Zusammenfassung
Es gibt nur wenige Renaissancegestalten, die schon zu ihrer Zeit so viel von sich reden machten und auch heute noch so viel Bewunderung erregen wie Giovanni Pico, Graf von Mirandola und Concordia. Sein kurzes, oft dramatisches, ja tragisches Leben, seine außergewöhnlichen Kenntnisse der Philosophie und Theologie, der griechischen Astrologie und der jüdischen Kabbala, seine souveräne Beherrschung des Lateinischen, Griechischen, Hebräischen, Aramäischen und Arabischen machten ihn zu einem Phänomen erster Ordnung, fast zu einer Legende. Sehr zurecht hat man ihm den Beinamen Phönix der Genies (fenice degli ingegni) gegeben und das Muster des uomo universale, des universellen Menschen, in ihm gesehen. Frühreif und vielseitig wie er war, trat er als Dichter, Philosoph und Verfasser stilistisch brillanter Briefe in Erscheinung. Auch hatte er große Pläne für umfangreiche Werke. Es war ihm aber nicht vergönnt, mehr als einen Bruchteil davon zu vollenden.
Über Picos Leben sind wir recht gut informiert, unter anderem Dank einer von seinem getreuen Neffen Gianfrancesco Pico della Mirandola verfassten Biographie. Gianfrancesco gab übrigens nicht nur Picos Werk heraus, sondern war auch selbst seinerzeit ein sehr verdienstvoller Philosoph (siehe Charles B. Schmitt, Gianfrancesco Pico della Mirandola [1469–1533] and his Critique of Aristotle, Den Haag 1967); von den jüngeren Biographien sind vor allem zu erwähnen Eugenio Garin, Giovanni Pico della Mirandola. Vita e dottrina, Florenz 1937, ebenfalls von Eugenio Garin der Vortrag Giovanni Pico della Mirandola, Parma 1963, ferner die biografische Einleitung von Wolfgang Speyer zur Ausgabe einer Anzahl von ihm entdeckter lateinischer Gedichte des Pico (Giovanni Pico della Mirandola, Carmina Latina, Leiden 1964).
For the present republication, the translation has been checked against Schuhmann’s Dutch original (“Giovanni Pico della Mirandola en het Hermetisme. Van medestander naar tegenstander”, in: Gilles Quispel, ed., De Hermetische Gnosis in de loop der eeuwen, Baarn: Tirion,1992, pp. 313–337) and revised — (Eds).
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Über Picos Leben sind wir recht gut informiert, unter anderem Dank einer von seinem getreuen Neffen Gianfrancesco Pico della Mirandola verfassten Biographie. Gianfrancesco gab übrigens nichtnur Picos Werk heraus, sondern war auch selbst seinerzeit ein sehr verdienstvoller Philosoph (siehe Charles B. Schmitt, Gianfrancesco Pico della Mirandola [1469–1533] and his Critique of Aristotle, Den Haag 1967); von den jüngeren Biographien sind vor allem zu erwähnen Eugenio Garin, Giovanni Pico della Mirandola. Vita e dottrina, Florenz 1937, ebenfalls von Eugenio Garin der Vortrag Giovanni Pico della Mirandola, Parma 1963, ferner die biografische Einleitung von Wolfgang Speyer zur Ausgabe einer Anzahl von ihm entdeckter lateinischer Gedichte des Pico (Giovanni Pico della Mirandola, Carmina Latina, Leiden 1964).
Reuchlins christliche Deutung der Kabbala findet sich vor allem in seinem De verbo mirifico von 1494 und De arte cabbalistica von 1517.
Von Savonarola selbst erschien 1495 eine Abhandlung Contra l’astrologia divinatrice, worin er Picos noch unveröffentlichte Disputatio verwendet.
Siehe die Ausgabe Oracles Chaldaïques von E. des Places, Paris 1971. Ficinos älterer Freund Gemistus Pletho hatte als erster die Orakel Schülern des Zoroaster zugeschrieben.
Ficinos Übersetzung wird in der Folge zitiert aus der Ausgabe (mit eingefügtem Kommentar von Lefèvre d’Étaples) in Ficinos Opera Omnia, Turin 1962 (= Nachdruck der Ausgabe Basel 1576 ), Bd. 2, S. 1836–1857. Hierauf folgt übrigens auf den Seiten 1858–1871 der Asclepius, ebenfalls mit Kommentar von Lefèvre d’Étaples.
