Zusammenfassung
Für eine Familie sind die Geburt eines Kindes und die Übernahme von Verantwortung zentrale Elemente, die in einem komplexen sozialen, politischen und ethischen Verhältnis zueinanderstehen. Der vorliegende philosophische Beitrag versucht unter Einbezug auch historischer Dimensionen die Verschränkung zwischen einem relationalen Begriff der Verantwortung und den verschiedenen Aspekten der Geburt im Zusammenhang von Familie aufzuzeigen. Verantwortung hat sowohl mit der Geburt eines Kindes als auch mit dem eigenen Geborensein zu tun. Zuerst wird mit Blick auf die Philosophiegeschichte auf die mangelnde und wechselvolle Beachtung der Geburt eingegangen und die Geburtspraxis ‚heute‘ thematisiert. Im Anschluss werden philosophische Aspekte der Konstellation ‚Familie und Geburt‘ sowie ‚Geburt und Verantwortung‘ im Einzelnen entfaltet.
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Notes
- 1.
Die Tatsache, dass in dieser ersten Formulierung nur die männlichen Bürger gemeint waren und dass zwei Jahre später Olympe de Gouges hingerichtet wurde, weil sie gleiche Rechte für Frauen forderte, schränkt die formulierte Forderung selbst nicht ein. Die soziologische Frage, wer als Mensch galt, spiegelte gesellschaftlich nicht wider, was die Formulierung damals hätte bedeuten können.
- 2.
Amor mundi sollte sogar ursprünglich der Buchtitel für Vita activa (1987 [1958]) sein.
- 3.
Die Grenze der zu tolerierenden Pluralität ist erreicht, wenn Menschen mit Gewalt oder einer Doktrin antreten, um Beziehungen oder die Pluralität selbst letztendlich zu zerstören oder um den Menschen ihre Anfänglichkeit und Verantwortlichkeit zu nehmen.
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Schües, C. (2020). Familie: Geburt und Verantwortung. In: Ecarius, J., Schierbaum, A. (eds) Handbuch Familie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19861-9_13-1
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