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Der Neo-Institutionalismus als Kultursoziologie

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Handbuch Kultursoziologie

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Zusammenfassung

Die enorme Verbreitung sowohl der Organisationsform als auch bestimmter Organisationsstrukturen und -praktiken in modernen Gesellschaften wurde in der Organisationssoziologie lange Zeit vor allem mit ihrer Effizienz erklärt. Die kulturelle Bedingtheit von Organisationen wurde cum grano salis hierrüber weitgehend vernachlässigt. In diesem Kontext ist ein wesentlicher Beitrag des soziologischen Neo-Institutionalismus (NI), dass er effizienzbasierten Erklärungen in der Organisationssoziologie eine dezidiert kultursoziologische Erklärungsstrategie entgegenstellt. Statt mit ihrer Effizienz erklärt der NI die Verbreitung der Organisationsform sowie einzelner Organisationselemente mit ihrer Legitimität als rationale Formen des Organisierens in modernen Gesellschaften. Ziel dieses Beitrages ist es, die kultursoziologische Erklärungsstrategie des NIs darzustellen und ihre Entwicklung in den Kontext des cultural turns der US-amerikanischen Soziologie einzuordnen. Zu diesem Zweck zeigen wir erstens, wie Peter Bergers und Thomas Luckmanns Wissenssoziologie vom NI aufgegriffen wurde. Zweitens rekonstruieren wir das spezifische Kulturverständnis der wesentlichen Varianten des NIs, des organisationssoziologischen NIs und der World-Polity-Forschung. Abschließend stellen wir zwei neuere Entwicklungen im NI vor. Erstens zeigen wir, wie der ursprünglich rein wissenssoziologische Kulturbegriff des NI auf Emotionen ausgeweitet wurde. Zweitens argumentieren wir, dass der Kulturbegriff des NI seit den 1990er-Jahren mit der Debatte um institutional logics durch ein Verständnis von Kultur als heterogene soziale Strukturen erweitert wurde.

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Notes

  1. 1.

    Wir beziehen uns auf die soziologische Variante des NI, die in der Organisationssoziologie entstanden ist. Nicht besprochen werden neue Institutionalismen in der Politik- und Wirtschaftswissenschaft (dazu Hall und Taylor 1996).

  2. 2.

    Siehe für eine Kritik der Weber-Rezeption in der frühen amerikanischen Organisationssoziologie Mayntz (1965).

  3. 3.

    Im Allgemeinen wird der Ursprung des NI in drei Aufsätzen gesehen (Hasse und Krücken 2005, S. 22–32; Walgenbach und Meyer 2008, S. 22–49): John W. Meyers und Brian Rowans Text „Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony“ (1977), Paul DiMaggios und Walter Powells Aufsatz „The Iron Cage Revisited. Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields“ (1983) und Lynne Zuckers Studie „The Role of Institutionalization in Cultural Persistence“ (1977).

  4. 4.

    In späteren Beiträgen wurde diese Lücke, jedoch ohne Bezug zu Berger und Luckmann, teilweise geschlossen. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung des Teilprozesses des Theoretisierens als ein Element von Diffusionsprozessen. Der Begriff thematisiert den Prozess des „self-concious development of abstract categories and the formulation of patterned relationships such as cause and effect“ (Strang und Meyer 1993, S. 492) und ähnelt somit Bergers und Luckmanns Begriff der „Sedimentierung“.

  5. 5.

    Eine Sichtweise, die sich eher aus einer einseitigen Rezeption der Gründungstexte speiste, denn aus einer differenzierten Interpretation derselben (DiMaggio 1995; Wooten und Hoffman 2008).

  6. 6.

    Zwar gibt es durchaus Versuche, den Kulturbegriff auf die globale Ebene auszuweiten, jedoch wird dieser durch die Anwendungsbereiche auf expressive Gewohnheiten wie Geschmacksstandards und Konsumneigungen marginalisiert (Sklair 1991).

  7. 7.

    Meyer und andere Forscher haben eine Reihe weiterer Merkmale entdeckt und untersucht, die eine deutliche strukturelle Isomorphie von historisch einst höchst differenten Gesellschaften belegen; dazu zählen vor allem: Schulbildung nach standardisierten Lehrplänen (Meyer et al. 1992), Datenerfassungssysteme über wirtschaftliche und demografische Entwicklungen (Ventresca 1995), Maßnahmen zur Geburtenkontrolle (Barrett und Frank 1999), formale Gleichberechtigung der Frau (Charles 1992), Umweltschutzmaßnahmen (Frank et al. 1999).

  8. 8.

    Die Akteure werden daher in der Deutung ihrer eigenen Wirklichkeit immer wieder auf ihren blinden Fleck zurückgeworfen. Selbst die aufklärerischen Sozialwissenschaften in der Gestalt des cultural turn, welche die irrationalen Aspekte der modernen Kultur aufdecken und solide Forschungen vorweisen, gehen Meyer nicht weit genug: „Für den Bereich Wissenschaft verfügen wir über solide Forschungen über wissenschaftliche Organisationen und Karrieren sowie über sorgfältige kritische Forschungen über die Willkür wissenschaftlichen Arbeitens, Denkens und Tuns. Dagegen gibt es so gut wie keine brauchbaren Untersuchungen über wissenschaftliche Autorität – darüber, warum die Welt auf die Wissenschaft hört. Für den Bereich der Religion gibt es Untersuchungen über Karrieren, Organisationen sowie Befragungen über den Glauben von Individuen, aber so gut wie keine Untersuchungen darüber, warum die Religion als kultureller Rahmen Autorität besitzt“ (Meyer 2005b, S. 160 f.).

  9. 9.

    Eine ähnliche Konzeption von Kultur als heterogene Ordnungen findet sich auch in der Konventionenökonomie (Boltanski und Thevenot 2007; Diaz-Bone 2009). Trotz der Ähnlichkeit dieser Debatten findet ein Austausch zwischen diesen beiden Forschungsrichtungen bisher jedoch kaum statt (Diaz-Bone 2014).

  10. 10.

    Die Darstellung der Situation der amerikanischen Organisationssoziologie folgt den Ausführungen in (Senge 2011, S. 33–80).

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Senge, K., Dombrowski, S. (2017). Der Neo-Institutionalismus als Kultursoziologie. In: Moebius, S., Nungesser, F., Scherke, K. (eds) Handbuch Kultursoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-08001-3_9-1

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