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Kritische Theorie und Krise: Landnahme an den Grenzen kapitalistischer Dynamik

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Handbuch Kritische Theorie

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Zusammenfassung

Im Verlauf ihrer Entwicklung hat die Kritische Theorie in ihren Hauptströmungen die Analysefähigkeit für ökonomische Krisen und insbesondere auch für große Krisen kapitalistischer Akkumulation eingebüßt. Das rächt sich in Zeiten, in denen globale ökonomische, soziale und politische Verwerfungen eine Rückkehr zur Normalität raschen Wachstums ausschließen. Der Beitrag skizziert Grundlinien marxistischer Krisendiskussion, rückt sie in den Kontext kapitalistischer Landnahmen, skizziert exemplarisch die Landnahmen des Sozialen und benennt neue Herausforderungen für eine Theorie der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise.

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Notes

  1. 1.

    Weitere eigenständige Ursachen sind die Intransparenz von Finanzmarktprodukten und -risiken sowie die durch die Geldpolitik verstärkten weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte. Hinzu kommen das System der Schattenbanken und dessen transnationale Verflechtungen; bankeninterne Konkurrenzen, die dazu führen, dass diejenigen Filialen den Zuschlag für Geschäfte bekommen, die einer besonders lockeren Regulierung unterliegen; die Unterstützung von Geschäften, die für Bankvorstände mathematisch intransparent sind; eine „kreative Buchführung“, die Risiken verschleiert; Unsicherheiten der buchhalterischen Vermögensbewertung bei volatilen Märkten; das Agieren von jungen, hochqualifizierten Männern mit außergewöhnlichem Talent, die von außen schwer zu kontrollieren sind sowie die technologische Beschleunigung von Prozessen im computergestützten Hochfrequenzhandel. Dies alles bewirkt einen Kontrollverlust im Finanzsektor, der die Kumulation von immer größeren Risiken fördert.

  2. 2.

    Danach entspricht die Polanyi’sche Diagnose nicht dem historischen Forschungsstand, weil sie den Einfluss von Märkten überzeichnet.

  3. 3.

    Methodisch gibt es eine Nähe zum Theorieprogramm eines „Democratic Marxism“, der für unterschiedliche Kapitalismusanalysen offen ist und Demokratie als Ausgangspunkt für Alternativen zum Kapitalismus begreift (vgl. Williams und Satgar 2013, S. III).

  4. 4.

    Von einer kapitalistischen Gesellschaftsformation kann gesprochen werden, wenn „kapitalistische Prinzipien eine gewisse Dominanz besitzen“, wenn sie dazu tendieren „über die Wirtschaft hinaus in andere Bereiche auszugreifen“ und auch nichtkapitalistische Verhältnisse zu prägen (Kocka 2013, S. 12).

  5. 5.

    Harveys Analyse bleibt in diesem Punkt blass. Vage spricht er mit Blick auf 2008/09 von der Krise, aber es bleibt doch unklar, worin die so angedeutete besondere Qualität besteht.

  6. 6.

    Darin stimme ich mit M. Burawoy überein (vgl. Burawoy 2013).

  7. 7.

    Die Angaben beruhen auf Daten des Statistischen Bundesamtes und des IAB.

  8. 8.

    Noch habe der Klimawandel „keine größeren wirtschaftlichen Auswirkungen“, doch selbige stellten sich früher oder später unweigerlich ein (Galbraith, S. 9).

  9. 9.

    „‚Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt‘, sagen die an der Spitze, während sie unbekümmert verschweigen, dass man mit den ‚übermäßigen Ausgaben‘ ihre Besitztümer gerettet hat. Gleichzeitig wird dem Rest der Bevölkerung gesagt, er müsse ‚die Gürtel enger schnallen‘ – und das von Leuten, die selbst viel größere Hosen tragen und keinerlei Willen erkennen lassen, an der Lösung des Problems mitzuwirken. Wenn ärmere Bevölkerungsschichten unverhältnismäßig für ein Problem zur Kasse gebeten werden, das von jenen an der Spitze verursacht wurde, und wenn letztere energisch jede Verantwortung von sich weisen und sie dem Staat zuschieben, dann werden dem Staat nicht nur die Mittel zur Behebung des Problems fehlen, dann wird sich auch die Polarisierung der Gesellschaft verschärfen, und es werden sich die ohnehin schon geringen Chancen einer durchhaltbaren Politik verschlechtern, die der doppelten Herausforderung hoher Schulden und geringen Wachstums gewachsen wären. Populismus, Nationalismus und Forderungen nach einem neuen Gleichgewicht zwischen ‚Gott und Geld‘ sind das Ergebnis ungerechter Austeritätspolitik. Keiner profitiert davon, nicht einmal die Reichen.“ (Blyth 2013, S. 40).

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Dörre, K. (2017). Kritische Theorie und Krise: Landnahme an den Grenzen kapitalistischer Dynamik. In: Bittlingmayer, U., Demirovic, A., Freytag, T. (eds) Handbuch Kritische Theorie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12707-7_52-1

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