Lernziele

Nach Lektüre des Beitrags …

  • kennen Sie die wesentlichen Schritte zur Diagnosefindung bei der Myasthenia gravis,

  • sind Sie mit den Besonderheiten der MuSK (muskelspezifischen Kinase) -Antikörper-positiven Myasthenia gravis vertraut,

  • kennen Sie wesentliche Differenzialdiagnosen und die Bedeutung der Antikörperdiagnostik,

  • kennen Sie die Basis- und Eskalationstherapien bei der Myasthenia gravis.

Hintergrund

Die Myasthenia gravis (MG) ist eine Autoimmunkrankheit mit belastungsabhängiger Muskelschwäche, verursacht durch Antikörper (Ak) gegen Acetylcholin(ACh)-Rezeptoren, eine muskelspezifische Kinase (MuSK) bzw. weitere Strukturmoleküle der neuromuskulären Endplattenregion. Eine generalisierte oder isoliert okuläre Manifestation, der Antikörperstatus und ein Thymomnachweis formen Untergruppen (Tab. 1: US-Myasthenia gravis-Gesellschaft), die Therapie und Prognose beeinflussen [1].

Tab. 1 Klinische Klassifikation der Myasthenia gravis nach Ossermann/MGFA [2]

Epidemiologie und Verlauf

Die MG ist mit einer Inzidenz von 8–10/1 Mio. und einer Prävalenz von ca. 200/1 Mio. selten [3]. Vor dem 50. Lebensjahr dominieren Frauen deutlich, und es gibt eine höhere Komorbidität mit Autoimmunkrankheiten [4]. Immuntherapie und die Entwicklung der Intensivmedizin haben die Prognose der MG inzwischen so weit verbessert, dass 85 % der MG-Patienten volle Lebensqualität erlangen [5]. Die Mortalität der myasthenen Krise liegt nur noch bei 2 % [6], die Lebenserwartung gilt als nicht beeinträchtigt [7]. Etwa 15 % der MG-Patienten lassen sich mittels Immunsuppressiva schwer einstellen und sind mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität belastet [8]. Risikofaktoren für ungünstige Verläufe sind früher Krankheitsbeginn, damit verknüpft weibliches Geschlecht sowie MuSK-Antikörper und Thymom [9].

Merke.

85 % der Patienten erreichen eine gute Lebensqualität ohne Beeinträchtigung der Lebenserwartung, wenn sie konsequent behandelt werden.

Symptomatik

Grundsätzlich muss zwischen rein okulärer und generalisierter Myasthenie unterschieden werden (Tab. 1). Die kennzeichnende isolierte Skelettmuskelschwäche ist meist generalisiert, meist proximal betont und weitgehend symmetrisch. Sie bezieht fast immer einzelne Augenmuskeln und die Lidheber (auch einseitig) mit ein. Es ist unklar, warum intraindividuell nicht alle Muskeln gleichförmig betroffen werden. Anfangs wird eine rasche Erschöpfbarkeit bei anhaltender/repetitiver Muskelarbeit beklagt. Die Symptome fluktuieren belastungsabhängig und nehmen daher im Tagesverlauf oder nach vermehrter Belastung zu (Ptose, Doppelbilder, Schluck‑, Kau- und Sprechstörungen, Kopfhalteschwäche, proximale Schwäche mit Einschränkung z. B. beim Treppensteigen oder Überkopfarbeiten). Permanente Paresen finden sich erst bei schwerer Krankheit.

Merke.

Kennzeichnend für die Myasthenie ist eine vorzeitige, passagere Erschöpfbarkeit der Kraft und erst im weiteren Verlauf eine andauernde Schwäche.

Selbst wenn okuläre Symptome die einzige Beeinträchtigung darstellen, muss bei 85–90 % mit einer Generalisierung der MG bis zu 2 Jahre lang gerechnet werden [1].

Merke.

Die isoliert okuläre MG wird in der Regel zunächst symptomatisch, bei Beschwerdepersistenz ggf. ergänzend mit Glukokortikoiden behandelt.

