Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • verfügen Sie über grundlegendes Wissen zu Beziehungstests in der therapeutischen Situation.

  • können Sie Beziehungstests in der therapeutischen Situation erkennen.

  • kennen Sie den Unterschied zwischen Übertragungs- und Rollenumkehrtests.

  • haben Sie einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Beziehungstests in Psychotherapie.

Einleitung

In den letzten Jahren gewinnt die Untersuchung von Interaktionsprozessen zwischen Therapeut und Patient im Hinblick auf die therapeutische Wirksamkeit und das Therapieergebnis zunehmend an Bedeutung (Zilcha-Mano 2018). Dass hinsichtlich Behandlungserfolg und Wirksamkeit verschiedene psychotherapeutische Schulen und Verfahren gleich effektiv sind, konnte in einigen Metaanalysen nachgewiesen werden (Leichsenring und Rabung 2011). Die Forschung beschäftigt sich nun mit der Frage, welche Art von Psychotherapie bzw. welche Art von Intervention bei welchem Patienten effektiv ist (Zilcha-Mano 2018). Essenzieller Bestandteil und Basis jeglicher therapeutischer Interventionen ist die therapeutische Beziehung (Zilcha-Mano 2018). Sie gilt inzwischen als einer der prominentesten Hauptwirkfaktoren in der Psychotherapie (Flückiger et al. 2018). Nach Bordin (1979) setzt sich die therapeutische Beziehung aus gemeinsamen Zielen, Aufgaben und der tragfähigen (emotionalen) Bindung zwischen Patient und Therapeut zusammen.

Bereits von Freud (1912) konzipiert und als wesentlicher Bestandteil in psychodynamischen Therapien benannt, ist das bestens bekannte Konzept der Übertragung. Nach Freud (1912) werden in der therapeutischen Beziehung frühere Beziehungsmuster reaktiviert und auf die Person des Analytikers übertragen. Eine modernere Konzeption wird von Benecke (2017) vorgeschlagen. Er benennt allgemeine Bausteine klinischer Theorien, die sich v. a. mit basalen Motivationssystemen beschäftigen. Benecke ordnet die Motivationssysteme in die therapeutische Beziehung ein. Dabei wird die Bedeutung von frühen Beziehungserfahrungen, die sich in Schemata niederschlagen, als sehr hoch eingeschätzt. Diese Schemarepräsentanzen bestehen nach Benecke (2017) aus Motiv, Selbstbild, Objektbild, erwarteten Interaktionen und Affekten.

Eine Theorie- und gleichzeitig Therapiemethode, die sich mit Interaktionsprozessen auf Mikroebene beschäftigt und bei der sowohl die therapeutische Beziehung als auch diese Schemata bzw. deren Repräsentanzen zentrale Bedeutung einnehmen, stellt die Control Mastery Theory (CMT) und Therapie (Weiss 1993) dar. Sie erklärt, wie pathogene Beziehungsmuster in der Therapie inszeniert und bearbeitet werden. Es handelt sich um eine Theorie der therapeutischen Interventionstechnik, die gute tiefenpsychologisch fundierte Kenntnisse und eine entsprechende Ausbildung voraussetzt.

Control Mastery Theory

Im Folgenden werden die theoretischen Grundlagen der Theorie und das Störungsmodell näher vorgestellt. Anschließend wird die Relevanz der CMT für die therapeutische Beziehung erläutert. Methoden der Erkennung von Beziehungssituationen und der aktuelle Forschungsstand werden skizziert.

Theoretische Grundlagen

Ursprung der Methode

Die CMT ist eine kognitiv-psychodynamisch basierte Theorie, die Ende der 1980er-Jahre von Joseph Weiss, Harald Sampson und der Mount Zion Psychotherapy Research Group in San Francisco (SFPRG, USA) entwickelt wurde (Weiss 1986). Die Theorie beschreibt und erklärt das Interaktionsverhalten von Patienten bezogen auf die Interventionen des Therapeuten während der Psychotherapiesitzung. Die Überlegungen von Weiss (1986) basieren auf den Werken von Freud nach 1923. Im Speziellen dienten hierzu seine Hypothesen zum unbewussten Ich und Über-Ich (Weiss 1986; Albani et al. 1999; Brockmann und Sammet 2003).

Anpassungsprozesse in der Kindheit

Ähnlich wie Bowlby (1984) in seiner Bindungstheorie beschreibt, geht Weiss (1986) davon aus, dass Menschen von Geburt an danach streben, sich an ihre wichtigen Bezugspersonen anzupassen. Bei diesen Anpassungsprozessen entwickelt das Kind unbewusste und bewusste Konstrukte der Welt (Rappoport 1996), die auf seinen Erfahrungen basieren und sein Verhalten leiten. Bowlby bezieht sich in seinen „inneren Arbeitsmodellen“ von Bindung auf unbewusste Überzeugungen und erklärt damit die unbewussten und manchmal bewussten Ängste und Erwartungen, die in menschlichen Beziehungen entstehen (Rosbrow 1993). Er (Bowlby 1984) beschreibt, dass das Kind eine gewisse – wenn auch evtl. dysfunktionale – Reaktion der Mutter auf seine Verhaltensweisen erwartet, wenn diese Interaktion wiederholt nach dem gleichen Schema verlaufen ist. Je länger ein ungünstiges Interaktionsmuster zwischen Mutter und Kind andauert, umso schwerer ist es zu verändern. Es verfestigt sich ein ungünstiges inneres Arbeitsmodell von Beziehung, das der Entwicklung stabiler und befriedigender Beziehungen entgegensteht (Bowlby 1984).

