Kapitelvorwort
Warum verlangt die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Relativität der Zeit?
Ist die Lorentz-Kontraktion wirklich oder scheinbar?
Welche Geometrie hat das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum?
Was sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Relativitätstheorie?
Dass sich physikalische Wirkungen nie schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, ist heutzutage allgemein bekannt, obwohl es im Alltagsleben und auch für einen Großteil der Experimentalphysik keine bedeutende Rolle spielt. Aber allein die Tatsache der Existenz einer absoluten Grenzgeschwindigkeit unterminiert die Grundlage, auf der die Newton’sche Mechanik aufgebaut wurde, denn in dieser haben nur Beschleunigungen eine absolute Bedeutung, während Geschwindigkeiten relativ und damit beliebig sind.
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Learn about institutional subscriptionsLiteratur
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Appendices
So geht’s weiter
1.1 Thomas‐Präzession: Die Relativität von Richtungen
Das Produkt von zwei Lorentz‐Transformationen, die reine Geschwindigkeitstransformationen sind, ist nur dann wieder eine reine Geschwindigkeitstransformation, wenn die dabei involvierten Geschwindigkeiten \(\boldsymbol{v}_{1}\) und \(\boldsymbol{v}_{2}\) parallel sind. Andernfalls ist immer auch eine Drehung des räumlichen Koordinatensystems im Spiel.
Betrachtet man von einem Inertialsystem aus eine allgemeine, nicht gleichförmige Bewegung eines Objekts, das in seinem Eigensystem eine Richtung auszeichnet, wie z. B. einen Kreiselkompass oder ein Elementarteilchen mit Spin (Abschn. 21.6), dann ändert sich diese Richtung vom Inertialsystem aus betrachtet, auch wenn im Eigensystem des Objekts keine Drehmomente im Spiel sind.
Betrachten wir beispielsweise zwei Raketen, die Kreiselkompasse mitführen und die anfangs in einem gemeinsamen Inertialsystem sind. Beschleunigt eine dieser Raketen zuerst auf Geschwindigkeit \(\boldsymbol{v}_{1}\) und danach auf eine zusätzliche Geschwindigkeit \(\boldsymbol{v}_{2}\nparallel\boldsymbol{v}_{1}\), dann hat sich ihr Kreiselkompass gegenüber der zweiten Rakete verdreht, wenn diese durch eine einzige lineare Beschleunigung in das neue Inertialsystem überwechselt. Das ist ein rein relativistischer Effekt, der in der Newton’schen Mechanik keine Entsprechung hat.
Wird nun ein Objekt auf einer ständig beschleunigten Bahnkurve bewegt, z. B. auf einer Kreisbahn, dann ändert sich, von einem Inertialsystem aus betrachtet, das mitgeführte räumliche Koordinatensystem (definiert durch Kreiselkompass oder Spin) kontinuierlich. Dieser ausschließlich kinematische Effekt heißt Thomas‐Präzession nach dem englischen Physiker Llewellyn Hilleth Thomas (1903–1992). Die Bedingung an das mitgeführte Koordinatensystem eines beschleunigten Objekts, nämlich dass dieses aus seiner Perspektive rotationsfrei gehalten wird und aus einer kontinuierlichen Abfolge von reinen Geschwindigkeitstransformationen besteht, heißt Fermi‐Walker‐Transport, benannt nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi (1901–1954) und dem britischen Mathematiker und Kosmologen Arthur Geoffrey Walker (1909–2001).
Betrachten wir nun von einem Laborsystem \(\mathcal{S}\) aus die Flugbahn eines Objekts mit Spin (Elektron oder Kreiselkompass), dann können wir zu jedem Zeitpunkt t, zu dem sich das Objekt mit Geschwindigkeit \(\boldsymbol{v}(t)\) bewegt, mit einer reinen Geschwindigkeitstransformation \(\Uplambda(\boldsymbol{v}(t))\) in das momentane Ruhesystem des Objekts übergehen und dadurch das räumliche Koordinatensystem des vom Objekt mitgeführten Systems mit dem des Laborsystems vergleichen. Bezeichnen wir mit \(\mathcal{B}(t)\) das aus der Sicht des beschleunigten Objekts rotationsfrei gehaltene Koordinatensystem, dann können wir es zu einem Zeitpunkt t gleich ausrichten wie ein Inertialsystem \(\mathcal{S}^{\prime}\), das mit dem Laborsystem durch eine reine Geschwindigkeitstransformation \(\Uplambda(\boldsymbol{v})\) verknüpft ist. Zu einem infinitesimal späteren Zeitpunkt \(t+\mathrm{d}t\) hat das Objekt aus Sicht des Laborsystems die Geschwindigkeit \(\boldsymbol{v}+\mathrm{d}\boldsymbol{v}\), aber \(\mathcal{B}(t)\) hat nun eine andere räumliche Orientierung als das System \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\), das durch \(\Uplambda(\boldsymbol{v}+\mathrm{d}\boldsymbol{v})\) mit dem Laborsystem rotationsfrei verknüpft ist. Die Systeme \(\mathcal{B}(t)\) und \(\mathcal{B}(t+\mathrm{d}t)\) unterscheiden sich definitionsgemäß um eine reine Geschwindigkeitstransformation \(\Uplambda(\mathrm{d}\boldsymbol{v}^{\prime})\), während \(\mathcal{S}^{\prime}\) und \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) durch
verknüpft sind, wie das Diagramm in Abb. 9.22 zeigt.
