden [2]. Interventionen zur Erhöhung des Selbstmitgefühls von Pflegekräften können einen Beitrag zur Stressreduktion und Resilienzförderung leisten [21, 23].

Eine psychoedukative Interventionsstudie von Kamisli und Öz (2011) aus der Türkei verfolgte das Ziel, stationäre Pflegekräfte (n = 52) dazu zu bewegen, ihren Tabakkonsum zu reduzieren bzw. einzustellen. Zehn Sitzungen (2-mal/Woche, 3 Follow-ups) wurden in fünf Gruppen durchgeführt. Dabei standen Aufklärung über Suchtverhalten und mögliche Hindernisfaktoren, Erhöhung der Selbstwirksamkeit und Stressmanagement und Entspannungstechniken im Vordergrund. Nach der letzten Sitzung haben knapp 50 % der Teilnehmer*innen das Rauchen eingestellt, 25 % der Befragten reduzierte die Anzahl der Zigaretten pro Tag [39].

In einem österreichischen BGF-Projekt unter Einbezug ambulanter Pflegekräfte haben Seminare zur Körpererfahrung sowie Rückenschulungen dazu beigetragen, dass körperliche Beschwerden um 12 %, konkrete Schulterbeschwerden um 13 % zurückgegangen sind. Insgesamt konnten 37 % der Teilnehmenden ihr Bewegungsverhalten verbessern. Darüber hinaus haben 44 % der Teilnehmenden infolge eines Ernährungsprogramms (Seminare zur gesunden Ernährung und organisierte gemeinschaftliche Läufe) ihr Ernährungsverhalten laut Selbstauskunft positiv verändert [29].

Verhältnisebene: gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen

Maßnahmen im Rahmen der BGF sind auf Verhältnisebene (organisatorischer Ebene) ebenso relevant und orientieren sich an Arbeitssysteme und -strukturen [63]. Gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, eine gesunde Führungskultur, eine Balance zwischen Kompetenzen der Beschäftigten und der Arbeitsanforderungen sowie das Gleichgewicht zwischen Familie und Beruf gehören übergeordnet zur BGF auf Verhältnisebene [60]. In der Pflegebranche ist ein gesundheitsförderliches Verhältnis z. B. durch die Bereitstellung und der Nutzungsanweisung eines Massagestuhls im Aufenthaltsraum umgesetzt: Über einen Zeitraum von 6 Monaten konnte das Stresserleben von Krankenpfleger*innen signifikant gesenkt werden [32].

Ergebnisse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zeigen, dass deutsche Pflegekräfte ein verbesserungswürdiges Pausenverhalten aufweisen: Gesetzlich festgelegte Pausen werden bzw. können durch die Arbeitsmenge nicht eingehalten werden [12]. Im Sinne der BGF auf der verhältnisbezogenen Ebene muss z. B. im Rahmen der Arbeitsorganisation für eine ausreichende Pausenkultur gesorgt werden [9]. Hinsichtlich des Pflegefachkräftemangels haben sich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie ein erhöhter Personaleinsatz in der stationären Pflege bereits als belastungsreduzierend erwiesen [18]. Den Blick auf den verstärkten Pausenausfall in der Pflege [12] gerichtet, muss eine verbesserte Pausenkultur eingeführt bzw. durch angepasste Arbeitsbedingungen auch in der ambulanten Pflege ermöglicht werden. Diesbezüglich betonen Nejati et al. [48] die nahe Lage und die Gestaltung des Pausenraums aus der stationären Pflege. Essenspausen wurden zumeist in den zur Verfügung gestellten Räumen verbracht. Das Stresserleben der Krankenpfleger*innen konnte dadurch signifikant gesenkt werden [42].