Entwicklung pathogener Überzeugungen

Dies ähnelt der Annahme der CMT, die davon ausgeht, dass das Kind durch seine Erfahrungen mit den Eltern bestimmte Erwartungen entwickelt, wie es behandelt wird und in Zukunft behandelt werden wird. Dabei glaubt das Kind, es wäre adäquat, so behandelt zu werden, da es nichts anderes kennt und keine anderen Erfahrungen machen konnte. Weiss (1993) zufolge können diese Annahmen des Kindes aufgrund von traumatischen Erfahrungen dysfunktionalen Charakter einnehmen. In der CMT werden dysfunktionale Annahmen „pathogene Überzeugungen“ genannt. Sie sind das Ergebnis eines Anpassungsprozesses an traumatisierende frühe Beziehungen, der meist unbewusst erfolgt und in dem Sinne dysfunktional ist, als er die Person an der Verwirklichung wichtiger Lebensziele hindert.

Beispiel.

Ein kleiner Junge, der sich selbst als von seinen Eltern vernachlässigt empfindet, entwickelt die pathogene Überzeugung, dass er nicht nur von seinen Eltern, sondern auch von anderen vernachlässigt werden wird. In der Folge entsteht habituell auch in anderen Beziehungen die Wahrnehmung, vernachlässigt zu werden (Weiss 2002).

Pathogene Überzeugungen behindern die normale und gesunde Entwicklung des Kindes (Weiss 1990). Sie führen langfristig, d. h. auch noch im Erwachsenenleben, zu der unbewussten Angst, dass die Person selbst oder andere Schaden nehmen, wenn Ziele verfolgt werden, die an sich vernünftig sind. Dadurch neigt die Person dazu, sich konform zur pathogenen Überzeugung zu verhalten, um der vermeintlichen Gefahr für sich oder andere zu entgehen und die Beziehungen aufrechterhalten zu können. Damit kann sie aber eigene wichtige Ziele nicht erreichen und entwickelt psychopathologische Symptome.

Beispiel.

Eine Patientin kann aufgrund von Prüfungsangst ihr Studium nicht abschließen, weil sie unbewusst den Erfolg fürchtet. Sie hat die unbewusste Erwartung, dass die Beziehung zu ihrer Familie Schaden nimmt, in der niemand studiert hat. Sie darf die anderen nicht „überholen“, da dies vermeintlich den anderen schaden könnte. Dies basierte auf den immer wieder geäußerten Bemerkungen der Mutter, unglücklich zu sein, da sie selbst gern studiert hätte, aber diese Wünsche zugunsten der Erziehung der Patientin zurückgestellt hatte.

Zugrunde liegende traumatische Ereignisse

Die CMT geht davon aus, dass pathogene Überzeugungen infolge solcher traumatischen Ereignisse entstehen (Weiss 1986) und psychopathologischen Phänomenen zugrunde liegen können. Weiss (1986) unterscheidet zwischen folgenden 2 Arten von Traumata:

  • Schocktrauma und

  • Stresstrauma.

Ein Schocktrauma ist definiert als ein einmalig auftretendes, schweres traumatisches Ereignis, wie Krankheit oder Tod eines Elternteils, dem das Kind in einer Art und Weise ausgeliefert ist, dass es keine adäquaten Bewältigungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung hat.

Beispiel.

Ein Junge, der dem Vater vor dessen Tod missbilligend oder konkurrierend gegenüberstand, kann annehmen, dass diese Missbilligung oder Konkurrenz den Tod des Vaters verursacht hat (Weiss 1986).

Ein Stresstrauma ist dagegen als persistierende aversive Kindheitserfahrung definiert, vor der das Kind nicht entfliehen kann (Silberschatz 2017; z. B. emotionale Verwahrlosung, depressiver Elternteil). Kinder fühlen sich oft verantwortlich für alles, was geschieht. Sie glauben, sie verdienen das Trauma, und neigen daher dazu, die traumatische Situation zu wiederholen, auch wenn sie darunter leiden (Weiss 1986).

Pathogene Überzeugungen sind also internalisierte kognitiv-affektive Repräsentanzen von traumatischen Ereignissen (Silberschatz 2017). Diese sind schwer zu verändern, da die Personen keine bewussten Motive für eine Veränderung haben. Unbewusst jedoch möchten sie diese pathogenen Überzeugungen widerlegen, da sie Hemmungen, Angst, Scham, Schuld und andere unangenehme Gefühle erzeugen. Außerdem behindern pathogene Überzeugungen das Ausdrücken und Umsetzen von Bedürfnissen, um vermeintlichen Gefahren zu entgehen (Weiss 1986).

Dementsprechend sind sie hoch motiviert, ihre pathogenen Überzeugungen zu überwinden. Was von Freud als „Wiederholungszwang“ traumatisierender Erfahrungen verstanden wird, wird in der CMT also anders verstanden. Annahme ist, dass es das vernünftige Ziel eines jeden Menschen ist, die traumatisierenden Erfahrungen zu überwinden. Die Wiederholung des traumatischen Musters dient der Möglichkeit, emotional korrigierende Erfahrungen zu machen.

