Schlüsselwörter

Vertragsgrundlage: u. a. Art. 107, 114, 122, 168, 196, 222 AEUV

Ziele: Koordinierung der gemeinsamen Krisenreaktion auf die COVID-19-Pandemie, Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens, Abfedern der Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft

Instrumente: u. a. Integrierte Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR), EU-Zivilschutz-Mechanismus, allgemeine Ausweichklausel im Stabilitäts- und Wachstumspakt, Support mitigating Unemployment Risks in Emergency (SURE)

Budget: über 37 Milliarden Euro (EU-Haushalt), bis zu 100 Milliarden Euro (SURE), 200 Milliarden Euro (Europäische Investitionsbank), bis zu 240 Milliarden Euro (Europäischer Stabilitätsmechanismus), 1350 Milliarden Euro (Europäische Zentralbank), weitere Finanzinstrumente geplant

Internet: Europäische Kommission: https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response_de, Rat: https://www.consilium.europa.eu/de/topics/covid-19/, Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC): https://www.ecdc.europa.eu/en/covid-19-pandemic

Historische Entwicklung

Die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste COVID-19-Pandemie entwickelte sich ab Dezember 2019 von China aus und erreichte Mitte Februar 2020 Europa. Die Krankheit breitete sich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) aus, wobei zunächst v. a. Italien, dann auch Spanien besonders stark betroffen waren. Nach Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) gab es EU-weit über 1 Million berichtete Fälle und fast 120.000 Tote (Stand der Daten: 14. Mai 2020). Ab April 2020 ging die Zahl der Neuerkrankungen europaweit zurück, ein Ende der Pandemie war jedoch noch nicht absehbar.

Als Reaktion auf die Pandemie kam es Ende Januar zur teilweisen, am 2. März 2020 zur vollständigen Aktivierung der sog. Integrierten Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR), um die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten zu verstärken. Allerdings besitzt die EU in den Bereichen Gesundheitspolitik und Katastrophenschutz nur eingeschränkte Kompetenzen. Sie kann gegenüber den Mitgliedstaaten nur unterstützend tätig werden, aber kaum verbindliche Vorgaben machen. Tatsächlich ergriffen im März 2020 zwar alle Mitgliedstaaten Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Diese fielen jedoch – aufgrund unterschiedlich starker Betroffenheit, aber auch divergierender politischer Entscheidungen – sehr unterschiedlich intensiv aus.

Angesichts der offensichtlich grenzüberschreitenden Problemlage richteten sich dennoch hohe öffentliche Erwartungen an die EU. Sie reagierte in kurzer Zeit mit einer Vielzahl von Maßnahmen, sah sich zugleich aber auch mit Herausforderungen durch nationale Alleingänge der Mitgliedstaaten konfrontiert.

Gesundheitspolitische Maßnahmen

Bereits im Januar 2020 schrieb die Europäische Kommission über das Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ medizinische Forschungsprojekte u. a. zur Entwicklung von Diagnosetests und Impfstoffen aus. Für diese und weitere Maßnahmen zur COVID-19-Forschung stellte die EU bis Mai insgesamt 1 Milliarde Euro zur Verfügung.

Nur langsam wirkte hingegen der EU-Zivilschutzmechanismus zur Unterstützung besonders betroffener Mitgliedstaaten bei der Versorgung mit medizinischem Material. Aufgrund sich abzeichnender Engpässe bat die italienische Regierung Ende Februar in diesem Rahmen um die Lieferung von Gesichtsschutzmasken. Diese Bitte wurde jedoch zunächst von den übrigen Mitgliedstaaten ignoriert; einige Länder verhängten sogar nationale Exportverbote. Erst nach starker öffentlicher Kritik an der fehlenden europäischen Solidarität reagierten die Mitgliedstaaten. Ab Ende März kam es zu gemeinsamen Beschaffungsmaßnahmen sowie zum Aufbau einer strategischen Reserve von medizinischem Material über den EU-Zivilschutzmechanismus. Mehrere Mitgliedstaaten halfen zudem durch die Übernahme von PatientInnen sowie durch die Entsendung von medizinischem Personal.

