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Das Abgrenzungskriterium

Das Problem der Bestimmung wissenschaftlicher Erkenntnis

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Zusammenfassung

Karl Popper versucht, das Problem zu lösen, wie erfahrungswissenschaftliche Aussagenzusammenhänge durch ein ihnen eigenes charakteristisches Merkmal von anderen Aussagenzusammenhängen, die dieses Merkmal nicht aufweisen, abgegrenzt werden können, ohne dass dabei für die Erfahrungswissenschaft wesentliche Teile mit ausgegrenzt werden. Als ein hierfür geeignetes Kriterium sieht er die Eigenschaft der empirischen Widerlegbarkeit, der Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen an. Sie könne als Kriterium dienen, diese von metaphysischen und pseudowissenschaftlichen Aussagen zu unterscheiden, ohne sie zugleich für sinnlos zu erklären. Genauer besehen weist das Abgrenzungskriterium jedoch eine komplexere, zweidimensionale Struktur auf, die als Reformulierung und zugleich als Reform der Kantischen Unterscheidung zwischen dem Erkenntniswert von Aussagen und deren Geltungsgrundlage angesehen werden kann und es aufgrund dieser Zweidimensionalität ermöglicht, auch die Eigenart metaphysischer und pseudowissenschaftlicher Behauptungen verständlich zu machen.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. z. B. Moritz Schlick (1934/35, S. 456) wo er das Sinnkriterium folgendermaßen formuliert: „Man hat den Sinn eines Satzes also verstanden, wenn man weiss, wie die Entscheidung darüber zu treffen ist, ob der Satz wahr oder falsch ist“.

  2. 2.

    „Unter dem Abgrenzungsproblem verstehe ich das Problem eines Kriteriums zur Unterscheidung zwischen Aussagen der empirischen Wissenschaft und anderen Aussagen“ (Popper 1971, S. 12, Fußnote 19).

  3. 3.

    Popper 1979, Kap. 8: „Ein entscheidendes Jahr: Marxismus, Wissenschaft und Pseudowissenschaft“, S. 38 ff. und 52. In Popper 1974b, S. 984 f. werden beide jeweils als „metaphysische Theorie“ charakterisiert, mit dem Unterschied, dass sich der Marxismus von einer empirischen Theorie durch verschiedene Immunisierungsstrategien zu einer metaphysischen Theorie wegentwickelt habe, während die Psychoanalyse von Anfang an eine „psychologische Metaphysik“ gewesen sei.

  4. 4.

    Den inneren Zusammenhang zwischen Pseudowissenschaft und Metaphysik deuten auch seine noch späterhin Rudolf Carnap zustimmenden Bemerkungen in der Autobiographie an, „daß die meisten philosophischen Systeme ‘auf den Menschen wissenschaftlicher Gesinnung niederdrückend wirken“ (Popper 1974a, S. 52).

  5. 5.

    Popper 1974a, S. 122; die eingefügte Stelle ist wörtlich von Carnap übernommen.

  6. 6.

    So heißt es beispielsweise in: Popper 1955, S. 255 (VW 371) bestimmte Aussagen könnten beschrieben werden als „pseudo-scientific“ or (in certain contexts ) as „metaphysical“.

  7. 7.

    Popper 1974b, S. 981. Es heißt dort, es sei – neben der Kühnheit von Hypothesen – „[...]the readiness to look out for tests and refutations, which distinguishes ‚empirical‘ science from nonscience, and especially from prescientific myths and metaphysics.“

  8. 8.

    Popper 1935 „Neuer Anhang: *I. Zwei Mitteilungen über Induktion und Abgrenzung, 1933–1934“, S. 255.

  9. 9.

    Siehe hierzu die nach eigenen Angaben bereits in den Jahren 1930–1933 abgefasste Schrift Poppers, aus der die „Logik der Forschung“ hervorgegangen ist: (Popper 1979), sowie den rückblickenden Überblick zum Induktionsproblem in Popper 1971.

  10. 10.

    Eindeutig heißt es bei Ludwig Wittgenstein, „Eine Hypothese ist keine Aussage, sondern ein Gesetz zur Bildung von Aussagen […] Ein Naturgesetz lässt sich nicht verifizieren und nicht falsifizieren. Vom Naturgesetz kann man sagen, dass es weder wahr noch falsch“ ist (Wittgenstein 1980, S. 99). Fast identische Formulierungen mit ausdrücklichem Verweis auf Wittgenstein finden sich bei Schlick 1931, S. 254 ff. Siehe auch die Ausführungen in der Vorlesung aus dem Jahr 1934/35 „Logik und Erkenntnistheorie“, wo es heißt: „Hypothesen haben den Sinn, dass gewisse Einzelaussagen wahr sein sollen, dass sie zeigen, wie man zu diesen Einzelaussagen kommen kann. Man muss sich die Hypothese wieder durch die einzelnen Aussagen ersetzt denken, und als Abkürzung dieser Einzelaussagen ist sie dann verifizierbar. Der allgemeine Satz, die Hypothese ist also eine allgem[eine] Vorschrift, eine Anweisung zur Verifizierung der Einzelaussagen“ (Schlick 1934/35, S. 505). Zur Kritik am „Instrumentalismus“ siehe Popper 1956 und 1953; beide in Popper 1963, S. 97–119 und 166–174 (deutsch in VW, S. 141–174 und 243–255).

  11. 11.