Plan des Patienten

Patienten, die eine Psychotherapie beginnen, suchen Hilfe, um ihre pathogenen Überzeugungen zu widerlegen (Silberschatz 2010). Weiss (1993), Silberschatz (2005) sowie Curtis und Silberschatz (1986) entwickelten das Plankonzept. Dieses beschreibt, wie Patienten einen unbewussten Plan verfolgen, um Hilfe bei der Lösung und Bewältigung ihrer Probleme zu finden und ihre pathogenen Überzeugungen zu widerlegen. Daraus resultiert auch der Name der Control Mastery Theory: die unbewusste Kontrolle über das Unbewusste entspricht „control“. Das Ansinnen, mithilfe des Therapeuten die Probleme zu meistern, steht für den Begriff „mastery“ (Weiss 1986).

Auf folgende 3 Arten können pathogene Überzeugungen widerlegen werden (Silberschatz 2010):

  • durch die Entwicklung von Einsicht,

  • mithilfe der therapeutischen Beziehung oder

  • durch direktes Testen des Therapeuten.

Die CMT wurde eng gekoppelt an die Ergebnisse der begleitendenden Einzelfallforschung entwickelt. Für Forschungszwecke wird der „Plan“ auf Basis des diagnostischen Erstinterviews durch geschulte Beurteiler individuell für die Patienten definiert. Zur Planformulierung werden die verbalen Äußerungen eines Patienten, szenische und lebensgeschichtliche Informationen sowie Gegenübertragungsaspekte herangezogen (Sammet et al. 2007). Die Planformulierung enthält neben einer psychodynamischen Fallformulierung folgende Komponenten (Curtis et al. 1994):

  • Ziele: realisierbare, unbewusst oder bewusst angestrebte Verhaltensweisen, Gefühle, Einstellungen oder Fähigkeiten, beispielsweise das Ziel eines Patienten, mehr Selbstbewusstsein zu erlangen oder sich besser von anderen abgrenzen zu können.

  • Pathogene Überzeugungen: irrationale, oft unbewusste Annahmen und die damit verbundenen Befürchtungen, die eine Person daran hindern, Ziele zu verfolgen und zu erreichen, z. B. die pathogene Überzeugung dieses Patienten: „Ich darf nicht nein sagen, sonst werde ich verlassen.“

  • Traumata: alle Ereignisse oder Situationen, die dazu führen, dass eine pathogene Überzeugung entwickelt wird. Im Beispiel könnte dies ein als herrschend erlebter Vater sein.

  • Beziehungstests: bewusste und unbewusste Probehandlungen des Patienten, die die Stimmigkeit pathogener Überzeugungen an der Reaktion des Therapeuten überprüfen. Der Beispielpatient könnte in der Therapie versuchen, sich gegen Vorschläge des Therapeuten durchzusetzen, in der Hoffnung, dass der Therapeut nicht so herrschsüchtig wie der Vater reagiert und ihm seine Selbstbestimmung einräumt.

  • Einsichten: Bewusstsein des Patienten für die Natur und die Ursache seiner Probleme. Der Patient würde verstehen, dass sein submissives Verhalten seinen Ursprung in der Beziehung zu seinem Vater hat und dass er nicht fürchten muss, immer wieder von anderen dominiert zu werden.

Beziehungstests sind Probehandlungen des Patienten, mit denen er die Gültigkeit seiner pathogenen Überzeugung in der Beziehung zum Therapeuten überprüfen möchte. Er hofft unbewusst, dass sich der Therapeut in einer Art und Weise verhält, die diese Überzeugungen entkräftet und dem Patienten erlaubt, gesündere oder alternative Verhaltensweisen zu entwickeln. In einer Testsituation handelt der Patient entsprechend seiner pathogenen Überzeugung, mit der unbewussten Angst, dass sein Verhalten die Beziehung zum Therapeuten gefährden wird. Wenn der Patient merkt, dass er damit den Therapeuten nicht beeinträchtigen kann, wird er weniger ängstlich und kommt in der Widerlegung der pathogenen Überzeugung einen Schritt voran. Er kann die pathogene Überzeugung näher ins Bewusstsein rücken und manche Unterdrückung aufheben. Wenn der Patient allerdings den Therapeuten durch die Tests doch beeinträchtigt und somit seine pathogene Überzeugung bestätigt wird, wird er ängstlicher und defensiver als zuvor und unterdrückt die Überzeugung noch mehr (Weiss 1986), was der Theorie zufolge mit einer Symptomverstärkung einhergehen kann.

Beziehungstests

Testkategorien und unbewusste Strategien des Patienten

Weiss (1986) unterscheidet zwischen Übertragungstests und Rollenumkehrtests. In einem Übertragungstest wiederholt der Patient sein Verhalten aus der Kindheit, von dem er glaubt, dass es bei seinen Eltern die traumatisierende Reaktion hervorgerufen hat. Der Therapeut wird also in die Rolle des Elternteils gebracht. Beispielsweise wird ein Patient, der oft von seinen Eltern kritisiert wurde, in der Therapie ein Verhalten zeigen, von dem der Patient annimmt, dass es den Therapeuten dazu bringt, ihn zu kritisieren, z. B. wenn er zu spät zu den Sitzungen kommt. Während eines Rollenumkehrtests übernimmt der Patient die Rolle der Eltern und verhält sich gegenüber dem Therapeuten traumatisierend. Der oben beschriebene Patient kann beispielsweise den Therapeuten für sein hohes Honorar oder seine nicht hilfreiche Behandlung kritisieren.

Beide Arten von Tests wiederholen die traumatisierenden Erfahrungen des Patienten mit seinen Eltern. Beide Verhaltensweisen sind Strategien der Verteidigung und gleichzeitig Strategien zur Überwindung des Problems. Wenn der Therapeut in einer Weise reagiert, die dem Patienten hilft, seine pathogenen Überzeugungen zu widerlegen, besteht der Therapeut den Test und sein Verhalten wird „pro-plan“ genannt. Wenn die Reaktion des Therapeuten die pathogene Überzeugung des Patienten bestätigt und somit nicht widerlegt, wird das Verhalten als „anti-plan“ bezeichnet (Weiss 1986).

