Zusammenfassung
Begreift man „Kultur“ als Bedeutungsgewebe und je spezifische, relativ stabile und veränderliche Verflechtung von Deutungs- und Handlungspraxis in sozialen Kollektiven, und betreibt man Diskursforschung als Erkundung gesellschaftlicher Konflikte, Stabilisierungen und Transformationen symbolischer Ordnungen, dann ist unmittelbar einsichtig, dass Diskursforschung als eine Form der Kulturanalyse verstanden werden kann. Allerdings muss von unterschiedlichen Ansätzen und Gebrauchsweisen des Diskursbegriffs ausgegangen werden, die mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und methodischen Umsetzungen einhergehen. Der Beitrag stellt dazu die für die Kultursoziologie wichtigsten Positionen vor, erläutert die jeweiligen Diskursverständnisse sowie Analyseinteressen und diskutiert methodische Vorgehensweisen.
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Notes
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Vor allem im englischsprachigen Raum wird der Begriff „discourse analysis“ auch für konversations- und gesprächsanalytische Ansätze im Rahmen der linguistischen Pragmatik oder auch der ethnomethodologischen Tradition benutzt. Diese Ansätze sind hier nicht Gegenstand der Diskussion. Vgl. allgemein zu aktuellen Entwicklungen der Diskursforschung die Beiträge in der Zeitschrift für Diskursforschung/Journal for Discourse Research.
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Der Fokus liegt dabei auf soziologischen bzw. soziologienahen Positionen. Die breite sprachwissenschaftliche Diskursforschung und auch Ansätze einer politikwissenschaftlichen Diskursanalyse oder im Zusammenhang feministischer Forschungen werden hier nicht angeführt. Zwar ist insbesondere die Critical Discourse Analysis bei Norman Fairclough eng an soziologischen Grundlagen orientiert. Doch die praktischen Umsetzungen der CDA bzw. auch der deutschsprachigen Kritischen Diskursanalyse zielen in erster Linie auf die Entlarvung ökonomisch basierter ideologischer Positionen oder die Analyse der sprachlich-rhetorischen Mittel rechtsextremer und rechtspopulistischer Diskurse. Sie werden in der Soziologie wenig rezipiert.
- 4.
Ein entsprechendes Beispiel gibt das Buch „Der Fall Rivière“ (Foucault 1975).
- 5.
Davon zu unterscheiden sind Perspektiven, für die Foucault zwar ein zentraler Ausgangs- und Bezugspunkt darstellt, die aber nicht beanspruchen, „Foucaultsche“ Forschung zu betreiben (vgl. dazu etwa die Beiträge in Bührmann et. al. 2007).
- 6.
Vgl. zum methodischen Vorgehen die Hinweise bei Martin Nonhoff (2010).
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Keller, R. (2017). Diskursforschung in der Kultursoziologie. In: Moebius, S., Nungesser, F., Scherke, K. (eds) Handbuch Kultursoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-08001-3_14-1
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