Zusammenfassung
Musik ist ein Sinnzusammenhang, der nicht an ein Begriffsschema gebunden ist. Und dennoch kann dieser Sinnzusammenhang ein Gegenstand der Kommunikation sein. Der Kommunika- tionsprozeß zwischen Komponist und Zuhörer verlangt normalerweise eine Vermittlung: jemand, der individuell die Musik aufführt, oder eine Gruppe von Aufführenden. Zwischen allen diesen Personen, Teilnehmer am Prozeß der Musik, herrschen soziale Beziehungen von einer höchst komplizierten Struktur.
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Notes
Das System der musikalischen Notation, hat, wie wir zeigen werden, eine ganz andere Funktion und ist bloß sekundär.
G. H. Mead, Mind, Self, and Society, Chicago 1937, S. 13, 63, 253ff.
Meads Philosophy of the Present, Chicago 1932, ist ein Beispiel dafür, wie Untersuchungen dieser Art durchgeführt wurden und wohin sie führten.
Maurice Halbwachs, „La mémoire collective chez les musiciens,” in Revue philosophique, März-April 1939, S. 136–165.
Vier Kapitel des Manuskriptes wurden postum unter dem Titel „Mémoire et Société” veröffentlicht, in Vannée sociologique, 3. Folge. Band I, Paris 1949, S. 11–197.
Dieser Ausdruck wird von Halbwachs nicht verwendet, er gibt aber wahrscheinlich das wieder, was gemeint ist.
Donald Francis Tovey, „Music,” in Encyclopaedia Britannica, 14. Auflage.
Virgil Thompson, The Art of Judging Music, New York 1948, S. 296.
Wilhelm Furtwängler, „Interpretation — eine musikalische Schicksalsfrage,” in Das Atlantisbuch der Musik, Zürich 1934, S. 609ff.
All dies ist keineswegs auf die untersuchte Situation beschränkt. In der Tat ist unsere Analyse soweit nur die Anwendung von Husserls meisterhaften Untersuchungen der Struktur unserer Erfahrung gewesen. Nach Husserl ist die faktische Welt immer eine durch vorkonstituierte Typen erfahrene Welt. Es liegt jedoch nicht in der Absicht dieser Abhandlung, die Wichtigkeit der Husserlschen Entdeckung für alle Sozialwissenschaften darzulegen. Vgl. dazu Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, § 47, und das Referat des Verfassers in Gesammelte Aufsätze, Band III, S. 127 ff.
Mit Bezug auf die Begriffe des sozial abgeleiteten und sozial gebilligten Wissens, siehe oben, „Der gut informierte Bürger,” S. 85ff.
Der Ausdruck „Zuhörer” soll den Spieler, Hörer und Leser der Musik umfassen.
Für den Bereich der Dichtung wurde dieses Problem durch E. M. W. Tillyard und C. S. Lewis in ihrem geistreichen und tiefen Buch, The Personal Heresy, a Controversy, diskutiert, London-New York 1939.
Eine ausgezeichnete übersicht der philosophischen Musiktheorien findet man bei Susanne K. Langer, Philosophy in a New Key, Cambridge 1942, 8. Kapitel „On Significance in Music” und 9. Kapitel „The Genesis of Artistic Import,” obwohl die Ansicht der Autorin unbefriedigend scheint. Mit dem folgenden Zitat kann man diese zusammenfassen: „Die Musik hat alle Anzeichen des echten Symbolismus, nur eines nicht: die Existenz von mitgegebener Bedeutung (assigned connotation) … Sie ist ein begrenztes Idiom wie jede künstliche Sprache, nur weniger erfolgreich; den die Musik ist, obwohl eindeutig eine symbolische Form, dort, wo sie ihren Höhepunkt erreicht hat, ein unerfülltes Symbol. Ihr Leben ist Artikulation aber nicht ursprüngliche Setzung (assertion), Ausdrücklichkeit aber nicht Ausdruck.
Einige dieser besonderen Mittel sind für jede Musik wesentlich, andere gehören bloß einer bestimmten Musikkultur an. Rhythmus, Melodie, tonale Harmonie, die Technik der Verminderung und die sogenannten „Formen,” die auf dem basieren, was Towey die „weitere Harmonie” nennt, nämlich Sonate, Rondo, Variationen usw., sind sicherlich nur für die Musikkultur des 19. Jahrhunderts charakteristisch. Es ist zu hoffen, daß eine intensivierte Forschung auf dem Gebiet der Phänomenologie des Musikerlebens etwas mehr Licht auf das schwierige Problem werfen wird, welche Mittel zum sinnvollen Arrangieren von Tönen für die Musik im allgemeinen wesentlich sind, ohne die historische Bedingtheit zu berücksichtigen.
Diese Einsicht wurde unübertroffen durch den Hl. Augustin formuliert: Confessiones, XI, 38.
Wir brauchen uns nicht auf die besondere Erfahrung des Musik-Hörens zu beziehen, um die Inkommensurabilität von innerer und äußerer Zeit zu verstehen. Der kleine Zeiger unsere Uhr läuft genau so über die Hälfte des Zifferblattes, wenn wir vor der Tür des Chirurgen, der eine uns teure Person operiert, warten, wie wenn wir in angenehmer Gesellschaft uns wohlfühlen.
Donald Francis Tovey, Beethoven, London-New York 1945, S. 57.
Dieser Ausdruck wird hier und in den folgenden Abschnitten nicht in Cooleys Sinn gebraucht (vgl. Fußnote 2 auf S. 73); er bedeutet hier bloß, daß die Teilnehmer in einer solchen Beziehung Raum und Zeit miteinander teilen, solange die Beziehung anhält.
Husserl, a.a.O., §§ 118 und 119.
Das gilt auch für andere Zeit-Gegenstände, z.B. den Tanz oder die Dichtung (vgl. Fußnote 2 auf dieser Seite).
Diese These ist einfach das Korrelat zu jener anderen — daß der Sinnzusammenhang der Musik sich nicht auf ein begriffliches Schema beziehen kann. Ein Gedicht kann z.B. auch einen begrifflichen Inhalt haben, und der ist natürlich monothetisch zu erfassen. Mit ein oder zwei Sätzen kann ich die Geschichte des „Ancient Mariner” erzählen, und dies geschieht tatsächlich im Glossar des Autors. Insofern aber der poetische Sinn von Coleridges Gedicht die begriffliche Bedeutung übersteigt, d.h. als Poesie, kann ich ihn mir nur dadurch zu Bewußtsein bringen, daß ich es lese oder rezitiere.
Vgl. z.B. das Brahms-Lied „Wir wandelten wir zwei zusammen,” in dessen Introduktion das gemeinsame Wandeln der zwei Liebenden durch das besondere musikalische Mittel des Kanons ausgedrückt wird; oder vgl. dasselbe Mittel, das in Bachs b-moll Messe für den Ausdruck des Mysteriums der Trinität („Et in Unum”) verwendet wird.
In diesem Zusammenhang erinnert man sich an Brahms’ Ausspruch: „Wenn ich eine schöne Aufführung des,Don Giovanni’ hören möchte, zünde ich mir eine gute Zigarre an und strecke mich auf meinem Sofa aus.”
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© 1972 Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands
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Schütz, A. (1972). Gemeinsam Musizieren. In: Brodersen, A. (eds) Gesammelte Aufsätze. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-2849-3_7
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