Auswirkungen von Pro-plan-Interventionen des Therapeuten

Im Allgemeinen testen die Patienten während der Therapie mehr oder weniger kontinuierlich in Form kleiner und großer Tests. Mehrere Einzelfallstudien belegen, dass eine hohe Bestehensrate von Tests direkt mit besseren Therapieergebnissen verbunden ist, verglichen mit einer hohen Rate von nicht bestandenen Tests (Silberschatz 1986; Silberschatz und Curtis 1993; Sammet et al. 2006). Silberschatz und Curtis (1993) zeigten, dass therapeutische Interventionen, die pro-plan sind und die pathogene Überzeugung des Patienten widerlegen, zur sofortigen Verbesserung der Symptomatik führen. Dabei wurde für jeden Patienten eine Planformulierung erstellt, einschließlich erwarteter Beziehungstests. Fünf erfahrene Beurteiler untersuchten anschließend alle Sitzungen hinsichtlich Testsituationen und schätzten auf einer 7‑stufigen Likert-Skala ein, inwieweit der Therapeut einen Test bestanden hatte. Silberschatz (1986) beobachtete ein ähnliches Ergebnis: Wenn der Therapeut einen Test bestand, wurde der Patient weniger ängstlich, freundlicher und entspannter. In der Studie von Sammet et al. (2006) wurde gezeigt, dass bei guten pro-plan Interventionen des Therapeuten auch ein höheres Maß an Einsicht bei den Patienten zu beobachten war.

Erste empirische Überprüfungen der Reliabilität des Testkonzepts

Obwohl diese Studien die Hypothesen der CMT bestätigen, gibt es bisher relativ wenige empirische Studien zur Überprüfung der Reliabilität des Testkonzepts von Weiss (1993) anhand von größeren Stichproben. Erste empirische Studien zeigen eine zuverlässige Messung der Beziehungstests in Psychotherapie. Silberschatz und Curtis (1993) untersuchten die Interrater-Reliabilität von 5 unabhängigen Ratern bei der Identifizierung der Tests zweier Patienten. Die Analyse ergab eine gute Reliabilität von r(k) = 0,50 für den einen Patienten und r(k) = 0,75 für den zweiten Patienten. Eine weitere Analyse der Interrater-Reliabilität bei der Identifizierung von Tests wurde von Silberschatz (1986) durchgeführt. Neun Studienabsolventen analysierten verbale Transkriptionen von 100 Psychotherapiesitzungen eines Patienten und identifizierten Testsequenzen. Anschließend identifizierten 3 psychoanalytisch geschulte Rater Schlüsseltests und beobachteten 46 zentrale Testsequenzen mit einer sehr guten Reliabilität von r(k) = 0,82 (Silberschatz 1986). Kadur et al. (2018) untersuchten ebenfalls einen Einzelfall und bestimmten die Reliabilität zweier Beurteiler bei der Identifikation von Tests. Diese betrug insgesamt κ = 0,38, ein eher moderater Wert. Die Übereinstimmung in den einzelnen Testkategorien war jedoch deutlich besser (Werte zwischen 0,46 und 0,64). Dies legt nahe, dass es weiteren Forschungsbedarf zu Schulung und Identifikation von Beziehungstests gibt.

Aktueller Forschungsstand

Im Folgenden wird der aktuelle Forschungsstand zur CMT und zu den Beziehungstests dargestellt. Silberschatz (2017) postulierte die Notwendigkeit, auch in der Psychotherapieforschung einen individualisierten, personalisierten Ansatz zu verfolgen, da jeder Mensch und jeder Patient unterschiedlich auf gleiche Interventionen reagieren kann und demnach auch die Forschung mit diesen Umständen umgehen muss. Die CMT geht von einem personalisierten Ansatz aus.

Auswirkung plankompatibler Therapeuteninterventionen

In den letzten Jahren wurden einige Studien zur CMT durchgeführt, die sich größtenteils mit der Auswirkung plankompatibler Therapeuteninterventionen beschäftigten. Dabei konnte gezeigt werden, dass Plankonformität positive Effekte auf verschiedene Parameter des Patienten hat. Beispielsweise untersuchte Silberschatz (2017) den Zusammenhang von Pro-plan-Interventionen auf die Symptombelastung des Patienten und konnte zeigen, dass Plankompatibilität zu einer Besserung der Beschwerden führte.

Rolle der Mentalisierungsfähigkeit des Patienten

Brockmann et al. (2018) untersuchten in ihrer jüngsten Einzelfallanalyse den Effekt von Interventionen, die die Mentalisierungsfähigkeit fördern und pathogene Überzeugungen entkräften. Es stellte sich heraus, dass bei allen 3 untersuchten Patienten die Mentalisierungsfähigkeit im Laufe der Therapie sank und die Qualität der therapeutischen Beziehung zunahm. Dieser abnehmende Trend der Mentalisierungsfähigkeit im Verlauf der Therapie stand im Gegensatz zu den Hypothesen der Autoren. Sie diskutieren, dass dies daran liegen könnte, dass Mentalisierung häufig durch Interventionen des Therapeuten angeregt wird, im Laufe der Therapie die Themen und Aufgaben des Patienten immer komplexer werden und auch auf mehr Widerstand stoßen, was zu geringerer Bereitschaft des Patienten führt zu mentalisieren. Spezifische Interventionen haben also nur begrenzten Einfluss; die therapeutische Beziehung hingegen scheint entscheidend zu sein, da sie dem Patienten dabei hilft, seine Affekte zu steuern und sein Misstrauen in der Therapie zu reduzieren (Brockmann et al. 2018).