Bei einer intensivmedizinisch zu behandelnden myasthenen Ateminsuffizienz und/oder manifester Schluckstörung spricht man von einer myasthenen Krise [10]. Diese wird oft durch Infekte, perioperativen Stress oder auch medikamentös getriggert.

Merke.

Typische Auslöser für krisenhafte Verschlechterungen sind v. a. Infekte, Operationen oder Medikamente.

Eine lange Reihe von Substanzen interagiert mit der neuromuskulären Übertragung. Nur d‑Penicillamin und Chloroquin können selbst eine nach Absetzen wieder reversible autoimmune AChR-Ak-positive MG auslösen. Praktische Relevanz besitzen für Myastheniker ansonsten nur kurarisierende Muskelrelaxanzien, Benzodiazepine und die Antibiotikaklassen Aminoglycoside, Gyrasehemmer, Makrolide und Ketolide, deren Anwendung von der Stärke ihrer Indikation in Abwägung gegen die mäßige Verschlechterung einer myasthenen Schwäche abhängt.

Diagnostik

Klinisch charakteristisch ist eine Abnahme der Kraft bei kontinuierlichen Halteversuchen oder bei wiederholter Beanspruchung der betroffenen Muskelgruppen (Vigorimetrie, Treppensteigen), zunehmende Ptose/Doppelbilder beim längeren Blick in eine Richtung, verbessert durch Auflegen eines Eisbeutels („ice pack test“; [11]), eine versiegende Stimmkraft (Dysarthrophonie) oder ein schwacher Hustenstoß.

Die Dokumentation der Untersuchungsbefunde sollte anhand eines Scores strukturiert erfolgen (Beispiel s. Tab. 2), um den longitudinalen Verlauf und Medikamenteneffekte belegen zu können.

Tab. 2 Myasthenie-Score nach Besinger und Toyka [12]

Das myasthene Syndrom wird elektrophysiologisch in 80 % der generalisierten Myastheniefälle bestätigt durch eine supramaximale 3/s-Serienreizung motorischer Nerven vor und nach Muskelarbeit (N. accessorius – Ableitung: M. trapezius, N. facialis – M. orbicularis oculi, N. axillaris – M. deltoideus). Dies führt häufig zu einer charakteristischen Abnahme (Dekrement) von Fläche und Amplitude des Muskelantwortpotenzials um >10 % mit einem Minimum nach 4 bis 6 Reizen. So lässt sich auch bei ca. 20 % der klinisch rein okulären Myasthenien eine Generalisierung belegen.

Ex juvantibus bestätigt sich die Diagnose durch Verabreichung eines ACh-Esterasehemmers, was die Verfügbarkeit von ACh an der Endplatte steigert. 2 mg Edrophonium i.v. oder 0,5–1 mg Neostigmin i.v. bessern die Schwäche prompt, 60 mg orales Pyridostigmin nach ca. 30 min [10].

Cave!

Bei Injektion muskarinerge Nebenwirkungen (Bradykardie, Speichelfluss, Tenesmen)!

Die Antikörperdiagnostik ist diagnostisch wegweisend und relevant für die Therapieplanung. Bestimmt werden sollten Anti-AChR-Ak und bei negativem Ergebnis Anti-MuSK-Ak.

Merke.

Das Fehlen von AChR- oder MuSK-Ak schließt das Vorliegen einer MG nicht aus.

Die Titerhöhe der AChR-Ak korreliert interindividuell nicht mit der Schwere der Erkrankung, aber eignet sich intraindividuell als Verlaufsparameter. Bei isoliert okulärer MG ist nur bei der Hälfte der Patienten AChR-Ak nachweisbar [13]. Bei AChR- und MuSk-Ak-negativen MG-Patienten sollte man die Testung nach 6 bis 12 Monaten wiederholen. Bei positiven AChR-Ak können zusätzliche Titin-Ak auf ein Thymom hinweisen.

Merke.

