Zusammenfassung
Der Beitrag geht davon aus, dass die Entstehung einer intimen Beziehung heutzutage nicht mehr zwangsläufig zur Familiengründung führt. Die Paarbeziehung kann deshalb als eigenständige Lebensform betrachtet werden. Es wird gezeigt, dass der Prozess hin zur Eigenständigkeit des Paares in der Geschichte Nord- und Westeuropas schon sehr früh einsetzte, im Unterschied zu fast allen anderen Weltregionen. Die Paarbeziehung wird als Prozess mit Phasen und Übergängen dargestellt, wobei die Gründungsphase sowie die mögliche Auflösungsphase gesondert betrachtet werden. Mit einigen Konsequenzen der globalen Entwicklung, etwa zur Bildung bikultureller Paare im Kontext von Migrationsprozessen, und der Frage, ob sich die Autonomisierung des Paares auch in der nichtwestlichen Welt durchsetzen wird, schließt der erste Teil ab.
Trotz der Eigenständigkeit des Paares ist die Familie immer noch die bevorzugte Lebensform. Die Entwicklung vom Paar zur Familie wird im zweiten Teil des Beitrags erörtert. Der Übergang in die Elternschaft bringt eine Reihe wichtiger Veränderungen, vor allem in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. Mit der Erweiterung der Familie durch weitere Kinder ist der Prozess der Familienbildung abgeschlossen. Der Auszug der erwachsen gewordenen Kinder und der Übergang des älteren Paares in das ‚empty nest‘ leitet einen neuen Zyklus von Paardynamik und Familiengründung ein.
Notes
- 1.
Die strukturalistische Ethnologie (Lévi-Strauss 1951) hat den Regelcharakter hervorgehoben. Demgegenüber betonten Autoren wie Bourdieu Heirats-Strategien. Doch sind auch solche Strategien in einen übergreifenden Regel-Zusammenhang eingebettet: Es sind nicht individuell-rationale Kalküle im Sinne von Bedürfnis- und Nutzenmaximierung, sondern ‚Strategien‘ des Habitus, in denen ein Gespür für eine sozial adäquate Wahl zum Ausdruck kommt (Bourdieu 1982, S. 373–378).
- 2.
Die Terminologie ist nicht einheitlich. Manche Psychologen sprechen von Endogamie, wenn sie sich auf sozio-kulturelle Variablen beziehen (Bildung, Konfession, etc.), von Homogamie dagegen unter Bezug auf psychologische Variablen. Demgegenüber soll hier, in Übereinstimmung mit der Ethnologie, der Endogamie-Begriff für die Heirat innerhalb einer definierten sozialen Gruppe (zum Beispiel Arbeitermilieu) reserviert bleiben. Man spricht dann auch von geschlossenen Heiratskreisen oder sozialer Schließung, im Anschluss an Max Weber, der zwischen offenen und geschlossenen sozialen Beziehungen unterscheidet (Weber [1920] 1972, S. 23).
- 3.
Mit dem Begriff bikulturelle oder interkulturelle Paarbeziehung wird allerdings eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Konstellationen und Personengruppen erfasst, zum Beispiel kosmopolitische Individuen, die sich in den Weltmetropolen aufhalten und dort jemanden finden, der zu ihnen passt; oder Immigranten mit deutschem Pass, die eine Frau aus ihrem Herkunftsland nach Deutschland holen; oder europäische Männer, die gezielt und organisiert nach einer Frau aus Thailand oder den Philippinen suchen. Der Grad der ‚Fremdheit‘ kann also sehr unterschiedlich sein, wie auch die Motive und Umstände. Bei binationalen Ehen haben die beiden Beteiligten unterschiedliche Staatsangehörigkeiten, müssen aber nicht zwangsläufig eine kulturelle Distanz im Sinne von bikulturell haben.
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Burkart, G. (2020). Familie und Paarbeziehung. In: Ecarius, J., Schierbaum, A. (eds) Handbuch Familie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19416-1_27-1
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