Entwicklung von Einsicht beim Patienten

Sammet et al. (2006) untersuchten an einem Einzelfall den Verlauf von Einsicht und das Äußern von pathogenen Überzeugungen während einer Kurzzeittherapie. Signifikante Ergebnisse fanden sie beim Zusammenhang zwischen erhöhter Plankonformität der Interpretationen des Therapeuten und erhöhten Einsichtswerten. Das spricht den Autoren zufolge für das Konzept der Einsicht als prozessrelevanten Therapieaspekt. In Einklang mit der CMT ist ebenfalls die Tatsache, dass pathogene Überzeugungen häufig getestet werden (Sammet et al. 2006).

Patienten- und Therapeutenverhalten

Auch das Patientenverhalten wurde genauer hinsichtlich einer Einordnung in schulenspezifische Prototypen und Operationalisierung von Tests untersucht (Kadur et al. 2018; Pole et al. 2008). Pole et al. (2008) untersuchten an einem Einzelfall, ob ideal umgesetzte CMT, also häufige Pro-plan-Interventionen, kognitiv-behaviorale Therapie (KBT) oder psychodynamische Therapie (PDT) den größten Einfluss auf die Symptombelastung hat. Die Autoren konnten aufzeigen, dass signifikante Veränderungen in der Symptombelastung auf folgenden Prinzipien beruhten:

  • Verhalten des Therapeuten nach ideal umgesetzter CMT,

  • Patientenverhalten nach idealer CMT und PDT sowie

  • Patient-Therapeut-Interaktion nach idealer KBT und PDT.

Sie diskutieren, dass die Ergebnisse den Zusammenhang zwischen idealen CMT-Prozessen und Symptomveränderung bestätigen. Am meisten hat das Therapeutenverhalten entsprechend idealer CMT zur Verbesserung beigetragen (Pole et al. 2008).

Anwendbarkeit bei verschiedenen Krankheitsbildern

Studien zur therapeutischen Behandlung nach dem Konzept der CMT belegten außerdem, dass die CMT sich bei verschiedenen psychischen Krankheitsbildern gut anwenden lässt, beispielsweise bei Suchtpatienten (O’Connor und Weiss 1993), in der Familientherapie (Kanofsky und Lieb 2007) oder bei Personen, die in der Kindheit misshandelt wurden (Suffridge 1991). Pole und Bloomberg-Fretter (2006) beschreiben auch eine Patientin mit Major-Depression und posttraumatischer Belastungsstörung, die erfolgreich nach der CMT behandelt wurde.

Zwei Fallbeispiele

Um die beiden Testformen zu veranschaulichen, werden zwei Fälle aus der klinischen Praxis berichtet. Es wird betont, dass die geschilderten Fälle und die therapeutischen Interventionen auch mit anderen therapeutischen Konzepten gut fassbar sein könnten. Die Perspektive der CMT ist nur eine unter vielen Möglichkeiten, die Dynamik zu verstehen. Wichtig ist an dieser Stelle nur, dass das therapeutische Handeln an jeder Stelle des therapeutischen Prozesses theoretisch begründbar und in seiner Wirkung überprüfbar ist. Dies kann an bestimmten Prozesskriterien festgemacht werden.

Fallbespiel 1: Übertragungstest

Fallbeschreibung

Eine 22-jährige Angestellte kommt wegen einer Bulimie und selbstverletzendem Verhalten, das u. a. in exzessivem Sport mit resultierenden Meniskusschäden und Bänderrissen besteht, in die stationäre Behandlung. Nach dem Aufbau einer zunächst harmonischen Therapiebeziehung kommt es in der 4. Behandlungswoche zu einer Auseinandersetzung. Die Patientin möchte das Abendessen auslassen, um länger joggen zu können. Die Therapeutin lehnt dies mit dem Hinweis auf das nötige regelmäßige Essen und die moderate Bewegung ab. Die Patientin stimmt zu, einen höchstens halbstündigen Spaziergang zu machen. Am nächsten Tag berichtet sie von starken Knieschmerzen und erzählt kokettierend, dass sie doch noch 18 km gejoggt sei, um Spannungen abzubauen. Die Therapeutin reagiert einerseits verständnisvoll in Bezug auf die Belastung durch die hohen emotionalen Spannungen und Überlegungen zu deren Bewältigung. Andererseits besteht sie auf die Einhaltung von Absprachen und Ausgangsbegrenzungen. Die Patientin reagiert verärgert und empört. Sie „brauche“ die Spannungsabfuhr durch den Sport, fühle sich nicht verstanden, wolle die Therapie abbrechen und verlässt mit knallender Tür den Raum.

Am übernächsten Tag – die Patientin hat die Therapie nicht abgebrochen – erzählt sie wortreich in der Einzelsitzung: Die Auseinandersetzung um den Sport ähnele der Situation zu Hause. Der Vater, selbst sportlich, unterstütze die Patientin in ihrem sportlichen Ehrgeiz, z. B. indem er ihr oft besonderes sportliches Equipment schenke. Die Mutter hingegen versuche, den übermäßigen Sport zu unterbinden. Die Patientin hasse die Mutter für diese „weibische Weichlichkeit“. Die Eltern gerieten darüber, wie über so viele Erziehungsthemen, in regelmäßigen heftigen Streit. Die Mutter werde dann impulsiv, was die Patientin verachte. Deswegen stehe sie dem Vater viel näher und verachte die Mutter. Die Therapeutin habe sich wie die Mutter verhalten, und das habe sie äußerst aufgebracht, aber sie verstehe „eigentlich“, dass der Selbstverletzung Einhalt geboten werden müsse.

