Zusammenfassung
Das Konzept der Würde der Kreatur fand bekanntlich (Vgl. z. B. Baranzke (2002, Seiten 11 und 15 sowie 2007, Seite 25) und Sitter-Liver (2008, Seiten 161 u.a.) und Odparlik (2007, Seite 73 f.)) am 17. Mai 1992 Eingang in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Der entsprechende Passus aus Art. 24novies aBV wurde ohne Änderung in die Totalrevision von 1999 übernommen und figuriert dort neu als Art. 120 Abs. 2 BV: "Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten"). Es löste zunächst bei Juristen, Theologen und Philosophen eine rege Diskussion aus. Mittlerweile ist es wegen seiner wirtschaftlichen und wissenschaftspolitischen Brisanz auch auf politischer Ebene ein heißes Thema. Würde der Kreatur wird für die einen zur Gefährdung der Menschenwürde, während die anderen eintreten für die Anerkennung und Wahrung der Würde sowohl der Menschen als auch der nicht-menschlichen Lebewesen, letztlich der natürlichen Entitäten insgesamt.
Notes
Insbesondere in der Dritten Formulierung, als "praktischer Imperativ" (GMS, 61).
Vgl. hierzu die sorgfältige Analyse bei Wolf (2009, Seite 15f). Sie analysiert zunächst 'Würde', soweit der Ausdruck auf Menschen bezogen wird, argumentiert dann überzeugend dafür, ihn "auf alle Organismen anzuwenden".
Vgl. Teutsch (1995, Seiten 21–23) sowie die dort erwähnten Wörterbücher.
Zur Erörterung der Kernbedeutungen vgl. jetzt Rippe (2008, Seiten 67–89) auch Brenner (2008, Seiten 201, 222 u. ö.).
"Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." (GMS 61; Hervorhebung Verf.).
Vgl. hierzu Siegetsleitner (2007, Seiten 114 f.): Abgewogen wird nicht der Wert, "sondern die Bedürfnisse, Fähigkeiten usw., die für das Wohlergehen berücksichtigt werden müssen."
Für viele jetzt Rippe (2008, Seiten 103–105 und 126–132).
Die Gleichsetzung von Würde mit dem Verbot der Erniedrigung zuerst bei Balzer, Schaber, Rippe (1998, Seiten 28–31).
Vgl. hierzu exemplarisch Albert Schweitzer (1988, Seiten 32–37), den Artikel über Humanität (1988, Seiten 129–132) (1990/1996, Seiten 328–336 und 348–353).
Siehe hierzu Sitter-Liver 1999, Seite 474f; 2005, Seiten 15 und 18; 2008; Seite 176.
Eine Einschränkung, die gerade Albert Schweitzer, der sonst für grenzenlose Verantwortung eintritt, immer wieder hervorhebt (bes.1990/1996 u. ö.).
Zur Würde als Grenzbegriff siehe Sitter-Liver (2008).
Mit dem Terminus 'Naturalisierung' hat Heike Baranzke die naturphilosophische Position im Visier, von der aus auch Menschenwürde als Ereignis in der als natura naturans verstandenen Natur interpretiert werden kann (vgl. dazu Sitter-Liver 1995 und 1999). Dazu ihre Kritik in 2008, Anm. 25 und 34. In letzterer findet sich allerdings ein Missverständnis, wenn Baranzke behauptet, ich setze "die mit der Menschenwürde verbundene moralische Autonomie als irrelevant bei Seite". Auch moralische Autonomie lässt sich ohne Verlust als Erscheinung der natura naturans interpretieren — wie das ja, mutatis mutandis, auch aus theologischer Sicht nicht ausgeschlossen ist.
Und jetzt bereits zwei juristisch kompetente Verwaltungsstellen, darunter das kantonale Verwaltungsgericht, welche den Kommissionsentscheid stützten. Das Geschäft liegt zurzeit beim Bundesgericht, der höchsten richterlichen Instanz der Schweiz.
Baranzke 2008, Seite 55, Anm. 34. Vgl. auch Seite 43 f., Anm. 25.
Vgl. aber jetzt die kritische Studie von Alexis Fritz (2009).
"Interessante Philosophie", so schrieb Richard Rorty in seinem Aufsatz zur "Kontingenz der Sprache", "ist nur selten eine Prüfung der Gründe für und wider eine These. Gewöhnlich ist sie explizit oder implizit ein Wettkampf zwischen einem erstarrten Vokabular, das hemmend und ärgerlich geworden ist, und einem neuen Vokabular (bzw. Sprachspiel), das erst halb Form angenommen hat und die vage Versprechung grosser Dinge bietet." "Was die Romantiker mit der Behauptung zum Ausdruck brachten, dass Phantasie, nicht Vernunft, das zentrale menschliche Vermögen sei, war die Erkenntnis, dass die Begabung, anders zu sprechen, nicht die Begabung, gut zu argumentieren, das Hauptinstrument kulturellen Wandels ist" (Rorty 1995, Seiten 28, 30, 25 und 45).
Aktuell und erhellend, als pars pro toto, die Beispiele bei Zeyer (2009). Lohnend auch ein Blick auf die Webseite der AG Friedensforschung an der Uni Kassel, etwa das Interview mit Jean Ziegler zu seinem 2005 erschienenen Buch »Das Imperium der Schande«. München: C. Bertelsmann Verlag. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Globalisierung/ziegler.html (konsultiert am 29.3.2009).
Vgl. hierzu einen interessanten Passus aus Kurt Seelmanns Rechtsphilosophie (2001, Seiten 113 f.): "Sogar ein für sich genommen moralisch vertretbares Handeln kann in seinen nicht gewollten Nebenwirkungen so problematisch erscheinen, dass deshalb rechtliche Verbote erwogen werden müssen. An dieser Stelle wären etwa die bekannten «Dammbruch»-Argumente anzusiedeln. Forschung an überzähligen Embryonen oder Präimplantationsdiagnostik könnte bei anderen Menschen möglicherweise — das wäre eine empirisch zu erforschende Frage — die Wertschätzung menschlichen Lebens beeinträchtigen. Lässt man Embryonenforschung zu, entstehen dann nicht auch Gefahren für individuelles menschliches Leben, weil man die Hemmschwelle für Forschungen am Menschen generell senkt? Oder gestattet man die Forschung an überzähligen Embryonen, gibt man dann nicht geradezu einen Anreiz dafür, mehr Embryonen in vitro bereits zu entwickeln, als der Frau eingepflanzt werden können?"—Vgl. auch die Bioethik-Konvention (Europarat 1997, Art. 17) oder den zurzeit im Schweizer Parlament diskutierte Entwurf zu einem Verfassungsartikel und zu einem Bundesgesetz über die Forschung am Menschen. http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00701/00702/03990/03994/index.html?lang=de (konsultiert 12.06.2009).
Siehe http://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/080604_Affenbeschwerde (konsultiert 12.06.2009) und https://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/080305-sciencebar_primaten/index (konsultiert 12.06.2009).
Vgl. hierzu die hilfreichen Erläuterungen von Kunzmann zum Ausdruck 'Würde des Tieres' als ein "meme" (Analogiebildung zu 'gene') (2007, Seiten 16–19). Sie sind mutatis mutandis auf den Begriff der Würde der Kreatur übertragbar.
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Sitter-Liver, B. Würde der Kreatur versus Menschenwürde?. J. Verbr. Lebensm. 4, 313–323 (2009). https://doi.org/10.1007/s00003-009-0320-9
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