Zusammenfassung
Wir befassen uns in diesem Kapitel mit der Frage der Sinnhaf-tigkeit der Empfindungsdaten als einer faktischen Fülle im konkreten Erkenntnisakt. Wir haben bisher in einer recht massiven Weise von Sinn und Gegenstand gesprochen; ein differenzierter Gebrauch dieser Begriffe wäre überflüssig und verfrüht gewesen, solange wir - Husserls Ansatz nachvollziehend - mit vermeintlich sinnlosen Inhalten umgingen. Jetzt aber, da es um die Herausstellung einer nicht bloß verliehenen, sondern eigen-wüchsigen Sinnhaftigkeit dieser Inhalte geht, müssen wir die Rede von Sinn und gegenständlichem Sinn näher präzisieren.
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Literature
Vgl. LU II, S. 400.
Ein Wesen ist als „konkret” zu bezeichnen, wenn es „selbständig” ist; das Wesen aller Allgemeinheiten ist notwendig ein Abstraktum, weil es in den Wesenheiten der Individuen fundiert, und somit unselbständig ist.
Das Individuum ist immer etwas, was in Prädikationen eintreten kann; das Prädikativ-bestimmt-werden-können (nicht das faktische Bestimmt-worden-sein) gehört zur Möglichkeit selbst, also zum Wesen eines Individuums. „Ein individueller Gegenstand ist nicht bloß überhaupt ein individueller, ein Dies da!, ein einmaliger, er hat als ,in sich selbst’ so und so beschaffener seine Eigenart, seinen Bestand an wesentlichen Prädikabilien, die ihm zukommen müssen (als »Seiendem’ wie er in sich selbst ist’), damit ihm andere, sekundäre, zufällige Bestimmungen zukommen können” (Ideen I, S. 12 f.).
„In unserer Beispielssphäre erwächst zunächst die allgemeine Evidenz, daß Wahrnehmung nicht ein leeres Gegenwärtighaben des Gegenstandes ist, sondern daß es (,a priori’) zum eigenen Wesen der Wahrnehmung gehört, ,ihren’ Gegenstand zu haben und ihn als Einheit eines gewissen noematischen Bestandes zu haben, der für andere Wahrnehmungen vom ,selben’ Gegenstande immer wieder ein anderer, aber immer ein wesensmäßig vorgezeichneter ist” (Ideen J, S. 245).
Zur Unterscheidung der Beziehung auf Gegenständliches als Beziehung auf das volle Noema (den Gegenstand im Wie seiner Gegebenheiten) und auf den noemati-schen Kern (den Gegenstand als Identischen) vgl. Ideen I, S. 317 f.
Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A. 104 f. Die Ausdrücke, die Kant tatsächlich gebraucht, sind: „etwas überhaupt = X” (A. 104), „Gegenstand = X” (A 105) „transzendentaler Gegenstand = X” (A 109), und „transzendentales Objekt” (A 250).
Dieser Begriff des Sinnes als des „Gegenstandes im Wie” kann dahingehend eingeengt werden, daß nur die erfüllten Bestimmungen in Betracht gezogen werden, wie Husserl in Ideen I, § 132 (S. 323) zeigt. Der Sinn ist dann der Gegenstand im Wie nicht nur seiner Bestimmtheiten überhaupt, sondern seiner Gegebenheitsweise.
Für Tugendhat ist die noetische Deutung von „Sinn” „als das ideale Wesen des Aktes” fragwürdig (Wahrheitsbegriff, S. 95). „Man kann nicht zugleich die ,Materie’ des intentionalen Aktes mit dem gegenständlichen Sinn identifizieren und den Sinn als das volle Korrelat einer Intentionalität bestimmen, denn die Materie gehört der Signifikation, der Sinn aber der Fülle.” Wir weisen dagegen darauf hin, daß für Husserl nicht nur dem signitiven, sondern auch dem erfüllenden Akt eine „Materie” zukommt, und daß die Gleichheit der „Materie” vom meinenden und vom erfüllenden Akt es ist, das die Identifikation beider in der Adäquation ermöglicht (LU III, S. 88).
