Zusammenfassung
Auch in der Philosophie darf das Vorhaben noch nicht für die Tat genommen werden. Wenn Husserl im Untertitel von FTL diese als “Versuch einer Kritik der logischen Vernunft” bezeichnet, so soll über den zunächst bloß programmatischen Charakter der in dieser Schrift niedergelegten Philosophie nicht hinweggetäuscht werden. Es soll zwar nicht das Gesamtvorhaben Husserls diskutiert werden, immerhin jedoch eine Teilaufgabe dieses’kritischen Geschäfts’ prüfend hervorgehoben werden. Der hier zu untersuchende Aspekt ist in der bisherigen Literatur über Husserl noch nicht behandelt worden, gleichwohl stellt er die Grundlage für jeden Vergleich von phänomenologischem und “dialektischem” Denken dar, wenn “Dialektik”, wie bei Cohn, die Unvermeidbarkeit von sich widersprechenden Urteilen behauptet. Eine Auseinandersetzung mit dieser These auf dem Boden Husserlscher Forschungen bezeichnen wir als: Husserls Theorie zum Urteilswiderspruch als Genealogie widerstreitender Erfahrung. Was von Husserl hier einerseits Programm, was andererseits an Analyse wirklich vorgelegt wurde, soll zur Darstellung kommen.
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Literatur
Es geht Huserl um die “Kritik der im geradehin dem Gebiet zugewandten Forschen und Theoretisieren verborgenen Leistungen” (FTL, 179, Z. 25ff.).
“Der Satz vom Widerspruch drückt die generelle Unmöglichkeit aus, daß kontradiktorische Urteile zusammen wahr (oder falsch) sind” (FTL, 200).
FTL, 200. — In dieser Formulierung zeigt sich die “prinzipielle” Notwendigkeit als eine subjektive Unmöglichkeit des Andersseins.
Selbstverständlich ist der Nachweis dafür, daß bei Vorliegen synthetischer Einheit der Erfahrung auch der Satz vom Widerspruch gültig ist (vgl. FTL, 228, Z. 24ff.), noch kein Beweis für die Notwendigkeit dieses Vorliegens.
Vgl. die “Analysen zur passiven Synthesis”, HUA XI, 25ff. u. 346ff.
Vgl. den Hinweis Landgrebes in der “Einleitung”, EU, 72, Z. 1–4.
Vgl. zur Frage der Abschließbarkeit Husserlscher Ursprungsklärungen unten, 7.3, insbes. a) und b).
Über die Grenzen unserer Untersuchungen wird Kapitel 8 skizzierend befinden.
Wir beschränken uns hier nur auf das Notwendigste. Ausführlicher behandelt wird dieses Problem des’Tendenziösen’ in MÜLLER 1982, insbes. S. 126ff. sowie S. 207ff., wo Müller die emotional-volitiven Momente der Affektion erörtert. Nachdrücklich verwiesen werden soll ferner auf YAMAGUCHI 1982 passim, insbes. S. 33ff.
Auf das Problem der “Stellungnahme” wird zurückgekommen werden in Kapitel 6.
Letztlich geht es hier bereits um das, was “ist” (vgl. FTL, 151). Zur Problematik des Verhältnisses von “Wahrheit” und möglichen anderen Wertbestimmtheiten des Gegenstandes siehe unten, 6.4.5 über das Problem des “Axiologismus”.
EU, 81: “Je nach der Intensität der Aufdringlichkeit hat das sich Aufdrängende größere Ichnähe oder Ichferne”.
Vgl. auch EU, 81, Anm. 1. - Über die Angemessenheit, bei der Affektion von einem “Ich” zu sprechen, ließe sich in gleicher Weise debattieren wie über die Frage, ob das Affizierende als “Objekt” zu bezeichnen wäre. Auf die Ichproblematik wird noch eingegangen werden.
Die affektive Tendenz entfaltet sich immer in dem Bereich größerer Ichnähe oder Ichferne, nie aber ohne Affiziertes.
In der Mathematik tritt der Begriff “Norm” auf als das Maß für eine Vielheit.
“[…]es sei eine gleichmäßig rote Kugel gesehen […]”; vgl. die “Naivität”, mit der Vorerwartungen als Möglichkeiten durchlaufen werden, in dem oben angegebenen Zitat, bei dem es um Eidoserfassung geht (EU, 438). Daß “Möglichkeit” auch für die Wahrnehmungsdiskussion des hier erörterten § 21 von EU mitbehandelt wird, zeigt der folgende Satz: “So ist jede Wahrnehmungsphase ein Strahlensystem von aktuellen und potentiellen Erwartungsintentionen” (EU, 93). Vgl. Wiegerling 1984 zu dem Begriff “inhaltlicher Möglichkeiten”.