Hierbei ist
in Übereinstimmung mit dem allgemeinen relativistischen Additionstheorem für Geschwindigkeiten, während die (infinitesimale) Drehmatrix durch
gegeben ist, wie in Aufgabe 9.7 gezeigt wird. Schreibt man
dann ist der infinitesimale Drehvektor
Vom mitgeführten System aus betrachtet unterscheidet sich \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) von \(\mathcal{B}(t+\mathrm{d}t)\) nur durch eine passive Koordinatentransformation \(\Uplambda({\mathbf{d}}\boldsymbol{R})\). Aus der Sicht des Laborsystems \(\mathcal{S}\) hat sich das mitgeführte System \(\mathcal{B}\) zusammen mit einem damit verbundenen Spinvektor S aber um \(\Uplambda^{-1}({\mathbf{d}}\boldsymbol{R})\) aktiv gedreht:
Dieser präzediert also gemäß
mit einer Winkelgeschwindigkeit
die durch die momentane Geschwindigkeit und Beschleunigung bestimmt ist. Ist \(v\ll c\), dann ist dies wegen \(\gamma-1\approx\frac{1}{2}\frac{v^{2}}{c^{2}}\) näherungsweise
Man beachte, dass \(\boldsymbol{\Upomega}\) abhängig von der Relativgeschwindigkeit des Beobachters in \(\mathcal{S}\) ist. In einem momentanen Ruhesystem ist insbesondere die Geschwindigkeit \(\boldsymbol{v}=0\), und der Spinvektor präzediert gerade nicht. Durchläuft ein Objekt eine geschlossene Bahn und kommt in das Ausgangssystem zurück, dann kommt es aber zu einer eindeutig definierten Verdrehung des Spinvektors, die davon abhängt, wie groß die Beschleunigung entlang der Bahnkurve war.
Mit diesem relativistischen Effekt der Thomas‐Präzession konnte 1927 Thomas einen Widerspruch beseitigen, der sich in der nichtrelativistischen Quantenmechanik bei der Berechnung der Feinstruktur von Atomen ergeben hatte: Ein Elektron, das sich in einem radialsymmetrischen Potenzial \(V(r)=-Ze/r\) um den Atomkern bewegt, wird durch die Kraft \(m\boldsymbol{a}=-V^{\prime}(r)\boldsymbol{e}_{r}=-\boldsymbol{r}V^{\prime}(r)/r\) auf seiner Bahn gehalten. Der Spin des Elektrons, das sich in guter Näherung nichtrelativistisch bewegt, erfährt damit eine Präzession der Gestalt
wobei \(\boldsymbol{L}=\boldsymbol{r}\times(m\boldsymbol{v})\) der Bahndrehimpuls des Elektrons ist. Dies gibt eine Korrektur zur Spin‐Bahn‐Wechselwirkungsenergie des Elektrons, die sich aus der magnetischen Wechselwirkung von Bahndrehimpuls und Spin in der nichtrelativistischen Quantenmechanik ergibt (wie in Abschn. 29.3 hergeleitet werden wird). Bemerkenswerterweise haben dieser dynamische Beitrag und der rein kinematische der Thomas‐Präzession dieselbe Form, wobei letzterer den Effekt um einen Faktor \(\frac{1}{2}\) vermindert. Dieser Korrekturfaktor \(\frac{1}{2}\) wird in der Quantenmechanik auch Thomas‐Faktor genannt.
1.2 Geodätische Präzession und Lense‐Thirring‐Effekt
Ein analoger Effekt existiert auch im Gravitationsfeld, zu dessen Berechnung aber die allgemeine Relativitätstheorie herangezogen werden muss. Dieser Effekt, der geodätische Präzession genannt wird, wurde schon 1916 von dem niederländischen Astronomen Willem de Sitter (1872–1934) berechnet, also elf Jahre vor dem speziell‐relativistischen der Thomas‐Präzession (und weniger als ein Jahr nach Aufstellung der allgemeinen Relativitätstheorie). Der allgemein‐relativistische Effekt hat wieder die Form (9.98), wobei nun \(V(r)\) das Gravitationspotenzial darstellt, ist aber sogar um einen Faktor 3 größer, denn er setzt sich aus einer „gravi‐magnetischen“ Spin‐Bahn‐Kopplung zusammen, die exakt analog zur Thomas‐Präzession ist, und einem doppelt so großen weiteren Beitrag von der Raumkrümmung. Für Satelliten auf einem erdnahen Orbit beträgt diese geodätische Präzession einige Bogensekunden pro Jahr.
Zusätzlich dazu gibt es den noch subtileren, 1918 von Josef Lense (österreichischer Mathematiker, 1890–1985) und Hans Thirring (österreichischer Physiker, 1888–1976) gefundenen und nach ihnen benannten Effekt des frame dragging, der von der Rotation der Erde selbst hervorgerufen wird. Ein massiver rotierender Körper krümmt demnach nicht nur die Raumzeit, sondern verdrillt sie auch etwas, was zu einer weiteren Präzession führt, die als „gravi‐magnetische“ Spin‐Spin‐Wechselwirkung angesehen werden kann. Für Erdsatelliten macht der Lense‐Thirring‐Effekt nur etwa 40 Millibogensekunden pro Jahr aus, kann von der geodätischen Präzession aber unterschieden werden, weil er im Allgemeinen eine andere räumliche Drehachse hat. Beide Effekte konnten 2011 von dem 2004 gestarteten Satelliten Gravity Probe B (Abb. 9.23 ) mit hoher Genauigkeit bestätigt werden. (Für eine hervorragende Diskussion dieser Effekte und ihre Bedeutung für die allgemeine Relativitätstheorie siehe Overduin 2008.)
1 9.1 Mathematischer Hintergrund: Dualraum
Bei der Betrachtung von Vektorräumen sind immer wieder Abbildungen wichtig, die linear sind. Eine besondere Rolle spielen solche lineare Abbildungen, die in den Grundkörper abbilden. Damit wollen wir uns hier kurz beschäftigen.
