Skip to main content

Mitmenschlichkeit in der modernen jüdischen Sozialethik. Elemente kommunitarischen Denkens bei Martin Buber, Käte Hamburger und Hermann Cohen

  • Living reference work entry
  • First Online:
  • 207 Accesses

Part of the book series: Springer Reference Geisteswissenschaften ((SPREFGEIST))

Zusammenfassung

Martin Bubers einflussreiche programmatische Überlegungen zu einer kollektiven Orientierung sowie zu einem gemeinschaftlichen Bewusstsein von Identität und Zugehörigkeit, in denen er zugleich nationale Denkmuster aufruft, werden im ersten Teil des Beitrages erörtert. Auch zeitgenössische Wirkungen seiner Überlegungen im zivilgesellschaftlichen Kontext werden berücksichtigt. Weiter untersucht der Beitrag die Mitmenschlichkeit, wie Käte Hamburger sie im Zusammenhang der philosophischen Mitleidsethik diskutiert und Hermann Cohen sie im Rahmen der jüdischen Sozialethik als praktizierte Gesinnung des Wohltuns verteidigt, die auch den Fremden einbezieht.

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Notes

  1. 1.

    Für Diskussionen und weiterführende Anregungen danke ich Anne Cress und Hans-Peter Kunz.

  2. 2.

    Ähnlich äußert sich später auch Amitai Etzioni. Für ihn sind Gemeinschaften – und hierbei verweist er auf Durkheim – dann als solche anzusehen, wenn sie affektive Beziehungen pflegen und darüber hinaus „einige gemeinsame zentrale Werte aufrechterhalten“ sowie „gemeinsame Formulierungen des Guten“ zu Wege bringen, die wiederum – und hierbei verweist er auf Buber – im Dialog entwickelt werden (Etzioni 1999, S. 32, 27–28).

  3. 3.

    Buber erläutert: „Hebräischer Humanismus bedeutet also: erstens, Zurückgreifen auf die sprachliche Überlieferung unserer klassischen Antike, auf die hebräische Bibel; zweitens, Aufnahme der Bibel nicht um ihres literarischen, geschichtlichen und nationalen Wertes willen, wie wichtig auch all dies im übrigen ist, sondern um des normativen Wertes des biblischen Menschenbildes willen; …“ (Buber 1941, S. 4).

  4. 4.

    Als Prager ‚Kulturzionistinnen‘ zählen mindestens Else Bergmann, geb. Fanta und Elsa Brod, geb. Taussig, die den ‚Klub jüdischer Frauen und Mädchen‘ mit begründeten, aber auch Grete Straschnow und Lise Weltsch, die als dessen Präsidentin fungierten (Neubauer 2016, S. 28). Als im Jahre 1916 „die führenden Vertreter des Prager Kulturzionismus eingezogen“ waren (Neubauer 2016, S. 28), ergriffen die Mitglieder der verschiedenen Frauenvereine erheblich mehr Aufgaben: „So war es in Prag vor allem Nelly Thieberger, die die offiziellen Positionen in der zionistischen Bewegung einnahm. Ebenso wie Max Brod war auch sie nun Vertreterin des Distriktskomitees. Darüber hinaus übernahm sie die Leitung der ‚Selbstwehr‘, die in Prag herausgegebene kulturzionistische Wochenschrift“ (Neubauer 2016, S. 28).

  5. 5.

    Ein Bruchteil ihrer Publikationen, rund dreißig im ‚langen neunzehnten Jahrhundert‘ veröffentlichte Texte wurden jüngst in einem von mehreren Bänden der „Schriften zur jüdischen Sozialethik“ neu herausgegeben (Brocke und Paul 2015). In den im Band zur Nächstenliebe – als einem thematischen Unterbereich jüdischer Sozialethik – präsentierten Texten geht es „ums praktische Handeln“ nicht auf institutioneller, sondern „auf der individuellen Ebene (…) im Bereich von Sorge, Fürsorge, Liebe, Verantwortung“, reflektiert wird über tätige Hilfe sowie über den Anderen als bedürftigen Mitmenschen, aber auch über Humanität und Versöhnung (Paul 2015, S. 8–9).

  6. 6.

    Vermutlich ist nur ein Teil dieser Texte um der religionsphilosophischen Reflexion selbst willen entstanden. Eher wirkt es so, als sahen sich etliche der Autoren zu einer berichtigenden Reaktion genötigt. Denn sie waren starken Angriffen ausgesetzt, die auf Missverständnissen oder sogar gezielt provokanten Missdeutungen beruhten. Manche der Angreifer erlaubten sich darüber hinaus, gemeinsam mit der Deutung bestimmter Inhalte auch die bürgerliche Existenz der Angegriffenen in Frage zu stellen.

