Zusammenfassung
In der römisch-katholischen Kirche ist inzwischen kaum ein Text so umstritten wie das 2016 erschienene päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“, das – im Anschluss an eine Bischofssynode – auf die wachsende Pluralisierung und Säkularisierung privater Lebensformen reagiert, welche die bisherige Reproduktionsbasis der Kirche als „Nachwuchskirche“ bedrohen. Die von Papst Franziskus postulierten Anpassungsleistungen der Kirche an das moderne Zusammenleben sind vor allem deshalb umstritten, weil dabei auch ein Wandel im Selbstverständnis der Kirche gefordert wird, das eher inklusionistisch als exklusionistisch, eher wertorientiert als norm- und damit sanktionsorientiert ausgerichtet ist. Im Blick auf die Auseinandersetzung um Status, Stil und Inhalt von „Amoris laetitia“ und auf die Art und Weise der Rezeption dieses Schreibens wird ein öffentlich ausgetragener „basaler Konflikt“ (Lewis Coser) deutlich: zwischen unterschiedlichen Statusgruppen der katholischen Kirche um ihre zukünftige Identität als „Gnadenanstalt“.
Abstract
In the Roman Catholic Church, hardly any text is as controversial as the papal letter “Amoris laetitia” published in 2016. It—following a Synod of Bishops—responds to the growing pluralization and secularization of forms of private life threatening the former reproductive base of the church. Pope Francis postulates the church’s adaptation to such modern coexistence. This caused disputes above all because it also calls for changing the self-conception of the church, which is oriented more towards inclusion than as exclusion, more value-oriented than norm-oriented and thus less sanction-oriented. In view of the dispute over the status, style and content of “Amoris laetitia” and the way in which this letter is received, a public “basal conflict” (Lewis Coser) becomes visible between different status groups of the Catholic Church about their future identity as “Gnadenanstalt”.
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Ebertz, M.N. Der Kampf um die Kirche – in der katholischen Kirche. Z Religion Ges Polit 2, 9–26 (2018). https://doi.org/10.1007/s41682-018-0018-x
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