Zusammenfassung
Die Fortführung und Komplettierung föderalistischer und korporatistischer Prinzipien ist die Konkordanz. Sie ist das genaue Gegenmodell zur einfachen Mehrheitsherrschaft und zur minimalen Gewinnkoalition. Gesamtgesellschaftliche Entscheidungen fallen hier der Tendenz nach einstimmig; alle relevanten Gruppen — nicht nur Regionen und Sozialpartner — reden mit, keine wird überstimmt. Das impliziert sowohl ein hohes Befriedungs-Potential als auch hohe Entscheidungskosten; von daher ist Konkordanz das Strukturprinzip für im Entstehen begriffene politische Systeme — Gesellschaften, die gerade erst zusammenwachsen, deren Gruppenbeziehungen noch primär von Mißtrauen geprägt sind — wie für sehr alte, saturierte Systeme mit geringem Steuerungsbedarf: Gesellschaften, die sich den Luxus komplizierter Entscheidungsverfahren leisten können. Die Konkordanzdemokratie schafft Konsens — und nimmt sich Zeit dazu; sie baut auf Elitenkooperation — und erzeugt dabei Frustration an der Basis; sie verzichtet auf die einfache und rasche Problemlösung — und läßt daher so manches Problem ungelöst.
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Literatur
Hans Kelsen: Vom Wesen und Wert der Demokratie, Neudruck der 2. Aufl. von 1929, Aalen 1963, S.61.
S. Arend Lijphart: The Politics of Accomodation, Berkeley 1968;
Gerhard Lehmbruch: Proporzdemokratie, Tübingen 1967;
Jürg Steiner: Amicable Agreement vs. Majority Rule, revised edition, Chapel Hill 1974. In jüngerer Zeit s. Erwin Rüegg: Regierbarkeit durch Konkordanz? Diss., Zürich 1985.
In dem Fall wandert im sog. Navette-System eine Vorlage solange zwischen beiden Kammern hin und her, bis Einigkeit erzielt ist.
So ging es, als 1993 ein neuer Bundesrat zu wählen war, nicht allein darum, einen SP-Vertreter zu finden; der- oder diejenige mußte mindestens auch noch der Suisse Romande entstammen. Das weibliche Geschlecht dagegen erwies sich zunächst als eher hinderlich.
S. bes. Henry H. Kerr: “The Swiss Party System: Steadfast and Changing”, in: Hans Daalder, Hg.: Party Systems in Denmark, Austria, Switzerland, the Netherlands, and Belgium, London 1987, S.107–192.
Ebenda, S. 137f.
Vgl. Jürg Steiner, Hg.: Das politische System der Schweiz, München 1971, S. 104f, 121.
Zählt man die nebenamtlichen Verbandsfunktionäre hinzu, ist der Nationalrat zu rund 60% “verbandsgefarbt”, die SVP-Fraktion sogar zu 95%. S. Hanspeter Kriesi: Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozesse in der Schweizer Politik, Frankfurt a.M./New York 1980, S.59.
Früher konnte das Parlament diesem Referendum dadurch den Boden entziehen, daß es Gesetzesbeschlüsse beliebig zu “dringlichen Bundesbeschlüssen” erklärte. Seit 1949 aber müssen (auf eine Volksinitiative hin) die dringlichen Bundesbeschlüsse ihrerseits nach einem Jahr dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.
S. Wolf Linder: “Staatshandeln zwischen Akzeptanz und Blockade: Wie prägend ist das Volk?”, in: Abromeit/ Pommerehne, Hg.: Staatstätigkeit in der Schweiz, a.a.O., S.125.
S. z.B. Erich Gruner/Hans Peter Hertig: Der Stimmbürger und die “neue” Politik, Bern/ Stuttgart 1983;
Alois Riklin/Roland Kley: Stimmabstinenz und direkte Demokratie, Bern/ Stuttgart 1981.
S. zum folgenden Leonhard Neidhart: Plebiszit und pluralitäre Demokratie, Bern 1970.
Vg. Ulrich Klöti: Regierungsprogramm und Entscheidungsprozeß, Bern/Stuttgart 1986.
Raimund E. Germann: Ausserparlamentarische Kommissionen: Die Milizverwaltung des Bundes, Bern/Stuttgart 1981, S.10.
Vgl. Abromeit: “Kontinuität oder ‘Jekyll-and Hyde-Politik’: Staatshandeln in der Schweiz und in Großbritannien”, a.a.O., S.177ff.
S. bes. Erwin Rüegg, a.a.O., S. 148f.
Vgl. Katzenstein, a.a.O.; Manfred Schmidt: Der schweizerische Weg zur Vollbeschäftigung, Frankfurt a.M./New York 1985; Abromeit/Pommerehne, Hg.: Staatstätigkeit in der Schweiz, a.a.O.
Vgl. Germann: Ausserparlamentarische Kommissionen, a.a.O., S. 110f.
Entscheidungsstrukturen..., a.a.O., S.238ff.
Ebenda, S.370.
Ebenda, S.410.
Vgl. Hans Tschäni: Wer regiert die Schweiz?, Zürich 1983, S.78ff.
S. für die Bundesrepublik Ursula Hoffmann-Lange: Eliten, Macht und Konflikt in der Bundesrepublik, Opladen 1992.
Linder: “Staatshandeln zwischen Akzeptanz und Blockade: Wie prägend ist das Volk?”, a.a.O., S. 129.
Vgl. Riklin/Kley, a.a.O., S.4f.
Vgl. Claude Longchamp: “Politisch-kultureller Wandel in der Schweiz”, in: Fritz Plasser/Peter A. Ulram, Hg.: Staatsbürger oder Untertanen? Politische Kultur Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Vergleich, Frankfurt a.M. 1992, S.49–101.
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Abromeit, H. (1993). “Herrschaft Aller”? Die Konkordanzdemokratie. In: Interessenvermittlung zwischen Konkurrenz und Konkordanz. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96029-0_7
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