Definition
Sei K ein Körper (z. B. \(K=\mathbb{R}\)) und V ein endlich dimensionaler K-Vektorraum (z. B. \(V=\mathbb{R}^{n})\). Dann nennen wir eine lineare Abbildung \(\varphi:V\rightarrow K\) eine Linearform. Die Menge aller Linearformen bezeichnen wir mit \(V^{*}\).
Eine Linearform ist also eine Abbildung der Form
für gewisse Konstanten \(a_{1},a_{2},\ldots,a_{n}\in K\). Der Dualraum \((K^{n})^{*}\) kann also mit dem Raum aller \((1\times n)\)-Matrizen, d. h. Zeilenvektoren der Länge n, identifiziert werden. Die zu \(a:=(a_{1},\ldots,a_{n})\) gehörige Linearform \(\varphi_{a}\) ist
Zum Beispiel ist \(\varphi:\mathbb{R}^{3}\to\mathbb{R},\varphi(x,y,z):=3x+y+4z\) eine Linearform, der dazugehörige Zeilenvektor ist \((3,1,4)\). Der Dualraum \((\mathbb{R}^{3})^{*}\) besteht nun aus der Menge aller solcher Linearformen \(\varphi:\mathbb{R}^{3}\to\mathbb{R}\).
Dualraum als Vektorraum
Sind \(\varphi,\psi\) zwei Linearformen und \(\alpha\in K\), so kann man die Summe \(\varphi+\psi\) sowie das skalare Produkt \(\alpha\varphi\) durch
definieren. Mit diesen Verknüpfungen wird der Dualraum \(V^{*}\) selbst zu einem Vektorraum. Dieser Vektorraum hat wieder dieselbe Dimension wie V und ist deswegen isomorph zu V.
Duale Basis
Wir hatten weiter oben bereits Linearformen mit Vektoren identifiziert. Dies wollen wir nun kurz präzisieren.
Da der Dualraum ein Vektorraum ist, können wir dort natürlich eine Basis finden. Hierfür gibt es eine besonders günstige Wahl. Ist im Vektorraum V eine Basis \((v_{1},v_{2},\ldots,v_{n})\) gewählt, so definieren wir \(v_{i}^{*}\in V^{*}\) durch
Dann ist \((v_{1}^{*},v_{2}^{*},\ldots,v_{n}^{*})\) eine Basis von \(V^{*}\). Wir nennen diese die duale Basis.
Damit wird nun auch die Identifikation von Linearformen als Vektoren klar: Bezüglich der dualen Basis sind die Vektorkomponenten \(\varphi_{j}\) der Linearform \(\varphi\) gerade die Werte \(\varphi(v_{j})\). Schreibt man nämlich \(\varphi\) in der dualen Basis als \(\varphi=\sum_{i=1}^{n}\varphi_{i}v_{i}^{*}\), so ist
Betrachten wir den Vektorraum K n zusammen mit der Standardbasis \((e_{1},\ldots,e_{n})\), so ist die duale Basis gegeben durch \((e_{1}^{*},\ldots,e_{n}^{*})\), wobei
und die 1 jeweils an der i-ten Stelle steht.
Dualität bei Skalarprodukträumen
Gibt es auf dem Vektorraum V ein Skalarprodukt, so ist für jedes feste \(w\in V\) die Abbildung
linear, also ein Element des Dualraumes \(V^{*}\). Ist nun umgekehrt \(\varphi\) eine Linearform, so gibt es immer einen Vektor \(w\in V\) (dessen Komponenten von den Komponenten der Linearform \(\varphi\) abhängen), sodass \(\varphi(v)=\langle w,v\rangle\) für alle \(v\in V\) gilt. Mit anderen Worten: Jede Linearform lässt sich durch ein Skalarprodukt darstellen.
In diesem Fall lässt sich eine Isomorphie zwischen Vektorraum und Dualraum sehr einfach darstellen, nämlich durch
Der Dualraum im Unendlichdimensionalen
In den späteren Kapiteln werden unendlichdimensionale Vektorräume (z. B. Funktionenräume) öfters eine wichtige Rolle spielen, insbesondere in Teil III.
Ist V ein unendlichdimensionaler Vektorraum, so verlangt man für Elemente des Dualraumes zusätzlich die Stetigkeit und schreibt dann für den Dualraum \(V^{\prime}\). Zum Beispiel ist in einem Hilbert-Raum \(\mathcal{H}\) (definiert in Abschn. 23.1) für jedes feste \(y\in\mathcal{H}\) die Abbildung
eine stetige lineare Abbildung, also ein Element von \(\mathcal{H}^{\prime}\). Für allgemeine unendlich dimensionale Vektorräume ist der Dualraum \(V^{\prime}\) nun nicht mehr unbedingt isomorph zum zugrunde liegenden Vektorraum V. Für Hilbert-Räume gilt die Isomorphie jedoch. Genauer sagt der Darstellungssatz von Fréchet-Riesz, dass es zu jedem Element \(f\in\mathcal{H}^{\prime}\) (also zu jeder stetigen, linearen Abbildung \(f:\mathcal{H}\rightarrow\mathbb{R}\) bzw. \(f:\mathcal{H}\rightarrow\mathbb{C}\)) genau ein \(y\in\mathcal{H}\) gibt, sodass für alle \(x\in\mathcal{H}\) gilt:
Literatur
-
Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
-
Arens et. al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akademischer Verlag (2012)
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
- •:
-
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
- ••:
-
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
- •••:
-
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathematische Modellbildung benötigen
9.1 •• Vorbeiflug von Teilchen an Stab
In einem Inertialsystem \(\mathcal{S}\) bewege sich ein Stab der Ruhelänge L 0 mit der Geschwindigkeit v in seiner Längsrichtung. Mit entgegengesetzt gleicher Geschwindigkeit fliege ein Punktteilchen auf den Stab zu und an ihm vorbei.