Interpretation

Es besteht eine ödipale Konstellation mit Idealisierung des Vaters sowie massiver Ablehnung und weiblicher Konkurrenz gegenüber der Mutter. Diese wird als impulsiv, zerstörend und abwertend erlebt. Damit verbunden sind eine starke Ablehnung eigener weiblicher Körpermerkmale und die Unfähigkeit zu eigenen sexuellen Beziehungen. Aus Blickwinkel der CMT ist anzunehmen, dass es der unbewusste Plan der Patientin war, die negative Einstellung gegenüber der (im Elterngespräch übrigens einfühlend wirkenden) Mutter abzubauen, um ihre eigene Weiblichkeit besser annehmen zu können (und nicht weiterhin das Introjekt der bösen und um die Gunst des Vaters konkurrierenden Mutter im bulimischen Erbrechen ausspucken zu müssen). Das Übertreten der Absprache (Spaziergang) stellte insofern einen unbewussten Test der Therapeutin dar. Es ging um die Widerlegung einer unbewussten pathogenen Einstellung, die wie folgt lauten könnte: „Ich muss über meine körperlichen Grenzen gehen und mich damit vor „weibischer Weiblichkeit“ schützen.“ Die unbewusste Hoffnung der Patientin mag gewesen sein, dass die Therapeutin ihre weichen Seiten „mütterlich“ unterstützt und sie dadurch beschützt. Die Therapeutin bestand insofern den Test, als sie einerseits die emotionalen Spannungen angemessen würdigte (nicht explosiv reagierte wie die Mutter) und andererseits der Selbstverletzung Einhalt gebot. Sie trug damit dazu bei, das Bild der „bösen Mutter“ etwas zu korrigieren, was plankonform war.

Dass der Test bestanden wurde, zeigt sich innerhalb der Folgesitzung in der Verdichtung des berichteten lebensgeschichtlichen Materials und einer gewissen Einsicht in die Notwendigkeit, die Selbstverletzung zu beenden. Das sonst tägliche Erbrechen trat in der Folge 14 Tage lang nicht mehr auf. Es ist anzunehmen, dass der Test einen Baustein (von vielen) darstellte, um mehr Akzeptanz für die eigene Weiblichkeit und damit eine Symptomreduktion der bulimischen Symptomatik und der Selbstverletzung zu erreichen.

Fallbeispiel 2: Rollenumkehrtest

Fallbeschreibung

Eine 51-jährige geschiedene, beruflich erfolgreiche Angestellte befindet sich wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und einer somatoformen Schmerzstörung (Kopfschmerzen) in stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Seit ihre erwachsenen Söhne das Haus verlassen haben, fühlt sie sich einsam und empfindet das Leben als sinnleer. Private soziale Kontakte existieren nicht. Ihre freie Zeit widmet sie der Versorgung ihrer alten kranken 83-jährigen Mutter, die sie schon immer als übermäßig anspruchsvoll und emotional zurückweisend erlebte. Bis heute reagiert die Mutter mit Liebesentzug wie tagelangem Schweigen, wenn sich die Patienten nicht gemäß ihren Erwartungen verhält.

Auf der Station zeigt sie sich sie zu Mitpatienten und Team stets freundlich, zugewandt, zuvorkommend und hilfsbereit. Sie macht nach Jahren der sozialen Isolation die Erfahrung, ein geschätztes Gruppenmitglied zu sein. Dadurch fasst sie Vertrauen und öffnet sich zunehmend emotional.

In der fünften Behandlungswoche vermutet sie eine Lücke im Datenschutz, da sie ihren Aufenthaltsort geheim gehalten hatte und plötzlich Post von einer Freundin erhielt, die ihre Adresse gar nicht hätte kennen dürfen. Die Patientin reagiert gegenüber der Stationsärztin und einer Pflegekraft übermäßig vorwurfsvoll und harsch, knallt die Tür. Sie fühle sich im Stich gelassen und enttäuscht. Niemand versuche ernsthaft, ihr bei der Problemlösung zu helfen. Am Folgetag meldet ihr eine Pflegekraft zurück, dass das aggressiv vorgebrachte, vorwurfsvolle Verhalten bei ihr (der Pflegekraft) ebenfalls Unmut und Ärger ausgelöst habe.

In der darauffolgenden Woche zieht sich die Patientin emotional völlig zurück, spricht kaum und sitzt wie versteinert ohne Blickkontakt in den Gruppentherapien. Die Einzeltherapeutin gibt ihr ein zusätzliches einzeltherapeutisches Krisengespräch. Sie deutet der Patientin, dass sie von anderen erwarte, dass sie sich so übermäßig engagiert für sie einsetzen, wie die Patientin dies selbst für andere, v. a. ihre Mutter, immer tue. Sie sehe aber die Möglichkeiten zur Aufdeckung des Datenlecks als erschöpft und werde keine weiteren Anstrengungen hierzu unternehmen. Zunächst protestiert die Patientin. Sie berichtet aber im Einzelgespräch am nächsten Tag, dass es ihr besser gehe und dass ihr im Nachgang Folgendes aufgefallen sei: Wenn ihr jemand Vorwürfe mache, wie neulich eine Patientin der Station, dann versuche sie es ihr besonders recht zu machen, habe z. B. für die Mitpatientin Postgänge und Fahrten erledigt, immer im Streben nach Wiedergutmachung und Harmonie. In Zukunft werde sie mehr darauf vertrauen, dass eine Beziehung auch dann weitergehe, wenn sie sich nicht so übermäßig bemühe. Auf der Station konnte die Therapie daraufhin wieder konstruktiv fortgesetzt werden.