Im Lauf des März verhängten die Mitgliedstaaten weitgehend unkoordiniert nationale Eindämmungsmaßnahmen, etwa in Form von Veranstaltungsverboten, Ausgangssperren, Schul-, Geschäfts- oder Fabrikschließungen. Erst nach dem Höhepunkt der Pandemie legte die Kommission im April Empfehlungen für ein abgestimmtes Vorgehen bei der schrittweisen Aufhebung dieser Maßnahmen vor.

Grenzschließungen und Repatriierungen

Um Personenbewegungen zu reduzieren, erklärten zahlreiche Mitgliedstaaten Mitte März zunächst einseitig und unkoordiniert die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und -schließungen. Die Europäische Kommission versuchte, diese Entwicklung durch die Veröffentlichung von Leitlinien zu steuern und insbesondere Einschränkungen des Binnenmarkts für Waren zu verhindern. Auf Empfehlung der Kommission vereinbarte der Europäische Rat zudem eine weitgehende Schließung der EU-Außengrenzen für Drittstaatsangehörige. Mitte Mai drängte die Kommission darauf, die Reisefreiheit an den Binnengrenzen abhängig von der jeweiligen regionalen Situation schrittweise wiederherzustellen. Eine Wiederöffnung der Außengrenzen ist erst für eine spätere Phase vorgesehen.

Zudem koordinierte die EU die Mitgliedstaaten bei der gemeinsamen Repatriierung von EU-BürgerInnen und in der EU wohnhaften Drittstaatsangehörigen, die aufgrund der Pandemie in Drittstaaten festsaßen.

Konjunkturpolitische Maßnahmen

Durch die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens infolge der Pandemie zeichnete sich frühzeitig eine tiefe wirtschaftliche Rezession ab. Die EU reagierte darauf zum einen mit finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen in Höhe von 37 Milliarden Euro aus dem laufenden Budget; die Europäische Investitionsbank (EIB) mobilisierte weitere 40 Milliarden Euro. Zum anderen vereinfachte die EU Konjunkturmaßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten durch eine Aussetzung der Defizitregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt („allgemeine Ausweichklausel“) und durch die Nutzung von Flexibilitätsklauseln bei der Anwendung der Beihilfenregeln (Art. 107 Abs. 2 Buchst. b, Abs. 3 Buchst. b Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Um kurzfristigen Liquiditätsengpässen von Unternehmen und Mitgliedstaaten vorzubeugen, legte die Europäische Zentralbank Mitte März das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) in Höhe von 750 Milliarden Euro auf, das sie später auf 1350 Milliarden Euro erhöhte.

Dennoch besteht die Sorge, dass rezessionsbedingte Steuerausfälle und notwendige Konjunkturmaßnahmen einige Mitgliedstaaten finanziell übermäßig unter Druck setzen werden. Ab Ende März wurde deshalb verstärkt über mögliche Instrumente der finanziellen Lastenteilung diskutiert. Zahlreiche EU-Regierungen befürworteten dazu gemeinsame Schuldtitel („Coronabonds“), die jedoch v. a. von Deutschland und den Niederlanden abgelehnt werden. Insbesondere in den stark betroffenen Ländern Italien und Spanien führte dies zu harter öffentlicher Kritik und Vorwürfen mangelnder Solidarität.

Am 9. April 2020 einigten sich die Mitgliedstaaten stattdessen auf eine Kombination von (1) einer Kreditlinie über 240 Milliarden Euro aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Finanzierung gesundheitspolitischer Maßnahmen, (2) einer Erweiterung der existierenden EIB-Kreditlinie für angeschlagene Unternehmen auf 200 Milliarden Euro sowie (3) einem neuen Instrument, um Mitgliedstaaten Kredite bis zu 100 Milliarden Euro zur Finanzierung von Kurzarbeit zur Verfügung zu stellen (Support mitigating Unemployment Risks in Emergency, SURE). Der Einigung waren komplexe Verhandlungen über die fiskalpolitischen Bedingungen beim Zugang zu diesen Instrumenten vorausgegangen.

Grundsätzliche Einigkeit besteht zudem über die Einrichtung eines Wiederaufbaufonds, der in den mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 und damit in den regulären EU-Haushalt integriert sein soll. Das genaue Volumen und die Finanzierungsquellen dieses Fonds sind allerdings noch unklar, ebenso ob die daraus gewährten Hilfen in Form von Zuschüssen oder Krediten geleistet werden und an welche Bedingungen sie geknüpft sein sollen.

