Placebo- und Noceboeffekte können als positive oder negative Behandlungseffekte umschrieben werden, die nicht den evtl. wirksamen Bestandteilen der Behandlung selbst zugeschrieben werden können [6]. Sie haben einen großen Einfluss auf die klinische Praxis, da sie die Wirksamkeit von aktiven Behandlungen steigern (Placeboeffekte), aber auch beeinträchtigen können (Noceboeffekte). Des Weiteren können Noceboeffekte unerwünschte Nebenwirkungen auslösen oder verschlimmern [10, 28]. Auch bei Pruritus spielen Placebo- und Noceboeffekte eine wichtige Rolle. Patienten, die im Zuge dermatologischer Studien mit Placebos behandelt wurden, erfuhren eine substanzielle Verringerung von Pruritus [28]. Der Kernmechanismus hinter Placebo- und Noceboeffekten sind bewusste und unbewusste Erwartungen, die durch Lernprozesse herbeigeführt werden [6]. Experimentelle Studien belegen, dass auch Pruritus durch die Induktion von positiven Placeboerwartungen verringert und durch die Induktion von negativen Noceboerwartungen verstärkt werden kann [2, 5, 27]. Als wichtigste Lernprozesse wurden hierbei verbale Suggestionen, Konditionierung und Beobachtungslernen identifiziert (Abb. 1).

Abb. 1
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Durch verbale Suggestionen, Konditionierung und Beobachtungslernen werden beim Patienten Erwartungen geweckt, die Placebo- und Noceboeffekte bei Pruritus hervorrufen können

Verbale Suggestionen sind mündliche Anweisungen über erwartete oder beabsichtigte Behandlungseffekte, die z. B. durch einen Arzt während der Sprechstunde gegeben werden (z. B. „Das Medikament, das ihnen gerade verabreicht wurde, ist für seine stark juckreizverringernde Wirkung bekannt.“) ([2, 8, 25, 29], jedoch [19, 24]).

Konditionierung verweist auf die Auswirkungen vorheriger Behandlungserfahrungen für die Wirksamkeit folgender Behandlungen. In Untersuchungen zur Rolle von Konditionierung bei Placebo- und Noceboeffekten wird ein ursprünglich neutraler Stimulus (z. B. eine wirkungslose Salbe oder Tablette) an einen unkonditionierten Stimulus, der reduziertes Jucken auslöst (z. B. reduzierte Juckreizinduktion), gekoppelt. Nach einer erfolgreichen Kopplung beider Stimuli kann allein die Verabreichung der ursprünglich wirkungslosen Salbe oder Tablette eine Reduktion von Pruritus verursachen [3, 5, 27]. Auf diese Weise wurde in einer Studie von Goebel et al. die wiederholte Gabe eines Antihistamins mit einem neuartig schmeckenden Getränk kombiniert. Nachdem anstelle des Antihistamins eine gleich aussehende Placebotablette in Kombination mit demselben Getränk verabreicht wurde, konnte mit der verringerten Quaddelgröße als Reaktion auf einen Haut-Prick-Test mit Allergenen ein Placeboeffekt beobachtet werden [13]. Konditionierte Noceboeffekte bei Pruritus im klinischen Bereich wurden z. B. bei allergischen Reaktionen nach Gabe von (Placebo‑)Medikamenten untersucht. Dazu wurde Patienten, die im Rahmen vorheriger Behandlungen unerwünschte Nebenwirkungen erlitten hatten, blind Placebomedikation verabreicht. Bis zu 27 % dieser Patienten erfuhren hierdurch Noceboreaktionen wie Pruritus [15].

Beobachtungslernen bei Placebo- und Noceboeffekten impliziert, dass ein Patient positive oder negative Behandlungseffekte bei einer anderen Person beobachtet und in dessen Folge ähnliche Behandlungseffekte erfährt [7, 20]. Dass soziale Faktoren und Beobachtungslernen gerade bei Pruritus relevant sind, wird durch das Phänomen übertragbares Jucken, das eng mit Placebo- und Noceboeffekten verwandt ist, deutlich. Dies wurde in verschiedenen Studien, in denen z. B. Videos sich kratzender Personen oder Fotos von Insekten oder allergischen Hautreaktionen gezeigt wurden, untersucht [23]. Die Beobachtung, dass Pruritus relativ einfach durch visuelle Stimuli oder nur, indem darüber geredet wird, hervorgerufen werden kann, ist als Hinweis zu deuten, dass der neurokognitiven Verarbeitung von Juckreiz eine hohe Priorität gegeben wird. Aus diesem Grund scheint Pruritus für Placebo- und Noceboeffekte besonders empfindlich zu sein [23].