Interpretation

Aus der Biografie und den geschilderten Beziehungsepisoden war zu schließen, dass ein Versorgungskonflikt besteht. In der Nomenklatur der CMT kann eine mehr oder weniger bewusste pathogene Überzeugung der folgenden Formulierung angenommen werden: „Wenn ich nicht die Wünsche der Anderen erfülle, werde ich abgelehnt und mit Zorn oder Liebesentzug bestraft, so wie ich es durch meine Mutter immer wieder erfahren habe. Fehlverhalten muss ich durch selbstaufopferndes Verhalten wiedergutmachen, um die Zuneigung der anderen zu sichern“. Das zornige vorwurfsvolle Verhalten gegenüber der Pflegekraft stellte einen unbewussten Rollenumkehrtest dar. Die Pflegekraft wurde in die Situation gebracht, in der die Patientin sich sonst immer gegenüber der Mutter befand, sich nämlich nicht ausreichend zu kümmern. Wie es für Rollenumkehrtests typisch ist, reagierte die Pflegekraft ihrerseits mit Verärgerung. Starke emotionale Gegenübertragungsreaktionen sind Hinweise auf solche Rollenumkehrtests. Der Patient lässt dadurch unbewusst den Therapeuten spüren, wie misslich er sich selbst in diesen Situationen immer wieder gefühlt hat.

Deswegen können solche Rollenumkehrtests, wenn sie als solche verstanden werden, zur Verbesserung der therapeutischen Empathie führen. Die Benennung der Gegenübertragung durch die Pflegekraft („Ihre Vorwürfen haben mich geärgert“) stellt eine Intervention dar, die als „pro-plan“ zu bezeichnen ist. Sie besteht den Test partiell insofern, als sie auf die ungerechtfertigten Vorwürfe der Patientin nicht ihrerseits mit Rechtfertigungen und verstärkten Bemühungen reagiert. Damit zeigt sie der Patientin eine alternative Verhaltensweise zu der auf, die sie selbst über Jahre praktiziert hat.

Wenn Tests bestanden werden, folgen oft weitere, weil Patienten die ganze Therapiezeit nutzen, um die tief wurzelnden pathogenen Überzeugungen aus verschiedenster Perspektive immer wieder zu testen. Auch der emotionale Rückzug kann als Rollenumkehrtest verstanden werden. Die Patientin testet unbewusst, wie das Team auf den „Liebesentzug“ und das Schweigen reagiert, das sie bei der Mutter immer wieder aushalten musste. Die Stationsärztin besteht diesen neuen Test, indem sie sich einerseits kümmert (zusätzlicher Termin) und sich andererseits abgrenzt (keine Rechtfertigung wegen des eigenen Umgangs mit dem Problem des Datenlecks), der Patientin deren Verhalten deutet und damit Einsicht vermittelt und gleichzeitig Verständnis an den Tag legt.

Der bestandene Test führt am Folgetag zu einer Verdichtung des Materials durch die Patientin. Sie kann ihr Verhalten des übermäßigen Bemühens um eine Mitpatientin nun einordnen und Einsicht in ihre pathogenen Verhaltensweisen entwickeln.

Resümee

Die CMT ist eine tiefenpsychologisch fundierte Behandlungstechnik, die auf dem Konzept der Beziehungstests aufbaut. Der Therapeut fokussiert darauf, dem Patienten emotional korrigierende Beziehungserfahrungen zu vermitteln, verbal oder behavioral, damit dieser pathogene Überzeugungen überwinden und Symptome reduzieren kann. Die Theorie kann hilfreich sein, sich im therapeutischen Prozess zu orientieren, Verhaltensweisen des Patienten zu verstehen und hilfreich zu intervenieren. Insbesondere Rollenumkehrtests, die oft starke negative Gegenübertragungen beim Therapeuten hervorrufen, weil sie den Therapeuten in die Situation bringen, wie der Patient sie leidvoll erlebt hat, können durch das Testkonzept manchmal gut eingeordnet werden.

Um die Probehandlungen verstehen zu können, ist die detaillierte Kenntnis der Biografie erforderlich. Denn ähnliche Handlungen können bei Patienten, die unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht haben, ganz unterschiedliche Reaktionen des Therapeuten benötigen. Dies ist an dem einfachen Beispiel der Unpünktlichkeit zu verdeutlichen. Ein Patient, der in der Kindheit überstreng und rigide erzogen worden ist, kann unbewusst auf eine gewährende und nachsichtige Haltung des Therapeuten im Sinne der emotional korrigierenden Erfahrung hoffen, wenn er zu spät kommt. Ein anderer, der in der Kindheit zu wenig beachtet wurde, wird eher auf eine Grenzen setzende Intervention des Therapeuten hoffen. Beim ersten Patienten könnte dies die pathogene Überzeugung widerlegen, dass er sich übermäßig unterordnen muss, beim zweiten Patienten, dass seine Abwesenheit „egal“ ist, weil sich der Therapeut ohnehin nicht für ihn interessiert. An diesem Beispiel der differenzierten therapeutischen Reaktion auf gleiche Probehandlungen wird auch deutlich, dass die CMT manchmal schwer umsetzbar sein kann. Dies betrifft v. a. den stationären Kontext, in dem Stationsregeln zu vertreten sind und es schwer möglich ist, „mit zweierlei Maß“ zu messen.