Asylpolitische Maßnahmen

Anfang 2020 war die Zahl der Ankünfte von AsylbewerberInnen in Griechenland stark gestiegen. Angesichts überfüllter Auffanglager mit unzureichender Gesundheitsversorgung stieg nach Ausbruch der Pandemie der öffentliche Druck auf die übrigen EU-Länder, eine Evakuierung besonders gefährdeter AsylbewerberInnen zu ermöglichen. Im März erklärten acht Mitgliedstaaten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Übernahme von insgesamt 1600 der rund 42.000 AsylbewerberInnnen in griechischen Auffanglagern. Reale Umsiedlungen gab es jedoch kaum. Bis Mitte Mai nahmen nur Luxemburg 12 sowie Deutschland 47 Personen auf.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

In allen Mitgliedstaaten kam es während der Pandemie zu Einschränkungen von Grundrechten (etwa der Versammlungsfreiheit), häufig auch zur Erklärung des Ausnahmezustands. Speziell in Ungarn und Polen gingen die Ausnahmebestimmungen jedoch so weit, dass sie Demokratie- und Rechtsstaatsprinzipien unterliefen.

In Polen hielt die Regierung zunächst an der Durchführung der für Mai 2020 angesetzten Präsidentschaftswahl fest, obwohl eine nationale Ausgangssperre den Wahlkampf weitgehend verhinderte. Um eine reine Briefwahl zu ermöglichen, beschloss das Parlament zudem im April eine Änderung des Wahlgesetzes, obwohl die polnische Verfassung Wahlrechtsänderungen nur bis sechs Monate vor der Wahl zulässt. Die Opposition rief deshalb zum Wahlboykott auf. Letztlich beschloss die Regierung aufgrund organisatorischer Probleme doch eine Wahlverschiebung, die jedoch ihrerseits nicht mit der Opposition abgesprochen und in der Form verfassungsrechtlich umstritten war.

In Ungarn verhängte das Parlament am 30. März 2020 einen zeitlich unbegrenzten Ausnahmezustand, während dem die Regierung umfassende Gesetzgebungsvollmachten erhält und keine Wahlen stattfinden. Zugleich wurde durch Androhung mehrjähriger Haftstrafen auf die Verbreitung „unwahrer oder falsch dargestellter Fakten“, die „öffentliche Unruhe“ auslösen könnten, die Pressefreiheit eingeschränkt. Ende Mai leitete die Regierung ein Ende des Ausnahmezustands bei gleichzeitiger Übernahme zahlreicher Sonderbestimmungen in die reguläre Gesetzgebung ein.

Die EU reagierte auf diese Entwicklungen zunächst nur verhalten. Eine Gruppe von 19 Regierungen forderte in einer gemeinsamen Erklärung, bei der Bekämpfung der Pandemie Demokratieprinzipien zu respektieren, nannte dabei aber Ungarn und Polen nicht namentlich. Die Europäische Kommission kündigte eine Prüfung der neu erlassenen Gesetze an, ergriff jedoch keine unmittelbaren Maßnahmen.

Ausblick

Angesichts der andauernden Pandemie ist eine abschließende Bilanz der Krisenreaktion der EU derzeit unmöglich. Da die Europäische Kommission in den einschlägigen Politikbereichen nur über geringe Kompetenzen verfügt, liegt die Verantwortung für die Krisenpolitik v. a. bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Diese erklärten zwar wiederholt den Willen zu einem gemeinsamen Ansatz, zeigten aber auch nationale Reflexe. Insbesondere in zeitlich dringenden Fragen handelten sie oft unabgestimmt, Solidaritätsmaßnahmen wurden oft erst nach zähen Verhandlungen eingeleitet.

In der Öffentlichkeit wird das Krisenmanagement der EU deshalb teils massiv kritisiert. Auch der Europäische Rat forderte die Kommission Ende März auf, für die Zukunft Reformvorschläge für ein „ehrgeizigeres und breiter gefächertes Krisenmanagementsystem in der EU“ vorzulegen. Kurzfristig werden nach der unmittelbaren medizinischen Notsituation aber v. a. der koordinierte Ausstieg aus den Krisenmaßnahmen und die Bekämpfung der wirtschaftlichen Rezession im Vordergrund stehen.