Soziale Faktoren und Beobachtungslernen sind bei Pruritus relevant

Neben Lerneffekten werden Placebo- und Noceboeffekte auch stark durch Kontextfaktoren beeinflusst. Hierbei ist die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung von maßgeblicher Bedeutung. Eine warme und empathische Haltung sowie das Ernstnehmen des Patienten und Wegnehmen von Sorgen können Behandlungseffekte verbessern, besonders in Kombination mit anderen Erwartungsinduktionen wie verbalen Suggestionen [14]. Des Weiteren können auch Eigenschaften der Behandlung (z. B. Tablette oder Injektion), des Patienten (z. B. Persönlichkeitseigenschaften), des Arztes (z. B. beruflicher Status) und der Umgebung, in der die Behandlung stattfindet (z. B. vertrauenerweckende Umgebung), Placebo- und Noceboeffekte beeinflussen (z. B. [4, 6, 18]).

Kontrolle auf Placebo- und Noceboeffekte

Nicht nur in klinischen Studien, sondern auch bei der Behandlung von Patienten sind Wissenschaftler und Ärzte vorzugsweise an von Placebo- und Noceboeffekten unabhängigen, „echten“ Behandlungseffekten interessiert. Dabei umfassen klinische Studien häufig lediglich eine Interventions- und eine Placebogruppe. Ohne eine weitere Gruppe, in der der natürliche Krankheitsverlauf beobachtet werden kann, ist es in diesen Studien nicht möglich, Placeboeffekte deutlich von den „echten“ Behandlungseffekten zu trennen. Wenn für Placebo- und Noceboeffekte kontrolliert werden soll, sind zusätzliche Maßnahmen, wie z. B. weitere Kontrollgruppen, nötig [6]. Eine weitere, sehr effektive Methode, für Placebo- und Noceboeffekte zu kontrollieren, ist das Ausschalten von Erwartungen, da diese bei der Induktion von Placebo- und Noceboeffekten eine wichtige Rolle spielen. Möglich ist dies z. B. in sog. Open-hidden-Paradigmen, in denen das Medikament entweder für den Patienten sichtbar („open“) oder verdeckt („hidden“, z. B. durch eine Infusionspumpe) verabreicht wird. Studien belegen, dass die Effektivität von Medikamenten wie Schmerzmitteln (z. B. Morphin) stark beeinträchtigt wird, wenn der Patient nicht weiß, dass diese verabreicht werden [6]. Auch die Informationen, die im Rahmen klinischer Studien gegeben werden, z. B. ob ein Patient eine 50- oder 100%ige Chance auf die aktive Behandlung hat, kann Patienten stark beeinflussen. Im Idealfall umfassen Studien sowohl blinde als auch nichtblinde Gruppen, in denen das Wissen der Patienten über die gegebene Behandlung variiert. In heutigen Studien zu Pruritus wird für auf diese Weise induzierte Placebo- und Noceboeffekte leider wenig kontrolliert [28].

Therapeutische Nutzung von Placeboeffekten

Placeboeffekte werden durch die Art und Weise, wie eine Behandlung angewendet wird, beeinflusst. Um Erwartungen zu optimieren und damit Placeboeffekte bestmöglich und ethisch verantwortlich bei der Behandlung von Pruritus einzusetzen, können verschiedene Techniken zur Anwendung kommen. Eine Übersicht mit Empfehlungen von internationalen Experten aus der Placeboforschung zur Nutzung van Placeboeffekten in der Praxis wird in Kürze veröffentlicht [12]. Hinsichtlich der Arzt-Patient-Kommunikation ist es wichtig, Patienten auf eine realistische und verständliche Art über die beabsichtigten positiven Behandlungseffekte Pruritus-reduzierender Behandlungen zu informieren. Neben persönlicher Kommunikation können hierbei auch schriftliche Kommunikationsmittel wie Informationsbroschüren, Online-Informationen oder Erfahrungsberichte anderer, erfolgreich behandelter Patienten eingesetzt werden. Tang und Colagiuri fanden z. B., dass Informationsbroschüren über die Effektivität von Schmerzmitteln schmerzlindernde Placeboeffekte noch verstärken können [26]. Des Weiteren können Vorstellungen erwünschter Behandlungseffekte positive Erwartungen und somit placeboartige Effekte induzieren. Die kurze Vorstellung verringerter Schmerzerfahrung (durch das Bild eines schützenden Handschuhs) induzierte Verminderungen bei experimentell induziertem Kälteschmerz [21]. Vergleichbare Imaginationstechniken sind von Juck-Kratz-Trainings für Patienten mit chronischem Pruritus bekannt [11]. Placeboeffekte treten auch auf, wenn der Patient oder die Patientin weiß, dass ein Placebo verabreicht wird. Untersuchungen zu diesen sog. Open-label-Placebos zeigen, dass diese z. B. bei allergischen Reaktionen wirksam sind [22]. Auch für Pruritus liefern experimentelle Studien bei gesunden Probanden erste vielversprechende Ergebnisse [16].