Vgl. Müller 1982, 212, wo darauf hingewiesen wird, daß “auf dieser untersten Stufe der passiven Ichbeteiligung ein Aufgeschlossensein für’Bedeutsames’”vorliegt. Müller sieht hier ein’Wertproblem’ (S. 208), das sich als “‘Hauptproblem’ der die logisch-ontologischen Zusammenhänge enthüllenden Phänomenologie” herausstellt (S. 231), wenn bedacht wird: “[…] kein Entgegenkommen von seiten des Ich ohne Angesprochensein in der Sympathie” (S. 230).
EU, 97: “Es streitet Glaube mit Glaube, Glaube des einen Sinngehaltes und Anschauungs modus mit dem eines anderen Sinngehaltes in seinem Anschauungsmodus.”
EU, 98: “Diese alte [Wahrnehmungsauffas sung] ist noch bewußt, aber im Charakter der aufgehobenen.”
Husserl erwähnt dies beiläufig Id I, § 136, 282, ausführlicher Id I, § 141, S. 293, Z. 26–39: Das Erinnerungsbewußtsein sei nicht “ohne ein ihm eigenes Recht”.
Id I, § 141, S. 294. Dieses “miteinander unverträglich” sein ist nichts anderes als’in Widerstreit miteinander’ sein.
“Eine Setzung, welcher Qualität auch immer, hat […] als Setzung ihres Sinnes ihr Recht, wenn sie vernünftig ist; der Vernunftcharakter ist eben selbst der Charakter der Rechtheit […]” (Id I, § 139, 289).
EU, 99. — Husserl hat den ersten Teil des Satzes hervorgehoben; wir widmen dem möglichen Phänomen des Dauerzustandes mindestens gleiche Aufmerksamkeit. Ein Beispiel solchen Dauerzustandes findet sich anhand Maurits C. Eschers Bild, betitelt “Tag und Nacht”, vgl. HOFSTADTER 1985, 272, Abb. 49.
EU, 109. — Zur “Aktivität” dieser Entscheidung mehr in Kapitel 6.
Husserl spricht hier von “Leibhaftigkeit” (EU, 101) — ein Begriff, der von ihm immer wieder für “Originarität” eingesetzt wird, allerdings das Mißliche an sich hat, daß er nicht auf ideale Gegenstände anwendbar scheint.
EU, 100). Der beschriebene Vorgang kann sich prinzipiell fortsetzen, solange der Zweifel besteht. Man macht sich dies gut an dem in obiger Anmerkung genannten Bild Eschers klar, wo das Figürliche nur auf einem Grund zur aufgefaßten Figur wird, dieser Grund jedoch gleichzeitig Anlaß gibt, nicht nur als Grund, sondern als Figur gesehen zu werden, dessen Grund die erstgesehene Figur darstellt usw.
“[…]in diesem Streit von Glaubensneigungen, korrelativ von Seins anmutungen hat ein Begriff von Möglichkeit seinen Ursprung […] Es sind in diesem Fall problematische Möglichkeiten, die miteinander im Streit liegen” (EU, 104).
Letztlich ist das einzig mögliche Verfahren immer ein solches’im Zickzack’, ein Hin und Her zwischen prädikativer und vorprädikativer Problematik, was an der Unselbständigkeit von Erfahrung bekimdender Sprache liegt. Vgl. auch unten zum Problem der Fundierungsverhältnisse, 7.3 a und 7.3 b.
Dieser Zweifel ist im Urteil als Disjunktion prädiziert. Vgl. zur “Frage” als “problematischer Disjunktion” EU, 371 ff.
Vgl. EU, 329. — Zur’Idee möglicher Einstimmigkeit’ vgl. Müllers Interpretationsvorschlag (MÜLLER 1982, insbes. S. 230, Z. 2ff). Vgl. unsere Einschränkungen in Kapitel 8.
Vgl. EU, 109f. — In der prädikativen Sphäre wird die Unselbständigkeit deutlich in der Auslegung des “Ja” bzw. “Nein” als Antwort, die einer Frage bedarf. Vgl. z.B. EU, 374f.
Wir sehen hier, inwiefern die Schlußuntersuchungen von EU (S. 381 ff.: “Die Konstitution der Allgemeingegenständlichkeiten und die Formen des Überhaupt-Urteilens”) zu den Fragen gehören, die der erste Abschnitt der FTL aufwirft.
EU, 410 f. — Das “offen endlos” gründet in der Modalität als “offener Möglichkeit”; vgl. EU, 105 ff Vgl. unten, Kapitel 7.
Husserl stellt in Hinblick auf die Zusammengehörigkeit von Eidos und veranschaulichender Mannigfaltigkeit übrigens ein Verhältnis fest, das uns bei der Analyse des Widerstreitphänomens begegnet ist: “[…] ist es klar, daß nicht in Widerstreit treten kann, was nichts Gemeinsames hat” (EU, 418).
Vgl. unsere kritische Interpretation des Husserlschen Wahrheitsbegriffes in 7.3
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© 1989 Kluwer Academic Publishers
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Klockenbusch, R. (1989). Kritik des Satzes vom Widerspruch bei Husserl. In: Husserl und Cohn. Phaenomenologica, vol 117. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-009-2478-9_3
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