Zusammenfassung
Die Unschuld des Werdens und die Gerechtigkeit sind zwei sich ergänzende Begriffe, in denen die impliziten Folgerungen des Zeitgeschehens, das im Phänomen der Macht erschlossen wurde, aufgegriffen und entfaltet werden. Während sich der Begriff der Unschuld des Werdens damit befaßt, das “Werden” von jeder Vorstellung einer “Schuld” zu befreien, und die endgültige Aufhebung von Nietzsches früherer Auffassung des Werdens als einer strafwürdigen Emanzipation vom Sein vollzieht, geht der Begriff der Gerechtigkeit darauf hinaus, die Unschuld in ihrem Geschehen selbst konstitutiv zu denken. Die Unschuld des Werdens ist so zu sagen die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt Gerechtigkeit geben kann: die Gerechtigkeit ist der sich konstituierende Vollzug der Unschuld des Werdens.
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Referenzen
MAI, 107.
Vgl. dazu den Brief an Peter Gast, den 15. Januar 1888: “Musik gibt mir jetzt Sensationen, wie eigentlich noch niemals….Als ob ich mich ganz von ferne her überblickte, überfühlte…. Es ist als ob ich in einem natürlicheren Element gebadet hätte. Das Leben ohne Musik ist einfach ein Irrthum, eine Strapaze, ein Exil.” Fernerhin Werke XIV, 139: “Die Musik als Nachklang von Zuständen, deren begrifflicher Ausdruck Mystik war”.
Werke X, 129: “Bilder im menschlichen Auge ! Das beherrscht alles menschliche Wesen: vom Auge aus! Subject! Das Ohr hört den Klang! Eine ganz andere wunderbare Conception derselben Welt”.
Vgl. Susanne Langers Versuch, die Musik als Symbol aufzufassen: Philosophy in a New Key; “On Significance in Music”. Trotz der sorgfältigen Ausarbeitungen des Problems widerlegt sie ihre eigene Position mit dem Satz: “Music is an expressive medium with a law and life of its own”.
Vgl. G. S. Dickinson, Analogical Relations in Musical Pattern, 1958.
Die Entfaltung muß sich nicht nur nacheinander konstituieren, sondern kann auch gleichzeitig geschehen, wie z.B. in der Polyphonie, wo sie aber durchaus ihren wesentlich zeitlichen Charakter behält.
Werke, X, 166.
WM, 535; Werke XIV, 81.
Werke XIV, 308.
Werke XIII, 127.
Werke XII, 120. Vgl. dazu Werke XII, 130: “Es ist etwas Neues zu schaffen — nicht ego und nicht tu und nicht omnes!”
Diese Art, mit Gedanken “fertigzuwerden”, anstatt sie zu denken, nämlich sie auf das “Psychologische” zurückzuführen, hat Nietzsche vorweggenommen. Vgl. Werke XIV, 360; “Man beurteilt mich, um nichts mit meinem Werke zu thun zu haben: man erklärt dessen Genesis, — damit gilt es hinreichend für — abgethan”.
Werke XII, 213: Vgl. dazu Werke XII, 359: “Geschichte ist Entwicklung der Zwecke in der Zeit: so daß immer höhere aus den niedrigen wachsen. Zu erklären, warum immer höhere Formen des Lebens entstehen müssen. Darüber sind ja die Teleologen und Darwinisten eins, daß es geschieht. Aber das Ganze ist eine Hypothese, auf Grund der Wertschätzungen”. Demnach wäre auch in Hegels absolutem Geist, der im Laufe seines Ent-äußerungsprozesses zu sich kommt und sich begreift, eine Wertschätzung zu sehen.
WSch, 204.
WM, 707.
WM, 708.
WM, 12.
WM, 765.
WM, 55.
WM, 708.
MAI, 636.
MAI, 637.
WM, 706.
WM, 881.
Zarathustra, Vorrede, 4.
Werke XII, 253.
Werke X, 493.
Werke XII, 299.
Werke XIV, 44.
Werke XI, 180.
Werke XIV, 80.
Werke XIII, 42.
WM, 715.
