Zusammenfassung
Die Tarnung des sexuellen Zentrums setzt für die Novelle des 19. Jahrhunderts eine Fülle von Themen frei, die tiefsinnig zu sein scheinen, weil ihre Ursache im Verborgenen bleibt. So läßt sich über Charaktere, Schicksale und den Sinn der Welt diskutieren, nur weil das Eigentliche nicht gesagt sein darf. Das Ereignis selbst tritt hinter seiner Deutung zurück, der Leser wird notwendig zum Interpreten. In den Schriftstellern und Kritikern, die sich im 19. Jahrhundert um eine Bestimmung der Gattung bemühen, vor allem aber in den Germanisten, die im 20. Jahrhundert die Interpretation einzelner Werke dieser ursprünglich blasphemischen und amoralischen Literatur für den Schulgebrauch vornehmen, ist die neue Rahmengesellschaft zu erkennen, die das Erbe der höfischen angetreten hat. Das pädagogische Räsonnement löst das aristokratische Geplauder ab. Dieses erfreute sich am Skandal, jenes erhebt sich über ihn zu Fragestellungen, die immer die dunkleren, nämlich deutungsbedürftigen und daher scheinbar sinnträchtigen Konstellationen aufspüren.
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Anmerkungen
Paul Heyse: Einleitung zu Deutscher Novellenschatz. Hsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München o.J. [1871] S. XX.
Paul Heyse: Meine Novellistik. In: P.H.: Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. Berlin 1901. S. 348.
Friedrich Spielhagen: Novelle oder Roman?. In: F. S.: Beiträge zur Theorie und Technik des Romans. Leipzig 1883. S. 246.
Paul Ernst: Zum Handwerk der Novelle. In: P. E.: Der Weg zur Form. Abhandlungen über die Technik vornehmlich der Tragödie und Novelle. München 1928. S. 72.
Paul Bourget: Mérimée novelliste. In: Die romantische Novelle. Hsg. von Wolfgang Eitel. Darmstadt 1977. S. 235.
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Schlaffer, H. (1993). Die zweite Lesart. In: Poetik der Novelle. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03505-9_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03505-9_6
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