-
(a)
Wie lange dauert der Vorbeiflug im Inertialsystem \(\mathcal{S}\)?
-
(b)
Wie lange im Ruhesystem \(\mathcal{S}^{\prime}\) des Stabes?
-
(c)
Wie lange im Ruhesystem \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) des Punktteilchens?
Für welchen Fall ist das Ergebnis maximal bzw. minimal?
Empfehlenswerte Zusatzaufgabe: Fertigen Sie Minkowski‐Diagramme dazu an.
Lösungshinweis:
Definieren Sie sorgfältig die zwei Ereignisse, die zum Zusammentreffen von Teilchen und Anfangs‐ bzw. Endpunkt des Stabes gehören, und führen Sie die notwendigen Lorentz‐Transformationenen durch. Kontrollieren Sie Ihr Ergebnis durch eine alternative Berechnung mit der Formel für relativistische Geschwindigkeitsaddition.
9.2 • Zeitdilatation durch Erdrotation
„Man schließt daraus, daß eine am Erdäquator befindliche Unruhuhr um einen sehr kleinen Betrag langsamer laufen muß als eine genau gleich beschaffene, sonst gleichen Bedingungen unterworfene, an einem Erdpole befindliche Uhr“ schrieb Einstein (1905) in seiner Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. Schätzen Sie den Effekt ab, wenn vernachlässigt wird, dass die Erdoberfläche am Pol und am Äquator unterschiedliches Gravitationspotenzial hat und man eigentlich die Gravitationsrotverschiebung in die Rechnung einbeziehen müsste. Wie groß ist der Effekt nach einem Tag?
9.3 •• Bell’sches Raumschiffparadoxon
Der nordirische Physiker John S. Bell (1928–1990), bekannt durch die nach ihm benannten Ungleichungen, die in der Interpretation der Quantenmechanik eine bedeutende Rolle spielen (Kap. 24), berichtet in seinem Buch (Bell 1987), dass er mit folgendem Paradoxon sogar seine Physikerkollegen am CERN verblüffen konnte und dass eine Mehrheit davon zunächst spontan für die falsche Lösung votierte.
Man betrachte zwei identische Raketen, die entlang der x‐Achse in ihrem gemeinsamen Ruhesystem \(\mathcal{S}\) einen Abstand L 0 haben, über den sie durch einen fragilen, nicht dehnbaren Faden miteinander verbunden sind. Zum Zeitpunkt t = 0 sollen sie exakt gleichzeitig starten und durch einen identischen Beschleunigungsvorgang in x‐Richtung auf eine bestimmte Geschwindigkeit v gebracht werden. Vom Inertialsystem \(\mathcal{S}\), in dem sie gestartet sind, aus betrachtet, halten die beiden Raketen immer den gleichen Abstand, während der mitgeführte Faden, der die Raketen verbindet, auf eine Länge \(L=L_{0}/\gamma(v)\) Lorentz‐kontrahiert wird. Wenn der Faden nicht dehnbar ist, sollte er reißen. Kann das sein? Im Bezugssystem der beiden Raketen ist natürlich keine Lorentz‐Kontraktion vorhanden. Reißt nun der Faden, oder reißt er nicht?
Lösungshinweis:
Stellen Sie die Ereignisse in einem Minkowski‐Diagramm dar. Nehmen Sie an, dass die Beschleunigungsphase selbst vernachlässigbar kurz ist und sich danach beide Raketen mit gleicher Geschwindigkeit in positive x‐Richtung bewegen. Die Frage kann dann ohne Rechnung beantwortet werden.
9.4 ••• Relativistischer Zaubertrick mit Stab und Lochplatte
Ein zerbrechlicher Stab und eine massive Lochplatte werden im Laborsystem \(\mathcal{S}\) eines Trickkünstlers wie in Abb. 9.24 skizziert auf zueinander rechtwinkligen Bahnen mit relativistischer Geschwindigkeit aufeinander geschossen. Die Länge des Stabes und der Durchmesser des Loches sind in Ruhe gleich, sodass der Stab gerade nicht durch das runde Loch geschoben werden kann, wenn er parallel zur Platte liegt (solange seine Enden nicht zum Loch passend abgerundet werden). Bei relativistischer Bewegung des Stabes in seiner Längsrichtung wird der Stab aber Lorentz‐kontrahiert (bei z. B. \(v_{x}/c=\sqrt{3/4}\) und \(\gamma(v_{x})=2\) gerade auf die Hälfte) und sollte bequem und unbeschadet durch die Lochplatte durchgehen, die bei ihrer Bewegung in Richtung senkrecht zur Platte (mit Geschwindigkeit v y , die nicht unbedingt relativistisch sein muss) nur in ihrer Dicke Lorentz‐kontrahiert wird und sonst ihre Form beibehält.
Aus der Sicht des Ruhesystems des Stabes sieht dies aber unmöglich aus, denn hier sollte die Lochplatte, die sich nun auf schräger Bahn auf den Stab zu bewegt, in der Längsrichtung Lorentz‐kontrahiert sein, sodass der Stab schon gar nicht durchpasst. Eine Kollision scheint zu drohen, bei der die Enden des Stabes massiv geköpft werden.
Lösen Sie dieses Paradoxon auf, indem Sie die Trajektorien der Endpunkte des Stabes und der Randpunktes des Loches in der xy‐Ebene in beiden Inertialsystemen analysieren.