Gesundheitsförderliche Verhaltensweisen und gesunde Rahmenbedingungen

Um langfristige Erfolge erzielen zu können, wird die Kombination beider Maßnahmenarten empfohlen [55]. Die Kombination beider Ansätze gilt als erstrebenswert und vielversprechend [9, 63]. Die „Be Well, Work Well“-Intervention – entwickelt an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, Center for Work, Health and Wellbeing – zeigte in der Evaluation jedoch, dass durch eingeführte Maßnahmen auf ergonomischer, organisatorischer (z. B. optimierte Pausenorganisation) und personenbezogener Ebene (z. B. Förderung positiven Gesundheitsverhaltens) in der stationären Pflege keine signifikanten Verbesserungen festgestellt werden konnten. Der Hauptgrund war die fehlende Inanspruchnahme aufgrund von mangelnder Zeitinvestition [59]. Sport- und Ernährungsangebote sowie Stressmanagementprogramme wurden in Taiwan in einem Krankenhaus zwar angeboten, jedoch haben die stationären Pfleger*innen diese im Vergleich zu den anderen Beschäftigtengruppen weniger in Anspruch genommen [17]. Dieses Ergebnis kann auf das Angebot der BGF-Maßnahmen außerhalb der Arbeitszeit zurückgeführt werden [26]. Das COMPASS-Programm, von Olsen et al. [50] speziell entwickelt für ambulante Pflegekräfte in Amerika („Community of Practice and Safety Support“), soll das Gemeinschaftsgefühl unter einander erhöhen, indem wöchentliche Gruppenziele in Bezug auf Ernährung (gesunde Rezepte) festgelegt werden, verbessern. Es besteht überdies aus Unterrichtseinheiten, wie die Aufklärung über Gesundheitsförderung, Arbeitsschutz und gesunde Ernährung sowie Fitnessangeboten. Im Prä‑/Post-Vergleich zeigten sich nach 6 Monaten signifikante Verbesserungen des Gesundheitszustands sowie die Reduzierung des Stresserlebens der Teilnehmenden [50]. BGF-Angebote, die über die Optimierung des Ernährungs‑, Bewegungs- und Rauchverhalten hinaus auch die Arbeitsorganisation und psychosozialen Stress (z. B. durch Wellnessangebote) anvisierten, zeigten bei Pflegekräften aus verschiedenen Altersheimen große Resonanz, wobei Angebote während der Arbeitszeit bevorzugt wurden [72].

Dem „Stress-Prevention@Work-Programm“ liegen zwei Bausteine zugrunde: Zum einen wird eine digitale Plattform bereitgestellt. Diese bietet eine Übersicht über mögliche Stressmanagementmaßnahmen auf organisatorischer und personenbezogener Ebene, die nach Bedarf ausgewählt werden können. So auch Screeningtools zur Messung des arbeitsplatzbezogenen Stresserlebens. Die digitale Plattform beinhaltet mehrere Schritte: (1) Verstärkung des Bewusstseins für Arbeitsstress soll bestärkt werden, (2) Problemeinschätzung anhand von Checklisten mit Bezug auf mögliche Arbeitsstressfaktoren, (3) Wahl der Interventionen mit beratender Funktion durch die Programmverantwortlichen, (4) Umsetzung der gewählten Maßnahmen und (5) Evaluation durch Fragebogenerhebungen. Zum anderen hilft ein gemeinschaftliches Lernnetzwerk für den nötigen Austausch zwischen den teilnehmenden Organisationen [34]. Das Programm wurde an Mitarbeitenden im Gesundheitswesen (mehrheitlich Krankenpfleger*innen) anhand einer RCT-Studie getestet. Der Einsatz des Programms zeigte eine Verringerung von Präsentismus- sowie Absentismusverhalten und höhere Produktivität in der Interventionsgruppe. Langfristig zeigten sich hier Kosteneinsparungen zugunsten der Arbeitgeber*innen [68].

Web-basierte BGF-Programme für Pflegekräfte

Das webbasierte Stressmanagement-Programm „BREATHE“ wurde von Hersch und Cook [33] speziell für stationäre Pflegekräfte entwickelt und kann flexibel nach Bedarf in Anspruch genommen werden. Es besteht aus Einheiten von Aufklärung über die physischen und psychischen Auswirkungen von Stress sowie praktischen Tools zur Stressbewältigung. Ein Prä‑/Post-Vergleich (04/2014–02/2015) anhand des „nursing stress scale“ (Gray-Toft und Anderson 1981 [30]) zeigte eine signifikante Stressreduzierung bei den Teilnehmenden [33]. Insbesondere das Setting der ambulanten Pflege, welches Zeitdruck und eine hohe Arbeitsdichte nach sich zieht [15], könnte von flexiblen Nutzungsmöglichkeiten web-basierter BGF-Maßnahmen profitieren.