Die klinische Verdachtsdiagnose wird bestätigt durch repetitive Nervenstimulation und Ex-juvantibus-Verabreichung eines ACh-Esterasehemmers. Sie wird bewiesen durch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen AChR oder MuSK.

Bei jeder MG muss ein Thymom mittels Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) gesucht werden. Bei 15 % der MG-Patienten liegen weitere Autoimmunkrankheiten vor [14], v. a. Thyreoiditis, Lupus erythematodes und rheumatische Arthritis, bei Thymom auch hämatologische Krankheiten.

Merke.

Bei jedem Myastheniepatienten muss ein Thymom gesucht werden.

Pathogenese und Antikörper

Die MG gehört zu den am besten charakterisierten Autoimmunerkrankungen. Sie lässt sich in Versuchstieren durch Immunisierung mit dem AChR induzieren, durch T‑Helfer-Zellen und Anti-AChR-Ak kann die Krankheit von diesen Versuchstieren auf gesunde Tiere übertragen werden. Man geht beim Menschen davon aus, dass unter dem Einfluss des Thymus gegen AChR gerichtete autoreaktive T‑Zellen generiert werden, die wiederum B‑Zellen zur Produktion von AChR-Ak stimulieren, die die MG kausal verursachen [15]. Die Ak beinträchtigen direkt die neuromuskuläre Transmission (blockierende Ak) bzw. zerstören über die Aktivierung des Komplementsystems die Rezeptoren [16]. Die Pathophysiologie der anti-MuSK-vermittelten MG ist weniger gut verstanden, der Thymus spielt hier keine Rolle. Durch die Ak-Wirkung sinkt der sog. Sicherheitsfaktor der neuromuskulären Übertragung, also die natürliche Reservemenge von ACh und freier Rezeptoren an der Synapse, was die Belastungsabhängigkeit der Symptome erklärt.

Der Thymus spielt bei der AChR-Ak positiven MG eine pathogenetische Rolle [17]. 10 % der MG-Patienten haben ein Thymom, was mit Titin- und Ryanodinrezeptorantikörpern assoziiert ist. Diese führen zwar nicht zu Muskelschwäche, sprechen aber für einen schwereren Krankheitsverlauf [18]. Liegt ein Thymom vor, dann handelt es sich um eine paraneoplastische MG.

Bei 90 % der generalisierten MG-Patienten finden sich Ak [19]. Es gibt auch doppelt positive Patienten (z. B. gleichzeitig gegen AChR und Titin, häufig thymomassoziiert). Eine „Ak-negative“ MG ist auf mangelnde Testsensitivität zurückzuführen. Am häufigsten sind die direkt gegen den Rezeptor gerichteten AChR-Ak. Bei <10 % der MG-Patienten finden sich Ak gegen die muskelspezifische Kinase (MuSK), so gut wie nie bei isoliert okulärer MG [20]. MuSK ist ein für die Funktion des AChR notwendiges Protein der postsynaptischen Membran. Verglichen mit AChR-Ak-positiven Patienten hat nur ein Drittel okuläre Symptome, sie zeigen initial meist eine faziobulbäre Schwäche, oft mit Muskelatrophien, und haben schwerere und weniger fluktuierende Verläufe. Sie sprechen schlechter auf die Standardtherapie an.

„Lipoprotein-related protein 4“(LRP4)-Ak (1–3 %), deren Nachweis nur in wenigen Laboren möglich ist, scheinen mit milderen Verläufen assoziiert zu sein [21]. LRP4 wird in der Muskelmembran exprimiert und ist ein Aktivator von MuSK. Der Nachweis von MuSK- oder LRP4-Ak-spricht gegen ein koinzidentes Thymom [1]. Die seltenen Agrin-Ak beeinflussen den Krankheitsverlauf wahrscheinlich nicht [22].

Merke.

Ak gegen ACh-Rezeptor, muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK), „lipoprotein-related protein 4“ (LRP4), Agrin, Ryanodinrezeptor und Titin haben jeweils unterschiedliche Bedeutung.

