Zusammenfassung
Seitdem sich auf Grund der Rassenmischung von Spätantike und Völkerwanderung die europäischen Nationalstaaten gebildet haben, ist jeder Denker, Dichter oder Künstler in seiner Volkszugehörigkeit eindeutig bestimmt und der Anteil seines Volkes an seinem Werke abschätzbar, soweit überhaupt derart imponderable Dinge abgeschätzt werden können. Pascal ist Franzose, Fichte ist Deutscher, Dostojewski ist Russe, und in dieser Begriffsbestimmung werden zugleich alle rassenmässigen politisch-historischen und culturellen Zusammenhänge lebendig, die für uns den Begriff «Volk» bilden. Spinoza ist der einzige Denker der neueren Zeit, bei dem die Frage nach der Nationalität keine eindeutige Antwort findet. Soll man sagen, er sei Jude, weil er in den Bund Abrahams aufgenommen war und eine rabbinische Erziehung erhalten hat? Oder soll man sagen, er sei Portugiese, weil seine Eltern portugiesische Auswanderer mit rein-portugiesischer, nicht-jüdischer Bildung waren, und weil Portugiesisch seine Muttersprache, die Dichter der iberischen Halbinsel seine Lectüre waren? Oder soll man sagen, er sei Holländer, weil er in Amsterdam geboren und im Haag gestorben ist, weil er mit Rembrandt in Culturgemeinschaft, mit Johan de Witt in politischer Freundschaft verbunden war und weil er sicher selbst sich in der zweiten Hälfte seines Lebens als Holländer bezeichnet haben würde? Wenn wir, wie es bei der Bestimmung der Nationalität üblich ist, die Herkunft ins Auge fassen und die Schicksalsbestimmung die Herkunft bedeutet, so werden wir sagen, dass ihm seine Nation nicht gegeben, sondern aufgegeben war.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1962 Springer Science+Business Media Dordrecht
About this chapter
Cite this chapter
Gebhardt, C. (1962). Der gotische Jude. In: Hessing, S. (eds) Spinoza. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-017-6639-5_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-94-017-6639-5_6
Publisher Name: Springer, Dordrecht
Print ISBN: 978-94-017-6485-8
Online ISBN: 978-94-017-6639-5
eBook Packages: Springer Book Archive