Herausforderungen in der Umsetzung von BGF-Maßnahmen in der Pflege

Studien belegen erste positive Effekte mit Bezug auf gesundheitsförderliche Verhaltensweisen (Ernährung, Bewegung, Stressreduzierung). Dennoch werden BGF-Maßnahmen in der Pflege nicht in einem entsprechenden Umfang umgesetzt. Gesetzliche sowie ökonomische Voraussetzungen stellen die beiden wesentlichsten Barriere-Dimensionen dar. Eine hohe Arbeitsdichte, welche durch hohem Pflegeaufkommen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel zustande kommt, rückt die Umsetzung von BGF-Maßnahmen auf betrieblicher Ebene oftmals in den Hintergrund [41]. Die Gefährdungsbeurteilung im Rahmen der Ermittlung von arbeitsbedingten Fehlbelastungsfaktoren (§ 5 ArbSchG) kann als Grundlage für die Identifizierung der Handlungsfelder herangezogen werden, auf diesen dann – prioritär verhältnisbezogene – Gesundheitsförderungsmaßnahmen aufbauen könnten [7]. Die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung in nationalen Betrieben scheint allerdings noch mangelhaft und erschwert die Entwicklung spezieller BGF-Maßnahmen, auch in der Pflege [8].

Zusammenfassung und Ausblick

BGF-Maßnahmen können einen Beitrag zur Gesundheit und Sicherheit der Pflegekräfte leisten. Schulungen auf Verhaltensebene sowie Pausen- und Rückzugsorte für die Pflegekräfte sind nicht nur in stationären Pflegeeinrichtungen relevant [15]. Entspannungs‑, Stress- sowie Resilienzprogramme werden angeraten. BGF muss zukünftig betriebliche Verankerung und Umsetzung erfahren, um effektive positive Veränderungen der Gesundheit der Beschäftigten erzielen zu können. Um diese nachhaltig gestalten zu können, sollte stärker auf Verhältnisprävention gesetzt und zumindest in Kombination mit verhaltensbezogenen Maßnahmen angestrebt werden. Eine optimierte Arbeitsgestaltung kann negativen Beanspruchungsfolgen und einhergehende Arbeitsunfähigkeiten entgegenwirken [41].

Während die Relevanz einer speziellen Gesundheitsförderung für Pflegekräfte, insbesondere in Bezug auf Stressmanagement sowie gesünderen Verhaltensweisen unumstritten ist, so sind bisher kaum spezielle BGF-Angebote für die ambulante Pflege entwickelt worden [37, 52]. Aus der vorliegenden Übersicht geht hervor, dass auf nationaler Ebene keine spezifisch entwickelten BGF-Interventionen für die ambulante Pflege verfügbar sind. Vergleichend konnten lediglich internationale Interventionen aus der stationären Pflege herangezogen werden. Eine vollständige Übertragbarkeit bleibt durch die unterschiedlichen Settings allerdings ausgeschlossen. Interventionen zur Stressreduzierung deuten auf einen Nutzengewinn der BGF hin, insbesondere in der Kombination von verhaltens- und verhältnisbezogenen Maßnahmen. Im Zuge des mobilen Settings der ambulanten Pflege, erscheint die Entwicklung von web-basierten (eHealth/mHealth) Gesundheitsförderungsmaßnahmen, die zeitlich und örtlich flexibel genutzt werden können, für ambulant tätige Beschäftigte als vielversprechend. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen sollte zukünftig stärker in den Fokus der ambulanten Pflegebetriebe treten, denn ihre Ergebnisse können als Grundlage für speziell entwickelte BGF-Interventionen dienen. Als zukünftiges Forschungsdesiderat stellt sich somit die Wirkung von zielgruppenspezifischen BGF-Maßnahmen von ambulant tätigen deutschen Pflegekräften heraus. Bei der erfolgreichen Entwicklung, Umsetzung und Evaluation im Prä‑/Post-Design dieser können die Gesundheit und somit die Motivation, Produktivität und Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten sichergestellt werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und die regelmäßige Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen werden zur Identifizierung der Handlungsfelder für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in der Pflege angeraten.

  • Die in der BGF entwickelten verhaltens- und verhältnisbezogenen Interventionen müssen auf die Zielgruppe der Pflegekräfte spezifisch ausgerichtet sein.

  • Die Entwicklung von eHealth-/mHealth-BGF-Interventionen erscheint im ambulanten Pflegesetting als vielversprechend.

  • Die entwickelten Interventionen für stationäre und ambulante Pflegekräfte müssen auf ihre Wirksamkeit überprüft und bei Bedarf überarbeitet werden.