Zusammenfassung
Harmonie des Spannungsreichen und Vielträchtigen war seit je das Verlangen abendländischen Geistes gewesen. Die bildende Kunst erbringt dafür den Beweis Immer von neuem nimmt sie es mit dem widerspenstigen Stoff des Daseins auf, um ihn sinnvoll zu formen. Was der ägyptische Priester, wie Platon berichtet, den Griechen vorwarf: die Sucht, das Bestehende zu verändern, zeitigte in der Kunst des Okzidents eine Vielfalt der Bildungen. Als bereits J. F. Blondel hellsichtig das Ende aller architektonischen Stile weissagte, gab das Abendland noch einmal dem ihm eigenen Grundverhalten schöpferisch Ausdruck. Es bezeugte sein gestaltendes Vermögen auf besondere Weise in der Musik. Mit dem Fragwürdigen und Widerspruchsvollen ringend, bekennt die musikalische Form jener Zeit, dass es sich um Dissonanzen und Spannungen handelt. Sie werden weder gemieden noch auch gemildert. Deutlich verlauten sie. Eine Auflösung lassen sie nur jeweils zu. Da sie sich unverzüglich wieder einstellen, fordern sie erneut den befreienden oder doch versöhnenden Akkord. Gerade das einander Fremdeste, die Prime und Septime, werden miteinander in nächste Beziehung gebracht. So entsteht ein Tonbild des menschlichen Lebens und zugleich der gestaltgebenden Innerlichkeit des Menschen, die sich an den Problemen des Daseins unablässig betätigt und, was ihr gemäss wäre, zu erwirken sucht.
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© 1957 Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands
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Braun-Vogelstein, J. (1957). Harmonik. In: Geist und Gestalt der abendländischen Kunst. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-3700-6_16
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-94-010-3700-6_16
Publisher Name: Springer, Dordrecht
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