Literatur

  • Auerbach, Benjamin Hirsch. 1866. Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt. Nebst einem Anhange ungedruckter, die Literatur, wie die religiösen und politischen Verhältnisse der Juden in Deutschland in den letzten zwei Jahrhunderten betreffender Briefe und Urkunden. Halberstadt: Meyer. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/603171. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Baader, Benjamin M. 2001. Vom Rabbinischen Judentum zur bürgerlichen Verantwortung: Geschlechterorganisation und „Menschenliebe“ im jüdischen Vereinswesen in Deutschland zwischen 1750 und 1870. In Zwischen Markt und Staat. Stifter und Stiftungen im transatlantischen Vergleich, Hrsg. Thomas Adam und James Retallack, 14–29. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag.

    Google Scholar 

  • Bamberger, Isaak S. 1981 [1897]. Kommentar. In Pirke Aboth. Die Sprüche der Väter. Übersetzt und erklärt von Dr. S. Bamberger. Hrsg. vom Keren Hathora der Schweizerischen Agudas Jisroel, 5741.

    Google Scholar 

  • Brenner, Michael. 2000. Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. Müchen: C. H. Beck.

    Google Scholar 

  • Brocke, Michael, und Jobst Paul, Hrsg. 2015. Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Schriften zur jüdischen Sozialethik. Köln: Böhlau.

    Google Scholar 

  • Buber, Martin. 1901. Jüdische Renaissance. In Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum, Heft 1 (Januar), 7–10. Berlin: Calvary.

    Google Scholar 

  • Buber, Martin. 1911. Drei Reden über das Judentum. Frankfurt a. M.: Rütten & Loening.

    Google Scholar 

  • Buber, Martin. 1935. Vorbemerkung. In Der Nächste. Vier Abhandlungen über das Verhalten von Mensch zu Mensch nach der Lehre des Judentums. Hermann Cohen, 6–7. Berlin: Schocken.

    Google Scholar 

  • Buber, Martin. 1941. Hebräischer Humanismus. Neue Wege 35(14), Persistenter Link. https://doi.org/10.5169/seals-137867. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Cohen, Hermann. 1888. Die Nächstenliebe im Talmud. Ein Gutachten dem Königlichen Landgerichte zu Marburg erstattet. Marburg: Elwert. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/1043499. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Cohen, Hermann. 1935a [1894]. Über Wurzel und Ursprung des Gebots der Nächstenliebe. In Der Nächste. Vier Abhandlungen über das Verhalten von Mensch zu Mensch nach der Lehre des Judentums. Mit einer Vorbemerkung von Martin Buber, 11–18. Berlin: Schocken.

    Google Scholar 

  • Cohen, Hermann. 1935b [1910]. Gesinnung. In Der Nächste. Vier Abhandlungen über das Verhalten von Mensch zu Mensch nach der Lehre des Judentums. Mit einer Vorbemerkung von Martin Buber, 8–9. Berlin: Schocken.

    Google Scholar 

  • Cohen, Hermann. 1935c [1914]. Der Nächste. Eine kritische Untersuchung des biblischen Gebots der Nächstenliebe und seiner Mißdeutungen. In Der Nächste. Vier Abhandlungen über das Verhalten von Mensch zu Mensch nach der Lehre des Judentums. Mit einer Vorbemerkung von Martin Buber, 19–28. Berlin: Schocken.

    Google Scholar 

  • Conradi, Elisabeth. 2015. Rekonstruierendes Quellenstudium und Nachrezeption: Wie die politische Ideengeschichte zu bereichern ist. In „Die Stimme des Intellekts ist leise“. Klassiker/innen des politischen Denkens abseits des Mainstreams, Hrsg. Walter Reese-Schäfer und Samuel Salzborn, 85–111. Baden-Baden: Nomos.

    Chapter  Google Scholar 

  • Epstein, Oskar. 1910. Bericht über die Tätigkeit des Vereins der jüd. Hochschüler „Bar Kochba“ in Prag während des 35. Vereinssemesters (Sommer 1910) erstattet in der 36. Ordentlichen Generalversammlung vom Obmanne. [= Bar Kochba, Prague Collection AR 2964, Leo Beack Institute]. https://www.lbi.org/digibaeck/; http://ia802601.us.archive.org/5/items/barkochbapraguef001/barkochbapraguef001.pdf. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Etzioni, Amitai. 1999. Martin Buber und die kommunitarische Idee. Wiener Vorlesungen im Rathaus, Bd. 72. Wien: Picus Verlag.

    Google Scholar 

  • Farine, Avigdor. 1973. Charity and Study Societies in Europe of the Sixteenth–Eighteenth Centuries. Jewish Quarterly Review 64:16–47.

    Article  Google Scholar 

  • Gemilut Chessed. 1928. Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Hrsg. Georg Herlitz und Bruno Kirschner und unter redaktioneller Mithilfe von Ismar Elbogen et al., Band II, D–H, 1008. Berlin: Jüdischer Verlag, Frankfurt a. M.: Univ.-Bibliothek 2008. (online Ausgabe) http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/363116. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Hamburger, Käte. 1996. Das Mitleid, 2. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Google Scholar 

  • Herder, Johann Gottfried von. 1794. Briefe zu Beförderung der Humanität. Dritte Sammlung, Bd. 3. Riga: Hartknoch.

