Zusammenfassung
Am frühen Morgen des 13. August 1917 bemerkte Kafka beim Erwachen, daß sein Mund voller Blut war. Er hatte einen Blutsturz erlitten. Dieser Vorgang war das erste Anzeichen der Krankheit, die wenige Wochen danach als Lungentuberkulose diagnostiziert wurde. Anscheinend hat Kafka diese Entwicklung mit großer Gelassenheit aufgenommen; er bemerkt in einem Brief an seine Schwester Ottla, er habe seit dem Blutsturz besser geschlafen und seine unerträglichen Kopfschmerzen hätten gänzlich aufgehört (O 40). Seine Vorgesetzten gewährten ihm einen dreimonatigen Genesungsurlaub, und am 12. September brach er von Prag aus nach Zürau (jetzt Sižem) auf, einem Dorf in Nordwestböhmen. Dort wohnte Ottla; sie arbeitete auf einem Gut, das der Familie ihres Schwagers Karl Hermann gehörte. Hier blieb Kafka bis zum April des nächsten Jahres; lediglich Ende Oktober kehrte er zu einem kurzen Besuch nach Prag zurück; auch die Zeit von Weihnachten bis Neujahr verbrachte er in Prag.
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Anmerkungen
Ernst Troeltsch, »Luther und der Protestantismus«, Die neue Rundschau, 28 (1917), 1302.
Vgl. T.J. Reed, »Kafka und Schopenhauer: Philosophisches Denken und dichterisches Bild«, Euphorion, 59 (1965), 160–172;
Jost Schillemeit, »Tolstoj-Bezüge beim späten Kafka«, Literatur und Kritik, 140 (Nov. 1979), 606–619.
O.P. Monrad, Sören Kierkegaard: Sein Leben und seine Werke (Jena 1909), 59.
Sören Kierkegaard, Buch des Richters: Seine Tagebücher 1833–1855, übers. v. Hermann Gottsched (Jena 1905), 170. Oppenheimer, 114–115, vermutet, Kafka spiele hier auf Josef Karo an, der die Sammlung jüdischer Gesetze zusammenstellte, die den Namen Schulcham-aruch trägt. Aus Gründen, die ich weiter unten darlege, bezweifle ich, daß Kafka mit dem jüdischen Geistesleben und seiner Geschichte so eng vertraut war, wie es diese Annahme voraussetzt. Außerdem ist »Karo« ein im Deutschen ebenso gebräuchlicher Hundename, wie es »Diamond« im Englischen ist; der Name bedarf deswegen nicht unbedingt einer Erklärung.
S.S. Prawer, Comparative Literary Studies (London 1973), 69.
Brod, »Der Dichter Franz Kafka«, wieder abgedr. in: Jürgen Born (Hrsg.), Franz Kafka: Kritik und Rezeption zu seinen Lebzeiten 1912–1924 (Frankfurt 1979), 158. Brod hat diesen Aufsatz mit geringen Abweichungen selbst veröffentlicht in: Gustav Krojanker (Hrsg.), Juden in der deutschen Literatur (Berlin 1922). Oppenheimer, 114, versteht Brods Aussage falsch und schätzt infolgedessen Kafkas Kenntnis der Kabbala viel zu hoch ein.
Hulda Göhler, Franz Kafka: »Das Schloß« (Bonn 1982), 163, nimmt Bezug auf »seine kabbalistischen Studien«, verzichtet aber auf den Nachweis dafür, daß diese Studien überhaupt stattgefunden haben;
Werner Hoffmann, Kafkas Aphorismen (Bern 1975), 109, spricht dagegen von der »in seinem Wesen verankerte(n) Beziehung zur jüdischen Mystik« und erweckt damit die Vorstellung, Kafka habe die Kabbala gekannt, ohne sie zur Kenntnis nehmen zu müssen.
Wolfdietrich Rasch, Zuz deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende (Stuttgart 1967), 17.
Diese Vorstellung ist offensichtlich von Erich Heller mit seinem Aufsatz »The World of Franz Kafka«, Cambridge Journal, 2, I (Oktober 1948), 11–32, in die Welt gesetzt worden; der Aufsatz ist ohne große Veränderungen wiederabgedruckt worden in: The Disinherited Mind, 4th edn. (London 1975) und unter dem Titel »The Castle« in: Franz Kafka (London 1974) erneut erschienen (deutsch in: Franz Kafka, München 1974, S. 91–116). Sie erscheint auch bei Anders, 87, wo ein Abschnitt überschrieben ist: »Kafka ist Marcionist. Er glaubt nicht an keinen Gott, sondern an einen schlechten.« Dies ist jedoch nicht buchstäblich gemeint, denn weder Heller noch Anders glauben, Kafka habe tatsächlich die Lehren des Gnostikers Marcion (2. Jh. n.C.) gekannt. Die Feststellung, Kafka sei unmittelbar vom Gnostizismus beeinflußt, begegnet bei Fischer, 309, und taucht wieder auf bei William M. Johnston, The Austrian Mind: An Intellectual and Social History, 1848–1938 (Berkeley 1972), und zwar innerhalb der These, daß eine gnostische Bewegung, die in Prag zwischen 1890 und 1930 zur Blüte gelangt sei und sich in den Werken Rilkes, Meyrinks und Mahlers spiegelt und mit größter Begeisterung unterstützt worden sei von Kafka, Brod, Werfel sowie den Dramatikern Paul Kornfeld und Paul Adler, Ähnlichkeiten aufweise mit der Lehre Marcions, so daß der Ausdruck »Prager Marcionismus« zu einem Gemeinplatz der Moderne geworden sei (S. 270–271). Obgleich nicht ganz klar ist, was Johnston hier vor Augen hat, und obgleich er keine Beweismittel für seine Behauptungen über den Gnostizismus anfuhrt, wird der Kern seiner Aussagen mit feierlichem Ton wiederholt
von Franz Kuna, Kafka: Literature as Corrective Punishment (London 1974), 45–46.
