Zusammenfassung
Wenn Leibniz in Wien nicht entschieden zugriff und 1690 nach Hannover zurückkehrte, so ist das zu verstehen, da sein Verhältnis zu Ernst August (seit 1693 Kurfürst) zwar weit kälter als zu seinem ersten Herrn Johann Friedrich, aber doch leidlich war, das zur Kurfürstin Sophie aber ausgezeichnet. Wie ihm das Leichte schwer, das Schwere leicht wurde, so verstand er sich am besten mit Menschen großen Stiles. Sophie ist eine große Fürstin des Barock im besten Sinne des Wortes, vielleicht die bedeutendste Frau ihrer Zeit. Sie ist Urenkelin der Maria Stuart, Enkelin Jacobs I. von England, Tochter Friedrichs V. von der Pfalz, des „Winterkönigs”. Den lebendigsten Eindruck ihres Wesens vermittelt Liselotte, ihre Nichte, später Herzogin von Orleans, die eine Frucht ihrer Erziehung ist und mit schwärmerischer Liebe an ihr hängt. Im Briefwechsel mit ihr ist jene volkstümliche Gestalt geworden. Sophie ist eine starke Person, die trotz einer Häufung schwerer Schicksalsschläge sich auf ihre Kraft, Heiterkeit, ihren Geist verlassen darf. Sie kämpft nicht ohne Härte für die Macht der Dynastie, aber dieser Machtwille bleibt menschlich, und die kalte Despoten-Pracht nach Ludwigs Vorbild ist ihr zuwider. War sie auch weniger philosophisch als ihre Schwester, die Spinoza-Freundin, und als ihre Tochter, die preußische Königin, so war sie doch ganz die Frau, sich in Gespräch und Brief mit einem Geist wie Leibniz zu verständigen, denn in allem Bewußtsein ihres königlichen Blutes, ihrer politischen Machtstellung in Europa ehrte sie die Ebenbürtigkeit des Genies. Eine von Leibniz selbst überlieferte Anekdote heftet den ewigen metaphysischen Sinn seiner Lehre im volkstümlichen Bilde an den Umkreis der höfischen Gesellschaft wie an die Landschaft des schönen Barockparkes Herrenhausen. Es war seine lebendig-fruchtbare, aber logisch unbeweisbare Grundanschauung Kant behauptet, sie widerspräche dem gesunden Menschenverstande — daß niemals zwei Gebilde einander vollkommen gleichen. Vergebens suchen die Hofleute zwei gleiche Ahornblätter: selbst das ungeschulte Auge mußte überall Unterschiede erkennen. Das ist ein kleines Symbol für entgegengesetzte Weltsichten: für die mechanische Demokrits und der Aufklärung, die die Welt aus Gruppen von unter sich identischen Atomen, den Staat aus unter sich gleichwertigen Individuen erklären zu können glaubt — und der Leibnizschen, die in jedem Individuum die Einmaligkeit sieht: Materialistische und seelisch-genetische Welt-Betrachtung.
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Hildebrandt, K. (1953). Europäische Auswirkung. In: Leibniz und das Reich der Gnade. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-011-9273-6_5
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