Zusammenfassung
Hannah Arendt heute neu zu lesen, ist für die Internationale Politik ein ebenso reizvolles wie lohnendes Projekt. Begonnen hat die Wiederentdeckung des Werkes dieser wohl bedeutendsten politischen Theoretikerin des 20. Jahrhunderts in den achtziger Jahren in Amerika. Während Arendt in der Bundesrepublik primär durch ihre Analyse totalitärer Herrschaft und ihre kontrovers diskutierten Auffassungen zur nationalsozialistischen „Täterpersönlichkeit“ bekannt geworden ist, entdeckte die amerikanische neue Linke frühzeitig die innovative Substanz ihrer Werke in der Besinnung auf die „civil society“ bzw. die republikanische Bürgergesellschaft. In der neueren Rezeption ihres Werkes werden vor allem Aspekte des Politischen thematisiert, die erst in jüngster Zeit mit den großen gesellschaftlichen Transformationen in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt sind. Nach dem Zerfall des Staatssozialismus hat die Auseinandersetzung mit dem Werk von Arendt weit über die politische Philosophie hinaus neue Aktualität gewonnen. Angesichts der fortan weit verbreiteten Skepsis gegenüber „großen Theorien“ und wissenschaftlichen Metaerzählungen erscheint das interpretative, offene politisch-philosophische Denken für viele als die „kritische Theorie des post-totalitären Augenblicks“ (Benhabib 1998: 18). Andere wiederum finden in der originellen Revolutionstheorie von A-rendt einen fruchtbaren Erklärungsansatz für die Umbrüche 1989/90. Demokratie-und verfassungstheoretische Implikationen ihres Werkes werden neben rechtsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Fundierungen ausgelotet, Theorieverknüpfungen aufgespürt und Erkenntnisse mit heutigen Befunden abgeglichen, oft mit verfolgenswerten Resultaten (z.B. Brunkhorst 1999). Dabei ist es nicht zuletzt dem feministischen Diskurs zu verdanken, dass Arendt als politische Theoretikerin wiederentdeckt und neuen Interpretationen zugänglich gemacht wurde. Im zeitgenössischen Feminismus gilt sie als eine der „frühen Mütter“ (Benhabib 1998: 21), als beeindruckendes und zugleich geheimnisvolles Vorbild.
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Literatur
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Lemke, C. (2001). Entgrenzungen im Zeitalter der Globalisierung: Hannah Arendt über Macht, Gewalt und die Paradoxien des Nationalstaats. In: Stanley, R. (eds) Gewalt und Konflikt in einer globalisierten Welt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83356-3_7
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