9.5 •• Additivität von Rapidität
Im Kasten „Vertiefung: Lorentz‐Transformation als imaginäre Drehung“ wurde als alternatives Maß für Geschwindigkeit die Rapidität ξ eingeführt,
Während der Wertebereich von β in Lorentz‐Transformationen durch \(-1<\beta<1\) beschränkt ist, hat man \(-\infty<\xi<\infty\).
Zeigen Sie, dass bei der Kombination von Lorentz‐Transformationen mit gleichgerichteten Geschwindigkeiten \(\boldsymbol{v}_{1}\!\parallel\!\boldsymbol{v}_{2}\) die zugehörigen Rapiditäten \(\xi_{1}\), \(\xi_{2}\) einfach addiert werden:
Lösungshinweis:
Verwenden Sie die Darstellung der hyperbolischen Funktionen durch Exponentialfunktionen, um deren Additionstheoreme herzuleiten.
9.6 • Zusammenhang Dreier‐ und Viererbeschleunigung
Berechnen Sie die Dreierkomponenten der Viererbeschleunigung (9.78).
9.7 ••• Thomas‐Präzession
Da sich das Produkt von zwei nicht gleichgerichteten reinen Geschwindigkeitstransformationen von einer reinen Geschwindigkeitsaddition mit relativistisch addierten Geschwindigkeiten dadurch unterscheidet, dass noch eine räumliche Drehung im Spiel ist, erfährt das räumliche Koordinatensystem, das von einem beschleunigt bewegten Teilchen mitgeführt wird, bezüglich eines festen Inertialsystems eine kontinuierliche Drehung, die am Ende dieses Kapitels im Abschnitt „So geht’s weiter“ besprochene Thomas‐Präzession.
Dazu sollen die Koordinatensysteme von momentanen Ruhesystemen entlang der Bahnkurve des Teilchens zu infinitesimal unterschiedlichen Zeitpunkten verglichen werden, zu denen das Teilchen bezüglich eines Laborsystems \(\mathcal{S}\) die Geschwindigkeit v (System \(\mathcal{S}^{\prime}\)) bzw. \(\boldsymbol{v}+\mathrm{d}\boldsymbol{v}\) (System \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\)) hat. Vom Laborsystem \(\mathcal{S}\) sollen sich \(\mathcal{S}^{\prime}\) und \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) nur um reine Geschwindigkeitstransformationen \(\Uplambda(\boldsymbol{v})\) bzw. \(\Uplambda(\boldsymbol{v}+\mathrm{d}\boldsymbol{v})\) unterscheiden und somit dieselbe räumliche Orientierung wie das Laborsystems haben.
Vom rotationsfrei mitgeführten Eigensystem des Teilchens aus betrachtet, unterscheiden sich aber \(\mathcal{S}^{\prime}\) und \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) um eine zusätzliche Drehung von einer reinen Geschwindigkeitstransformation \(\Uplambda(\mathrm{d}\boldsymbol{v}^{\prime})\).
Um diese zu bestimmen, berechne man das Produkt
um das sich aus der Perspektive des Laborsystems die Koordinatensysteme \(\mathcal{S}^{\prime}\) und \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) von einer reinen Geschwindigkeitstransformation unterscheiden (siehe Abb. 9.22). Man zeige, dass zusätzlich zur reinen Geschwindigkeitstransformation \(\Uplambda(\mathrm{d}\boldsymbol{v}^{\prime})\) mit
eine infinitesimale räumlichen Drehung mit Drehmatrix
auftritt.
Lösungshinweis:
Überlegen Sie sich dafür, welche Struktur die Transformationsmatrix bei einer Zusammensetzung von einer infinitesimalen Geschwindigkeitstransformation und einer infinitesimalen Drehung hat.
9.8 •• Vierergradient
Ein Beispiel für einen Vierervektor, der natürlicherweise mit kovarianten Komponenten definiert wird, ist der später (ab Kap. 18) noch sehr wichtig werdende Vierergradient
-
(a)
Zeigen Sie, dass dieser unter einer Lorentz‐Transformation entsprechend
$$\partial^{\prime}_{\nu}=\Uplambda_{\nu}{}^{\mu}\partial_{\mu}$$(9.105)transformiert, also entgegengesetzt zu \(x^{\prime\mu}=\Uplambda^{\mu}{}_{\nu}x^{\nu}\).
-
(b)
Berechnen Sie damit
$$\partial_{\mu}x^{\rho}$$(9.106)und
$$\partial_{\mu}s^{2}=\partial_{\mu}\left(\eta_{\rho\sigma}x^{\rho}x^{\sigma}\right)$$(9.107)und zeigen Sie, dass die Ergebnisse unter homogenen Lorentz‐Transformationen entsprechend ihrer Indexstellung transformieren.
Lösungen zu den Aufgaben
9.1
(a) \(\Updelta t=\frac{L_{0}}{2v}\sqrt{1-\beta^{2}}\); (b) \(\Updelta t^{\prime}=\frac{L_{0}}{2v}(1+\beta^{2})\); (c) \(\Updelta t^{\prime\prime}=\frac{L_{0}}{2v}(1-\beta^{2})\). Somit ist \(\Updelta t^{\prime}> \Updelta t> \Updelta t^{\prime\prime}\).
9.2
\(\gamma-1\approx 1{,}2\cdot 10^{-12}\). Pro Tag etwa 0,1 µs.
