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Die Folgen des sowjetischen Staatsterrorismus für die in der Sowjetunion lebenden Exilierten

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Zusammenfassung

»Bei meiner Ankunft in Leningrad wurde ich von den Sowjetschriftstellern, den Kulturorganisationen und der Presse wie ein Ehrenbürger gefeiert. Der aus seiner Heimat vertriebene Dichter, der in den westlichen Gastländern nur als lästiger Metöke behandelt, von der Polizei beaufsichtigt, aller Erwerbsmöglichkeiten beraubt und täglich mit der Entziehung des Asylrechts bedroht wurde, wird hier als Bruder und Freund empfangen, erhält die gleichen Rechte wie die Bürger des Landes und darf sich wie in einer neuen Heimat fühlen. Das ganze Riesenland steht ihm offen; er kann sich niederlassen, wo er wünscht. Der Schriftsteller ist hochgeachtet. Seine Arbeiten werden besser honoriert als irgendwo in der Welt. Seine Arbeitsenergie wird von keinen Alltagssorgen mehr absorbiert. Er fühlt sich vor allem nicht mehr als Emigrant.« [1]

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Quellen und Anmerkungen

  1. Erich Weinert: Rufe in die Nacht. Gedichte aus der Fremde 1933–1943. Verlag Volk und Welt, Berlin o. J. (1947?), S. 20. — Weinerts Vorwort, dem die Passage entnommen wurde, ist mit »Berlin 1947« datiert. Der Text verbindet die Momentaufnahme vom Empfang im Leningrad des Jahres 1935 auf raffinierte Weise mit einer zeitlich gerafften Charakteristik des gesamten sowjetischen Asyls, damit suggerierend, die Verhältnisse seien auch später so ungetrübt idyllisch geblieben. Dabei steht es dahin, ob sie das selbst im Jahre 1935 noch waren. Auf die Ermordung Sergej Kirows am 1. Dezember 1934 war bekanntlich eine erste Verhaftungswelle gefolgt. Obwohl ihr Ausmaß verschleiert worden ist, können ihre Folgen für Weinert kaum verborgen geblieben sein.

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  2. Zur Asylpolitik und -praxis seit 1933 vgl. Hans-Albert Walter: Taschenbuchausgabe, Bd. 2, S. 132 ff.; zum sozialen Status und zu den Lebensbedingungen der Exilierten in der Sowjetunion: a.a.O., S. 343 ff.

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  3. Vgl. z. B. Klaus Jarmatz: Literatur im Exil. Dietz Verlag, Berlin (DDR) 1966, S. 186 ff. Jarmatz führt Weinerts Äußerung sogar — S. 198 — expressis verbis an, um den qualitativen Unterschied zu demonstrieren, der zwischen der Sowjetunion und allen anderen Asylländern angeblich bestanden hat. Daß sich an dieser Perspektive auch nach weiteren dreizehn Jahren prinzipiell nichts geändert hat, zeigt der von Jarmatz und anderen Autoren erarbeitete Band über das »Exil in der UdSSR« (a.a.O.). Die für den neuesten Forschungsstand in der DDR repräsentative Darstellung verzichtet zwar auf die erneute Wiedergabe von Weinerts Resumé, nimmt statt seiner aber ähnliche Formulierungen anderer Verfasser auf. Bemerkenswert ist allenfalls, daß sich die DDR-Literaturwissenschaftler jetzt ausschließlich auf Belege aus den Jahren vor dem Terror beziehen. (A.a.O., S. 24 ff.)

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  4. Vgl. z. B. Isaac Deutscher: Trotzki. 3 Bände. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1962ff., hier besonders Band 1, S. 456–489, Band 2, S. 15–35. Ferner vom selben Verfasser: Stalin. Eine politische Biographie. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1962, hier besonders S. 243 ff. Auf eine ausführlichere Quellen- und Literaturdokumentation zu diesem Punkt ist hier bewußt verzichtet worden, denn es geht in unserem Zusammenhang schließlich nicht um eine generelle Stalinismus-Debatte.

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  5. Herbert Wehner: Erinnerungen. Vervielfältigtes Typoskript. Uppsala, 23. Mai-23. Juli 1946, S. 172;

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  6. vgl. Herbert Wehner: Zeugnis. Herausgegeben von Gerhard Jahn. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1982, S. 225 f. Um dem Leser den gedruckten Text zu erschließen, wird dieser künftig (als: Zeugnis) mitangeführt.

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  7. Ernst Fischer: Erinnerungen und Reflexionen. Rowohlt Verlag, Reinbek 1969, S. 360 ff., hier zitiert: S. 364.

