Zusammenfassung
Die Gesetzgebung besteht wesentlich in der Erzeugung (Promulgation) und Aufhebung (Derogation) von Rechtsnormen. Wird die Rechtsordnung als ein Normensystem, d.h. als eine Menge von Rechtsnormen, einschließlich aller ihrer logischen Folgen, aufgefaßt, so ergibt sich, daß die Erzeugung einer Norm mehr als schlichte Einzufügung der ausdrücklich promulgierten Norm zum gegebenen System ist; auch die mit ihrer Hilfe ableitbaren Normen werden dadurch zum System hinzugefügt. Aber die Promulgation ist stets eindeutig: Sie führt immer zu einem (neuen) System. Dagegen ist die Sachlage bei der Derogation wesentlich komplizierter: Sie besteht nicht nur in der Aufhebung der ausdrücklich derogierten Norm, sondern auch in der Vernichtung aller sie implizierenden Normen, sowie jener Normen, für deren Ableitung die derogierte Norm notwendig ist. Das kann unter Umständen zur logischen Unbestimmtheit des Normensystems führen: Statt eines Systems haben wir dann eine alternative Mehrzahl von möglichen Systemen. Dies zeigt, daß die Rechtsordnung nicht immer eindeutig bestimmt ist. Dieser Sachverhalt kann vor allem dann eintreten, wenn der Gesetzgeber bei der Derogation die Generalklausel benützt. Die logische Unbestimmtheit der Normenordnung muß von — vom Stand der praktischen Folgen ähnlichen — Situationen, wie der Rechtslücke (UnVollständigkeit des Systems) oder dem Normenkonflikt (Widersprüchlichkeit des Systems) unterschieden werden.
Eingeklammerte Ziffern im Beitrag beziehen sich auf die Anmerkungen, S. 622 und 623.
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Anmerkungen
Vgl. TARSKI, A.: Logic, Semantics, Metamathematics, Oxford 1956, S. 30 ff., 38 ff. und 60 ff.
Der Ausdruck “Rechtsnorm” wird hier im weiteren — bei Juristen üblichen — Sinne gebraucht; es soll damit nicht behauptet werden, daß alle Sätze, die in einem Rechtssystem vorkommen, Normen im technischen Sinne (also Gebote, Verbote oder Erlaubnisse) sind
Vgl. WRIGHT, G.H. von: Norm and Action, London 1963, S. 156 ff.
Vgl. RAZ, J.: The Concept of a Legal System, Oxford 1970, S. 34 und ff.
Vgl. ALCHOURRóN, C.E, BULYGIN, E.: Normative Systems, Wien-New York 1971, S. 72 ff.
Vgl. ROSS, A.: On Law and Justice, London 1958, S. 132/133
Vorausgesetzt, daß ‘O(p.q)⊃Op.Oq’ als logisch gültig akzeptiert wird. Dagegen: WEINBERGER, O.: Normenlogik anwendbar im Recht, Logique et Analyse 13 (1970), 93–106
Das ist nicht immer der Fall; die Unbestimmtheit kann sich auch nach “unten”, auf die implizierten Normen, erstrecken. Wir werden aber darauf nicht eingehen
Für eine ausführliche Behandlung des Problems der Vollständigkeit, s. ALCHOURRÓN-BULYGIN, Normative Systems (Anm. 5)
Sie brauchen natürlich nicht ausdrücklich gesetzte Normen zu sein; es genügt, wenn eine der beiden von den Normen des Systems logisch ableitbar ist
Vgl. Normative Systems, wo “Universe of Actions” und “Universe of Cases” als technische Ausdrücke verwendet werden
Vgl. WAGNER, H., HAAG, K.: Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, Bad Homburg 1970, S. 20–23
Vgl. Normative Systems, S. 106/116. Als Beispiel solcher Konfusion vgl. ENGISCH, K.: Einführung in das juristische Denken, Stuttgart 1956, S. 135 ff.
Wie z.B. KELSEN, H.: Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 251 ff.
FLAVIUS, G.: Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906
HECK, Ph.: Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932, S. 52–53
Vgl. ALCHOURRÓN, C.E.: Juristische Schlüsse a fortiori und a pari, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 41 (Neue Folge 4), 1965, 5–25;
KLUG, U.: Juristische Logik, 3. Aufl., Berlin 1966
Vgl. WRIGHT, G.H. von: Norm and Action, S. 134 ff., und ALCHOURRÓN, C.E., BULYGIN, E.: Von Wright on Deontic Logic and the Philosophy of Law. In: The Philosophy of Georg Henrik von Wright. Schilpp, P.A. (Hrsg.). Library of Living Philosophers, La Salle, Illinois (im Druck)
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Bulygin, E. (1976). Logische Fragen der Gesetzgebungstechnik. In: Rödig, J., Altmann, E., Baden, E., Kindermann, H., Motsch, R., Thieler-Mevissen, G. (eds) Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-52190-4_36
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