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Verpflichtung und Verbindlichkeit. Ethische Aspekte in der Rechtsphilosophie Adolf Reinachs

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Speech Act and Sachverhalt

Part of the book series: Primary Sources in Phenomenology ((PSIP,volume 1))

Zusammenfassung

Die Philosophie Reinachs versteht sich als Versuch der Entwicklung einer “apriorischen Rechtslehre”, als phänomenologische Analyse rechtlicher Handlungen und Relationen oder, wenn man es mit Reinach selbst noch deutlicher beschreiben will, Ziel der Phänomenologie des Rechts, wie sie in den “apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts” (GS166–350) entwickelt wird, ist es, sich in das Wesen der rechtlichen Gebilde zu “vertiefen” und dort zu “erschauen [...], was streng gesetzlich von ihnen gilt” (GS 170;PdR 15).1 Diese phänomenologische Wesensschau muß sich im rechtlichen Bereich nach zwei Seiten abgrenzen, um sich als selbständige Sphäre zu behaupten: gegen die Setzungen des positiven Rechts und gegen die Gesetze der Ethik. Allen drei Bereichen aber ist die Beschäftigung mit Rechten und Pflichten gemeinsam. Die Frage wird also sein, wie sich bei Reinach die Sphäre der apriorischen Rechtslehre hinsichtlich der Entstehung und Aufhebung von Rechten und Pflichten als eigenständiger Untersuchungs- und Seinsbereich ausgrenzen läßt. Umgekehrt ist aber auch nach den Beziehungen der Sphären zueinander zu fragen, denn etwa das Versprechen — als Prototyp und Musterbeispiel eines sozialen Akts — bringt sowohl in der apriorischen als auch in der positiven Rechtssphäre jeweils spezifische Wirkungen hervor und ist andererseits ohne ethische Fundierung gar nicht denkbar, weil die durch es generierte Verbindlichkeit zum einen als Kausalität zu seiner Erfüllung allein noch nicht ausreichen und weil zum andern die durch ein Versprechen etablierte Verbindlichkeit selbst gegen ethische Prinzipien verstoßen kann, die seine Erfüllung verbieten. Eine Abgrenzung zur positiv-rechtlichen Sphäre muß sich vor allem mit den Fragen auseinandersetzen, auf welche Weise eine von der apriorischen abweichende rechtliche Sphäre überhaupt möglich und wie sie darüber hinaus gegenüber dieser in moralischer Hinsicht zu rechtfertigen sein kann.

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References

  1. Vgl. dazu auch WIP 53 ff.

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  2. John F. Crosby, Phenomenology and the Philosophy of Law: the Apriori Foundations of Civil Law, Manuskript, Dallas 1979, 101

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  3. Seiten; K. Hoffmann und K. Mulligan, in diesem Band; Armin Burkhardt, Sociale Akte, Sprechakte und Textillokutionen. A. Reinachs Rechtsphilosophie und die moderne Linguistik, Tübingen, 1986

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  4. Barry Smith, “Introduction to Adolf Reinach. On the Theory of Negative Judgement”, in: ders. (ed.), Parts and Moments, München, 1981, 289–313, ebd., 297 ff.

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  5. Außer durch den Vollzug sozialer Akte können Ansprüche und Verbindlichkeiten auch durch soziale Verhältnisse oder etwa durch Wegnahme von Eigentum entstehen (vgl. GS 177; PdR 23).

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  6. Mit Ausnahme von Katz; vgl. dazu Jerrold J. Katz, Propositional Structure and Illocutionary Force: A Study of the Contribution of Sentence Meaning to Speech Acts, Hassocks, Sussex 1977,140.

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  7. An anderer Stelle (GS 232; PdR 88) bestimmt er die Absolutheit von Rechten und Verbindlichkeiten als “den Mangel jeglicher Gegnerschaft” und schreibt wenige Seiten später: “Aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden ist, daß der Anspruch seinem Wesen nach etwas Vorläufiges, auf Erfüllung Abzielendes ist, das absolute Recht dagegen etwas Endgültiges, in sich Befriedigtes. Der Anspruch bedarf einer Erfüllung; das absolute Recht auf eigenes Verhalten ist einer Erfüllung überhaupt nicht fähig. Es kann wohl von dem Inhaber selbst ausgeübt werden, aber es verlangt eine solche Ausübung nicht in dem Sinne, in welchem der Anspruch eine Erfüllung verlangt. Umgekehrt ist der Anspruch einer Ausübung nicht fähig. Es handelt sich ja nicht um eigenes, sondern um fremdes Verhalten. Bleibt dies Verhalten aus, so ist der Anspruch verletzt; aber es kann kein eigenes Verhalten das fremde ersetzen.” (GS 242; PdR 99)

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  8. David Hume, Traktat über die menschliche Natur, Hamburg 1904

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  9. Reinachs Sprechaktkriterium der “Vernehmungsbedürftigkeit” findet in Austins Gültigkeitskriterium für Sprechakte, dem “securing of uptake” (John L. Austin, How to do Things with Words, Oxford 1962,138), seine genaue Entsprechung.