Differenzialdiagnosen

Das seltene Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS) ist von der MG abzugrenzen [23]. Der Schwerpunkt der Muskelschwäche liegt proximal. Im Gegensatz zur MG nimmt die Kraft bei repetitiver Muskelbeanspruchung zunächst zu, um sich dann wie bei der MG zu erschöpfen. Ein weiteres Zeichen sind schwach auslösbare Muskeleigenreflexe, die bei wiederholter Auslösung lebhafter werden, und eine ausgeprägte Mundtrockenheit. Bei der Neurographie findet sich bereits bei Einzelstimulation eine niedrige EMAP (evozierte Muskelaktionspotenzial)-Amplitude, die ab der zweiten Stimulation ansteigt (Inkrement). Beweisend ist ein Inkrement bei 20/s-Reizung.

Ursächlich sind Ak gegen den präsynaptischen spannungsabhängigen Kalziumkanal, die die Freisetzung von ACh blockieren, was auch die zusätzlichen muskarinergen Mangelsymptome (Mundtrockenheit, Akkommodationsstarre, leichte Mydriasis, Obstipation) erklärt. Das LEMS gilt als paraneoplastisches Syndrom und ist zu zwei Drittel assoziiert mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom, kann aber auch idiopathisch autoimmun verursacht sein. Das LEMS wird symptomatisch mit 3,4-Diaminopyridin oder Amifampridin behandelt. Bei paraneoplastischer Genese steht zunächst die Beherrschung des Tumorleidens mit Chemotherapie, Operation und Bestrahlung im Vordergrund, häufig ist aber wie bei den rein autoimmunen LEMS-Manifestationen eine Langzeitimmunsuppression erforderlich.

Ein myasthenes Syndrom plötzlich aus voller Gesundheit heraus verbunden mit muskarinerger Mangelinnervation spricht für Botulismus ([24]; verursacht durch Wunden oder schlecht konservierte Lebensmittel). Das Clostridien-Toxin blockiert die präsynaptische ACh-Freisetzung irreversibel. Die Serienreizung ergibt wie bei LEMS ein Inkrement. ACh-Esterasehemmer wirken ebenso prompt wie bei der MG. Die kausale Behandlung besteht aus einer Gabe von Antitoxin sowie ggf. aus Wunddébridement und Penicillin G.

Merke.

Relevante Differenzialdiagnosen der MG sind das Lambert-Eaton-Syndrom und Botulismus.

Mit Intoxikationen durch inzwischen verbotene Organophosphate ist kaum noch zu rechnen. Diese irreversiblen Hemmer der ACh-Esterase führen zu einem massiven Überschuss von ACh im synaptischen Spalt. Leitsymptom ist nicht Schwäche, sondern massive Bradykardie, Speichelfluss, exzessives Schwitzen und Durchfälle. Die Behandlung besteht aus Aktivkohle, Magenspülung sowie Atropin in ganz ungewöhnlich hoher Dosis bis in den Grammbereich (!). Evtl. kann das Antidot Obidoxim versucht werden.

Therapie

Thymektomie

Findet sich in der Thorax-CT oder -MRT eine Raumforderung im vorderen Mediastinum, dann ist eine operative Exploration unabhängig von der MG-Variante zum Auschluss eines Thymoms/Malignoms notwendig. Bei der AChR-positiven generalisierten MG ist der über Jahre günstige krankheitsmodifizierende Effekt einer elektiven Thymektomie nach der Pubertät und vor dem 60. Lebensjahr belegt (Reduktion der notwendigen Kortisondosis und Verbesserung der Lebensqualität; [25]). Sie sollte möglichst früh im Krankheitsverlauf stattfinden. Bei der okulären MG wird die Operation in der Regel nicht empfohlen [13]. Sie hat auch keinen therapeutischen Effekt bei der MusK- und LRP4-Ak-positiven MG und der Gruppe der seronegativen MG [26].

Merke.

Bei jeder neu diagnostizierten MG muss die Indikation zur Thymektomie geprüft werden.

