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Der ‘negative Held’ in der modernen niederländischen Literatur

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Niederlandistik in Entwicklung
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Zusammenfassung

Immer wieder ist von verschiedenen Seiten, auch von mir, darauf hingewiesen worden, dass es für einen Literaturforscher eine unzulässige Arbeitsweise ist, eine Romanfigur, einen literarischen Helden im allgemeinen, aus dem Rahmen des Werkes, in den er gehört, herauszulösen und ihn zu betrachten, als wäre er ein lebendes Wesen. Eine Roman- oder Dramenfigur besteht tatsächlich nur innerhalb eines bestimmten Werkes und nur insoweit schriftliche Angaben über sie bestehen; ihre Worte und Taten erhalten ihren Sinn und ihren Wert aus den Worten und Taten der übrigen Figuren des Buches, denen sie gegenübergestellt wird oder mit denen sie übereinstimmt, sowie aus dem Geflecht von Zusammenhängen, welche das ganze Werk auf den verschiedensten Ebenen durchziehen: auf dem Gebiet der Motive, des Stils, der Häufung der Ereignisse, der direkten, indirekten und zuweilen verschleierten Kommentare und Wertungen von seiten des impliziten oder abstrakten Autors — der Instanz, die letztlich alle Fäden in der Hand hält. Ein literarisches Werk ist das Produkt einer äusserst komplexen Strategie, um den Leser schliesslich dorthin zu bringen, wo der Verfasser ihn haben will. Wie gesagt: die Hauptperson oder, wie diese nun einmal genannt wird, der Held kann und darf nicht aus diesem Geflecht herausgeschnitten werden — das wäre eine Operation, die unvermeidlich den Tod zur Folge hätte. Am krassesten kommt dies wohl zum Ausdruck in der Shakespeare-Forschung von der Mitte des achtzehnten bis zum Beginn unseres Jahrhunderts — einer Arbeitsweise, die von einem modernen Literaturhistoriker als die DNB-Methode betitelt wurde (das DNB, Dictionary of National Biography, ist das bekannte englische Nachschlagewerk, in dem das Leben historischer Persönlichkeiten beschrieben wird), und für die Hartley Coleridge das beste Vorbild liefert, wenn er sagt: ‘Lassen wir für einen Augenblick Shakespeare ausser Betracht, und nehmen wir Hamlet einmal als wirklichen Menschen, als einen Bekannten von uns, der vor kurzem gestorben ist.’1 Diese Betrachtungsweise hat L.C. Knights 1933 für alle Zeiten lächerlich gemacht in seinem geistreichen, aber vernichtenden Artikel ‘How many children had Lady Macbeth?’ (‘Wieviele Kinder hatte Lady Macbeth?’), eine allen Ernstes gestellte Frage, die natürlich nicht beantwortet werden kann, weil bei Shakespeare nun einmal keine Kinder von Macbeth vorkommen.

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Anmerkungen

  1. Zitiert von L.C. Knigths in How many children had Lady Macbeth?’. In: ‘Explorations’, 2London 1951, S. 15.

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  2. C.M. Bowra: Heroic poetry, London 1952, S. 91.

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  5. G. Walschap (*1898): Houtekiet, Rotterdam 1939.

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  6. A. Westerlinck: Gesprekken met Gerard Walschap. I: Van Waldo tot Houtekiet, Hasselt 1969, S. 194 und 196.

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  7. Wilhelm Meisters Lehrjahre, Fünftes Buch, siebentes Kapitel.

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  12. ‘Vorlesungen über die Aesthetik’. Zitiert in: Romantheorie, S. 260.

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  13. Siehe Anmerkung 4, I, S. 78.

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Sötemann, A.L. (1985). Der ‘negative Held’ in der modernen niederländischen Literatur. In: Sonderegger, S., Stegeman, J. (eds) Niederlandistik in Entwicklung. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-017-4832-2_4

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