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  8. Hugo Huppert: Schattenriß auf Kalkgrund. In: Sinn und Form. Sonderheft Willi Bredel 1965. Verlag Rütten & Loening, Berlin (DDR) 1965, S. 178 f. — Huppert hat diese Formulierungen teils wörtlich, teils paraphrasiert in seine Memoiren aufgenommen (H. H.: Wanduhr mit Vordergrund. Stationen eines Lebens. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 1977, S. 375 f.) und hinzugefügt, auch Hans Günther habe für seine Assimilationsbestrebungen in der Sowjetunion Verständnis aufgebracht. Im übrigen bestätigt Huppert, wenngleich sehr verklausuliert und nur für den in Hintergründe und Zusammenhänge der (niemals offen erörterten) Konflikte eingeweihten Leser erkennbar, die hier skizzierte Konstellation. Für die Jahre ab 1933 (u.d. heißt, für die Zeit, in der sich die literarische Emigrantenkolonie in Moskau gebildet hatte) charakterisiert er sich einerseits als einen »literarischen Niemand, eine subalterne redaktionelle Hilfskraft« und »gelegentlichen Übersetzer«, andererseits aber auch als »dank Orts- und Situationskenntnis nützlichen Mitarbeiter« (a.a.O., S. 381).

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  9. David Pike: The German Ezhovshchina. Stalin’s Purge of Germans 1933–1941. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1980, Bd. 5, S. 163. — Pike gibt eine erste summarische Übersicht über die deutschen Opfer des Terrors. Für seinen Aufsatz ist eine mitunter sehr unkritische Quellenbehandlung charakteristisch. Zwar spricht er gelegentlich von der Problematik mancher Überlieferungen in der Memoirenliteratur, in der Praxis werden diese Einsichten aber nur sehr bedingt beherzigt. Kann der Leser dieses Manko bei publizierten Quellen u.U. noch durch eigene Recherchen ausgleichen, so steht ihm dieses Hilfsmittel bei unveröffentlichtem Material nicht mehr zu Gebote, und erst recht wird ihm bei der Bewertung jener Angaben eine z.T. beträchtliche Vorsicht anzuraten sein, die Pike anonymen Gewährsleuten verdankt. Um diese Aussagen einschätzen zu können, müßte man erheblich mehr über ihre Urheber wissen, als sich mancher Positivist träumen läßt. Um nur einige Fragen herauszugreifen: zu welcher Gruppe, Clique oder Fraktion gehörte Pikes anonymer Zeuge seinerzeit? Zu welcher der von ihm Angeschuldigte? Woher hat Pikes Gewährsmann z.B. erfahren, wer wen denunzierte? War er selbst Zeuge (etwa einer Beschuldigung in einer Partei- oder Betriebsversammlung)? Hat es ihm der Denunzierte in der Haft mitgeteilt? Gibt er Mitteilungen aus zweiter oder dritter Hand wieder? Oder lediglich Vermutungen? Wie steht es ggfs. mit der Cliquen- und Gruppenzugehörigkeit der Gewährsleute von Pikes Gewährsmann? Diese und andere Fragen bleiben nicht bloß ungeklärt, man gewinnt sogar durchweg den Eindruck, daß Pike diese Probleme gar nicht erkannt hat. So verständlich und berechtigt seine Sorge um die Sicherheit solcher in den Staaten des sog. »real existierenden« Sozialismus lebenden Informanten nun in der Tat ist (auch in dieser Darstellung ist der Verzicht auf Namensnennung einmal geboten): Pikes Quellengläubigkeit in einigen nachprüfbaren Fällen verstärkt nicht gerade die Bereitschaft, ihm bei der Bewertung der anonym belassenen Zeugenaussagen jenes uneingeschränkte Vertrauen zu schenken, das er mit dieser Methode fordert. Der Aufsatz, bei dem es sich um einen leicht gekürzten Vorabdruck des englischen Originals von Kapitel 11 aus Pikes Länderstudie »Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933–1945« (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981) handelt, wird hier nur nach kritischer Prüfung benutzt. Dubios erscheinende Aussagen werden weder herangezogen noch diskutiert. Zu Pikes Darstellung insgesamt vgl. meine Rezension in: Frankfurter Rundschau, Nr. 75 v. 30. 3. 1982, S. 11.

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  10. Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Moskauer Tagebuch. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1962, S. 133. — Hervorhebung vom Verfasser.

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  11. Margarete Buber-Neumann: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1962, S. 16.

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  12. Susanne Leonhard: Gestohlenes Leben. Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1956, S. 53 f., 69 f. —

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  13. Waltraut Nicolas: Viele tausend Tage. Steingrüben Verlag, Stuttgart 1960, S. 207f., 212f.

