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Karl Popper und die hermeneutische Wende in der Wissenschaftstheorie

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Zusammenfassung

Karl Popper hat für das erkenntnistheoretische Denken und die wissenschaftliche Praxis historische und hermeneutische Gesichtspunkte herausgearbeitet und viele Probleme gelöst, die man als ‚hermeneutisch‘ bezeichnen kann. Er zeigte, dass es eine voraussetzungslose Wissenschaft nicht geben kann, und räumte präanalytischen Komponenten und heuristischen Aspekten der wissenschaftlichen Erkenntnis viel Platz ein, ohne dabei relativistischen Positionen zu verfallen. Traditionen und Vorurteile, Hintergrundwissen und Situationsanalyse, Voraussetzungen und metaphysische Erkenntnisprogramme haben bei Popper die Funktion, sich auf solche Fragestellungen zu konzentrieren, die hohe Relevanz haben und eine Untersuchung wert sind. Damit werden Forscher und Wissenschaftler auf solche Probleme und Aspekte der Wirklichkeit gelenkt, die es wert sind, zu Forschungsthemen erhoben zu werden. Mit diesen Arbeiten hat Popper eine Verbindung zwischen Entdeckungs- und Rechtfertigungszusammenhang hergestellt.

Herzlich danken möchte ich Frau Dagmar Niemann für die langjährige Bereitschaft und Geduld, mit der sie meine auf Deutsch verfassten Texte Korrektur gelesen und durch kritische Hinweise verbessert hat.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. Popper 2003c, S. 267–271; 1994/2009, S. 218–222; 1984, S. 101–104; S. 317–318. siehe auch: Albert 1991, S. 59–64; 1987, S. 81–84. Für eine kritische Würdigung der Einwände von Kuhn, Lakatos und Feyerabend gegen Poppers Kritischen Rationalismus siehe Andersson 1989.

  2. 2.

    Gerard Radnitzky behauptet mit Recht: „Die „Situationslogik“ ist als eine hermeneutische Technik zu verstehen. Von daher gibt es einige Ähnlichkeiten zwischen Popper und der hermeneutischen Schule.“ (Radnitzky 1968, S. 139–147, hier S. 147; meine Übersetzung, G. F.).

  3. 3.

    Die von Popper entwickelten Ausführungen über die Thematik des Verstehens und seine Idee, dass die Hermeneutik mit derselben Methode arbeitet wie die Naturwissenschaften, tragen dazu bei, Affinitäten zwischen seiner epistemologischen Perspektive und der Hermeneutik von Gadamer aufzuzeigen: vgl. Franco 2012a, b, 2017. Diese Arbeiten zeigen die Konvergenz zwischen Popper und Gadamer auf der Grundlage eines detaillierten Vergleichs ihrer Auffassungen und einiger Aspekte bezüglich der Rezeption ihres Denkens. Poppers Methodologie des Kritischen Rationalismus gilt auch für die hermeneutische Methode der Interpretation eines Textes. Auf diese Ebene gehört die Annäherung zwischen Popper und Gadamer: Einerseits wurden die epistemologischen Instanzen und Implikationen von Gadamers Hermeneutik und die methodologischen, in seinem Zirkel des Verstehens enthaltenen Konsequenzen hervorgehoben und expliziert. Anderseits, aufgrund der historisch-hermeneutischen Wende durch Popper und der methodologischen Komponente von Gadamers hermeneutischer Reflexion, wurde zu zeigen versucht, wie auf der methodologischen Ebene und in Bezug auf die philosophischen Voraussetzungen der Methodologie sowohl Popper als auch Gadamer eine konvergente Auffassung haben, trotz Gadamers Missverständnis des Kritischen Rationalismus und den deutlichen Unterschieden zwischen ihnen, vor allem in Bezug auf die historiographischen Interpretationen von Platon, Kant und Hegel und die verschiedenen Hauptinteressen und Deklinationen ihres Denken.

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Franco, G. (2018). Karl Popper und die hermeneutische Wende in der Wissenschaftstheorie. In: Franco, G. (eds) Handbuch Karl Popper. Springer Reference Geisteswissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16242-9_40-1

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