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  10. Wilhelm Schuppe, Grundzuge der Ethik und Rechtsphilosophie, Berlin, 1894

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  11. Warum Reinach hier bemerkt, die “relativen sittlichen Verpflichtungen” seien zu wenig beachtet worden, ist unerfindlich, weil nach seiner Terminologie “relative” Pflichten solche gegen andere sein müssen und als solche zu allen Zeiten Gegenstand ethischer Analyse gewesen sind, wie z.B. die Pflicht zur Hilfeleistung in Notfällen. Zwar ließen sich solche Pflichten auch als absolute interpretieren, die nicht gegenüber der betroffenen Person bestehen, dann aber wäre für “relative” Verpflichtungen in der Ethik kein Platz mehr zu finden. Die durch die Unterscheidung des sittlichen Werts “Von Handlungen, Personen, Akten” von der sittlichen Rechtheit der Sachverhalte bedingte Aufteilung der Ethik in “zwei Sphären” hilft an dieser Stelle nicht weiter. (Vgl. GS 183; PdR 30).

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  12. So heißt es denn auch an einer anderen Stelle der “Apriorischen Grundlagen”: “Sittliche Berechtigungen und sittliche Verpflichtungen stehen sich nicht etwa wie Positives und Negatives gegenüber, sondern sind beide Positivitäten gänzlich verschiedener Art. Das verpflichtungsgemäße Verhalten stellt als solches notwendig einen sittlichen Wert dar; seine Existenz ist demgemäß sittlich recht. Das aus einer sittlichen Berechtigung entspringende Handeln dagegen braucht weder sittlich wertvoll zu sein, noch ist seine Existenz sittlich recht. Das verpflichtungsgemäße Verhalten ist als solches geboten, das berechtigungsgemäße ist als solches erlaubt.” (GS 232; PdR 88).

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  13. In diesem Band, 283–285.

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  14. Auch hier zeigt sich die Nähe der Phänomenologie zur Sprachanalyse.

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  15. Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus — Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt/Main 1973, 6421, und Wittgenstein fügt bezeichnenderweise hinzu: “Es ist klar, daß sich die Ethik nicht aussprechen läßt.” Reinach versucht dies daher auch nicht.

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  16. Dieser Satz wurde von Schuhmann aus Gründen der Vollständigkeit, Symmetrie und der inneren Logik von Reinachs Argumentation ergänzt (vgl. dazu in diesem Band, 285).

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  17. Vgl. dazu das Gespräch Dauberts mit Pfänder, in diesem Band, 287.

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  18. Vgl. Theodor Lipps, Leitfaden der Psychologie, Leipzig, 1906.

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  19. Vgl. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders., Kritik der praktischen Vernunft — Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Frankfurt/Main 1974,1, Aufl.

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  20. Vgl. dazu Armin Burkhardt, “Kant, Wittgenstein und das Verhältnis der relativen Ethik zur absoluten: Zur Begründung einer ökologischen Ethik”, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 27, Heft 4/1983, 391–431.

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  21. Freilich lassen sich Akte denken, bei denen das Kriterium der “Vernehmungsbedürftigkeit” als Kennzeichen eines sozialen Akts dahingehend modifiziert ist, daß die sozialen Akte ohne Veräußerlichung verstanden werden, wie etwa im menschlichen Gebet zu Gott, das Reinach einen “rein seelischen sozialen Akt” nennt. (Vgl. GS 193 ; PdR 42.) Reinach selbst freilich versteht Urteile dieses Typs als im Kantischen Sinne “synthetisch a priori”: Für ihn leitet sich der Begriff eines sozialen Aktes aus apriorischen Wesenheiten ab und erweitert so unsere Erkenntnis. Trotzdem schreibt er an anderer Stelle z.B.: “Wir wollen ja nur dem, was jene Worte bedeuten, näherkommen.” (GS 178; PdR 24) Man könnte daher sagen: Reinachs Urteile bleiben zwischen Synthese und Analyse seltsam unbestimmt, für ihn sind sie synthetisch a priori, faktisch sind sie analytische Urteile bzw. “grammatische Sätze” im Sinne Wittgensteins (vgl. PU §251).

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  22. Er kann daher auch selber schreiben, er gebe, “streng genommen, keine Theorie des Versprechens”, denn er stelle nur “den schlichten Satz auf, daß das Versprechen als solches Anspruch und Verbindlichkeit erzeugt” (GS 229; PdR 84).

