Zusammenfassung
Über die These von der zunehmenden Säkularisierung in der gegenwärtigen Gesellschaft wird religionssoziologisch nach wie vor gestritten. Die einen halten diesen Trend für evident und auch für eine folgerichtige Begleiterscheinung zunehmender Rationalisierung des Wissens und der wissensabgeleiteten Erscheinungsformen von Praxis. Die anderen beobachten und sind auf der Suche nach Trends der Wiederbelebung religiöser Inhalte in der Beantwortung der Sinnfrage. Für sie ist beispielsweise die tatsächlich häufig mit der Abwendung von kirchlichen Bindungen, so hat es den Anschein, gleichsam kompensatorisch einhergehende Zuwendung zu esoterischen Aktivitäten ein wichtiges Signal für religiöse Renaissancen. Ich verkneife mir, diesen Streit daraufhin abzuklopfen, inwieweit in der Verkleidung einer religionssoziologischen Thematisierung dieser Trenddiagnosen interessierte Hoffnungen mitschwingen, die der eigenen religiösen Praxis in ihrer Unentschiedenheit geschuldet sind. Ich möchte im folgenden vielmehr begründen, warum dieser Streit soziologisch mir nicht gar so sehr von Belang zu sein scheint. Ausgehend von dem Strukturmodell von Religiosität, das ich in dem Sammelband von Monika Wohlrab-Sahr (1995) vorgestellt habe, und einer darin zentralen Trennung zwischen der Struktur und von Inhalten der Religiosität, halte ich daran fest, dass Religiosität strukturell durch die Prozesse der Säkularisierung nicht aufgelöst wird, und dass es sich bei der Säkularisierung um eine konsequente Weiterentwicklung der Religiosität selbst handelt. Auf der anderen Seite habe ich an der empirischen Tendenz zunehmender Säkularisierung keinen nennenswerten Zweifel und verstehe darunter das Verdampfen religiöser Inhalte in der praxisstrukturierenden, verbindlichen Deutung existentiell zen traler Übergänge des Lebens im Zusammenhang von Geburt, Heirat, Tod sowie sozialisatorischen und biographischen Krisen.
Diese Langfassung meines Vortrages auf der Tagung der Sektion „Religionssoziologie“ der DGS habe ich ausarbeiten können dank der großzügigen Arbeitsbedingungen, die ich in Ergänzung meines Fellowship des Jahres 2000 im August und September 2001 am Hanse Wissenschaftskolleg in Delmenhorst genießen durfte. Ich möchte dafür auch an dieser Stelle meinen tief empfundenen Dank abstatten.
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Literatur
Oevermann, Ulrich (1995): Ein Modell der Struktur von Religiosität. Zugleich ein Strukturmodell von Lebenspraxis und von sozialer Zeit, in: Wohlrab-Sahr, Monika (Hrsg.): Biographie und Religion. Zwischen Ritual und Selbstsuche, Frankfurt/M., 27–102.
Ders. (2000): Die Farbe. — Sinnliche Qualität, Unmittelbarkeit und Krisenkonstellation. — Ein Beitrag zur Konstitution von ästhetischer Erfahrung, in: Fehr, Michael (Hrsg.): Die Farbe hat mich — Positionen zur nichtgegenständlichen Malerei, Essen, 426–473.
Ders. (2001a): Die Krise der Arbeitsgesellschaft und das Bewährungsproblem des modernen Subjekts, in: Becker, Roland et al. (Hrsg.): Gemeinwohl und Eigeninteresse. Kulturspezifische Ausprägungen in den USA und Deutschland, Konstanz, 19–38.
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Ders. (2001d): Bausteine einer Theorie künstlerischen Handelns aus soziologischer Sicht, Unpubliziertes Manuskript, Frankfurt/M., 56 S.
Ders. (2001e): Charismatisierung von Herrschaft und Geltungsquellen von Gerechtigkeit im Prooemium der Konstitutionen von Melfi (1231) des Kaisers Friedrich II. — Eine objektiv hermeneutische Sequenzanalyse des Dokuments, Unpubliziertes Manuskript, Langfassung des gleichnamigen Vortrags auf der von Johannes Fried geleiteten Tagung „Wissen an Höfen und Universitäten: Rezeption, Transformation, Innovation“ am 5. und 6. 10. 2001 in Frankfurt/M., 90 S.
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Oevermann, U. (2003). Strukturelle Religiosität und ihre Ausprägungen unter Bedingungen der vollständigen Säkularisierung des Bewusstseins. In: Gärtner, C., Pollack, D., Wohlrab-Sahr, M. (eds) Atheismus und religiöse Indifferenz. Veröffentlichungen der Sektion „Religionssoziologie“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, vol 10. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09301-5_15
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