Zusammenfassung
Zwischen den sich gegenseitig der falschen Rationalität und der Irrationalität bezichtigenden Lagern der politisch gespaltenen Gegenwart fristet der uralte politische Begriff und Akt des Verrats ein eigenartiges Dasein. Das Zwielicht, in dem Verrat immer schon stand, hat sich verdichtet, aber nur nach der einen Seite hin. Der Akt als solcher wird immer häufiger und fast alltäglicher, ob nun als klassischer Hoch- und Landesverrat, wie es die deutsche Rechtstradition unterschied; ob im moderneren Gewande als Verfassungsverrat oder Verstoss gegen eine freiheitlich-demokratische Grundordnung; oder ob in modernster Verkleidung als Subversion und Diversion, als Defaitismus und Sabotage, als “security risk” und “loyalty defect”, als “un-American activities” oder als „nationale Unwürdigkeit” der Kollaborateure in Frankreich (Verordnung 1944), als Klassenverrat oder parteischädigendes Verhalten. Dagegen hüllt sich der Begriff als Mittel und Gegenstand der theoretischen Reflektion immer mehr im Dunkel.
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Literatur
Ausprägungen dieser Lehre, die heute weite Verbreitung gefunden hat und zuweilenwegen der Notwendigkeit der Existenz fester Organisationen und Kader ür die rivalisierenden Gruppierungen - als elitist theory of democracy bezeichnet wird, z.B. bei C. J. Friedrich; The New Belief in the Common Man, o.O. 1949, S. 151 ff. (need for dissent), R. T. McKenzie, British Political Parties, Melbourne/London/Toronto, 1955. S. 588 ff., in Anlehnung an J. A. Schumpeter; Capitalism, Socialism, and Democracy, 2nd ed., New York, 1947, S. 279 ff. Ausdrücklich formuliert bei S. M. Lipset; Political Man, New York, 1963, S. 27.
Thomas Hobbes, De Cive, Leipzig, 1949,7. Kap.
Paradigmatisch für das heutige “Zusammendenken” von Politik und Ökonomie vom “subjektivistischen” Rationalismus her: J. M. Buchanan, G. Tullock, The Calculus of Consent, Logical Foundations of Constitutional Democracy, Ann Arbor, 1962, R. A. Dahl, Ch. Lindblom, Politics, Economics, and Welfare - Flanning and Politico-Economic Systems Resolved into Basic Social Processes, New York, 1953, A. Downs, An Economic Theory of Democracy, New York, 1957. - Kritisch dazu: C. B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt/M., 1967, B. Willms, Revolution und Protest oder Glanz und Elend des bürgerlichen Subjekts, Stuttgart, 1969, E. Altvater, Gesellschaftliche Produktion und ökonomische Rationalität. Externe Effekte und zentrale Planug im Wirtschaftssystem des Sozialismus, Frankfurt and Wien, 1969.
Die Tatsache, dass - wie empirische Untersuchungen nachweisen (vgl. z.B. G. Katona, dtsch. Das Verhalten der Verbraucher und Unternehmer, Tübingen, 1960) - keinesfalls alle Wirtschaftssubjekte sich so “rational” verhalten, besagt so wenig über die Gültigkeit und sogar das Existieren eines “Systems” wie etwa die Kriminalstatistik prinzipielle Einwände gegen die Gültigkeit von Strafgesetzen zu setzen vermag.
Gegen den Repräsentationsbegriff, wie ihn Kaiser (J. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin, 1956) in diesem Zusammenhang verwendet, müssen also Einwände erhoben werden. Inwieweit z.B. Arbeitnehmerinteressen, vertreten durch Gewerkschaften, “Existentialien” repräsentieren, entscheidet sich aus der Interpretation ihres Inhalts im Verhältnis zum zugrundegelegten Systembegriff. Durch von Marktbewegungen “erzwungene” Berufsbewegungen mit entsprechender transitorischer Unterbeschäftigung wird ein Existential nur dann betroffen, wenn das Verbleiben an einem konkreten Arbeitsplatz oder Beruf darunter gerechnet wird. Vgl. z.B. den Satz des damaligen Vorsitzenden der I.G. Bergbau anlässlich drohender Entlassungen bei Vorliegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten: “Um ein Lebcnsrceht bettelt man nicht, darum kämpft man” (“Über 70.000 Bergleute protestierten”, Die Welt, 26. 1. 1959 ).
Diesem - noch “vor-dialektischen” - Irrtum unterliegt z.B. H. Barion in seiner Rezension von O. Veit’s Soziologie der Freiheit, Frankfurt/M, 1957 (ARSP 1961, S. 259–268), wenn er kritisch anmerkt: “Was V. in diesen Teilen materialiter bietet, ist im Grunde eine Soziologie der Unfreiheit, während für eine Soziologie der Freiheit nicht viel anderes übrigbleibt als eine Bilanz ihrer Gefährdungen und Rückzüge” (ebd., S. 265).
Marx Horkheimer, “Bemerkungen zur philosophischen Anthropologie”, in Ztsch. f. Sozialforschung, 1935, wiederabgedr. in Kritische Theorie, Eine Dokumentation, hrsg. von A. Schmidt, Frankfurt/Main, 1968, Bd I, S. 218.
M. Horkheimer; “Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie”, Zschr. f. Sozialforschung, 1934, a.A.O., S. 166.
Der letztere Ausdruck bei R. Altmann, Das Problem der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die moderne Demokratie, Diss. Marburg, 1954.
H. J. Albrecht, Verratener Sozialismus, o.O. 1939 - Der Titel der von einem Apostaten verfassten Reissers bürgerte sich als Sprachmünze ein, weniger jedoch L. Trotzki, Verratene Revolution, Was ist die USSR und wohin treibt sie?, Antwerpen, 1936, und die o. in Anm. 27 erwähnte Verratene Republik von W. Hoegner.
R. Koselleck (Kritik und Krise, Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München, 1959 ) stellt im 2. Kapitel am Beispiel der Vorrevolutionszeit in Frankreich anschaulich “Die Entfaltung indirekter Gewalt” dar durch die “Integrierende Funktion des Logengeheimnisses” (III, S. 61–68) und wertet “Die politische Funktion des Logengeheimnisses” als “Die verborgene Wendung gegen den Staat” ( IV, S. 68–81 ).
Vgl. H. Marcuse, “Triebstruktur und Gesellschaft”, dtsch. Ffm., 1969, S. 48: “zusätzliche Unterdrückung”.
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© 1971 Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands
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Arndt, HJ. (1971). Vernunft und Verrat Zum Stellenwert Des Treubruchs in der Politischen Theorie. In: Von Beyme, K. (eds) Theory and Politics/Theorie und Politik. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-2750-2_29
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