„Derselbe Inhalt (kann) im Sinne derselben Materie einmal in der Weise des intuitiven, das andere Mal in der eines signitiven Repräsentanten aufgefaßt werden” (LU III, S. 93).
Konkret bedeutet diese Hypothese, daß derselbe Bestand an Empfindungsdaten einmal als Anhalt für die Wahrnehmung, ein anderes Mal für die Phantasie, die Erinnerung, das Bildbewußtsein usw. dienen kann.
In Ideen I bezeichnet Husserl die Einheit von Sinn und „thetischem Charakter” als den „noematischen Satz”. (Dabei soll das Wort „Satz” nicht im Bedeutungszusammenhang von Urteil, propositio verstanden werden, sondern in Zusammenhang mit Setzung, positio.)
Vgl. auch LU II, S. 417. Husserl unterscheidet hier noch das „bedeutungsmäßige Wesen,” das ein Speziellfall des „intentionalen Wesens” ist, nämlich das Wesen des bedeutungsverleihenden Aktes im Ausdruck. Insofern im „intentionalen Wesen” von der Fülle abgesehen wird, hat sie einen (im weitesten Sinne) „bedeutungsmäßigen,” signitiven, d.h. leer meinenden Charakter.
E. Tugendhat, Wahrheitsbegriff, S. 38.
Vgl. dazu LU III, § 25: „Die Materie galt uns als dasjenige Moment des objektivierenden Aktes, welches macht, daß der Akt gerade diesen Gegenstand und gerade in dieser Weise d.h. gerade in diesen Gliederungen und Formen, mit besonderer Beziehung gerade auf diese Bestimmtheiten oder Verhältnisse vorstellt. Vorstellungen übereinstimmender Materie stellen nicht nur überhaupt denselben Gegenstand vor, sondern sie meinen ihn ganz und gar als denselben, nämlich als völlig gleich bestimmten” (S. 86). Aber der Gegenstand bestimmt nur die weitesten Grenzen der Auffassungen, nicht die spezielle Weise der Auffassung: die Auffassung eines Dreiecks als gleichseitig oder gleichwinklig hängt nicht nur vom Gegenstand selbst, sondern auch von der subjektiven Einstellung zu ihm ab. Insofern ist es wichtig, den Sinn nicht nur in Bezug auf den Gegenstand, sondern auch in Bezug auf den Akt, auf die subjektive Weise des Intendierens, zu verstehen.
Daran ändert sich nichts, wenn man dieses „vor” als eine bloß logische Priorität deutet ; auch in diesem Fall trägt die Bewahrheitung nichts zum apriorischen Sinn bei.
Husserl sagt in LU „rein intuitiver Gehalt” oder „reine Anschauung” (LU III, S. 80–81). Er kennzeichnet die „reine Anschauung” folgendermaßen: „Alles an ihr ist Fülle; kein Teil, keine Seite, keine Bestimmtheit ihres Gegenstandes, die nicht intuitiv dargestellt, keine, die bloß indirekt mitgemeint wäre. Nicht nur ist alles, was dargestellt ist, gemeint (was ein analytischer Satz ist), sondern es ist auch alles Gemeinte dargestellt” (S. 81).
Vgl. LU III, S. 237 ff.