Für eine Thymektomie müssen MG-Patienten in einem gut kompensierten Zustand sein, sonst droht durch die Operation selbst eine krisenhafte Verschlechterung. Der Effekt auf den MG-Verlauf hängt wesentlich von der vollständigen Thymusentfernung ab. Inzwischen sind die Ergebnisse minimal-invasiver Verfahren mit denen der offenen Thorakotomie annähernd vergleichbar, aber das Operationsverfahren bleibt eine individuelle Entscheidung [27]. Postoperativ muss die Myastheniemedikation zunächst fortgeführt werden und kann dann je nach klinischem Verlauf allmählich reduziert bzw. ganz abgesetzt werden. Nur beim Nachweis von Thymomen/Thymuskarzinomen sind regelmäßige CT- oder MRT-Kontrollen in Abhängigkeit der Tumormanifestation erforderlich [28], ansonsten bei thymektomierten Patienten nur dann, wenn sich der klinische Befund verschlechtert, um einen Thymusrest als Ursache auszuschließen.

Symptomatische Therapie

Acetylcholinesterasehemmer (Pyridostigmin p.o., Neostigmin i.v.) bessern die Erschöpfbarkeit und Schwäche bei den meisten Myastheniepatienten, indem sie den Abbau von ACh nach Bindung an die postsynaptischen Rezeptoren vermindern [29]. Die Dosis richtet sich nach dem Erfolg und den limitierenden muskarinergen Nebenwirkungen. Oral beginnt man z. B. mit 3‑mal 60 mg und steigert nach Wirkung und Verträglichkeit. Unter 300 mg Tagesdosis ist kaum mit Nebenwirkungen zu rechnen. Retard-Präparate (180 mg) eignen sich besonders gut zur Überbrückung der Nacht. Wenn mild betroffene Patienten mit diesen Medikamenten zufriedenstellend einzustellen sind, kann es dabei belassen werden. Bei der MuSK-positiven MG ist der Effekt deutlich geringer ausgeprägt [20]. In diesen Fällen kann 3,4-Diaminopyridin versuchsweise eingesetzt werden.

Merke.

Kennzeichen der MuSK-positiven MG sind bulbärer Schwerpunkt, Muskelatrophien, relativ schlechtes Ansprechen auch hoher ACh-Esterasehemmer-Dosen und ein fehlender krankheitsmodifizierender Effekt der Thymektomie.

Immunsuppressive Therapie

Patienten mit generalisierter MG benötigen in der Regel eine Langzeitimmunsuppression. Es wird eine Symptomfreiheit für 2 bis 3 Jahre angestrebt, dann kann die Immunsuppression zunächst versuchsweise reduziert bzw. abgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die AChR-Ak-positive MG nach erfolgter Thymektomie. Das individuelle Ansprechen auf einzelne Immunsuppressiva ist nicht vorhersehbar, größere placebokontrollierte Studien liegen nicht vor, sodass die meisten Empfehlungen auf Expertenkonsens beruhen [30, 31], wobei sich bei den Ak-positiven MG-Formen der Therapieerfolg am Titerverlauf objektivieren lässt.

Die okuläre MG wird zunächst nur symptomatisch bzw. vorübergehend ergänzend mit Glukokortikoiden und nur in Ausnahmefällen immunsuppressiv behandelt.

Merke.

Nur einzelne (okuläre) Patienten kann man ohne Immuntherapie ausreichend behandeln.

Die Erstlinienbehandlung besteht aus Glukokortikoiden (GK; Prednison oder Prednisolon) plus Azathioprin [13, 18]. Man steigert die GK-Dosis langsam von 20 auf 60–80 mg/Tag bis zur stabilen Symptomkontrolle. Bei Patienten mit bulbärer Symptomatik oder bereits kritischer Atemsituation ist Vorsicht geboten, weil Steroide ihrerseits in den ersten Tagen die neuromuskuläre Übertragung vorübergehend beeinträchtigen können. Der gewünschte Therapieeffekt ist nach ca. einem Monat zu erwarten. Wenn Symptomkontrolle erreicht ist, kann die Dosis langsam wieder auf 10–40 mg/Tag reduziert werden. Das trifft vor allem für die okuläre MG zu, solange keine Zusatzfaktoren wie Thymom, AChR-Ak oder Generalisierung bei der Nervenstimulation vorliegen [32].