Ich habe zwar selbst den Ursprüngen dieser Anschauungen nicht weiter nachgeforscht, aber es stimmt jedenfalls, daß Marcion für Kafkas jüdische Zeitgenossen von einigem Interesse war, weil er das Alte Testament verworfen, das in ihm enthaltene Gesetz als Werk eines bösen Gottes bezeichnet und die Paulus-Briefe in einer antisemitischen Weise interpretiert hatte. Seine Ideen wurden bekannt durch das Buch Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott (Leipzig 1921) des berühmten protestantischen Theologen Harnack. Sie waren sicherlich auch Brod und Weltsch bekannt; sie würden es berichtet haben, wenn Kafka irgendein Interesse an diesen Ideen gezeigt hätte. Stattdessen haben beide Anders’ und Hellers Versuche zurückgewiesen, Das Schloß mit dem Gnostizismus in Verbindung zu bringen: Vgl. dazu Weltsch, Religion, 62–63, und Brod, Über Franz Kafka, 305, 380–381. Brod (ibid. 71) zeichnet sogar ein Gespräch auf, in dem Kafka eine Parallele, die Brod zwischen dem Gnostizismus und einem Gedanken Kafkas zu sehen glaubte, nicht anerkannte.
Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, in: Werke in sechs Bänden, hrsg. v. Erich Thies (Leipzig 1841; Frankfurt 1976), Bd. 5, 31.
Kafkas Begriff der Entfremdung ist wohl zu voreilig mit dem marxistischen Entfremdungsbegriff gleichgesetzt worden von Zbigniew Šwiatlowski, »Kafkas ›Oktavhefte‹ und ihre Bedeutung im Werk des Dichters«, Germanistica Wratislavensia, 20 (1974), 97–116.
Besonders von Neumann, »Umkehrung und Ablenkung: Franz Kafkas ›Gleitendes Paradox‹«, DVjs 42 (1968), 702–744. Vgl. dazu die Stellungnahme von Henel, in: David (Hrsg.), Franz Kafka, 50.
Sabina Kienlechner, Negativität der Erkenntnis im Werk Franz Kafkas (Tübingen 1981), 17.
Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. v. Helmut Sembdner (2 Bde., München 1961), II, 122.
36.Vgl. Pasley, »Introduction«, Kafka, Short Stories (Oxford 1963), 19; Binder, Motiv, 92, 114; Lawrence Ryan, ›»Zum letztenmal Psychologie!‹ Zur psychologischen Deutbarkeit der Werke Franz Kafkas«, in: Paulsen (Hrsg.), Psychologie, 157–173.
Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt (Leipzig 1874), 35; auch zitiert bei Binder, Motiv, 79. Übertrieben und wenig überzeugend sind die Versuche, Brentanos Einfluß auf Kafka nachzuweisen, die Wagenbach, Biographie, 107–116, und
Peter Neesen, Vom Louvrezirkel zum Prozeß: Franz Kafka und die Psychologie Franz Brentanos (Göppingen 1972) gemacht haben. Vgl. Binder (Hrsg.), Kafka-Handbuch I, 286–289.
Vgl. Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache (3 Bde., Stuttgart 1901–1902);
Gershom Weiler, Mauthner’s Critique of Language (Cambridge 1970).
Kleist, II, 342–345. Vgl. Ralf R. Nicolai, »Kafkas Stellung zu Kleist und der Romantik«, Studie Neophilologica, 45 (1973), 80–103.
Kierkegaard, Der Augenblick, übers. v. G. Schrempf, 3. Aufl. (Jena 1923), 137–139.
Hans Joachim Schoeps, »Theologische Motive in der Dichtung Franz Kafkas«, Die neue Rundschau, 62 (1951), 37. Zu Schoeps’ eigener theologischer Position vgl. Mosse, 108.
Vgl. die Erzählung »Wahrheit«, in: Buber, Der große Maggid und seine Nachfolge (Frankfurt 1922), 55–56.
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Robertson, R. (1988). Die Erfahrung der »Wunde«. In: Kafka. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03255-3_5
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