9.6
\((a^{\nu})=\gamma^{2}(v)\left(\gamma^{2}(v)\frac{\boldsymbol{v}\cdot\boldsymbol{a}}{c},\,\boldsymbol{a}+\gamma^{2}(v)\frac{(\boldsymbol{v}\cdot\boldsymbol{a})\boldsymbol{v}}{c^{2}}\right)^{\top}\)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben
9.1
Nehmen wir an, dass sich der Stab entlang der x‐Achse nach rechts bewegt und sich zum Zeitpunkt t = 0 das linke Ende des Stabes bei x = 0 und das rechte bei \(x=L\) befindet. (L ist damit definiert als die Länge des bewegten Stabes in \(\mathcal{S}\).) Bezeichnen wir die x‐Koordinate des rechten bzw. linken Endes mit \(x_{\pm}\), dann wird die Bewegung des Stabes in \(\mathcal{S}\) durch
beschrieben. Das Punktteilchen bewege sich in negative x‐Richtung und treffe zum Zeitpunkt t = 0 gerade auf das vordere (rechte) Ende bei \(x=L\). Seine Bewegung wird dann beschrieben durch
Die Ereignisse E 1 und E 2, die dadurch definiert sind, dass das Teilchen gerade mit dem vorderen bzw. hinteren Ende gleichauf ist, sind in \(\mathcal{S}\) somit parametrisiert durch
Davon ausgehend betrachten wir nun die Situation in den drei Bezugssystemen:
-
(a)
In \(\mathcal{S}\) ist das Zeitintervall einfach von der Koordinatenzeit t abzulesen. Wegen der Lorentz‐Kontraktion ist \(L=L_{0}/\gamma=L_{0}\sqrt{1-\beta^{2}}\); die Zeit für den Vorbeiflug ist also
$$\Updelta t=\frac{L}{2v}=\frac{L_{0}}{2v}\sqrt{1-\beta^{2}}.$$(9.111) -
(b)
Das Bezugssystem \(\mathcal{S}^{\prime}\), in dem der Stab ruht, bewegt sich in positive x‐Richtung. Lorentz‐Transformation der Intervalle \(\Updelta t={L}/({2v})\), \(\Updelta x=-L/2\) (Koordinaten von E 2 minus Koordinaten von E 1) ergibt
$$\begin{aligned}c\Updelta t^{\prime}&=\gamma\,c\Updelta t-\beta\gamma\Updelta x\\ &=\gamma\frac{L}{2v}\left(c+v\beta\right)=c\frac{L_{0}}{2v}\left(1+\beta^{2}\right).\end{aligned}$$(9.112)Betrachten wir alternativ die Geschwindigkeit des Teilchens im Ruhesystem des Stabes, so ist diese durch die relativistische Addition von zwei gleich großen Geschwindigkeiten mit Betrag v gegeben, mit dem Ergebnis
$$v^{\prime}=\frac{v+v}{1+v^{2}/c^{2}}.$$(9.113)In \(\mathcal{S}^{\prime}\) dauert der Vorbeiflug entlang der Ruhelänge des Stabes damit
$$\Updelta t^{\prime}=\frac{L_{0}}{v^{\prime}}=\frac{L_{0}}{2v}\left(1+\beta^{2}\right),$$(9.114)in Übereinstimmung mit (9.112).
-
(c)
Für das Ruhesystem des Teilchens \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) ist eine Lorentz‐Transformation analog zu (9.112), aber mit umgekehrter Geschwindigkeit durchzuführen, mit dem Ergebnis
$$\begin{aligned}c\Updelta t^{\prime\prime}&=\gamma\,c\Updelta t+\beta\gamma\Updelta x\\ &=\gamma\frac{L}{2v}\left(c-v\beta\right)=c\frac{L_{0}}{2v}\left(1-\beta^{2}\right).\end{aligned}$$(9.115)Für die direkte Berechnung über Geschwindigkeit und Länge des Stabes ist die nun unterschiedliche Lorentz‐Kontraktion des Stabes zu berücksichtigen. Die Geschwindigkeit des Stabes in \(\mathcal{S}^{\prime\prime}\) hat analog zu Teilaufgabe (b) den Betrag
$$v^{\prime\prime}=\frac{2v}{1+\beta^{2}}.$$(9.116)Damit ist
$$\begin{aligned}L^{\prime\prime}&=L_{0}\sqrt{1-\frac{v^{\prime\prime 2}}{c^{2}}}=L_{0}\sqrt{1-\frac{4\beta^{2}}{(1+\beta^{2})^{2}}}\\ &=L_{0}\sqrt{\frac{(1+\beta^{2})^{2}-4\beta^{2}}{(1+\beta^{2})^{2}}}=L_{0}\frac{1-\beta^{2}}{1+\beta^{2}}.\end{aligned}$$(9.117)Daraus folgt
$$\Updelta t^{\prime\prime}=\frac{L^{\prime\prime}}{v^{\prime\prime}}=\frac{L_{0}}{2v}\left(1-\beta^{2}\right),$$(9.118)in Übereinstimmung mit (9.115).
Der Vorbeiflug dauert also in allen drei Bezugssystemen unterschiedlich lang; am kürzesten ist er im Bezugssystem des Teilchens, am längsten im Bezugssystem des Stabes, \(\Updelta t^{\prime}> \Updelta t> \Updelta t^{\prime\prime}\).
9.2
Der Äquatorumfang beträgt ziemlich genau 40.000 km, der Tag hat 86.400 s, damit bewegt man sich am Äquator mit etwa 460 m/s, und die Abweichung des γ‐Faktors von 1 ist
Pro Tag kämen etwa \(0{,}1\,\upmu\)s zusammen, also ein mit heutigen Atomuhren sehr leicht messbarer Effekt.
