Zusammenfassung
Was ist das Wesen der Wahrnehmung? Eine Eigentümlichkeit besteht darin, daß wir einen einheitlichen Gegenstand wahrnehmen, während uns gleichzeitig mannigfaltige Aspekte, Eigenschaften usw. von diesem Gegenstand gegeben sind. Sowohl Hegel als auch Husserl sehen die Spannung von Einheit und Mannigfaltigkeit als wesentliches Merkmal der Wahrnehmung an. Der Charakter dieses mannigfaltigen Wesens taucht jedoch auf unterschiedliche Weise auf: Hegel untersucht die Eigenschaften des Dinges, während Husserl seine Erscheinungsweisen zum Thema macht — was dies jeweils heißt, muß im folgenden untersucht werden.
Die äußere Wahrnehmungist eine beständige Pratention, etwas zu leisten,was sie ihrem eigenenWesen nach zu leisten außerstande ist. Also gewissermaßen ein Widerspruch gehört zu ihrem Wesen. Husserl, Hua XI, 3.
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Literatur
Held (1992), S. 28.
Vgl. Hua XXIX, S. 25: „‚Gegenstand ‘im völligen und eigentlichen Sinn ist mit sich selbst Identisches und ist ursprünglich kon stituiert als thematischer Gegenstand für ein Ich in identifizierender Aktivität.“
Vgl. Bernet (1978a), (1978b) und Kapitel 4 in Bernet (1996). Bernet zeigt im Rahmen seiner Erläuterungen unter anderem, daß Husserls Auffassung in den Ideen I einen Fortschritt gegenüber Erscheiden Logischen Untersuchungen, ja sogar die Überwindung eines metaphysischen Gegensatzpaares (nämlich dem von Erscheinung und Ding-an-sich) darstellt. Inwiefern meines Erachtens die in den Analysen zur passiven Synthesis vertretene Auffassung eine weitere Klärung gegenüber den Ideen I ausmacht, sollte anhand der Frage nach dem Status des „X“ bereits klargeworden sein.
Bernet (1978a), S. 266.
Vgl. ebd.
Vgl. insbes. Hua IV, „Zweiter Abschnitt. Drittes Kapitel: Die Konstitution der seelischen Realität durch den Leib“; Hua XI, S. 13 ff., Hua XI, Beilage XXV („Kinästhesen und potentielle Erwartungen“).
Vgl. Held (1992), S. 21.
Vgl. Hua III, § 28. Vgl. auch Hua IV, „Erster Abschnitt. Erstes Kapitel: Die Idee der Natur überhaupt“, wo davon die Rede ist, daß Gernüts-und Wertakte auf eine fundierende Schicht verweisen, in der wir es mit bloßen Sinnesgegenständen zu tun haben.
Vgl, Heidegger, SuZ, insbes. § 15 („Das Sein des in der Umwelt begegnenden Seienden“) und § 29 („Das Da-sein als Befindlichkeit“).
Vgl, Bernet (1978a), S. 268. Bernet zeigt, daß unsere letzte Motivation in unserer (Selbst-)verantwortung zu finden ist, wie es sich in Husserls Krisis widerspiegelt. Wenn Bernet allerdings zur Erläuterung dieser Verantwortung von optimaler Erkenntnis bzw. optimaler Wahrheit spricht und diese als „bestmögliche, d. h. argumentativ bestausgewiesene Antwort auf eine bestimmte Frage“ begreift (Bernet (1978b), S. 666), dann bleibt diese Auskunft problematisch, so lange nicht geklärt ist, wie eine solche Wahrheit im Phänomenologischen (und nicht etwa im positivistischen o. ä.) Sinne verstanden werden könnte.
Es lassen sich einige weitere Argumente dafür finden, daß Wahrnehmung immer schon von Stimmungen durchdrungen ist. Beispielsweisehat Natalie Depraz untersucht, inwiefern das Wesen der Protention deutlich macht, daß Bewußtsein nicht ursprünglich neutral ist: Die Protention, Vorspannung, ist nämlich affektiv angereichert als ein Vor-gefühl dessen, was mit fürcht, Hoffnung, Angst usw. auf uns zukommt. Dies zeigt sich, wenn man die Protention ihrem eigenen Wesen nach untersucht und nicht, wie Husserl es oftmals unternimmt, von Gegenwart und Retention aus. Vgl, Depraz (1999).
Kenneth R. Westphal (1996), S. 153.
Vgl. die anschaulichen Erläuterungen von Heidegger, GA 32, S. 125 f.: „Der Reichtum der sinnlichen Gewißheit gehört nicht dieser (…) und zwar deshalb nicht, weil das Meinen je nur das einzelne Dieses meint, aber nicht das Was, und d. h. nicht Mannigfaches und Vielfaches in Einem. (…) Nur dem Wissen, das in sich ein Nehmen ist, kann etwas gehören. (…) Bei diesem Nehmen, das ja grundsätzlich aus einer Vielheit herausnimmt, kann es sich daher im Was vergreifen und den Gegenstand als das nehmen, was er nicht ist; das Wahrnehmen kann sich täuschen“
Ludwig Landgrebe erläutert, inwiefern und warum Hegel den wichtigen Bereich der vorbegrifflichen kinä sthetischen Selbstbewegung übersieht, Vgl. Landgrebe (1980), S. 72 ff.
Vgl. Merold Westphal (1992), S. 93: „Innerhalb der Wahrnehmung ist ihr Objekt immer als ein Vordergrund gegen einen Hintergrund unterschieden“.
Vgl. Fink (1977), S. 106f.
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Stähler, T. (2003). Die Wahrnehmung. In: Die Unruhe Des Anfangs. Phaenomenologica, vol 170. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-0059-8_4
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