Erwartungen erwünschter Behandlungseffekte können placeboartige Effekte induzieren

Hinsichtlich längerfristiger Konditionierungsprozesse ist es wichtig, vorherige Behandlungserfahrungen zu erfragen, da diese sich im positiven und negativen Sinne auf folgende Behandlungen übertragen können, besonders wenn die Behandlungsmethoden einander ähneln (z. B. [30]). Diese Konditionierungseffekte können auch durch Umgebungsfaktoren begünstigt werden, z. B. indem die Behandlung immer zum gleichen Zeitpunkt oder im selben Raum verabreicht wird [9]. In intermittierenden Behandlungsplänen werden Konditionierungseffekte bewusst eingesetzt [9]. Durch die mehrmalige Wiederholung der aktiven pharmakologischen Behandlung wird eine Assoziation zwischen der Behandlung und ihrer Wirkung aufgebaut. In einem zweiten Schritt wird die aktive Behandlung an einigen Behandlungstagen durch Placebos ersetzt. Hierdurch können mit einer verringerten kumulativen Dosis vergleichbare Behandlungseffekte erreicht werden wie bei der regulären Behandlung. So wurden z. B. bei Psoriasispatienten, die an lediglich 25–50 % der Behandlungstage eine volle Dosis Kortikosteroide erhielten, gleiche Reduktionen in Hautläsionen beobachtet wie bei Patienten, die an allen Behandlungstagen die volle Dosis erhielten [1]. Bevor diese intermittierenden Behandlungspläne in der klinischen Praxis angewandt werden können, sind jedoch weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit bei verschiedenen Patientengruppen nötig.

Minimierung oder Veränderung von Noceboeffekten

Noceboeffekte haben einen großen Einfluss auf die klinische Praxis, weil sie die Wirksamkeit von Behandlungen beeinträchtigen und unerwünschte Nebenwirkungen auslösen oder verschlimmern können. Vor allem in der Arzt-Patient-Kommunikation hinsichtlich Nebenwirkungen liegt ein Auslöser von Noceboeffekten. Informationen über Nebenwirkungen sowie andere Informationen, die für die Entscheidungsfindung beim Patienten relevant sind, sollten natürlich niemals zurückgehalten werden. Die Art und Weise, in der diese Information kommuniziert wird, hat jedoch das Potenzial, nachteilige Erwartungen und somit Noceboeffekte auszulösen. So zeigt eine Studie zur Grippeimpfung, dass Patienten weniger Nebenwirkungen meldeten, wenn sie über die Anzahl der Personen, die die Impfung gut verträgt, informiert wurden [17].

Andere Vorschläge zur Reduktion von Noceboeffekten sind das Anbieten von Informationen über die Häufigkeit von Nebenwirkungen in Prozenten anstelle von Frequenzanagaben und das Betonen der Fähigkeiten von Patienten, evtl. milde Nebenwirkungen verkraften zu können [9]. Des Weiteren haben experimentelle Studien gezeigt, dass positive verbale Informationen Noceboeffekte minimieren können. Die bisher einzige Studie auf diesem Gebiet, in der Pruritus untersucht wurde, bietet eine vorläufige Unterbauung der These, dass die Induktion positiver Erwartungen durch Konditionierung und verbale Suggestionen vorherige Noceboeffekte ausschalten kann [5].

Noceboeffekte können unerwünschte Nebenwirkungen auslösen oder verschlimmern

Letztendlich können – im ethisch verantwortlichen Rahmen – für Subgruppen besonders ängstlicher Patienten auch Maßnahmen wie das mit Zustimmung des Patienten oder der Patientin Zurückhalten bestimmter Informationen erwogen werden. Möglich ist auch die verdeckte Gabe von Medikamenten mit kurzzeitig unangenehmen Effekten, solange dies mit Zustimmung des Patienten oder der Patientin geschieht [9]. Zur Vorbeugung von Noceboeffekten kann es ratsam sein, Patienten mit sehr negativen, inadäquaten Erwartungen (z. B. durch das Auftreten starker Nebenwirkungen bei vorherigen Behandlungen), im Voraus zu identifizieren und ihnen z. B. weitergehende psychologische Interventionen sowie Techniken zur Reduktion von Sorgen und Ängsten anzubieten [10].

Fazit für die Praxis

  • Verschiedene Studien liefern Hinweise darauf, dass Pruritus für Placebo- und Noceboeffekte besonders empfindlich ist.

  • Dass Placebo- und Noceboeffekte gezielt induziert werden können, um Pruritus zu beeinflussen, ist durch experimentelle Studien ebenfalls mehrfach belegt.

  • Die wenigen Studien, die zu diesem Thema bei Patienten durchgeführt wurden, bieten vielversprechende Perspektiven zur Verbesserung der Behandlung von Pruritus.

  • In der Praxis können auch jetzt schon verschiedenen Maßnahmen vorgenommen werden, um Placeboeffekte zu nutzen und Noceboeffekte zu minimieren.

  • Internationale Experten aus der Placeboforschung empfehlen Patienten über Placebo- und Noceboeffekte zu informieren und gezielte Schulungen in der Arzt-Patient-Kommunikation zu entwickeln um Placeboeffekte zu verstärken und Noceboeffekte zu minimieren.