Die Werke Picos werden in der Folge zitiert, indem im Text in Klammern die Seiten der Ausgabe Johannes Pico Mirandulanus, Opera Omnia, Bd. i, Turin 1971(= Basel 1572) erscheinen.
Wahrscheinlich ein Schreibfehler in Picos Bibliothekskatalog für Weisheit , wie der richtige Titel von Ficinos Übersetzung lautet (Pimander oder über die Weisheit und Macht Gottes).
Pearl Kibre, The Library of Pico della Mirandola, New York 1966, S. 2o6.
Darüber siehe zum Beispiel Paul Oskar Kristeller, Studies in Renaissance Thoughtand Letters, Rom 1969, S. 221–257.
Die Namensform Pimander an Stelle von Poimandres geht, wie bekannt, auf Ficinos Übersetzung zurück.
Da Correggio imitierte natürlich Jesu Einzug in Jerusalem. Die Worte auf seiner Dornenkrone stehen in Beziehung zu dem evangelischen Wort über Jesu Auserwähltheit, das unter anderem bei Jesu Johannestaufe vom Geist ausgesprochen wird. Da Correggios Version am nächsten kommt aber Lukas 9, 35. Auffallend ist Da Correggios Verwendung des Ausdrucks Kind (puer), während sowohl das Evangelium als auch Ficinos Übersetzung der Hermetika immer Sohn (filius) haben.
Siehe Isabelle Pantin, Les ›commentaires‹ de Lefèvre d’Étaples au Corpus Hermeticum in Présence d’Hermès Trismégiste, Paris 1988, S. 167–183.
Über Lefèvres zwei Ausgaben siehe beispielsweise Hermes Trismegistus Pater Philosophorum, Amsterdam 199o, S. 41 und 44.
Paul Kibre, siehe Anm. 9, S.168.
Siehe Moshe Idel, Hermeticism and Judaism, in Ingrid Merkel und Allen G. Debus (Hrsg.), Hermeticism and the Renaissance, Washington 1988, S. 68 ff.
Vgl. Kristeller (siehe Anm. 9), S. 236, Anm. 70.
Nicht zu Unrecht sagt Paul Oskar Kristeller, Eight Philosophers of the Italian Renaissance, Stanford, Ca. 1964, S. 67, ironisch: These words have a modern ring, and they are among the few passages in the philosophical literature of the Renaissance that have pleased, almost without reservation, modern, and even existentialist ears. Vor dieser Art modernisierendem Missverständnis kann man nicht genug warnen.
Dieser Bereich von Picos Denken ist noch fast unbearbeitet und bleibt im Folgenden auch außer Betracht.
Ficino, Opera Omnia, Bd. II, S. 1836.
Über die Vorgeschichte der Idee einer poetischen Theologie siehe Charles Trinkaus, In ourImage
and Likeness. Humanity and Divinity in Italian Humanist Thought, Bd. 2, London 197o, S. 683–721. 21 Epistulae I, I, 14: Ich habe mir vorgenommen, bei den Worten keines einzigen Lehrers zu
schwören.
Fernand Roulier, Jean Pic de la Mirandole (1463–1494). Humaniste, philosophe et théologien, Genf 1989, S. 48, Anm. 49.
In der Einleitung zum Heptaplus (2), übrigens auch schon in Commento iii, 9 (758) und in der Apologia (122), behauptet Pico, die Anwesenheit der Sphinxen vor dem ägyptischen Tempel habe bedeutet, dass die Mysterien des Glaubens nur auf verhüllte Weise mitgeteilt werden durften. Diese Ansicht, die bereits hinter Picos geplanter Theologia poetica steckt, passt natürlich gut zu der wiederholten Warnung in den Hermetika, die Mysterien nicht der Öffentlichkeit preiszugeben.
Picos Worte sind: eine Darstellung, die, wie mansagt, beim Zwillingsei beginnt , das heißt beim allerersten Anfang (Anspielung auf Horaz’ De arte poetica,147).
Die Quelle dieses Ausspruchs ist übrigens noch immer nicht festgestellt.
Eine Anspielung auf den Ausspruch des Aristoteles, De anima iii, 8 (431b21): Die Seele ist im gewissen Sinn alle Dinge.
Die Philosophie des Marsilio Ficino, Frankfurt am Main 1972, S. 105.
Mehr bei Ficino als bei den parallelen Passagen in Picos Werk, scheint mir dabei im Hintergrund zu stehen ein Passus aus Jamblichos, Protreptikos I, 5: Der Sinnlichkeit und des Verstandes beraubt, wird der Mensch zur Pflanze; seines Verstandes beraubt, wird er tierartig; beraubt der Unvernunft, aber im Besitz des Verstandes bleibend, wird er Gott gleich.