Vgl. S. 239, wo Husserl „auf den Gegensatz” hinweist „zwischen adäquater Wahrnehmung (oder Anschauung im engsten Sinne), deren wahrnehmende Intention ausschließlich auf einen ihr wirklich präsenten Inhalt gerichtet ist, und der bloß vermeintlichen, inadäquaten Wahrnehmung, deren Intention nicht im präsenten Inhalt ihre Erfüllung findet, vielmehr durch ihn hindurch die leibhafte Gegebenheit eines Transzendenten als immerfort einseitige und präsumptive konstituiert. Im ersten Fall ist der empfundene Inhalt zugleich der Gegenstand der Wahrnehmung. Der Inhalt bedeutet nichts anderes, er steht für sich selbst. Im zweiten Fall treten Inhalt und Gegenstand auseinander. Der Inhalt repräsentiert, was in ihm aber sich ,darstellt’ und ihm also (wenn wir uns an das unmittelbar Anschauliche halten) im gewissen Sinne analog ist, so wie etwa der Empfindungsfarbe die Körperfarbe” (239). Im zweiten Fall ist der intentionale Gegenstand „dem erscheinenden Akt nicht immanent; die Intention ist da, aber nicht in eins mit ihr der Gegenstand selbst, der sie letztlich zu erfüllen bestimmt ist” (S. 240), weshalb sie nicht vollkommen evident sein kann. Dagegen bleibt in den „rein immanenten Wahrnehmungen” „kein Rest von Intention übrig ..., der erst nach Erfüllung langen müßte. Alle Intention, oder die Intention nach allen ihren signitiven Momenten ist erfüllt” (S. 240). Darum ist sie eine evidente Wahrnehmung, die man nicht bezweifeln kann.
A. de Waelhens war, soweit ich weiß, der erste (in seinem Buch Phénoménologie et Vérité), der den neuen Sinn, den die traditionelle Wahrheitsformel in Husserls Phänomenologie erhält, erörtert hat. Dazu vgl. auch Tugendhat, op. cit., S. 6 f.
Vgl. oben im ersten Kapitel (S. 59 ff.) unsere Erörterung der Frage der Eignung als eine Frage nach dem Motivationszusammenhang zwischen hyletischen Daten und noematischem Bestand.
Ein sinnliches Datum kann als Darstellungsinhalt verschiedener Dinge aufgefaßt werden. Dasselbe Ding kann aufgrund verschiedener Darstellungsinhalte erfaßt werden. Diese beiderseitige Variation ist aber nicht eine beliebige, schrankenlose. Einerseits können nicht alle Dinge aufgrund desselben sinnlichen Inhaltes aufgefaßt werden, andererseits kann auch ein Ding nicht aufgrund jedes möglichen Darstellungsinhaltes erfaßbar sein.
Vgl. oben, S. 114 und LU III, § 25, S. 86.
LU III, S. 123. Korrelativ ist sie „die volle Übereinstimmung zwischen Gemeintem und Gegebenem als solchem” (a.a.O., S. 122). Diese sind die zwei ersten Wahrheitsbegriffe, die Husserl in LU definiert. Die anderen Wahrheitsbegriffe werden uns später beschäftigen.
Vgl. E. Tugendhat, op. cit. S. 92.
Vgl. Ideen I, § 38, S. 84 ff.
Vgl. Ideen I, § 143, S. 350 ff.
Vgl. HUS XI, S. 17 f.
In einer adäquaten kategorialen Wahrnehmung, wie diejenige, die die ideale Regel der „äußeren” Dingwahrnehmung herausstellt, kann die Faktizität ausschließlich auf Seite des Meinens (das jeweils in demselben Subjekt und in den verschiedenen Subjekten je ein anderes ist) liegen, und in es fällt die Möglichkeit des Anders-sein-könnens; das Gegebene dagegen ist immer dasselbe und insofern fungiert es als das Wesentliche für das Meinen.
Vgl. den Begriff der Aktspezies oben, S. 84 f.
In der Auf weisung der Sinnhaf tigkeit des Wahrheitsbezuges liegt die Lösung der Frage der „Immanenz in der Transzendenz,” welche für Husserl die Frage der Phänomenologie ist.
Vgl. FTL, Einleitung, S. 8.
Ebd.
Vgl. LU III, S. 88.
Vgl. LU III, S. 123 (2. Wahrheitsbegriff).
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de Almeida, G.A. (1972). Faktizität und Sinnhaftigkeit der Sinnlichen Fülle. In: Sinn und Inhalt in der Genetischen Phänomenologie E. Husserls. Phaenomenologica. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-017-6538-1_3
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