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Rational Choice-Theorie in der Kultursoziologie

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Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab zu zeigen, dass die Theorie des rationalen Handelns (RCT) – entgegen weit verbreiteter Einschätzungen – in einem engen Verhältnis mit kultursoziologischen Fragestellungen steht. Grundlage dieses Unterfangens ist eine Definition von Kultur als Verteilung von deskriptiven und evaluativen Überzeugungen in der Bevölkerung, deren individuelle mentale Repräsentationen es ermöglichen, Objekte in der Welt mit Sinn bzw. Bedeutung zu versehen. Da die RCT darauf ausgerichtet ist, soziales Handeln im Allgemeinen unter Rückgriff auf individuelle Ziele (Präferenzen), Handlungseinschränkungen (Restriktionen) und Erwartungen über Handlungsfolgen zu erklären, müssen diese Elemente bei der Anwendung auf einen konkreten Erklärungsgegenstand durch die evaluativen (Präferenzen) bzw. deskriptiven (Restriktionen, Erwartungen) Überzeugungen von sozio-kulturell eingebetteten Akteuren spezifiziert werden. Insofern spielen kulturelle Phänomene innerhalb der RCT eine zentrale Rolle als Antezedenzbedingung des Handelns. Dies ist besonders der Fall, wenn man die Situationsgebundenheit menschlichen Handelns im Modell der Frame-Selektion – als realistische Modifikation der RCT – explizit modelliert und zusätzlich deskriptive Überzeugungen von Situationsdefinitionen (Frames) und evaluative Überzeugungen von Handlungsvorschriften (Skripte) miteinbezieht. Darüber hinaus können kulturelle Phänomene auch als Explananda von Handlungen im Sinne der RCT verstanden werden, wenn man das Erlernen und Anpassen von deskriptiven und evaluativen Überzeugungen als Entscheidung konzeptualisiert.

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Notes

  1. 1.

    In der philosophischen Semantik wird zwischen diesen beiden Begriffen klar unterschieden, wir verwenden sie hier synonym, werden aber in der Folge nur noch den Begriff der Bedeutung verwenden.

  2. 2.

    Entgegen der Selbstwahrnehmung mancher Diskussionsteilnehmer fallen aus unserer Sicht sowohl der Begriff des „embodied knowledge“ als auch die Vorstellungen von motorischen Repräsentationen unter den Begriff der mentalen Repräsentation (Wilson 2002; Gallese und Metzinger 2003).

  3. 3.

    Grundsätzlich könnte man hier noch die Frage stellen, wie es aus einer akteurtheoretischen Perspektive überhaupt zu bedeutungsgleichen Überzeugungen kommen kann. Dazu gibt es eine Reihe von plausiblen Antworten, die aber nicht in den Gegenstandsbereich dieses Artikels fallen. Siehe hierzu vor allem die Arbeiten von Tomasello (2006, 2011), der auch in der Soziologie schon lange diskutierte Ideen aufgegriffen und in ein empirisches Forschungsprogramm übersetzt hat.

  4. 4.

    Streng genommen ist die Maximierungs-Annahme nur eine von mehreren möglichen Entscheidungsregeln, nach denen Akteure auf der Grundlage von Präferenzen und Opportunitäten/Restriktionen eine Handlung auswählen. Alternativen wären z. B. „minimales Bedauern“, „satisficing“ (Diekmann und Voss 2004, S. 16; Schoemaker 1982) oder die vieldiskutierten Entscheidungsheuristiken (Goldstein 2009). Die Maximierungsregel wird jedoch bisher mit Abstand am häufigsten eingesetzt, so dass wir uns hier auf diese konzentrieren.

  5. 5.

    Der Ausdruck der variablen Rationalität ist von Kroneberg (2005) aus unserer Sicht nicht günstig gewählt. Eigentlich geht es um das variable Ausmass der Informationsverarbeitung. Im Prinzip können die Ergebnisse beider im MFS diskutierten Mechanismen den von Neumann-Morgenstern Axiomen entsprechen, es können mit diesem Modell aber auch die Bedingungen angegeben werden, unter denen Akteure gegen diese Axiome verstossen. Ein alternativer und einflussreicher Versuch der Formulierung einer Entscheidungstheorie unter Berücksichtigung von Abweichungen von den von Neumann-Morgenstern Axiomen ist die Prospect Theorie (vgl. Jungermann et al. 2005).

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Rössel, J., Weingartner, S. (2016). Rational Choice-Theorie in der Kultursoziologie. In: Moebius, S., Nungesser, F., Scherke, K. (eds) Handbuch Kultursoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-08001-3_5-1

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