Zusammenfassung
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das Verständnis der Gesellschaftskritik bei den Kommunitariern. Diese Kritik versteht sich in ihrer Vorgehensweise als hermeneutisch. Sie knüpft interpretativ an die bestehenden normativen Grundlagen einer Gesellschaft an. Anstatt externe Maßstäbe an die Gesellschaft heranzutragen, bleibt sie mit ihr verbunden. Ausgehend von einer Typologie, die Michael Walzer für unterschiedliche Formen der Kritik aufgestellt hat, werden die Eigenschaften dieser spezifisch kommunitarischen Gesellschaftskritik dargelegt.
Notes
- 1.
Über die Marxisten sagt Walzer darüberhinausgehend: „Implizit und manchmal explizit lehnten sie die Vorstellung von Gesellschaftskritik als kollektiver Reflexion über das kollektive Zusammenleben ab; denn sie leugneten die Wirklichkeit des kollektiven Lebens, d. h. gemeinsamer Werte und einer gemeinsam geteilten Tradition“ (Walzer 1990, S. 69).
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Je nachdem, ob die Maßstäbe der entsprechenden Gesellschaft entnommen werden oder diese Maßstäbe aus einer externen Quelle kommen, wird zwischen interner und externer Kritik (Rössler 1993, S. 1038; Celikates 2009, S. 160–166; Stahl 2013, S. 26–30; Jaeggi 2014, S. 261–263), zwischen internalistsichen und externalistischen Ansätzen (Allen 2002, S. 552), zwischen starker und schwacher Gesellschaftskritik (O’Neill 2000) oder rekonstruktiven und konstruktiven Formen (Honneth 2000) unterschieden.
- 4.
Eine interessante Verteidigung des Ansatzes von Rawls gegenüber Walzer findet sich bei Barry (1990), welcher der rawlsschen Erfindung ein kritischeres Potenzial und deutlich größere Errungenschaften bei der Veränderung sozialer Verhältnisse zuspricht. Am Maßstab des Erfolges, könne sich Walzers Ansatz kaum mit demjenigen von Rawls messen (Barry 1990, S. 373).
- 5.
Zu verschiedenen Auslegung dieser Spiegel-Metapher bei Walzer siehe Iser (2002, S. 583–586).
- 6.
Beiner (1997) diskutiert eine Spannung in der Konzeption von Taylor, wonach derjenige Teil seiner Theorie, der darauf ausgelegt ist, die vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch herauszufordern, häufig gegenüber einer bloßen Rhetorik des Verstehens vernachlässigt wird. Für die Praxis der Gesellschaftskritik bei Charles Taylor sowie ihrer Verbindung zu Michael Walzer siehe auch Rosa (1996).
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Olbrich, A. (2019). Gesellschaftskritik und Kommunitarismus. In: Reese-Schäfer, W. (eds) Handbuch Kommunitarismus. Springer Reference Geisteswissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_23-2
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Gesellschaftskritik und Kommunitarismus- Published:
- 08 March 2019
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_23-2
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Original
Gesellschaftskritik und Kommunitarismus- Published:
- 05 April 2018
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_23-1