Zusammenfassung
Kriegsfilme entwerfen Szenarien, die vor einem Publikum bestehen müssen, das selbst zwar zu großen Teilen über keine eigenen unmittelbaren Kriegserfahrungen verfügt, dafür allerdings über Zugang zu einem breiten medienvermittelten Wissen über historisch verbürgte, kriegerische Ereignisse. Nichtsdestotrotz sind die filmischen Vorstellungen vom Krieg primär als die Interpretationen historischer Ereignisse vor dem Hintergrund des jeweiligen Produktionsumfeldes der Filme zu verstehen. Womit der Kriegsfilm vielmehr als Zeitzeuge seiner eigenen Gegenwart zu verstehen ist, als von einem bereits vergangenen Krieg. Für die Filmsoziologie liegt hier ein vielsagender Untersuchungsgegenstand vor, denn: Innerhalb dieses Zusammenspiels aus Produktionskontext, historischem Ereignis und medialer Interpretation modifizieren Kriegsfilme zu einem entscheidenden Teil die Verfasstheit des kollektiven Kriegsverständnisses.
Schlüsselwörter
Notes
- 1.
Ursprünglich: „Sometime theyʼll give a war and nobody will come“ (Sandburg 1936, The People, Yes [Gedicht]).
- 2.
Einen Einstieg in die aktuelle Forschungslandschaft bieten für den angloamerikanischen Raum insbesondere Robert Eberweins The Hollywood War Film, Guy Westwells War Cinema. Hollywood on the Front Line, James Chapman War and Film, Jeanine Basinger The Combat Movie sowie auch Martin Bakers A ‚Toxic Genreʻ. The Iraq War Films, auch wenn sich die letzten beiden Bücher der filmischen Auseinandersetzung mit jeweils nur einem bestimmten Krieg verschrieben haben. Für den deutschsprachigen Raum sind vor allem Elisabeth Bronfens Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung sowie der Band von Herrmann Kappelhoff, Genre und Gemeinsinn: Hollywood zwischen Krieg und Demokratie, zu nennen. Eine kurze Einführung in das Genre sowie zahlreiche Filmbesprechungen finden sich in Marcus Stigleggers, Thomas Kleins und Bodo Trabers (Hrsg.) Filmgenres Kriegsfilm, gleiches leistet der Band von Heinz-B. Heller, Burkard, Röwekamp und Matthias Steinle, Matthias (Hrsg.), All Quiet on the Genre Front? Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms. Filme wie Die Waffen nieder (1914), Jʼaccuse (1917/18), Westfront 1918 (1930), Im Westen nichts Neues (1930) zeigen, dass mit dem Kriegsfilm auch sein filmischer Zwilling der Antikriegsfilm auf der Leinwand erschienen ist. Burkard Röwekamp setzt sich mit der Geschichte und der Gestaltung dieser Filme in Antikriegsfilm. Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis auseinander. Gerhard Paul nährt sich in Bilder des Krieges. Krieg der Bilder dem Verhältnis von Krieg und filmischer Repräsentation aus historischer Perspektive. Kein Überblicksband zur Genese und Geschichte des Genres Kriegsfilm, dennoch grundsätzlich und diskursprägend für die Auseinandersetzung mit dem Kriegsfilm ist Paul Virilios Schrift zu Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, die 1986 erschienen ist.
- 3.
Diese Aussage wird bereits an früherer Stelle vorbereitet, wenn den wartenden US-Soldaten zur Einstimmung auf den Krieg Coppolas Acopalypse Now gezeigt wird.
Literatur
Altman, Rick. 2006. Film und Genre. In Geschichte des internationalen Films, Hrsg. Geoffrey Nowell-Smith, 253–259. Stuttgart: J.B. Metzler.
Bakers, Martin. 2007. A ‚toxic genre‘: The Iraq War films. London: Pluto Press.
Basinger, Jeanine. 2003. The World War II combat film: Anatomy of a genre. Middletown: Wesleyan University Press.
Belton, John. 1994. American cinema/American culture. New York: McGraw-Hill.
Bordwell, David. 1985. Narration in the fiction film. Madison: University of Wisconsin Press.