Was Einstein 1905 verständlicherweise nicht in Rechnung stellte, ist aber, dass wegen der Erdabplattung das reine Gravitationspotenzial der Erde (d. h. ohne Zentrifugalpotenzial) an den Polen der Erde stärker negativ ist als am Äquator, sodass hier die Gravitationsrotverschiebung nicht vernachlässigt werden kann, die mit umgekehrten Vorzeichen beiträgt. Die Erdabplattung ist nun gerade so, dass sich Unterschiede im Gravitationspotenzial und dem Zentrifugalpotenzial die Waage halten, was zur Folge hat, dass sich Gravitationsrotverschiebung und Zeitdilatation in der betrachteten Ordnung kompensieren (Cocke 1966). Um am Pol auf gleichem Gravitationspotenzial wie am Äquator auf Meeresniveau zu sein, sodass obiges Resultat doch herauskäme, müsste man sich dort etwa 10 km oberhalb des Meeresspiegel befinden. (Zum Vergleich: Die Erdabplattung macht etwa 20 km Unterschied im Radius aus.)
9.3
Der Faden muss reißen, denn die Lorentz‐Kontraktion in \(\mathcal{S}\) ist ein objektives Phänomen. Die Frage ist also, wie sich das Reißen des Fadens im Bezugssystem der bewegten Raketen darstellt.
Wie bei eigentlich allen Paradoxa der speziellen Relativitätstheorie liegt der Schlüssel im Begriff der Gleichzeitigkeit. Gleichzeitigkeit im System des Startsystems \(\mathcal{S}\) ist eine klar definierte und intuitiv einsichtige Angelegenheit. Dass die Raketen gleichzeitig starten, braucht entweder perfekt synchronisierte Uhren, oder das Startsignal wird von einem Punkt aus den Raketen übermittelt, der sich im gleichen Abstand von den beiden Raketen befindet.
Vom Bezugssystem der bewegten Raketen aus betrachtet bedeutet Gleichzeitigkeit allerdings etwas grundsätzlich anderes. Wie das Minkowski‐Diagramm (Abb. 9.25) zeigt, sind von diesem Bezugssystem aus betrachtet die Zeiten, zu denen die beiden Raketen gestartet sind, nicht gleich. Ist der Startzeitpunkt der hinteren (linken) Rakete \(t=t^{\prime}=0\), dann ist der Startzeitpunkt der vorderen (rechten) Raketen bei \(t^{\prime}=t^{\prime}_{\mathrm{R}}<0\) (Abb. 9.25). In diesem Bezugssystem ist der Faden einfach deshalb gerissen, weil die vordere Rakete früher gestartet ist.
Zu diesem Paradoxon gibt es übrigens eine ausgedehnte und teilweise kontroverse Literatur (Petkov 2009).
9.4
Im Laborsystem ist die Situation klar, der Stab wird auf Länge \(2a/\gamma\) kontrahiert und passt durch das Loch (hinreichend dünne Platte und hinreichend dünner Stab vorausgesetzt bzw. ein v y , das nicht allzu niedrig ist). Die Trajektorien von Platte und Stab in der xy‐Ebene sind in Abb. 9.26 skizziert.
Im Ruhesystem \(\mathcal{S}^{\prime}\) des Stabes sind die Trajektorien der rechten und linken Randpunkte des Loches entscheidend. Schreiben wir diese im Laborsystem \(\mathcal{S}\) als
wobei der Index \(\pm\) den rechten bzw. linken Randpunkt des Loches bezeichnet, dann ergeben sich die Trajektorien im System \(\mathcal{S}^{\prime}\) durch eine Standard‐Lorentz‐Transformation mit Geschwindigkeit \(v\equiv v_{x}\):
Um die Trajektorien in \(\mathcal{S}^{\prime}\) darzustellen, muss in diesem Ergebnis noch t zugunsten von \(t^{\prime}=\gamma[t-\frac{v}{c^{2}}(\pm a)]\) eliminiert werden:
Damit bekommen wir für die räumlichen Koordinaten
grafisch dargestellt in Abb. 9.27 für \(\gamma=2\) und \(v_{y}=v/2\).
Zum Zeitpunkt \(t^{\prime}=0\), an dem die Mittelpunkte von Loch und Stab zusammenfallen, ist
Die \(x^{\prime}\)‐Koordinaten der Randpunkte des Loches sind also tatsächlich auf ihren durch die Lorentz‐Kontraktion zu erwartenden Positionen, aber gleichzeitig sind die zugehörigen \(y^{\prime}\)‐Komponenten ungleich null – eine Kollision findet nicht statt, weil die Platte in \(\mathcal{S}^{\prime}\) gedreht ist!
Die beiden Randpunkte kreuzen die \(x^{\prime}\)‐Achse zu unterschiedlichen Zeiten,
an den Stellen
Damit sind die Verhältnisse der \(x^{\prime}\)‐Abstände bei \(y^{\prime}=0\) wieder dieselben wie schon im Laborsystem festgestellt: Die Randpunkte des Loches kreuzen die \(x^{\prime}\)‐Achse um einen Faktor γ von den Stabenden entfernt. Dass sie dies zu unterschiedlichen Zeiten \(t^{\prime}_{\pm}\) tun, hängt mit der Drehung zusammen, die somit als Konsequenz des veränderten Gleichzeitigkeitsbegriffs in \(\mathcal{S}^{\prime}\) verstanden werden kann. (Zur Relativität von Richtungen siehe auch den Abschnitt „So geht’s weiter“ in diesem Kapitel.)
9.5
Schreiben wir die Lorentz‐Transformation nur in den beteiligten Koordinaten als
dann ergibt sich für zwei hintereinander ausgeführte Transformationen mit Geschwindigkeiten v 1 und v 2 mit den Abkürzungen \(\mathrm{ch}_{1,2}:=\cosh\xi_{1,2}\) und \(\mathrm{sh}_{1,2}:=\sinh\xi_{1,2}\):
Mit der expliziten Darstellung durch \(\mathrm{e}\)‐Funktionen
zeigt man leicht die Additionstheoreme für die Hyperbelfunktionen
und somit \(\xi_{3}=\xi_{2}+\xi_{1}\).