Ficino, Opera Omnia, Bd. I, S.309ff.
Ficino lässt erstens die Interjektion o Asclepius weg. Weiter zitierter auch die Fortsetzung dieses Ausspruches, was Pico nicht tut. Übrigens hat Eugenio Garin entdeckt, dass auch noch ein zweiter Passus aus Asclepius, 12 (der Genuss hat die Seele, wie man so sagt, am Kragen gepackt, damit sie so am sterblichen Teil kleben bleibt) in die Oratio ( der ganze Sinnenteil, in dem die Verführung des Körpers zuhause ist, hat die Seele, wie man so sagt, am Kragen gepackt: 317) übernommen wurde. (Giovanni Pico della Mirandola, De dignitate hominis, lateinisch und deutsch, eingeleitet von Eugenio Garin, Bad Homburg v.d. H.–Berlin–Zürich, 1968, S. 38 ).
F. Roulier, siehe Anm. 22, S. 49.
Die letzte These unter der Rubrik Hermetismus bezieht sich auf das Verhältnis der hermetischen Lehre zur Kabbala und ist also nicht den Hermetika selbst entnommen.
Die Thesen sind übersetzt aus den Opera Omnia (8o). Alle Abweichungen in der von Bohdan Kieszkowski besorgten kritischen Ausgabe (Giovanni Pico della Mirandola, Conclusiones, Genf 1973) werden in Fußnoten erwähnt.
An Stelle von den Tod erleiden kann (passibile) hat Kieszkowski ist für den Tod empfänglich (possibilis).
An Stelle von den Geist (spiritum) hat Kieszkowski Geister (spiritus).
Kieszkowski fügt hinzu: Betrug .
Kieszkowski fügt hinzu: Leichtsinn .
Ich verweise in der Folge auf die Nummerierung und Einteilung des Corpus Hermeticum in Bd. i und ii der Ausgabe von A.D. Nock und A.-J. Festugière, Paris 196o. Diese Einteilung findet sich auch in der Übersetzung von R. van den Broek und G. Quispel, Corpus Hermeticum, Amsterdam 1990.
Fances A. Yates, Giordano Bruno e la tradizione ermetica, Bari 1969, S. 267, Anm. z1 und S. 127.
Ficinos Original erhärtet die Lesart den Geist (spiritum) gegen Kieszkowskis Geister (spiritus).
Zufällig zitiert Picohiermit dasbekannte Schibboleth von Ficinos Übersetzung. Im griechischen Original steht: durch Bäume, was Ficino übersetzte mit per sylvam ( durch den Wald ). Das wurde aber fast überall, auch in Picos Exemplar, falsch als per Sybillam ( durch die Sibylle ) gelesen. Siehe Frederick Purnell, Hermes and the Sybil: aNote on Ficino’s Pimander, Renaissance Quarterly 30 (1977), S. 305–310.
Pico hat an Stelle von Ficinos non concisum ( nicht zerbröckelt ) das wenig sinnvolle non concussum ( nicht durchgescheuert ): offenbar ein Lesefehler.
Ficinos Übersetzung rechtfertigt zwar die Hinzufügung der Worte Betrug und Leichtsinn durch Kieszkowski. Diese Zwölfzahl steht aber im Widerspruch zu Picos Erklärung, es gebe in einem jeden Menschen zehn Wesen, die strafen. Die Zehnzahl ist übrigens von Belang auch für die hier nicht behandelte These lo, wo die zehn Elemente des Hermetismus mit der kabbalistischen Zehn verglichen werden. Frances Yates, siehe Anm. 4o, S. 127, ist der Auffassung, Pico habe eben wegen dieser letzten These die hermetische Zwölfzahl zur Zehn reduziert.
Vergleichbare Passagen im Asclepius sind, wasdie Wortwahl betrifft, weiter von Picos Brief entfernt. So geht zum Beispiel Ficinos eigene Bemerkung, Hermes stelle den Menschen so hoch, dass er ihn beinahe den größten Gott nach dem ersten Gott nennt (Ficino, Opera Omnia, Bd. 1, S.759), auf das auch sonst von Ficino viel benutzte Kapitel 23 des Asclepius zurück: der Mensch ist der größte aller Götter (Ficino, Opera Omnia, Bd. ii, S. 1865 ).
