Zusammenfassung
Im Begriff des Sinfonischen verschränken sich eine Auskunft über musikalische Form und eine über Dimension. Da die zweite wesentlich durch Beethoven hinzugebracht worden ist und in einer Bezeichnung wie Sinfonische Dichtung bereits dominiert, erscheint der Terminus gängigerweise erst auf seine und auf spätere Musik fixiert, dies halbwegs gerechtfertigt durch die Tatsache, daß er Form und Dimension neuartig synthetisiert hat, obwohl schon vor ihm die Sinfonie als die große, repräsentative Instrumentalform etabliert war. Nicht zuletzt zeigt sich die neugewonnene Autarkie der großen Form darin an, daß bei Beethoven die Zwischenlösungen im vermittelnden Bereich der Divertimenti, Cassationen, Serenaden etc. fehlen, Orchestermusik von Kammermusik endgültig geschieden ist. Noch in Werken obersten Ranges wie Mozarts Kleiner Nachtmusik ließ sich die Unterscheidung nahezu auf die Besetzungsfrage reduzieren; Kompositionen dieses Tons bei Beethoven, am bekanntesten von ihnen das Septett op. 20, fallen an die Kammermusik zurück. Auch in seinen Bearbeitungen überschritt er die Grenze nur in zwei Ausnahmefällen: Bei der für Blasorchester eingerichteten Marcia funebre aus der Klaviersonate op. 26 begünstigte dies der programmatische Charakter, und die Triofassung der zweiten Sinfonie hält sich als Zurichtung für eine praktikable Besetzung so sehr im Rahmen der gängigen Praktiken, daß sie als Surrogat kenntlich bleibt und die Komposition nicht, wie in der Bearbeitung des c-Moll-Trios op. 1/III als Quintett op. 104 oder der Klaviersonate op. 14/I als Streichquartett, nach Maßgabe des andersartigen Ensembles neu angeeignet ist, mit neuen Stimmen, zusätzlich eingezogenen Kontrapunkten etc.1.
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Notizen
Zu op. 14/I vgl. Wilhelm Altmann, Ein vergessenes Streichquartett Beethovens, Die MusikV/4 (November 1905), S. 250–257.
An dieser Stelle muß betont werden, daß es dem Verfasser zunächst um Momente einer Bestimmung des Sinfonischen zu tun ist, noch nicht aber um dessen Genealogie oder um das Problem, inwiefern Ergebnisse in diesem Bereich in den der Kammermusik zurückwirken, zumal in den späten Quartetten.
Zur Kunst der Variation, besonders auch bei Beethoven, vgl. die Arbeiten von Paul Mies, auch Joseph Müller-Blattau, Gestaltung und Umgestaltung, Stuttgart 1950.
Hierzu vgl. Jöszef Ujfalussy, Dramatischer Bau und Philosophie in Beethovens VI. Symphonie, Bence Szabolcsi Septuagenario, Budapest 1969 (= Studia Musicologica Academiae Hungaricae Scientiarum Hungaricae Bd. II), S. 439–448.
Vgl. Anm. 1.
Zur Achten Sinfonie vgl. Ernst Laaff, Der musikalische Humor in Beethovens Achten Sinfonie, AfMw XIX/XX, 1962/63, S. 213–229.
Zu dieser Frage vgl. Zur musikalischen Konzeption der Rasumowski-Quartette op. 59, in diesem Bande S. 217 ff.
Vgl. in diesem Bande S. 186 ff.
Hier wie im Folgenden Gesamtzählung, also unter Einschluß der Einleitung.
Ganz besonders an dieser Stelle habe ich Anlaß, für vielfältige und fruchtbare Anregungen zu danken, die mir Gespräche mit Herrn Prof. Dr. Rudolf Eller gegeben haben.
Leonard Bernstein nennt die Ausweichung »eine Verrenkung — eine willkürlich, unvorbereitete Abweichung von der Grundform des Themas«, Von der unendlichen Vielfalt der Musik, Tübingen 1968, S. 200; zum Problem vgl. Hans-Joachim Machatius, Eroica (Das transzendentale Ich), Kongreßbericht Kassel 1962, S. 193–195. Das erwähnte Moment der Selbstkorrektur kennzeichnet, bei anderer Blickrichtung, einen Tatbestand, der Alfred Lorenz (Worauf beruht die bekannte Wirkung der Durchführung im 1. Eroicasatze, Neues Beethoven-Jahrbuch I, 1924, S. 159–183) zu dem Vorschlag veranlaßte, den »musikalischen Inhalt« des Satzes »als das Suchen nach einer befriedigenden Fortsetzung des Hauptmotivs« zu verstehen.
Zur Introduktion Beethovens allgemein und auch zu dieser im Besonderen vgl. in diesem Bande S. 67 ff.
Angesichts des sprengenden, durch Ort und Art des Auftretens zusätzlich unterstrichenen Neuigkeitswertes dieses Gedankens erscheinen alle durchaus stichhaltigen Herleitungen aus schon Bekanntem als nahezu formaljuristische Bemühungen; hierzu vgl. im einzelnen Peter Hauschild, Melodische Tendenzen in Beethovens Eroica, DJdMw für 1969, Leipzig 1970, besonders S. 45 sowie Anm. 10–15 und die dort genannte Literatur.