    Google Scholar 

  • Hirsch, Samson Raphael. 1895. Kommentar. Israels Gebete (Sidur Tefilot Yisra’el). Übersetzt und erläutert von Samson Raphael Hirsch. Vorrede von Mendel Hirsch. Frankfurt a. M.: Kauffmann. Aus der Sammlung des Leo Baeck Institutes, digitalisiert. Frankfurt a. M.: Univ.-Bibliothek 2012. (online Ausgabe) sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-177875. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Hirsch, Samson Raphael. 1994 [1895]. Kommentar. Pirke Avot. Sprüche der Väter. Übersetzt und erläutert von Samson Raphael Hirsch. Basel/Zürich: Morascha. 5754.

    Google Scholar 

  • Hollander, Dana. 2012. Love-of-neighbor and ethics out of law in the philosophy of Hermann Cohen. In German-Jewish thought between religion and politics. Festschrift in honor of Paul Mendes-Flohr on the occasion of his seventieth birthday. Studia Judaica, Hrsg. C. Wiese und M. Urban, Bd. 60, 83–113. Berlin: De Gruyter.

    Google Scholar 

  • Kant, Immanuel. 1797. Die Metaphysik der Sitten in zwey Teilen. Königsberg: Friedrich Nicolovius.

    Google Scholar 

  • Klapheck, Elisa. 2014. Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie. Berlin: Hentrich & Hentrich.

    Google Scholar 

  • Lässig, Simone. 2004. Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Google Scholar 

  • Linden, Harry van der. 1994. Hermann Cohen’s political philosophy and the communitarian critique of liberalism. In Cahiers de philosophie politique et juridique 26, L‘ école de Marbourg, 93–118. Caen: Presses universitaires de Caen.

    Google Scholar 

  • Neubauer, Rahel Rosa. 2016. „Hedad – auf geht’s!“ – Die jüdischen Märchen Irma Singers vor dem Hintergrund des Prager Kulturzionismus. Dissertation, Wien. http://othes.univie.ac.at/43507/1/42378.pdf. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Paul, Jobst. 2015. Einleitung. In Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Schriften zur jüdischen Sozialethik, Hrsg. Michael Brocke und Jobst Paul, 7–19. Köln: Böhlau.

    Google Scholar 

  • Perles, Rosalie. 1905. Unsere Großmütter. In Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur, Hrsg. vom Verbande der Vereine für Jüdische Geschichte und Literatur in Deutschland, Heft 1, S. 159–175.

    Google Scholar 

  • Philippson, Ludwig. 1845. Die That. In Siloah. Eine Auswahl von Predigten. Zur Erbauung so wie insonders zum Vorlesen in Synagogen, die des Redners ermangeln. Zweite Sammlung, 245–253. Leipzig: Baumgärtner. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/6044051. Zugegriffen am 20.04.2018.

  • Reese-Schäfer, Walter. 2006. Politische Theorien der Gegenwart in fünfzehn Modellen. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

    Book  Google Scholar 

  • Schaeder, Grete. 1966. Martin Buber. Hebräischer Humanismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Google Scholar 

  • Schäfer, Barbara. 2007. Jüdische Renaissance und Kultur. In Martin Buber Werkausgabe. Band 3. Frühe jüdische Schriften 1900–1922, Hrsg. eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

    Google Scholar 

  • Scholem, Gershom. 1970. Judaica 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Scholem, Gershom. 1975. Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Schopenhauer, Arthur. 2007 [1840]. Über die Grundlage der Moral, Hrsg. Peter Welsen. Hamburg: Meiner.

    Google Scholar 

  • Susman, Margarete. 1913. Spinoza und das jüdische Weltgefühl. In Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Hrsg. Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag [Hans Kohn], 51–70. Leipzig: Wolff.

    Google Scholar 

  • Susman, Margarete, Hrsg. 1992 [1918]. Die Revolution und die Frau. In Das Nah- und Fernsein des Fremden. Essays und Briefe, mit einem Nachwort versehen von Ingeborg Nordmann, 117–128. Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag. Zuerst in: Das Flugblatt Nr. 4 (Hrsg. Norbert Einstein) Frankfurt a. M. (Dezember).

    Google Scholar 

  • Tönnies, Ferdinand. 1887. Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. Leipzig: Fues.

    Google Scholar 

  • Vogt, Stefan. 2016. Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890–1933. Göttingen: Wallstein.

    Google Scholar 

  • Weltsch, Robert. 1963. Bubers politische Philosophie. In Martin Buber, Hrsg. Paul A. Schilpp und Maurice S. Friedman. Stuttgart: Kohlhammer.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Elisabeth Conradi .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2018 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this entry

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this entry

Conradi, E. (2018). Mitmenschlichkeit in der modernen jüdischen Sozialethik. Elemente kommunitarischen Denkens bei Martin Buber, Käte Hamburger und Hermann Cohen. In: Reese-Schäfer, W. (eds) Handbuch Kommunitarismus. Springer Reference Geisteswissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_8-1

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_8-1

  • Received:

  • Accepted:

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-16864-3

  • Online ISBN: 978-3-658-16864-3

  • eBook Packages: Springer Referenz Sozialwissenschaften und Recht

Publish with us

Policies and ethics