Additives Azathioprin (AZA) verbessert die Effizienz und verringert die GK-Dosis und damit Nebenwirkungen von GK [33]. Es sollte zugleich mit der GK-Behandlung initiiert werden. Der Purinantagonist hemmt v. a. die B‑ und T‑Zell-Proliferation. Das Behandlungsziel besteht in einer Lymphozytenzahl von 600–1200/μl (bei >4 G/l [Giga pro Liter] Leukozyten), die meist mit einer Tagesdosis von 2–3 mg/kgKG/Tag (verteilt auf 3 Einzeldosen) erreicht wird. Toxische Nebenwirkungen sind Unwohlsein, Erhöhung der Transaminasen, Fieber und Übelkeit. Nachdem es idiosynkratische Unverträglichkeiten gibt, empfiehlt sich vorab die Verabreichung einer Testdosis von 25–50 mg. Der seltene Mangel an Thiopurinmethyltranferase rechtfertigt kaum die Enzymbestimmung [34]. Der therapeutische AZA-Effekt tritt erst verzögert mit einer Latenz von bis zu 6 Monaten ein, die Steroidgabe wird entsprechend allmählich reduziert mit dem Ziel des vollständigen Absetzens.

Merke.

Die primäre Immuntherapie besteht aus Glukokortikoiden plus Azathioprin.

Bei AZA-Unverträglichkeit bzw. unzureichendem Ansprechen ist die Reihenfolge der alternativen Immunsuppressiva nicht durch Studien abgesichert. In erster Linie kommt Cyclosporin A in Betracht (3–5 mg/kgKG/Tag; cave Blutdruckerhöhung und Niereninsuffizienz), alternativ kann der Purinsyntheseblocker Mycophenolatmofetil (1,5–2 g/Tag; Kontraindikation Schwangerschaft) eingesetzt werden [35], wobei Komorbiditäten wie Hypertonus und Niereninsuffizienz häufig für die Wahl ausschlaggebend sind. In der nächsten Eskalationsstufe kommt zunehmend Rituximab [36] zum Einsatz, das zu einer Depletion von B‑Zellen führt. In unkontrollierten Fallserien war es insbesondere bei der MuSK-positiven therapierefraktären MG wirksam [36, 37, 38, 39]. Nach myasthenen Krisen bevorzugen wir wegen des schnell einsetzenden immunsuppressiven Effekts eine i.v. Pulstherapie mit Cyclophosphamid in Analogie zum Vorgehen bei schweren SLE (systemischer Lupus erythematodes) -Verläufen, was aber mit einem höheren Infektrisiko belastet ist, mit Deeskalation nach Stabilisierung der MG. Es handelt sich hierbei immer um individuell zu treffende Therapieentscheidungen in Abwägung der Krankheitsschwere und Komorbiditäten (Übersicht bei [36]).

Merke.

Zahleiche Immunsuppressiva mit unterschiedlichem Nebenwirkungsprofil sind als Alternativbehandlungen bei unzureichender Wirkung von GK + AZA gestützt auf Fallserien etabliert.

Seit 2018 steht mit der Komplementblockade durch Eculizumab eine neue Therapiemöglichkeit mit Zulassung für die „therapierefraktäre“ generalisierte AChR-Ak-positive MG zur Verfügung, obwohl der primäre Studienendpunkt nicht erreicht wurde [40]. Eculizumab blockiert die Spaltung von Komplementfaktor 5 in seine aktiven Komponenten C5a und C5b und damit die Bildung des terminalen Komplementkomplexes C5b‑9, der die AChR-Ak-vermittelte Zerstörung von AChR vermittelt. Die anhaltende Wirksamkeit und gute Verträglichkeit konnte in einer kürzlich abgeschlossenen Extensionsstudie belegt werden [41].

