Das vordere Kreuzband (VKB) gehört zu den am häufigsten verletzten Strukturen bei Sportlern [5, 14, 16, 25, 31]. Allein in den USA wird von einer jährlichen Inzidenz zwischen 250.000 und 300.000 sportassoziierten VKB-Rupturen berichtet [8, 12, 16]. Die Inzidenz ist bei weiblichen Sportlern im Verhältnis deutlich höher als bei männlichen [11].

Eine große Zahl an Risikofaktoren ist bekannt und findet in entsprechenden Präventionsprogrammen Berücksichtigung [2, 5, 10, 16, 27].

Bereits 1895 wurde die erste operative Intervention am rupturierten VKB beschrieben [21]. Aus dieser Veröffentlichung stammt die berühmte Beschreibung eines Patienten nach primärer Naht eines femoral rupturierten VKB, sein Knie sei „perfectly strong“.

Seit dieser ersten Intervention gehören Eingriffe am Kreuzband zu den weltweit häufigsten Operationen. Die VKB-Ersatzplastik hat die Naht als Therapie der VKB-Ruptur bei Weitem überflügelt und unterliegt weiterhin stetigen Änderungen. Diese sind auf technische Neuerungen, wie die der Arthroskopie in den 1970er- und 1980er-Jahren zurückzuführen [7]. Ebenso führte ein verbessertes anatomisches [6, 24, 32] bzw. physiologisches [24] Verständnis zu Veränderungen des operativen Vorgehens. Die konservative Therapie hingegen hat aufgrund unbefriedigender Ergebnisse allenfalls eine Bedeutung als Sonderindikation [14].

Seit Mitte der 1990er-Jahre steht die sog. All-inside-Technik zur Verfügung. Das Prinzip dieser Methode ist, neben der minimalinvasiven Durchführung, die freie Wählbarkeit des femoralen Bohrkanals, der hierbei als „Sackloch“ oder „socket“ beschrieben wird [22]. Damit können nun nicht nur aktuelle Erkenntnisse der Physiologie und Anatomie, sondern auch technische Weiterentwicklungen umgesetzt werden.

Im Folgenden werden neben der Technik Vor- und Nachteile dieses Vorgehens beleuchtet sowie erste Teilergebnisse der eigenen VKB-Chirurgie dargestellt werden.

Anatomie

Trotz seiner intraartikulären Lage verläuft das VKB extrasynovial. Die femorale Insertionsstelle hat einen Abstand vom dorsalen und inferioren Gelenkknorpel von etwa 2,5 mm [23]. Das Zentrum des femoralen Ansatzes findet sich etwa zwischen 43 % und 51 % des a.-p.-Durchmessers des lateralen Anteils der „notch“, direkt oberhalb der „lateral bifurcate ridge“ [9]. Von dort nimmt das VKB seinen Verlauf anterolateral des hinteren Kreuzbands (HKB) zum medialen Anteil der vorderen interkondylären Region der Tibia. Hier wird der Insertionspunkt auf Höhe des Außenmeniskusvorderhorns beschrieben, etwa bei 40 % des mediolateralen Kondylenabstands [13]. Einzelne Fasern des VKB strahlen bisweilen in das Außenmeniskusvorderhorn ein [20].

Verletzungsmechanismus/Risikofaktoren

Zur Ruptur des VKB kommt es vorwiegend durch eine Distorsion mit Valgusstress und/oder Innenrotation des Kniegelenks. Dieser Pathomechanismus wird z. B. durch schnelle Richtungswechsel, schnelles Beschleunigen oder Abbremsen sowie Drehbewegungen z. T. mit fixiertem Unterschenkel unterstützt. Daher sind Aktive bei Sportarten wie Hand‑, Fuß‑, Basketball oder Football [16], aber auch Skifahrer im Abfahrtslauf besonders gefährdet. Obwohl es sich vorrangig um Mannschaftssportarten handelt, kommt es in bis zu 75 % der Fälle ohne Fremdeinwirkung zur VKB-Ruptur [4].