Bourdieu, Pierre, Hrsg. 1985. Sozialer Raum und ‚Klassenʻ. In Sozialer Raum und ‚Klassenʻ. Leçon sur la Leçon. Zwei Vorlesungen, 9–46. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bronfen, Elisabeth. 2013. Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Chapman, James. 2008. War and film. Islington: Reaktion Books.
Coppola, Elenor. 1987. Vielleicht bin ich zu nah. Notizen bei der Entstehung von Apocalypse Now. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Denzin, Norman K. 2003. Reading Film – Filme und Videos als sozialwissenschaftliches Erfahrungsmaterial. In Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hrsg. Uwe Flick, 2. Aufl., 416–428. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Eberwein, Robert. 2009. The Hollywood war film. Hoboken: Wiley.
Erll, Astrid. 2008. „Bringing War Home“: Jarhead und die Kriegserinnerung made in Hollywood. In Film und kulturelle Erinnerung: Plurimediale Konstellationen, Hrsg. Astrid Erll, Stephanie Wodianka, Sandra Berger und Julia Schütze, 139–169. Berlin/Boston: De Gruyter.
Erll, Astrid. 2012. War, film and collective memory: Plurimedial constellations. Journal of Scandinavian Cinema 2(3): 231–235.
Everschor, Franz, Hrsg. 2003. Hollywood als politische Kraft. In Brennpunkt Hollywood. Innenansichten aus der Filmmetropole der Welt, 205–207. Marburg: Schüren.
Friedmann, Georges, und Edgar Morin. 1952. Sociologie du cinéma. Revue internationale de Filmologie 10: 95–112. Deutsche Ausgabe: Friedmann, Georges, und Edgar Morin. 2010. Soziologie des Kinos. Übers. Guido Kirsten. montage/AV 19(2): 21–42.
Holert, Tom, und Mark Terkessidis. 2002. Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Kappelhoff, Hermann, Hrsg. 2010. Der amerikanische Soldat: Pathos und Ohnmacht – Eine Contradictio in adjecto als Grundkonflikt des Hollywood-Kriegsfilms. In Kriegerische Mobilisierung: Die mediale Organisation des Gemeinsinns, Kap. 8.2. Freie Universität Berlin. http://www.empirischemedienaesthetik.fuberlin.de/multimediale_publikationen/kriegerische-mobilisierung/kapitel_8_2/index.html. Zugegriffen am 05.12.2017.
Kappelhoff, Hermann. 2016. Genre und Gemeinsinn. Hollywood zwischen Krieg und Demokratie. Berlin/Boston: De Gruyter.
Kappelhoff, Hermann, David Gaertner, und Cilli Pogodda, Hrsg. 2013. Mobilisierung der Sinne. Der Hollywood-Kriegsfilm zwischen Genrekino und Historie. Berlin: Vorwerk.
Keppler, Angela. 2006. Mediale Gegenwart: Eine Theorie des Fernsehens am Beispiel der Darstellung von Gewalt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kilb, Andreas. 1998. Der Tod am Omaha Beach. Steven Spielberg besiegt den Zweiten Weltkrieg im Kino: „Saving Private Ryan“. Die Zeit, 6. August.
Klein, Thomas, Marcus Stiglegger, und Bodo Traber, Hrsg. 2006. Einleitung. In Filmgenres: Kriegsfilm, 10–28. Ditzingen: Reclam.
Koebner, Thomas. 2007. Schlachtinszenierungen. In All Quiet on the Genre Front? Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms, Hrsg. Heinz-Bernd Heller, Burkhard Röwekamp und Mathias Steinle, 113–131. Marburg: Schüren.
Kracauer, Siegfried. 1964. Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kracauer, Siegfried, Hrsg. 1974a. Der historische Film. In Kracauer Kino Essays Studien Glossen zum Film, 43–45. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kracauer, Siegfried, Hrsg. 1974b. Das Grauen im Film. In Kracauer Kino Essays Studien Glossen zum Film, 25–27. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Krützen, Michalea. 2006. Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt a. M.: Fischer.
Linder, Ralf. 2015. Zwischen Propaganda und Anti-Kriegsbotschaft: Die Darstellung des Krieges im US-amerikanischen Spielfilm als Indikator gesellschaftlichen Wandels. Stuttgart: Ibidem-Verlag.