Formale Voraussetzung für den Einsatz sind das unzureichende Ansprechen auf zwei Immunsuppressiva bzw. Plasmaaustauschverfahren [42]. Eculizumab muss mit Immunsuppressiva kombiniert gegeben werden, da es nur Effektormechanismen, aber nicht die Autoantikörperproduktion selbst blockiert. Da das Komplementsystem eine entscheidende Rolle bei der Abwehr gegen Meningokokkeninfektionen spielt, ist ein Impfschutz bzw. vorübergehend eine antibiotische Begleitprophylaxe zwingend erforderlich.

Zum genauen Prozedere, der Dosierung und der Begleitmedikation sei auf die Fachinformation verwiesen. Nach einer 4‑wöchigen Eindosierungsphase sind 2‑wöchentliche i.v. Gaben von je 1200 mg erforderlich. Jede Einzelgabe verursacht Kosten von über 20.000 €. Damit stellt sich die Frage, inwieweit vergleichbare Therapieerfolge nicht auch durch andere preiswertere Immunsuppressiva wie z. B. Rituxumab zu erzielen sind. Hier fehlen von der öffentlichen Hand finanzierte Vergleichsstudien. Nach Empfehlung des Ärztlichen Beirats der Deutschen Myasthenie-Gesellschaft [43] soll die Behandlung in einem erfahrenen MG-Zentrum erfolgen und der Behandlungserfolg und die weitere Behandlungsnotwendigkeit nach 6 und 12 Monaten überprüft werden; eine weitere Stellungnahme zum differenziellen Einsatz unter o. g. Gesichtspunkten ist nicht erfolgt. Der Einsatz von Immuntherapeutika in der Eskalalationsphase bei einer schwer einstellbaren MG erfordert aus unserer Sicht die Berücksichtigung vieler Gesichtspunkte, wobei Infektanfälligkeit, Notwendigkeit eines raschen therapeutischen Effekts, Logistik der i.v.-Therapie mit häufigen Zentrumsbesuchen (z. B. mit langer Anreise) gegenüber den Kosten individuell abgewogen werden müssen.

Merke.

Bei sonst „therapierefraktärem“ Verlauf kann bei der generalisierten AChR-Ak-positiven MG Eculizumab, ein Komplementinhibitor, ergänzend als nichtimmunsuppressives zugelassenes Medikament zur Anwendung kommen.

Krisenbehandlung

Da sich bei einer Verschlechterung mit zunehmender Symptomfluktuation die weitere Dynamik nicht vorhersagen lässt, sollte eine Aufnahme auf die Intensivstation großzügig bereits vor dem Eintreten von Gehunfähigkeit, Kopfhalteschwäche, Aspiration oder respiratorischer Insuffizienz erfolgen. Zum allgemeinen intensivmedizinischen Management von Monitoring, Analgosedierung, Beatmung und Beatmungsentwöhnung sei auf Übersichtsarbeiten verwiesen [10]. Erwähnenswert ist, dass relativ hohe Dosen von Esterasehemmern (Neostigmin i.v. 0,2–0,8 mg/h) verabreicht werden können, die eine Beatmung zwar hinauszögern, aber selten abwenden. Die Rückumstellung von Neostigmin i.v. auf orales Pyrodistigmin erfolgt im Verhältnis 1:60 mg.

Merke.

MG-Patienten mit rapider oder fluktuierender klinischer Verschlechterung sollten auf einer Intensivstation behandelt werden.

Wenn die symptomatische und bisherige immunsuppressive Therapie eine Verschlechterung in einer Krise nicht abwenden oder aus irgendwelchen Gründen nicht zur Anwendung kommen kann, müssen die Ak durch Plasmaaustauschverfahren (PE) rasch beseitigt oder durch i.v.-Immunglobulingabe (IVIG) eliminert/blockiert werden. Beide Verfahren haben einen ähnlich ausgeprägten [44], aber nur wenige Wochen anhaltenden Effekt.