Vgl. dazu Martin Heidegger, “Nietzsches Wort ‘Gott ist tot’” in Holzwege, 1950; insbesondere S. 211, 212. Dort heißt es: “Jede Erhaltung steht im Dienste der Lebenssteigerung…. Die Sicherung des Lebensraumes z.B. ist für das Lebendige niemals das Ziel, sondern nur ein Mittel zur Lebenssteigerung. Umgekehrt erhöht wiederum das gesteigerte Leben das frühere Bedürfnis nach Raumerweiterung. Nirgends aber ist Steigerung möglich, wo nicht schon ein Bestand als gesicherter und so erst steigerungsfähiger erhalten bleibt….Die “komplexen Gebilde des Lebens” sind auf Bedingungen eines Erhaltens und einer Beständi-gung angewiesen, so zwar, daß das Beständige nur besteht, um in der Steigerung ein Unbeständiges zu werden”. Es fragt sich, ob Heideggers Auslegung des Willens zur Macht unter dem herrschenden Gesichtspunkt des Werts und demzufolge seine Auffassung des Willens zur Macht als eine Vorstufe zum “Willen zum Willen” dem Phänomen der Macht im Willen zur Macht gerecht wird. “Das Wesen des Willens zur Macht läßt sich erst aus dem Willen zum Willen begreifen”. (Vorträge und Aufsätze, 1954, “Überwindung der Metaphysik”, S. 82). Das Phänomen, das Heidegger mit dem “Willen zum Willen” bezeichnet, trägt die wesentlichen Merkmale gerade dessen, was Nietzsche den Widerwillen nennt, nämlich die Willensauffassung Schopenhauers, und zwar in ihrer äußerst gesteigerten Form. “Weil der Wille zum Willen jedes Ziel an sich leugnet und Ziele nur zuläßt als Mittel, um sich willentlich selbst zu überspielen und dafür, für dieses Spiel, den Spielraum einzurichten, weil aber gleichwohl der Wille zum Willen nicht, wenn er sich im Seienden einrichten soll, als die Anarchie von Katastrophen, die er ist, erscheinen darf, muß er sich noch legitimieren”. (Ibid, S. 89-90). “Die Meinung entsteht, der menschliche Wille sei der Ursprung des Willens zum Willen, während doch der Mensch vom Willen zum Willen gewollt ist, ohne das Wesen dieses Wollens zu erfahren….Die Frage ist überall, ob der Einzelne und Verbände aus diesem Willen sind oder ob sie noch mit diesem Willen und gar gegen ihn verhandeln und markten, ohne zu wissen, daß sie schon von ihm überspielt sind”. (ibid, S.89). “Es ist wachsend überall immer für den sich steigernden Willen zum Willen alles zu wenig”, (ibid, S. 95). Die in den vorhergehenden Kapiteln dieser Untersuchung ausgearbeiteten Merkmale des wesenhaften Mangels, der listigen Täuschung, und der aus dem vergeblichen Versuch, sich von sich zu erlösen, folgenden Steigerung ins Maßlose, treten hier deutlich hervor. Entsprechendes ist bei Schellings “rotatorischer Struktur” zu finden, in dem “Suchen und Nichtfindenkönnen des Anfangs” (Weltalter, S. 75, Schröter), in jenem “wie wahnsinnig in sich selbst laufenden Rad der anfänglichen Natur und der mächtigen furchtbaren Kräfte des Umtriebs”, (ibid, S. 42) in der “brennenden Sucht…, die… ihn wieder dahinreißt in den Kreislauf der nie ersättigten, nach immer neuem Stoff verlangenden Begierde”, (ibid, S. 38). Im “Willen zum Willen” erfaßt Heidegger ohne Zweifel ein wichtiges und echtes Phänomen. Die Frage ist, ob das, was Heidegger damit meint, sich auf eine “geschichtliche Epoche” (die mit Nietzsche anhebende ‘Vollendung der Metaphysik’) beschränken läßt.
WM, 708.
WM, 1066: “Die Welt besteht: sie ist nichts, was wird, nichts, was vergeht. …sie erhält sich in beidem.”
WM, 1067.
Werke XII, 351.
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© 1959 Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands
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Stambaugh, J. (1959). Der Zeitliche Sinn der Unschuld des Werdens und der Gerechtigkeit Als Voraussetzung für Ein Verständnis des Gedankens der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. In: Untersuchungen Zum Problem der Zeit bei Nietzsche. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-011-9605-5_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-94-011-9605-5_5
Publisher Name: Springer, Dordrecht
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