Da die CMT eine Theorie der Behandlungstechnik ist, die auf allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie beruht, gibt es außer diesen praktischen Problemen des Settings aus theoretischer Perspektive keine Kontraindikationen und keine besonderen störungsspezifischen Überlegungen. Allerdings wurde dies bisher nicht empirisch untersucht. Es besteht hier weiterer Forschungsbedarf.

Ein besonderes Merkmal der Theorie ist es, dass sie einerseits genaue Vorstellungen über wirksames therapeutisches Handeln zur Verfügung stellt und dass sie andererseits einen breiten Spielraum für die Form und Art der Intervention lässt. Dies ermöglicht, Interventionen einerseits theoriekonform und andererseits in Übereinstimmung mit der eigenen theoretischen Orientierung und Therapeutenpersönlichkeit zu realisieren. Dies ist kompatibel mit metatheoretischen Vorstellungen zur Psychotherapie, wonach die Interventionstechnik hauptsächlich insofern bedeutsam ist, als sie durch die Realisierung von generellen Wirkfaktoren Anstöße zu Veränderungen gibt (Schiepek 2015).

Das Konzept des Probehandelns stellt auch einen Zugang dafür bereit, die Ergebnisse der Rupture-repair-Forschung zu erklären. Plötzliche sprunghafte positive Veränderungen der Befindlichkeit nach kritischen Momenten in der Therapie (Gumz 2012; Lutz et al. 2013) können durch bestandene „große Tests“ in der Therapie erklärt werden (Sammet 2015).

Bedeutsam ist überdies, dass in der CMT Vorstellungen darüber präzisiert und empirisch untersucht worden sind, wie die Wirksamkeit der therapeutischen Interventionen im therapeutischen Prozess konkret an der Reaktion des Patienten beobachtet werden kann, etwa an der Verdichtung das narrativen Materials. Dadurch wird es möglich, der Dynamik und der Fortentwicklung des Prozesses systematisches Augenmerk zu widmen.

Die theoretischen Grundlagen der CMT sind leicht und schnell zu verstehen. Eventuell wird der CMT zu Recht der Vorwurf entgegengebracht, zu einfach zu sein und andere Theorien der Pathogenese psychischer Störungen zu wenig einzubeziehen. Allerdings kann ihre Anwendung keinesfalls dem Einfachprinzip folgen, sondern der Therapeut muss über ein breites tiefenpsychologisches Wissen verfügen, um die Beziehungstests des Patienten vor dem Hintergrund dessen lebensgeschichtlichen Erfahrungen erkennen und interpretieren zu können. Eine entsprechende tiefenpsychologische Ausbildung ist deswegen nicht zu ersetzen. Nur so sollte die CMT verstanden werden. Anzumerken ist auch, dass in vielen Theorien der Psychopathologie Modelle existieren, die den „pathogenen Überzeugungen“ ähnlich sind (z. B. „irrationale, dysfunktionale“ Kognitionen in der Verhaltenstherapie oder „innere Arbeitsmodelle“ in der Bindungstheorie). Auch schlägt die CMT keineswegs neue therapeutische Wege vor, sondern hat lediglich das schon alte Konzept der korrigierenden Beziehungserfahrung (Alexander und French 1946) systematisch weiterentwickelt und therapeutisch gut fassbar gemacht.

Ein besonderes Merkmal der CMT ist jedoch, dass ihre tiefenpsychologischen Annahmen über das Unbewusste in vielen Einzelfallstudien der empirischen Überprüfung unterzogen wurden. Da tiefenpsychologische Konzepte insbesondere in Bezug auf ihre Wirkmechanismen noch immer viel zu wenig empirisch überprüft worden sind, gibt dies der CMT einen besonderen Stellenwert in der tiefenpsychologischen therapeutischen Landschaft. Vor diesem Hintergrund könnte sie einen kleinen Brückenbaustein bilden zwischen Diagnostik und Therapie. Denn beispielsweise liegt mit der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD; Arbeitskreis OPD 2004) ein elaboriertes diagnostisches Manual der psychodynamischen Diagnostik vor, während Konzeptualisierungen der darauf bezogenen Behandlungstechniken noch fehlen.

Fazit für die Praxis

  • Aufgrund traumatischer Erfahrungen in der Kindheit können sich dysfunktionale Annahmen über die Umwelt, pathogene Überzeugungen, entwickeln. Hierbei unterscheidet die CMT zwischen auslösenden Schock- und Stresstraumen.

  • Der Patient stellt den Therapeuten, wenn er sich in der therapeutischen Beziehung sicher fühlt, unbewusst auf die Probe, um korrigierende emotionale Erfahrungen machen zu können.

  • Dieser Überwindung pathogener Überzeugungen liegt ein unbewusster Plan des Patienten zugrunde.

  • Die Widerlegung von pathogenen Überzeugungen erfolgt anhand von Beziehungstests in der therapeutischen Interaktion (Übertragungs- und Rollenumkehrtests). Ein erfolgreich durchgeführter Test geht mit einer Verbesserung des Vertrauens, der Einsichtsfähigkeit und der Symptomlast aufseiten des Patienten einher.

  • Je mehr der Therapeut die pathogenen Überzeugungen widerlegt und die Beziehungstests des Patienten besteht, desto bessere Therapierergebnisse werden erzielt.