Stellen wie Corpus Hermeticum ix, 8 und Corpus Hermeticum x,14, wo nicht der Geist, sondern die Welt Sohn Gottes genannt wird, spielen im gegenwärtigen Zusammenhang natürlich keine Rolle.
Amüsant ist in diesem Zusammenhang, dass Ficino seine Briefe an Pico anfangs an seinen Mit-Platoniker adressierte und später nur noch an seinen Mit-Philosophen schrieb.
Dies übrigens, im Gegensatz zu vergleichbaren Versuchen Ficinos, im Sinn einer Anpassung von Platos Denken an aristotelisch-scholastische Zusammenhänge. Siehe Giovanni di Napoli, Giovanni Pico della Mirandola e la problematica dottrinale del suo tempo, Rom 1965, S. 217–223, und Michael B. Allen, The Second Ficino–Pico Controversy: Parmenidean Poetry, Eristic and the One, in Gian Carlo Garfagnini (Hrsg.), Marsilio Ficino e il ritorno di Platone, Bd. n, Florenz 1986, S. 417–455.
Siehe Heliodori, ut dicitur, in Paulum Alexandrinum Commentarium, herausgegeben von E. Boer, Leipzig 1962. In Disputatio vi, 1o (6o1) zitiert Pico aus dem Text der sogenannten A-Klasse des Heliodor-Kommentars (ibidem, S. 23 unten); er wirft Heliodor Widersprüchlichkeit vor. In Buch ix, 5 (665 und weiter) wird Paulus aus Heliodor S. 116 zitiert und wird, was Heliodor selbst über die Berechnung des Zeitpunkts der menschlichen Empfängnis durch die Ägypter sagt, als primitiv abgelehnt. Des weiteren verweist Pico noch auf Heliodor S.1(599) und S. 21(596). Auch allgemeinere Hinweise kommen vor (z. B. 586 und 619 ).
Vgl. Heliodor Commentarium, S.42.
Die beiden letzten sind Ägypter, die von Heliodor nicht genannt werden. Aber die Verknüpfung der vier Namen durch Picokönnte auf die astrologische Abhandlung Mathesis (in Betracht kommt vor allem iv, Praefatio, §5) des Rhetors Firmicus Maternus (viertes Jahrhundert nach Christus) zurückgehen, der von Picooft angeführt wird. Siehe auch A.-J. Festugière, La Révélation d’Hermès Trismégiste, Bd. i: l’Astrologie et les sciences occultes, Paris 1920, S. 102–105.
Siehe Paulus Alexandrinus, Eisagogikè, hrsg. von E. Boer, Leizig 1958, S.13,88 und 95, wo jeweils von den Weisen der Ägypter die Rede ist. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Pico Paulus’ Werk kannte. Er schöpft sein Wissen über ihn offenbar ausschließlich aus Heliodors Kommentar (der Verweis auf Paulus [586] geht auf Heliodor, S.78 zurück). Von Wichtigkeit in unserem Zusammenhang ist aber, dass Heliodor auf S. 115 seines Kommentars die Fundstelle bei Paulus, S. 88, zitiert. In diesem Sinn könnte Paulus doch die Quelle von Picos Ausdruck gewesen sein.
Die einzige Stelle bei Jamblichos, die als Quelle hierfür in Betracht kommt, ist De Mysteriis vi, 7 (249), wo Jamblichos sich mit der Tatsache befasst, dass man bei Beschwörungen zwar die Dämonen, nicht aber die Götter bedroht. Die Chaldäer, sagt er, die den Göttern gegenüber immer eine sehr reine Sprache sprechen, haben deshalb niemals Drohungen gegen sie gerichtet, die Ägypter dagegen sprechen manchmal Drohungen aus, weil sie mit den Symbolen der Götter Worte vermengen, die sich nur an die Dämonen wenden . Siehe Ficinos Übersetzung dieses Werkes in seinen Opera Omnia, Bd. ii, S. igoi.
Übrigens wird auch Thomas von Aquin, der wichtigste Philosoph des Dominikaner-Ordens, der Pico so sehr am Herzen lag, als Mann bezeichnet, dessen Urteil von größtem Gewicht ist (543).
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Leben, P. (2004). Giovanni Pico della Mirandola und der Hermetismus: Vom Mitstreiter zum Gegner. In: Steenbakkers, P., Leijenhorst, C. (eds) Selected papers on Renaissance philosophy and on Thomas Hobbes. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-017-0485-4_7
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