Wir bevorzugen in der Krise Plasmaaustausch, weil er die Antikörpertiter schneller absenkt und etwas rascher die Ateminsuffizienz bessert [45]. Die Alternative IVIG 0,4 g/kgKG/Tag über 5 Tage oder bei guter Verträglichkeit je 1 g/kgKG über 1 bis 2 Tage [46] setzen wir v. a. bei Kontraindikationen gegen die Austauschverfahren ein [10]. Bei bereits beatmeten Patienten kann man sofort hohe GK-Dosen von 250 (bis 500) mg/Tag geben, um einen schnellen Rebound der Antikörperproduktion zu verhindern [47]. Zum Erzielen einer stabilen Situation über die Krise hinaus bleibt eine Langzeitimmunsuppression stets notwendig.

Merke.

Zur Abwendung und Behandlung krisenhafter Verschlechterungen stellen Plasmaaustausch und i.v.-Immunglobuline wirksame Verfahren dar.

MG und Schwangerschaft

Unter Immunsuppression ist auf eine sicher wirksame Kontrazeption zu achten. Bei der Planung einer Schwangerschaft müssen Methotrexat und Myocophenolat 3 Monate bzw. 6 Wochen zuvor abgesetzt und ein Abstand von einem Jahr zur letzten Rituximab-Gabe eingehalten werden [48]. Der Verlauf der MG scheint durch Schwangerschaft nicht ungünstig beeinflusst zu werden, wobei eine postpartale Verschlechterung durch Rekonstitution des Immunsystems in den ersten Monaten geläufig ist [49].

Während der Schwangerschaft gelten Pyridostigmin und GK als sicher. AZA hat ein kalkulierbares teratogenes Risiko, sodass es nach strenger Güterabwägung vor allem bei MG-Patienten mit vorausgegangenen Krisen weitergegeben werden kann; die anderen o. g. Immunsuppressiva sind kontraindiziert [49]. Die Entbindung einer MG-Patientin kann auf natürlichem Wege erfolgen. Bei 10 % der Neugeborenen muss über Tage bis einzelne Wochen durch die plazentare Übertragung von Autoantikörpern mit myasthenen Symptomen gerechnet werden. Entsprechend ist eine pädiatrische Mitbetreuung bei der Entbindung zu empfehlen [50]. Auch beim Stillen können Autoantikörper und Medikamente übertragen werden. Unter Methotrexat, Mycophenolat und Rituximab ist Stillen verboten. Es ist diskutabel bei Einnahme von Cyclosporin und Azathioprin; Glukokortikoide, Pyridostigmin und IVIG gelten als unproblematisch.

Merke.

Sorgfältig bezüglich Medikamenten beraten können Myasthenikerinnen heute ein Kind meistens unproblematisch austragen.

Fazit für die Praxis

  • Aufgrund der fluktuierenden Myasthenia-gravis(MG)-Symptomatik kommt es häufig zu einer verzögerten Diagnosestellung. Charakteristisch sind eine wechselnde Ptosis, Doppelbilder, Dysathrophonie, Schluckstörungen und eine generalisierte Muskelschwäche. Diagnostisch wegweisend sind ein Dekrement nach Serienreizung, der Nachweis von Autoantikörpern und das Ansprechen auf ACh-Esteraseinhibitoren.

  • Die Therapie besteht nachrangig aus symptomatischen Maßnahmen, wesentlich auf einer langfristigen Immunsuppression und seit neuestem auch Komplementinhibition. Akute Krisen werden mit Plausmaaustausch oder Immunglobulinen, ergänzt durch intensivmedizinische Maßnahmen, überwunden. Die Wahl der Immuntherapeutika unterliegt einer Eskalationsstrategie und richtet sich nach Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie Antikörperstatus.

  • Eine Thymektomie ist bei einem Thymom immer indiziert, eine elektive Thymektomie bei AChR-Ak-positiver generalisierter MG zur günstigen Beeinflussung des Krankheitsverlaufs.