9.6
Mit \(\boldsymbol{a}=\mathrm{d}\boldsymbol{v}/\mathrm{d}t\) ist
Die Ableitung des γ‐Faktors gibt dabei
Damit ist
9.7
Eine infinitesimale Geschwindigkeitstransformation hat die Form
da \(\gamma=1+O(\mathrm{d}v^{\prime 2})\) ist, und eine infinitesimale Drehung
wobei die räumliche Matrix \({\mathbf{d}}\boldsymbol{R}\) antisymmetrisch ist (siehe Abschn. 2.1).
Die Zusammensetzung dieser beiden Transformationen ergibt
wobei es in dieser Ordnung nicht auf die Reihenfolge ankommt; die beiden infinitesimalen Matrizen werden einfach addiert.
Um keine Faktoren c schreiben zu müssen, definieren wir im Folgenden neben \(\boldsymbol{\beta}=\boldsymbol{v}/c\) ein infinitesimales \(\boldsymbol{\delta}:=\mathrm{d}\boldsymbol{v}/c\).
Zu berechnen ist bis zur Ordnung \(\boldsymbol{\delta}\)
Eine reine Geschwindigkeitstransformation in beliebiger Richtung ist gemäß (9.33) gegeben durch
Wegen
(siehe (9.133)) ergibt sich
mit
Unter Verwendung der Identität \(\gamma^{2}(1-\beta^{2})=1\) findet man schließlich nach sorgfältiger Rechnung
mit
Der Vergleich mit (9.137) gibt die Resultate (9.102) und (9.103)
9.8
-
(a)
Mit der Kettenregel gilt
$$\partial_{\mu}\equiv\frac{\partial}{\partial x^{\mu}}=\frac{\partial x^{\prime\rho}}{\partial x^{\mu}}\frac{\partial}{\partial x^{\prime\rho}}=\Uplambda^{\rho}{}_{\mu}\frac{\partial}{\partial x^{\prime\rho}}=\Uplambda^{\rho}{}_{\mu}\partial^{\prime}_{\rho}.$$(9.144)Gemäß (9.70) ist \(\Uplambda\) mit invertierter Indexstellung die inverse Matrix, mit der \(\partial^{\prime}_{\nu}\) extrahiert werden kann:
$$\Uplambda_{\nu}{}^{\mu}\partial_{\mu}=\Uplambda_{\nu}{}^{\mu}\Uplambda^{\rho}{}_{\mu}\partial^{\prime}_{\rho}=\delta_{\nu}^{\rho}\partial^{\prime}_{\rho}=\partial^{\prime}_{\nu}.$$(9.145) -
(b)
$$\partial_{\mu}x^{\rho}\equiv\frac{\partial}{\partial x^{\mu}}x^{\rho}=\delta^{\rho}_{\mu},$$(9.146)
da \(\delta^{\rho}_{\mu}=1\) für \(\rho=\mu\) und sonst null ist. Entsprechend der Indexstellung mit einem oberen und einem unteren Index transformiert die linke Seite unter Lorentz‐Transformationen gemäß
$$\Uplambda_{\alpha}{}^{\mu}\,\Uplambda^{\beta}{}_{\rho}(\partial_{\mu}x^{\rho})=(\Uplambda_{\alpha}{}^{\mu}\partial_{\mu})(\Uplambda^{\beta}{}_{\rho}x^{\rho})=\partial^{\prime}_{\alpha}x^{\prime\beta},$$(9.147)während das Kronecker‐Delta auf der rechten Seite ein invarianter Tensor ist, denn mit (9.70) ist
$$\delta^{\prime\beta}_{\alpha}=\Uplambda_{\alpha}{}^{\mu}\,\Uplambda^{\beta}{}_{\rho}\delta^{\rho}_{\mu}=\Uplambda_{\alpha}{}^{\mu}\,\Uplambda^{\beta}{}_{\mu}=\delta^{\beta}_{\alpha}.$$(9.148)Im zweiten zu berechnenden Ausdruck \(\partial_{\mu}s^{2}\) ist s 2 ein Lorentz‐Skalar, das Ergebnis muss also ein Lorentz‐Vektor sein, der sich gemäß seiner Index‐Stellung transformiert. Nach der Produktregel ist
$$\begin{aligned}\partial_{\mu}s^{2}=\partial_{\mu}\left(\eta_{\rho\sigma}x^{\rho}x^{\sigma}\right)&=\eta_{\rho\sigma}\delta^{\rho}_{\mu}x^{\sigma}+\eta_{\rho\sigma}x^{\rho}\delta^{\sigma}_{\mu}\\ &=\eta_{\mu\sigma}x^{\sigma}+\eta_{\rho\mu}x^{\rho}=2x_{\mu}.\quad\end{aligned}$$(9.149)Mit unterem Index transformiert \(x^{\prime}_{\mu}=\Uplambda_{\mu}{}^{\nu}x_{\nu}\) wie \(\partial_{\mu}\) (wovon man sich auch leicht am Beispiel einer Standard‐Lorentz‐Transformation überzeugt, in der gleichzeitig der räumliche Vektor x in \(x_{\mu}\) und der Geschwindigkeitsvektor v in \(\Uplambda_{\mu}{}^{\nu}\) ein negatives Vorzeichen bekommen).
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Bartelmann, M., Lüst, D., Wipf, A., Rebhan, A., Feuerbacher, B., Krüger, T. (2015). Spezielle Relativitätstheorie. In: Theoretische Physik. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54618-1_9
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