    Popper 1974a, Kap. 17. „Der logische Positivismus ist tot: Wer ist der Täter“, S. 120 ff. Moritz Schlick stimmt einerseits zu, dass eine Hypothese nicht endgültig verifiziert werden könne: „Die Hypothese ist doch eine versuchsweise Zusammenfassung sehr vieler Einzelaussagen, also ist durch Verifikation einiger dieser Aussagen noch nicht die ganze Hypothese verifiziert: man hat jedenfalls noch kein strenges Recht, von einer Verifikation der Hypothese zu sprechen.“ Er hält diese Auffassung allerdings für überzogen: „Nun scheint es – dass ein Satz ja nur Sinn hat, wenn er verifiziert werden kann – dass Hypothesen keinen Sinn haben, weil sie nie ganz verifiziert werden können. Es handelt sich hier aber um eine Wortschwierigkeit, und in der Gegenwart werden übertriebene Bedenken dagegen vorgebracht, dass man die Hypothese bezüglich der Verifikation auf eine Stufe mit Sätzen anderer Art stellt“ (Schlick 1934/35, S. 503 f.).

  12. 12.

    Siehe hierzu insbesondere Popper 1955 S. 253 ff. (VW, S. 368 ff.) Ausdrücklich stellt er dort fest, dass er die Verifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium für unangemessen hält, „weil die Metaphysik nicht sinnlos zu sein braucht, selbst wenn sie nicht Wissenschaft ist“ (VW 368).

  13. 13.

    Im englischen Original: Popper 1958 heißt es: „every rational theory, no matter whether scientific or metaphysical, is rational in so far as it tries to solve cerain problems“ (S. 199, VW, S. 289).

  14. 14.

    Rückblickend stellt er nachdrücklich fest, dass er von seinen Anfängen an die Behauptung kritisiert habe, „that metaphysics was meaningless, and consisted of nonsensical pseudopropositions“ („daß die Metaphysik sinnlos sei und aus unsinnigen Scheinsätzen bestehe“) in: Popper 1955 S. 258 (VW, S. 376) „Tatsache ist jedoch, dass ich das Problem der Sinnlosigkeit seit meiner ersten Veröffentlichung zu diesem Thema [...] stets als ein Scheinproblem zurückgewiesen habe; auch habe ich die Vorstellung immer abgelehnt, es könne mit dem Abgrenzungsproblem identifiziert werden“ (VW, S. 375). Wichtig ist in erster Linie, dass Popper zwischen Metaphysik und Pseudowissenschaft unterscheidet.

  15. 15.

    Vgl. Carnap 1936, S. 419–471 und 1937, S. 1–40, wo er Popper zustimmt. Spätere Versuche, auf der Grundlage einer Theorie der Wahrscheinlichkeit eine Form induktiver Bestätigung neu zu begründen, waren wenig überzeugend.

  16. 16.

    „Zwei Mitteilungen über Induktion und Abgrenzung, 1933–1934“ (Popper 1935, S. 255).

  17. 17.

    Schopenhauer 1864, S. 26. Auch findet sich schon der Hinweis, dass auch solche falsifizierenden Instanzen nicht sicher sind. Die zitierte Passage fährt fort: „Allein dabei können Täuschungen vorgehen“.

  18. 18.

    Daher auch Poppers Versuche in der Logik der Forschung, Grade der empirischen Prüfbarkeit zu bestimmen (Popper 1935, S. 77–96). Vgl. hierzu auch den Beitrag von Elie Zahar (1998, S. 103–123). Anwendungsprobleme werden diskutiert bei Elisabeth Ströker (1987, S. 93–112). Eine ausführliche Diskussion von Gütekriterien aus Popperscher Sicht findet sich bei Klaus Pähler 1986.

  19. 19.

    „Science: Conjectures and Refutations“, in: Conjectures and Refutations, S. 37 (VW 52).

  20. 20.

    Popper 1957, S. 196 f. zitiert nach der deutschen Übersetzung VW, S. 286.

  21. 21.

    Popper hat später auch Prüfmöglichkeiten für metaphysische Überlegungen erwogen. Vgl. hierzu: Popper 1958 insbes. S. 193–200 (VW 281–291).

  22. 22.

    Popper hat diese Festschreibung der Aufgabe der Philosophie späterhin abgeschwächt. Bartley weist darauf hin, dass Popper – in Abgrenzung gegen Versuche philosophischer Systembildungen im Sinne Hegels – den Aufsatz „What is Dialectics?“ (Popper 1940) in der Originalversion noch prononciert mit den Worten schließt, „die Untersuchung der kritischen Methoden der Wissenschaft“ („study of the critical methods of Science“) sei schlechthin „die Aufgabe“ („The task“), welche Philosophen noch leisten könnten (als Diskussionsvorlage 1937, 1940); beim Wiederabdruck (in: Popper 1963) mildert er dies ab zu „Eine Aufgabe“ („One Task“) (S. 335). Die Einschränkung kann als Ausdruck eines sehr veränderten Verhältnisses zur Einschätzung des Erkenntniswertes philosophischer Überlegungen und damit des Bereichs legitimer philosophischer Analyse gewertet werden (vgl. hierzu insbes. Bartley 1968, S. 40–64, sowie Wettersten 1992, S. 192 ff.). Die veränderte Auffassung Poppers über den Bereich und die mögliche Leistungsfähigkeit philosophischer Untersuchungen zeigen auch seine bereits erwähnten Überlegungen in: Popper 1958, S. 193–200 (VW, S. 281–291).

  23. 23.

    Siehe hierzu z. B. die Ausführungen in: „On the Status of Science and of Metaphysics“ (1958) in: Conjectures and Refutations, insbes. S. 193–200.

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