Zur Siebenten Sinfonie vgl. Armin Knab, Denken und Tun, Berlin 1959, S. 27 ff., und Deryck Cooke, In Defence of Functional Analysis, Musical Times September 1959, S. 456–460.
Eingehender hierzu in diesem Bande S. 99 ff.
Vgl. hierzu G. Knepler, Zu Beethovens Wahl von Werkgattungen — Ein soziologischer Aspekt eines ästhetischen Problems, Beiträge zur Musikwissenschaft 1970, S. 308–321. Noch bei Berlioz erscheint der »hohe Stil« als geläufige Kategorie, vgl. Memoiren, Leipzig 1967 (RUB), S. 305.
L. Spohr, Lebenserinnerungen, Tutzing 1968, S. 231.
Malheureusement, la conclusion se fait attendre plus de cent mesures et la coda qui la précède paraît d’autant plus longue que le presto où elle se déploie, n’est, il faut bien le dire, qu’un stimulant banal, un remplissage en lieux communs de musique militaire. « A. Oulibicheff, Beethoven — ses critiques et ses glossateurs, Leipzig 1857, S. 205.
Führer durch den Konzertsaal, 1. Abteilung: Sinfonie und Suite, 2. Auflage Leipzig 1891, S. 97.
Beethoven, Berlin 1911, S. 242.
Kritik der Urteilskraft, Leipzig 1968 (RUB), S. 228 (= Anmerkung zu § 53).
Vgl. W. Krauss, Über den Anteil der Buchgeschichte an der literarischen Entfaltung der Aufklärung, in: Aufsätze zur Literaturgeschichte, Leipzig 1968 (RUB), S. 206–365.
zitiert nach C.Träger, Aufklärung und Jacobinismus — Die Mainzer Revolutionspropaganda 1792/93, in: Studien zur Literaturtheorie und vergleichenden Literaturgeschichte, Leipzig 1970 (RUB), S. 307–331, 317.
Hierzu C.Träger, Fichte als Agitator der Revolution im Umkreis der Zeitgenossen, a. a. O., S. 237 bis 276.
C.Träger, a. a. O., S. 326/27, ähnlich auch S. 265.
Hierzu ausführlicher K. H.Wörner, Das Zeitalter der thematischen Prozesse in der Geschichte der Musik, Regensburg 1969, S. 19; Peter Gülke, Motive aus französischer Revolutionsmusik in Beethovens 5. Sinfonie, Musik und Gesellschaft 1971, S. 636–640; vgl. auch in diesem Bande S. 175 ff.
K. H.Wörners Erklärung dieses Ausrufs (a. a. O., S. 18/19) mit Hilfe der — nicht überzeugenden — Ähnlichkeit mit Gossecs Chor »Premier bien« wäre entgegenzuhalten, daß in den Finalbeginn soviel Typisches der französischen Revolutionsmusik eingegangen ist (die neuartige Direktheit des Bezuges wird nicht zuletzt durch die nunmehrige Beteiligung der Posaunen, des Kontrafagotts und der Piccolo-Flöte unterstrichen), daß es zur Identifizierung keines bestimmten Modells bedürfte. Überdies findet sich im Vorspiel zur Hymne à la Victoire von Lacombe/Adrian ainé eine von Wörner und seinem Gewährsmann F. K. Prieberg (Der melodische Archetyp, Neue Zeitschrift für Musik, 1956, Heft 2) übersehene Prägung, die sich sehr viel weitergehend im typologischen Zusammenhang hält und viel eher als Modell in Frage käme als Gossecs Chor, zumal auch die Programmatik der Komposition mit derjenigen des Sinfonie-Finales genau korrespondiert.
Zu den die Sätze strukturell zusammenschließenden Momenten vgl. R. Réti, The Thematic Process in Music, New York 1954, S. 165 ff.
Zu den Vorstadien des Larghetto-Themas vgl. K. Westphal, Vom Einfall zur Sinfonie, Einblick in Beethovens Schaffensweise, Berlin 1965, S. 60–62.
Die Erörterung dieser wichtigen Details fehlt bei Réti a. a. O. Für das durch den gewichtigen Gleichschritt betonte Marcato dieses Terzaufganges gibt es wiederum im Repertoire der Revolutionsmusik ein Vorbild, welches wenn schon nicht zur Begründung so mindestens als Hintergrund zu der devisenhaften Qualität taugt, die im Finale, da das Motiv die Musik »treibt«, deutlich in Erscheinung tritt. Vgl. den Beginn des Refrains von Rouget de l’Isles »Hymne dithyrambique« (C. Pierre, a. a. O., Nr. 23).
Vgl. in diesem Bande S. 190 ff.
Vgl. hierzu K.Westphal, a. a. O., S. 37/38.
Vgl. Anm. 18.
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Gülke, P. (2000). Zur Bestimmung des Sinfonischen. In: »… immer das Ganze vor Augen«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02724-5_2
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