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  23. Die apriorische Rechtslehre selbst ist “unabhängig von allem Rechte” (GS 343; PdR 218 f.). Was aber die positive Rechtswissenschaft angeht, so gilt der Grundsatz: “Wo die allgemeinen ethischen oder Zweckmäßigkeitsgrundsätze des jeweiligen positiven Rechts zu anderen Ergebnissen führen, muß auch von den Sätzen, die sich “aus der Natur der Sache” ergeben, abgewichen werden.” (GS 344; PdR 220) Aufgabe des positiven Rechts ist es auch, die “Ausübung des absoluten Rechts” zu sichern bzw. “Störungen” und “Beeinträchtigungen” von Rechten zu beseitigen (vgl. GS 319; PdR 190).

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  24. Auch dies ist ein Problem der “relativen Ethik”.

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  25. Vgl. dazu John R. Searle, “Eine Taxonomie illokutionärer Akte”, in: ders., Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie, Frankfurt/Main 1982, 17–50, ebd., 36 ff. bzw. Dieter Wunderlich, Studien zur Sprechakttheorie, Frankfurt/Main 1976, 77 ff.

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  26. Wie man sieht, ist auch diese Unterscheidung Searles nicht so originell, wie sie zunächst scheint (vgl. John R. Searle, eine “Taxonomie illokutionärer Akte” a.a.O., 19 f.).

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  27. Die Frage ist natürlich, für wen. Reinach macht nicht deutlich, welche Fassung des utilitaristischen Prinzips ihm hier vor Augen stand.

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  28. An dieser Stelle legt Reinach im Grunde den ersten Ansatz einer Sprechakttypologie vor.

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  29. Als ein Prinzip, nach dem Eigentumsrechte entstehen, nennt Reinach die Herstellung, d.h. daß derjenige, der aus ihm selbst gehörigen Materialien eine Sache herstellt, deren rechtmäßiger Eigentümer wird, denn es gründet im “Wesen des Schaffens, daß die geschaffene Sache dem Schaffenden gehört.” (GS 263; PdR 124) Die politischen Implikationen dieser Auffassungen führt Reinach nicht weiter aus. Als weiteres wichtiges Prinzip nennt er jedoch das zum Begriff des Gehörens gehörige absolute Recht, “in jeder beliebigen Weise mit der ihm gehörigen Sache zu verfahren” (GS 238; PdR 94), wenn nicht andere Pflichten dagegen stehen. Im Hinblick auf eine ökologische Ethik ließe sich daraus folgern, daß der Mensch, weil er nicht Hersteller und also nicht Eigentümer der Natur ist, kein Recht hat, sie zu zerstören. Aber selbst wenn er -durch einen Akt der Übertragung — zum Eigentümer der Erde geworden wäre, sprächen gewichtige Pflichten dagegen, mit der Natur nach Belieben umzuspringen (vgl. dazu Dieter Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980 sowie Armin Burkhardt, “Kant, Wittgenstein und das Verhältnis der relativen Ethik zur absoluten: Zur Begründung einer ökologischen Ethik”, a.a.O.).

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  30. Hierein liegt eine wesentliche Eigenschaft aller “explizit performativen Äußerungen”: Durch ihre Selbstreferenz machen sie sich selbst wahr. Vgl. dazu z.B. D.W. Stampe, “Meaning and Truth in the Theory of Speech Acts”, in P. Cole/J. L. Morgan (eds.) Speech Acts (Syntax and Semantics. Vol. 3) New York-San Francisco 1975, 1–39, ebd., 21 ff.

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  31. Vgl. dazu Thomas Hobbes, Leviathan or The Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiasticall and Civil. Edited with an Introduction by Michael Oakeshott, Oxford, 1960.

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  32. Vgl. dazu John R. Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Oxford 1969, 33 ff.

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  33. Ich verweise dazu nur auf die Arbeiten von Searle und Austin. Weitere Literaturhinweise erübrigen sich an dieser Stelle durch den nochmaligen Verweis auf die Arbeit von Hoffmann (in diesem Band).

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  34. Vgl. John R. Searle, Speech Acts, a.a.O., 33 ff. und 63.

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  35. Vgl. ebd., 34 f.

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  36. Vgl.ebd.,51.

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  37. Vgl. ebd., 52.

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  38. So schreibt denn auch Reinach an einer Stelle in den “Apriorischen Grundlagen: Kategorien werden nicht ‘erzeugt’ und nicht willkürlich ‘angewandt,’ sondern sie werden entdeckt ” (GS 342;PdR 217)

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  39. Vgl. dazu Armin Burkhardt, “Kant, Wittgenstein und das Verhältnis der relativen Ethik zur absoluten: Zur Begründung einer ökologischen Ethik”, a.a.O., 430.

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Burkhardt, A. (1987). Verpflichtung und Verbindlichkeit. Ethische Aspekte in der Rechtsphilosophie Adolf Reinachs. In: Mulligan, K. (eds) Speech Act and Sachverhalt. Primary Sources in Phenomenology, vol 1. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-009-3521-1_7

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