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Der Bedarf an bestimmten Vitaminen bei Schwangeren kann meist nicht allein durch die Ernährung gedeckt werden.

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Nahrungsergänzungsmittel (NEM), die zu den Lebensmitteln zählen (genauer: ein Konzentrat von Nähr- oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer bzw. physiologischer Wirkung) sind nicht bei einem klinischen Mangel indiziert, betonte Prof. Hans Konrad Biesalski, Universität Hohenheim. Vielmehr dienen sie der Vorbeugung eines Mangels, in erster Linie bei Menschen mit erhöhtem Bedarf an Mikronährstoffen oder eingeschränkter Zufuhr.

Altbekannt, aber immer noch erwähnenswert, ist der erhöhte Bedarf von Schwangeren an Folsäure zur Verhinderung von Neuralrohrdefekten. Biesalski, der auf der Sitzung den Pro-Part übernahm, empfahl bereits bei Frauen mit Kinderwunsch die Folsäure-Supplementation. Er riet anstelle der standardmäßigen Folsäure-Supplementation zur Einnahme von Multivitaminpräparaten. In einer Studie wurde durch Gabe eines Multivitaminpräparats versus Placebo und Folsäure/Eisen-Supplementation der Anteil von Kindern mit geringem Geburtsgewicht verringert [1]. In einer Metaanalyse von 41 Studien reduzierte sich ebenso die Zahl der Fehlbildungen bis zu 50% [2]. Auch Biotin, das „new kid in the block“ der Vitaminforscher, sei für die fetale Entwicklung relevant, so Biesalski. Einen gesteigerten Bedarf an Mikronährstoffen haben auch Krebspatienten oder adipöse Menschen, eine verringerte Resorption ist bei Patienten mit Kurzdarm und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu berücksichtigen, erinnerte Biesalski. Eine wichtige Risikogruppe seien außerdem Senioren, bei denen eine Mangelernährung weit verbreitet sei.

Von Vitamin D-Mangel sind vor allem Ältere betroffen

Defizite bestünden hier vor allem bei den Vitaminen A, B und D. Die Hautsynthese von Vitamin D sei bei Senioren im Vergleich zu jüngeren Menschen deutlich reduziert. Auch Trend-Diäten, die Einnahme sogenannter Fat-Replacer und vegetarische, besonders vegane Ernährung können zu einer Unterversorgung führen, betonte Biesalski und eröffnete damit Prof. Peter Stehle aus Bonn, die Vorlage zu seinem Kontra-Part.

NEM könnten kein Ersatz für eine unausgewogene Ernährung sein, betonte der Ernährungsphysiologe, und ein Nährstoffmangel könne durch geeignete Auswahl von Lebensmitteln behoben oder verhindert werden. Zudem sei noch in keiner Interventionsstudie durch Zufuhr von NEM bei Menschen ohne Mangel an Mikronährstoffen ein präventiver Effekt erzielt worden. Zudem gebe es zu wenige Daten zur langfristigen Sicherheit von NEM. Nicht einmal die optimale Dosierung sei bekannt und wegen großer individueller Unterschiede oft auch schwer zu klären. Es gebe nur wenige kritische Nährstoffe. Stehle nannte Folsäure sowie Vitamin D, vor allem bei Kleinkindern und Senioren. Vehement sprach sich der Ernährungsphysiologe gegen die Zufuhr sekundärer Pflanzenstoffe in Kapselform wie Polyphenole, Catechin oder konjugierte Linolsäure aus. Es existierten keine Referenzwerte und der Versorgungsstatus in der Bevölkerung sei nicht zu bewerten, eine Zufuhr solcher Wirkstoffe also nicht begründbar.

Kein eindeutiger Gewinner

Ein eindeutiger Gewinner in der Pro-und-Kontra-Diskussion war nicht auszumachen, eine Abschlussbewertung durch das Plenum wurde gar nicht erst versucht. So ging die Aufforderung von Dr. Roland Gärtner, Internist aus München, Patienten nach Möglichkeit über NEM aufzuklären, ein bisschen im Mangel guter Evidenzen unter. Dies spricht einerseits für das Fazit von Stehle: Ein bevölkerungsweiter Einsatz von NEM zur Krankheitsvermeidung, Verbesserung des Wohlbefindens und zum Ausgleich diätetischer Missgriffe sei sinnlos. Aber gegen eine gezielte Verwendung von NEM in Risikogruppen ist andererseits sicher kaum etwas einzuwenden.