Der Rupturmechanismus wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Umweltfaktoren wie Witterungsverhältnisse und Schuhwerk gehören ebenso hierzu wie das Impingement des Kreuzbands in der interkondylären Notch [30] als anatomischer Faktor. Ebenso sind hormonelle Faktoren zu nennen. So wurden bereits in den 1990er-Jahren sowohl Östrogen- als auch Progesteronrezeptoren in Kreuzbandpräparaten nachgewiesen [17]. Hier wurde über einen hormonellen Einfluss auf die Dehnungseigenschaften des Kreuzbands berichtet. Außerdem wurden Scherkräfte, hervorgerufen durch M.-quadriceps-Kontraktion, als Risikofaktor beschrieben [5].

Diagnostik

Grundlage der Diagnostik ist die klinische Untersuchung. Neben einem intraartikulären Erguss besteht eine anteriore Kniegelenkinstabilität. Das Ausmaß der Instabilität wird durch die Provokation eines vorderen Schubladenphänomens eingeschätzt. Je nach Unfallmechanismus und Begleitverletzungen können weitere Funktionstests des Kniegelenks einen pathologischen Befund ergeben.

Die Grundlage der bildgebenden Diagnostik besteht in der nativradiologischen Darstellung des Kniegelenks in 2 Ebenen. Auf diese Weise kann bereits in der Notfalldiagnostik eine knöcherne Beteiligung ausgeschlossen werden. Entscheidend für die Diagnostik der VKB-Ruptur ist jedoch die Magnetresonanztomographie (MRT). Im eigenen Haus erfolgt die Darstellung in der T1-Wichtung sowie sagittal als PDW (Protonendichte-Wichtung) SPAIR („spectral attenuated inversion recovery“). Zusätzlich werden Rekonstruktionen als PDW-SPAIR-Wichtung in 3 Kippungen, 15°, 25° und 35°, koronar entlang des Verlaufs des VKB erstellt.

Auf diese Weise lässt sich nicht nur die Diagnose einer VKB-Ruptur stellen, sondern auch die Lokalisation der Verletzung genau eingrenzen.

Indikation/Ziele

Die Hauptindikation ist die anteriore Kniegelenkinstabilität; das Hauptziel ist entsprechend die Wiederherstellung der Kniegelenkstabilität und der physiologischen Kniekinematik [14]. Darüber hinaus sind individuelle Patientenwünsche zu berücksichtigen. So ist die Indikation beim jungen Patienten großzügiger zu stellen als beim alten; der sportliche Anspruch kann auch im höheren Lebensalter ein zusätzlicher Aspekt der Indikation sein.

Das Ziel der VKB-Ersatzplastik ist die Vermeidung einer Sekundärarthrose bei möglichst uneingeschränkter sportlicher Aktivität.

All-inside-Technik

Prinzip

Die All-inside-Technik wurde erstmals 1997 beschrieben [29]. Das Prinzip ist die Etablierung des femoralen Tunnels unabhängig von der Lage des tibialen Kanals. In der im Folgenden beschriebenen Technik ist selbst das Anlegen eines durchgehenden tibialen Kanals nicht mehr notwendig [18]. Ursprünglich wurde das All-inside-Vorgehen mithilfe des femoralen Sacklochs über den medialen Arthroskopie-Port möglich. Auf diese Weise war die Möglichkeit zur anatomischen, frei gewählten femoralen Insertion der VKB-Plastik gegeben. Das tibiale Sackloch wurde über einen superioren Port angelegt. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen der All-inside-Technik spiegeln sich auch in den unterschiedlichen Fixierungsmethoden wider. Hierbei werden neben „endobuttons“ auch unterschiedliche Interferenzschrauben genutzt. Selbst die Implantation einer „Double-bundle“-Plastik wäre technisch möglich. Im Folgenden wird eine vollständiges All-inside-Vorgehen dargestellt, bei der die Transplantatfixierung gelenkfern mithilfe von Endobuttons erfolgt. Bevor der eigentliche VKB-Ersatz vorgenommen wird, wird das Kniegelenk arthroskopisch untersucht, um etwaige Begleitpathologien zu diagnostizieren und entsprechende therapeutische Schritte durchführen zu können.