Paul, Gerhard. 2004. Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn: Schöningh.
Peltzer, Anja. 2011. Identität und Spektakel: Der Hollywood-Blockbuster als global erfolgreicher Identitätsanbieter. Konstanz: UVK.
Ritzer, Ivo. 2015. Wie das Fernsehen den Krieg gewann. Zur Medienästhetik des Krieges in der TV-Serie. Wiesbaden: Springer VS.
Robb, David L. 2004. Operation Hollywood: How the Pentagon shapes and censors the movies. New York: Prometheus Books.
Robnik, Drehli. 2002. Filmanalyse: Saving Private Ryan. In Moderne Filmtheorie, Hrsg. Jürgen Felix, 281–286. Mainz: Bender.
Röwekamp, Burkhard. 2011. Antikriegsfilm: Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis. München: Edition text+kritik im Richard Boorberg Verlag.
Sandburg, Carl. 1936. The People, Yes [Gedicht]. New York: Harcourt Brace and Company.
Schuff, Jochen, und Martin Seel, Hrsg. 2016. Einleitung: Erzählung, Rechtfertigung, Terror und Krieg im Kino. In Erzählungen und Gegenerzählungen. Terror und Krieg im Kino des 21. Jahrhunderts, 17–47. Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
Seel, Martin, Hrsg. 2017. Kann es einen gerechten Kriegsfilm geben? Francis Ford Coppolas Apocalypse Now. In „Hollywood“ ignorieren. Vom Kino, 230–257. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Virilio, Paul. 1994. Krieg und Kino: Logistik der Wahrnehmung. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Westwell, Guy. 2006. War cinema: Hollywood on the front line. New York: Wallflower Press.
Winter, Rainer. 1992. Filmsoziologie. Einführung in das Verhältnis von Film, Kultur und Gesellschaft. München: Halem. www.kriegsfilm.org.
Filmverzeichnis
All Quiet on the Western Front (US 1930, R: Lewis Milestone)
American Beauty (US 1999, R: Sam Mendes)
American Sniper (US 2014, R: Clint Eastwood)
Apocalypse Now (US 1979, R: Francis F. Coppola)
Bataan (US 1943, R: Tay Garnett)
Black Hawk Down (US 2001, R: Ridley Scott)
Combat naval en Grèce [Seegefecht in Griechenland] (FR 1897, R: Georges Méliès)
Courage under Fire (US 1996, R: Edward Zwick)
Dunkirk (US, GB, FR, NL 2017, R: Christopher Nolan)
Gone with the Wind (US 1939, R: Victor Fleming)
Hacksaw Ridge (US, GB 2014, R: Mel Gibson)
In the Valley of Elah (US 2007, R: Paul Haggis)
Jarhead (US 2005, R: Sam Mendes)
Johnny Got His Gun (US 1971, R: Dalton Trumbo)
Krigen [A War] (DK 2015, R: Tobias Lindholm)
Ned med våbnene [Legt die Waffen nieder!] (DK 1914, R: Holger-Madsen)
Paths of Glory (US 1957, R: Stanley Kubrick)
Platoon (US 1986, R: Oliver Stone)
Saving Private Ryan (US 1998, R: Steven Spielberg)
Schindler’s Ark (US 1994, R: Steven Spielberg)
Starship Troopers (US 1997, R: Paul Verhoeven)
Taxi Driver (US 1976, R: Martin Scorsese)
The Birth of Nation (US, 1915, R: David W. Griffith)
The Deer Hunter (US 1978, R: Michael Cimino)
Three Kings (US 1999, R: David O. Russell)
Under sandet [Unter dem Sand – Das Versprechen der Freiheit] (DK 2015, R: Martin Zandvliet)
War of the Worlds (US 2005, R: Steven Spielberg)
Westfront 1918 – Vier von der Infanterie (DE 1930, R: Georg W. Pabst)
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2018 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this entry
Cite this entry
Peltzer, A. (2018). Das Genre Kriegsfilm. In: Geimer, A., Heinze, C., Winter, R. (eds) Handbuch Filmsoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10947-9_48-1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-10947-9_48-1
Received:
Accepted:
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-10947-9
Online ISBN: 978-3-658-10947-9
eBook Packages: Springer Referenz Naturwissenschaften