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  14. Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1960, 101.-115. Tsd., S. 71.

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  15. Alfred Kantorowicz: Spanisches Kriegstagebuch. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1966, S. 399.

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  18. Hermann Haarmann, Lothar Schirmer, Dagmar Walach: Das »Engels« Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936–1941). Verlag Georg Heintz, Worms 1975, S. 115.

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  21. Ruth Mayenburg von: Blaues Blut und rote Fahnen, a.a.O., S. 246. Vgl. auch Julius cDeutsch: Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen. Amalthea Verlag, Wien 1960, S. 232 f.

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  22. Sina Waiden: Nachricht über meinen Vater. In: europäische ideen, Berlin, H. 14/15, 1976, S. 14.

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  23. Vgl. auch Günther Specovius: Herwarth Waldens Ende. In: FAZ v. 16. 9. 1968, S. 2. Von der in dieser Quelle erwähnten Denunziation Waldens durch andere kommunistische Exilierte ist bei Sina Waiden nicht die Rede.

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  24. George Grosz: Briefe 1913–1959. Herausgegeben von Herbert Knust. Rowohlt Verlag, Reinbek 1979, S. 232. — Borchardt wurde von den Nazis verhaftet und in einem Konzentrationslager schwer mißhandelt. Nachdem es George Grosz gelungen war, die erforderlichen Affidavits für eine Einwanderung in die USA zu beschaffen, wurde Borchardt — wohl Mitte 1937 — freigelassen. Im Sommer 1937 erreichte er New York. — Der Herausgeber der Brecht-Briefe datiert die Ausweisung — irrtümlich — auf 1937.

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  25. Vgl. Bertolt Brecht: Briefe. Herausgegeben und kommentiert von Günter Glaeser. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 304 ff. Brecht zufolge soll Borchardt nicht aus politischen Gründen ausgewiesen worden sein, sondern weil sein Unterricht nicht befriedigt und er sich geweigert habe, seinen deutschen gegen einen russischen Paß einzutauschen. Träfe dies zu, so wäre der zweite Grund dann eben doch politischer Natur. Die Authentizität dieser Angaben steht freilich ebenso dahin wie Brechts Behauptung, Borchardt sei nicht in ein bestimmtes Land — also nicht nach Deutschland — ausgewiesen worden. Wenn Borchardt die Sowjetunion aber binnen 24 Stunden verlassen mußte, so war das de facto doch eine Ausweisung nach Deutschland: auch die sowjetischen Behörden mußten wissen, daß es für einen Exilierten unmöglich war, sich in dieser Frist ein Visum für ein anderes Land zu beschaffen. Brecht hätte es übrigens auch wissen können.

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  26. Thomas Mann: Briefe 1889–1936. Herausgegeben von Erika Mann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1961, S. 420ff.

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  27. Vgl. Thomas Mann: Tagebücher 1935–1936. Herausgegeben von Peter de Mendelssohn. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1978, S. 341, 343.

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  28. Klaus Jarmatz: Exil in der UdSSR, a. a. O., S. 392 f. — Scharrers Übersiedlung wird hier auf das Jahr 1937 datiert.

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  29. Bertolt Brecht: Briefe, a.a.O., S. 373f. — Vgl. Werner Mittenzwei: Marxismus und Realismus. Die Brecht-Lukács-Debatte. In: Das Argument, 10. Jg., H. 1/2, März 1968, S. 15.

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  30. Julius Hay: Geboren 1900, a.a.O., S. 224. — Hervorhebung im Original.

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  31. Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1967, S. 301 f.

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  32. Walther Pollatschek: Friedrich Wolf. Eine Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin (DDR) 1963, S.237f.

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  33. Friedrich Wolf: Briefe. Eine Auswahl. Herausgegeben von Else Wolf und Dr. Walther Pollatschek. Aufbau-Verlag, Berlin (DDR) 1958, S. 70. Pollatschek hat diesen Brief also gekannt, als er 1963 seine Wolf-Biographie vorlegte …

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  34. — Vgl. auch Dieter Schiller u.a.: Exil in Frankreich. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1981, S. 445. Der Erstantrag des USA-Visums wird hier auf 1938 datiert.

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  35. Hanus Burger: Der Frühling war es wert. Erinnerungen. C. Bertelsmann Verlag, München 1977, S. 106.

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Walter, HA. (1984). Die Folgen des sowjetischen Staatsterrorismus für die in der Sowjetunion lebenden Exilierten. In: Deutsche Exilliteratur 1933–1950. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03184-6_4

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