Präparation der VKB-Ersatzplastik

Die autologe Semitendinosussehne hat sich inzwischen als Standardimplantat etabliert [26]. Über einen etwa 1,5–2 cm langen Schnitt oberhalb der tastbaren Sehne am medialen Rand der Kniekehle erfolgt die Entnahme. Die Sehne wird sowohl nach proximal als auch nach distal zum Pes anserinus präpariert und auf ganzer Länge entnommen. Anschließend wird anhaftendes Muskelgewebe entfernt und die Sehne vierfach gelegt. Bei diesem Manöver werden Schlaufen von 2 TightRope®-Fäden (Fa. Arthrex, Naples, FL, USA) in das Transplantat eingebracht (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Präpariertes Semitendinosustransplantat, vierfach gelegt, mit einliegenden TightRope®-Fäden (Fa. Arthrex, Naples, FL, USA)

Anlage der Bohrkanäle

Arthroskopisch wird der femorale „footprint“ des VKB identifiziert. Mithilfe eines Zielgeräts mit frei wählbarem Winkel erfolgt das transfemorale Einbringen eines retrograden, ausklappbaren Bohrers (FlipCutter®, Fa. Arthrex, Naples, FL, USA; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

„Notch“-seitiger Anteil der lateralen Femurkondyle; der FlipCutter® (Fa. Arthrex, Naples, FL, USA) ragt an regelrechter Insertionsstelle des vorderen Kreuzbands in das Kniegelenk

Nachdem seine korrekte retrograde Lage sichergestellt ist, wird der Bohrer in der gewünschten Größe ausgeklappt („geflipt“; Abb. 3), und es kann nun ein Sackloch in der individuellen Länge angelegt werden.

Abb. 3
figure 3

„Notch“-seitiger Anteil der lateralen Femurkondyle, ausgeklappte retrograde Klinge, 9 mm Durchmesser

Die Etablierung des tibialen Bohrkanals erfolgt analog zum femoralen Vorgehen. Auch hier wird das Insertionsgebiet des VKB arthroskopisch identifiziert. Anschließend wird über ein Zielgerät mit frei wählbarem Winkel ein FlipCutter® positioniert, um ein Sackloch von individueller Tiefe anzulegen. Das Einbringen des Zielgeräts erfolgt über den medialen Arthroskopie-Port sowie über eine prätibiale Stichinzision, die tibiale Kortikalis wird lediglich im Rahmen des Vorbohrens des FlipCutter®, nicht jedoch im gesamten Durchmesser des Sacklochs, perforiert.

Über die Bohrkanäle wird sowohl femoral als auch tibial jeweils ein „Shuttle“-Faden eingezogen. Diese dienen im weiteren Verlauf zum Einziehen der TightRope®-Fäden in die Bohrkanäle sowie damit zum Einziehen und wechselseitigen Spannen des Transplantats in Streckstellung des Kniegelenks. Die Fixierung der VKB-Ersatzplastik findet gelenkfern mithilfe der Endobuttons statt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

a.-p.-Röntgenbild mit Darstellung der Endobuttons, ordnungsgemäß der Kortikalis anliegend

Vorteile

Bereits aus dem Vorgenannten werden die erheblichen Vorteile der dargestellten All-inside-Technik deutlich. Zunächst bietet dieses Vorgehen die Möglichkeit, die komplette Präparation über 2 Standardportale (anteromedial, -lateral) bei 90° gebeugtem Knie und hängendem Unterschenkel durchzuführen.

Außerdem ist bisher kein anderes Verfahren beschrieben worden, dass eine höhere Präzision, insbesondere zur Anlage des femoralen Bohrkanals, ermöglicht [6, 19]. Im Vergleich zur transtibialen Anlage des femoralen Bohrkanals ist mit der All-inside-Technik der femorale Eintrittspunkt des Bohrkanals frei wählbar und folgt so den individuellen anatomischen Gegebenheiten. Bei der Nutzung des anteromedialen Arthroskopieportals als Zugang des femoralen Bohrers sind, bedingt durch die „High-flex“-Stellung des Kniegelenks, die Auswahlmöglichkeiten eingeschränkt, und die Bohrung ist erschwert.

Auch der tibiale Bohrkanal kann anatomisch gewählt [6] und in der beschriebenen Technik angelegt werden. Hierdurch wird die Gefahr der Belastungsinsuffizienz durch Schmerzen auf Höhe des Bohrkanals tibial minimiert, da insbesondere das tibiale Periost intakt bleibt. Ein weiterer Vorteil ist, dass kein zusätzlicher Port zur Anlage des tibialen Bohrkanals notwendig wird, wie z. B. beim superomedialen Zugang [26]. Vor allem der frei wählbare tibiale Insertionspunkt vereinfacht das Vermeiden eines Impingements und Notching in Streckstellung [26].

Darüber hinaus ist eine frühe Rückkehr sowohl zur alltäglichen als auch zur sportlichen Aktivität durch das minimalinvasive Vorgehen möglich [1]. Dies ist insbesondere in der erheblich verringerten Schmerzhaftigkeit nach All-Inside-VKB-Plastik begründet [3]. Als zusätzlicher Vorteil ist der nur minimale Verlust an Knochensubstanz zu erwähnen.

Nachteile

Die Nachteile der All-inside-Technik liegen zum einen in der erzwungenen, gelenkfernen Fixationstechnik der Ersatzplastik, zum anderen in den Eigenschaften des Transplantats.

Hinsichtlich der Fixationsalternativen ist bei der oben dargestellten Technik bislang nur die gelenkferne Möglichkeit mithilfe des Endobutton vorgesehen. Trotz biomechanisch nachgewiesener Vorteile dieser Fixierung im Vergleich zur Fixierung mit Interferenzschrauben [28] erscheint die Stabilität im eigenen Patientengut bei gelenknaher Fixierung höher. Dieser Eindruck wird durch ältere Veröffentlichungen unterstützt; hier wurde der Vergleich unterschiedlicher Transplantate gezogen („hamstring“ vs. „bone-patellar tendon-bone“, BPTB, [15]). Jedoch wiesen die Hamstring-Transplantate ein höheres Ausweiten der Bohrkanäle auf („windshield wiper effect“). Die eigenen Erfahrungen ergeben ein etwas anderes Bild. Hier zeigte sich bei gleichem Transplantat („hamstring“) im Rahmen der All-inside-Technik im Vergleich mit der Fixierung mithilfe des Rigidfix® Cross Pin System (Fa. DepuySynthes, Warsaw, IN, USA) kein vermehrtes „tunnel widening“.

Eine bislang nichtbeschriebene Beobachtung betrifft das Transplantat bzw. dessen Fixierung mithilfe von TightRope®-Fäden. Arthroskopisch ließ sich beim Spannen der „Hamstring“-Ersatzplastik ein Spannungsnachlass eines Sehnenzügels des Vierfachtransplantats darstellen. Bislang konnte dem keine eindeutige klinische Bedeutung (Impingement, Instabilität) zugeordnet werden. Im eigenen Patientengut war jedoch eine geringere Stabilität nicht eindeutig auszuschließen. Hier besteht jedoch weiterer Untersuchungsbedarf, da selbst das Einschneiden der TightRope®-Fäden in das Transplantat als Ursache infrage kommt.

Fazit für die Praxis

  • Die VKB-Ersatzplastik in All-inside-Technik stellt die aktuellste Weiterentwicklung in der VKB-Chirurgie dar.

  • Der Verzicht auf Knochentunnel bringt verschiedene Vorteile mit sich. Diese bestehen v. a. in der verkürzten Rehabilitationszeit und der damit einhergehenden früheren Wiederherstellung der Aktivitätsniveaus vor dem Unfall.

  • Durch die frei wählbare Positionierung, sowohl des femoralen als auch des tibialen Sacklochs, ist eine anatomisch bessere Lage der VKB-Plastik möglich, die eine geringe Rate an posttraumatischen arthrotischen Veränderungen verspricht.

  • Als nachteilig kann sich jedoch die gelenkferne Fixierung der Ersatzplastik über Endobuttons erweisen. Erste Studienergebnisse deuten auf eine geringere Primärstabilität der Plastik und damit ein schlechteres klinisches Outcome hin. Hierzu müssen weitere klinische Studien erfolgen.